04.11.2020 B: Arbeitsrecht Rabe-Rosendahl: Beitrag B8-2020

Arbeitsschutz und Teilhaberecht – eine unverzichtbare Kombination – Anmerkung zu LAG Frankfurt vom 21.01.2020 – 15 Sa 449/19

Die Autorin Cathleen Rabe-Rosendahl bespricht im folgenden Beitrag ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 21.01.2020 – 15 Sa 449/19. Das hessische Gericht befasste sich mit der Frage der Beschäftigungspflicht im Fall der versäumten Umsetzung arbeitsschutzrechtlicher Verpflichtungen aus § 3a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und § 10 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Es stellt klar, dass sofern der Arbeitgeber seine arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen nicht erfüllt, eine Berufung auf fehlende Sicherheit in der Arbeitsstätte keine ausreichende Begründung für die Nichtbeschäftigung eines schwerbehinderten Menschen darstellen könne. Die Autorin nimmt die Entscheidung zum Anlass, die Arbeitgeberpflicht des § 3a ArbStättV vorzustellen sowie das Verhältnis Arbeitsschutz – Teilhaberecht näher zu beleuchten.

(Zitiervorschlag: Rabe-Rosendahl: Arbeitsschutz und Teilhaberecht – eine unverzichtbare Kombination – Anmerkung zu LAG Frankfurt vom 21.01.2020 – 15 Sa 449/19; Beitrag B8-2020 unter www.reha-recht.de; 04.11.2020)

I. Thesen der Autorin

  1. Arbeitsschutzbestimmungen können nicht als Begründung für eine Kündigung oder Nichtbeschäftigung eines (schwer)behinderten Menschen herangezogen werden, solange der Arbeitgeber seinen gesetzlichen Arbeitsschutzpflichten nicht nachgekommen ist.
  2. Das Arbeitsschutzrecht ist vielmehr ein wichtiger Hebel, um die Eingliederung und Beschäftigungssicherung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Es ist daher in praktischer Konkordanz mit dem Eingliederungszweck des Teilhaberechts auszulegen. Dazu sind v. a. die Technischen Regeln zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstätten (ASR V 3a.2) heranzuziehen.

II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Sofern der Arbeitgeber seine arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen aus § 3a Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und § 10 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen nicht erfüllt, kann er sich als Begründung für die Nichtbeschäftigung eines schwerbehinderten Menschen nicht auf Sicherheitsaspekte im Hinblick auf ein eventuelles Evakuierungsszenario berufen.

III. Der Sachverhalt

Der schwerbehinderte Kläger (GdB 70) hatte eine Beschäftigungsklage erhoben. Er ist seit dem 1. November 1990 bei der Beklagten als Teamkoordinator im Bereich Export Operation eingesetzt. Seit vielen Jahren benutzt er zur Fortbewegung eine rechtsseitige Unterarmstütze als Gehilfe. Der Kläger selbst arbeitet in einem Büroraum innerhalb einer Lagerhalle, während die ihm unterstellten Beschäftigten an Packtischen und um diese herum arbeiten. In der Halle werden Waren mit Hilfe von Gabelstaplern bewegt. Zudem lagern innerhalb der Halle explosionsgefährliche Materialien, so dass die Beklagte verpflichtet ist, bei Bestehen einer akuten Gefährdungslage eine rechtzeitige Evakuierung der Gebäude zu gewährleisten. Den Beschäftigten steht zur Fortbewegung innerhalb der Halle ein speziell gekennzeichneter Bereich, der von den Gabelstaplern nicht befahren werden darf, zur Verfügung.

Der Sammelplatz für die Beschäftigten nach Evakuation des Gebäudes befindet sich auf einem Parkplatz. Im Juni 2018 erstellte der Arzt der arbeitsmedizinischen Abteilung der Beklagten eine ärztliche Beurteilung des Klägers im Hinblick auf die Fortbewegung im Betrieb sowie seine Einsatzfähigkeit. In dieser heißt es u. a.

„das Gehen auf den gekennzeichneten Gehwegen innerhalb des Werksgeländes und des operativen Bereichs stellt aus medizinischer Sicht kein erhöhtes Unfallrisiko dar.“

Außerhalb des gekennzeichneten Bereichs bestehe jedoch ein erhöhtes Unfallrisiko und somit könnten Tätigkeiten außerhalb dieser Wege vom Kläger nicht ausgeführt werden. Die Prüfung seiner Einsatzfähigkeit ergab, dass er von 25 Teilaufgaben fünf aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität nicht mehr ausführen kann. Die anderen Aufgaben sind überwiegend unproblematisch oder mit Einschränkungen möglich. Eine spätere ärztliche Beurteilung zur Frage der Rettung in Notfallsituationen ergab, es sei dem Kläger

„allenfalls bei einem Aufenthalt im unmittelbaren Eingangsbereich bzw. einem seitlichen Notausgang im Erdgeschoss möglich, ohne technische Hilfsmittel, in angemessener Zeit das Gebäude zu verlassen“.

Bei Tätigkeiten außerhalb dieses Bereiches sei das zeitnahe Verlassen des Gebäudes ohne technische Hilfsmittel nicht möglich.

Nach einem Gespräch mit der Personalabteilung beantragte die Beklagte im August 2018 die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers und stellte den Kläger widerruflich von der Arbeitsleistung frei. Der Kläger forderte die Beklagte außergerichtlich erfolglos auf, ihn weiter zu beschäftigen. Er erhob daraufhin Beschäftigungsklage beim Arbeitsgericht. Im November 2018 fand ein Termin mit dem Integrationsamt statt, bei welchem auch besprochen wurde, wie der Kläger das Gebäude verlassen könne, wenn dieses evakuiert werde. Der technische Beratungsdienst des Landeswohlfahrtsverbandes erklärte in diesem Termin, dass es ausreichend sei, wenn der Kläger zunächst in einen gesicherten Bereich (z. B. vor der Halle) gebracht werden könne und von dort durch einen sog. Paten abgeholt werden würde. Seit Dezember 2018 steht dem Kläger ein auf Initiative der Beklagten beantragter Rollstuhl zur Verfügung. Das Integrationsamt listete in einem Schreiben vom Februar 2019 die bereits angebotenen Leistungen an die Beklagte auf:

  • Kostenübernahme für einen evtl. notwendigen zweiten Rollstuhl (Leistung an Herrn E.)
  • 75 % – Bezuschussung einer kleinen gepflasterten Rampe (Überbrückung des Schräghangs im Fluchtweg)
  • 75 % – Bezuschussung der Beschaffung eines Elektrofahrzeuges, sofern hier zusätzlicher Bedarf besteht
  • Beschäftigungssicherungszuschuss

Kurz darauf führte die Beklagte in Anwesenheit des Betriebsarztes, der Fachkraft für Arbeitssicherheit, dem Abteilungsleiter sowie Vertretern des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung drei Evakuierungsversuche mit dem Kläger durch. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit führte diesbezüglich in ihrer Stellungnahme vom März 2019 aus, dass festzustellen ist,

„dass sich [der Kläger] im aktuellen Gesundheitszustand und unter der Voraussetzung der in der Gefährdungsbeurteilung beschriebenen Maßnahmen, eigenständig retten kann.“

Zu diesen Maßnahmen gehören:

  • „Insofern der Kollege nur mit Rollstuhl arbeiten kann, sind technisch alle zu befahrenen Wege im Unternehmen behindertengerecht bzw. rollstuhlgerecht auszustatten.
  • Insofern der Kollege Treppen benutzen muss, sind hierfür rollstuhlgerechte Lösungen (Rampe, Fahrstuhl) zu schaffen.
  • Es sind die technischen Vorrichtungen (Rampe oder besser Lift) zu schaffen, damit der Kollege den Arbeitsbereich sicher begehen und im Gefahrfall verlassen kann (hier auch elektrischer Türöffner an der Notausgangstür).
  • Im Rahmen des Tests hat sich ergeben, dass der Kollege derzeit in der Lage ist, sich selber zu Fuß zu retten. Auf Grund der speziellen Erkrankung ist organisatorisch sicherzustellen, dass immer Hilfspersonal für den Fall der Evakuierung bereitsteht bzw. diese Situation beachtet.“

Das Integrationsamt versagte im April 2019 die beantragte Zustimmung zur Kündigung, die Beklagte legte dagegen Widerspruch ein.

Das Arbeitsgericht Darmstadt gab der Beschäftigungsklage des Klägers statt und verurteilte die Beklagte zur Beschäftigung des Klägers als Teamkoordinator gemäß seines Anspruches aus § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung vor dem Landesarbeitsgericht.

IV. Die Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) weist die Berufung der Beklagten zurück und betont noch einmal deutlich, dass das Bundesarbeitsgericht bereits seit mehr als 60 Jahren in seiner Rechtsprechung den Anspruch auf tatsächliche vertragsgemäße Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber[1] anerkenne. Dieser Anspruch folge aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers aus Art. 2 i. V. m. Art. 1 GG und finde durch die Generalklausel des § 242 BGB Niederschlag im Arbeitsverhältnis. (§§ 611a, 613 i. V. m. § 242 BGB). Dieser Anspruch müsse nur dann zurücktreten, wenn überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers dem Anspruch entgegenstünden. Gerade solche Interessen seien vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Zwar könnten Sicherheitsaspekte im Hinblick auf ein eventuelles Evakuierungsszenario ein überwiegendes Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung des Klägers rechtfertigen, jedoch nicht bevor die Beklagte die ihr obliegenden Pflichten aus § 3a ArbStättV und § 10 ArbSchG zur barrierefreien Gestaltung von Arbeitsplätzen erfüllt habe. Insbesondere da die Beklagte die von der Fachkraft für Arbeitssicherheit bereits im März 2019 für erforderlich festgestellten technischen Vorrichtungen und Unterstützungsleistungen zum Großteil auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung immer noch nicht geschaffen habe, sei kein schutzwürdiges Interesse der Beklagten ersichtlich.

Auch das Vorbringen, der Kläger könne einen überwiegenden Teil seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung nicht mehr erbringen, überzeugte das Gericht nicht. Ausweislich der ärztlichen Beurteilung vom Juni 2018 könne der Kläger lediglich fünf von 25 Teilaufgaben nicht mehr ausführen. 13 Teilaufgaben seien unproblematisch möglich, die verbleibenden Aufgaben, die insbesondere die Kommunikation mit den ihm unterstellten Beschäftigten beinhalten, könnten jeweils auch ohne Betreten der nicht gekennzeichneten Gehwege erfolgen. Diesen Aussagen hatte die Beklagte nicht widersprochen. Insofern liege auch hier keine Rechtfertigung für die Nichtbeschäftigung des Klägers vor.

V. Würdigung/Kritik

Dem Landesarbeitsgericht ist zuzustimmen. Das Gericht stellt in erfrischender Deutlichkeit klar, dass Arbeitgeber sich bei Nichteinhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen nicht auf den Arbeitsschutz als Rechtfertigung für die Kündigung oder Nichtbeschäftigung einer Person mit Behinderung berufen können. Insbesondere wenn der Arbeitgeber sich weigert, seiner gesetzlichen Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung der Arbeitsstätte nach § 3a Abs. 2 ArbStättV nachzukommen, d. h. wie vorliegend z. B. keinen barrierefreien Fluchtweg umsetzt – obwohl eine Förderung durch das Integrationsamt möglich war –, erscheint es geradezu absurd, dass er sich im Gegenzug dann auf fehlende Sicherheitsaspekte im Fall einer Evakuierung beruft.

1. Pflicht zur Barrierefreiheit aus § 3a Abs. 2 ArbStättV

Beschäftigt der Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen, hat er gemäß § 3a ArbStättV die Arbeitsstätte so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit berücksichtigt werden. Hierzu zählen insbesondere die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen, Sanitär-, Pausen- und Bereitschaftsräumen, Kantinen, Erste-Hilfe-Räumen und Unterkünften sowie den zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen und Orientierungssystemen, die von den Beschäftigten mit Behinderungen benutzt werden.[2]

Es handelt sich hierbei nicht um eine allgemeine Pflicht zu Barrierefreiheit, denn § 3a Abs. 2 ArbStättV setzt voraus, dass der Arbeitgeber bereits behinderte Menschen beschäftigt. Der Arbeitgeber hat hier durch eine Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV zu ermitteln, welchen speziellen Gefährdungen und Gesundheitsrisiken die behinderten Beschäftigten am Arbeitsplatz und in den von ihnen genutzten Bereichen der Arbeitsstätte ausgesetzt sind. Auf der Grundlage des Ergebnisses dieser Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber dann die erforderlichen Maßnahmen vorzunehmen, d. h. die Maßnahmen fallen je nach individueller Beeinträchtigung der Beschäftigten und sich daraus ergebenden Barrieren unterschiedlich aus. Hierbei sind technische Maßnahmen vorrangig durchzuführen, d. h. nur, wenn diese nicht umsetzbar oder unverhältnismäßig sind, ist auf personenbezogene oder organisatorische Maßnahmen zurückzugreifen.[3] Für behinderte Beschäftigte wie den Kläger im Ausgangsfall sieht die technische Regel ASR V3a.2 beispielsweise vor, dass Arbeitgeber zum Ausgleich nicht ausreichend vorhandener motorischer Fähigkeiten barrierefrei gestaltete alternative Maßnahmen vorzusehen haben, z. B. das Öffnen einer Tür mechanisch mit Türgriffen und zusätzlich elektromechanisch mit Tastern oder durch Näherungsschalter oder das Überwinden eines Höhenunterschiedes mittels Treppe und zusätzlich einer Rampe oder eines Aufzugs.

Zu betonen ist hierbei, dass § 3a Abs. 2 ArbStättV nicht auf den Schwerbehinderungsstatus abstellt, sondern der Schutzbereich alle behinderten Beschäftigten, d. h. auch behinderte Beschäftigte ohne Schwerbehinderungs- oder Gleichstellungsstatus umfasst. Für schwerbehinderte Beschäftigte kann für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen – wie im Fall des Klägers geschehen – eine finanzielle Förderung beim Inklusionsamt/Integrationsamt beantragt werden.[4] Im Fall einer möglichen Förderung kann sich der Arbeitgeber nicht auf das Vorliegen einer unverhältnismäßigen Härte berufen.

2. Arbeitsschutzrecht und Teilhaberecht

Die Entscheidung des LAG Frankfurt am Main soll darüber hinaus zum Anlass genommen werden, einige grundsätzliche Aspekte des Verhältnisses Arbeitsschutz – Teilhaberecht kurz darzustellen. Denn die Erfahrung zeigt, dass nicht wenige Schwerbehindertenvertretungen (SBVen) das Arbeitsschutzrecht als Element der Ausgrenzung behinderter Menschen erfahren, insbesondere wenn es um die Umsetzung behinderungsgerechter Arbeitsplatzgestaltung geht.[5] Leider werden Arbeitsschutzregelungen und Teilhaberecht sowohl in der Theorie als auch in der Praxis bisher überwiegend getrennt und unabhängig voneinander betrachtet. Grundsätzlich besteht, wie bereits dargestellt, die allgemeine Pflicht aus § 3a ArbStättV, die Arbeitsstätte barrierefrei zu gestalten, sobald der Arbeitgeber behinderte Menschen beschäftigt. Hinzu kommt der Anspruch auf individuelle Anpassungen des Arbeitsplatzes aus § 164 Abs. 4 SGB IX für schwerbehinderte Beschäftigte bzw. aus § 241 Abs. 2 BGB[6] für behinderte Beschäftigte. Nun sieht § 164 Abs. 4 SGB IX in Satz 3 vor, dass der Anspruch nicht besteht, soweit der Umsetzung „die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften entgegenstehen“. Einer behinderungsgerechten Beschäftigung wird das Arbeitsschutzrecht jedoch oftmals nur dann entgegenstehen, wenn aufgrund der Maßnahme eine nicht anders abwendbare Unfallgefahr für den betroffenen behinderten Menschen oder andere Mitarbeitende bestünde.[7]

Die Grundsätze des Arbeitsschutzrechtes zielen auf eine gesundheitspräventive Gestaltung der Arbeitsbedingungen und sind nicht mehr nur mit Unfallschutz gleichzusetzen. Vielmehr sollen arbeitsbedingte gesundheitliche Belastungen möglichst vermieden oder zumindest minimiert werden.[8] Deshalb sehen auch viele Arbeitsschutzregelungen bereits eine Anpassung von Arbeitsmitteln und Arbeitsbedingungen an die körperlichen Eigenschaften und die Kompetenz der Beschäftigten vor, z. B. die ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes. Für vulnerable Beschäftigtengruppen gibt es darüber hinaus Regelungen wie § 3a Abs. 2 ArbStättV oder § 4 Nr. 6 ArbSchG, welcher verlangt, dass bei der Festlegung der Planung und Durchführung von Arbeitsschutzmaßnahmen die speziellen Gefahren besonders schutzbedürftiger Personengruppen zu berücksichtigen sind.[9]

Diese Grundsätze zeigen, dass das Arbeitsschutzrecht ein wichtiges und unentbehrliches Instrument der Ermöglichung beruflicher Teilhabe ist und den Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung gemäß § 164 SGB IX bzw. § 241 Abs. 2 BGB ergänzt. Dies betonte auch bereits die amtliche Gesetzesbegründung der Neufassung des § 3a Abs. 2 ArbStättV von 2004:

„das Ziel dieser Bestimmung [ist] die Ergänzung der bereits bestehenden beschäftigungsfördernden Regelungen für behinderte Menschen in § 164 Abs. 4 SGB IX (damals § 81 Abs. 4 SGB IX) um eine entsprechende flankierende Arbeitsschutzbestimmung.“[10]

Letzterer erweitert die Ansprüche behinderter Beschäftigter dann um eine weitere Dimension: die Ermöglichung der individuellen diskriminierungsfreien Teilhabe am Arbeitsleben.

Es ist daher sachgerecht, dass die SBV zu jeder Sitzung des Arbeitsschutzausschusses einzuladen ist (§ 178 Abs. 4 S. 1 SGB IX)[11]. Im vorliegenden Fall zeigte gerade die Stellungnahme der Sicherheitsfachkraft konkrete und real machbare Lösungen. Für jede SBV ist die Technische Regel ASR V3a.2 (Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten) ein unverzichtbares Dokument, weil sie zu jedem zentralen Arbeitsstättenproblem konkrete Handlungshinweise enthält – allein zum wichtigen Thema Fluchtwege gibt es im Anhang A2.3. der Regel zehn Unterpunkte, mit denen gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse dokumentiert werden.

VI. Fazit

Nicht selten werden Arbeitsschutz- oder Arbeitssicherheitsaspekte vom Arbeitgeber als Begründung für eine Nichtumsetzung behinderungsgerechter Anpassungen vorgetragen. Dies ist oftmals ungerechtfertigt und verkennt den immanenten Zusammenhang zwischen Arbeitsschutz und behinderungsgerechter Beschäftigung. Die Nichtumsetzung z. B. der Pflicht zur Barrierefreiheit ist zudem ebenso wie das nicht gerechtfertigte Unterlassen behinderungsgerechter Anpassung des Arbeitsplatzes ein schwerbehinderungsbezogener Umstand, der regelmäßig zur Versagung der Zustimmung des Inklusionsamtes/Integrationsamtes zur Kündigung führen muss.[12]

Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle, dass es sich bei einem Verstoß gegen § 3a Abs. 1 ArbStättV, d. h. wenn der Arbeitgeber die Arbeitsstätte nicht so einrichtet und betreibt, dass von ihr keine Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten ausgeht, um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Diese kann nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ArbStättV von der zuständigen Aufsichtsbehörde mit einer Geldbuße von bis zu 5.000 € geahndet werden.

Beitrag von Dr. Cathleen Rabe-Rosendahl, LL.M. (Nottingham), Zentrum für Sozialforschung Halle 

Fußnoten

[1] Ständige Rsprechung seit BAG v. 10.11.1955 – 2 AZR 591/54, juris.

[2] § 3a Abs. 2 ArbStättV wird konkretisiert durch die Arbeitsstättenregel ASR V3a.2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“, Ausgabe August 2012, GMBl. 2012, S. 663; zuletzt geändert Mai 2018, GMBl. 2018, S.469. Ausführlich dazu: Wiebauer in Kollmer/Wiebauer/ Schucht, ArbStättV, 4. Aufl., 2019, § 3a Rn 16 ff.

[3] Ziff. 2 (2) ASR V3a.2.

[4] Maßgeblich sind vor allem die §§ 19, 25 SchwbAV.

[5] Faber/Rabe-Rosendahl in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, § 164 Rn. 57.

[6] BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372.

[7] Faber/Rabe-Rosendahl in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, § 164 Rn. 57.

[8] HK-ArbSchR/Blume/Faber 2. Aufl. 2018 § 4 Rn. 13 ff.

[9] Kohte in Kollmer/Klindt/Schucht ArbSchG 3. Aufl. 2016 § 4 ArbSchG Rn.38.

[10] Bundesrats-Drucksache 450/04, S. 25.

[11] Krämer in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol SGB IX 4. Aufl. § 178 Rn. 46.

[12] Vgl. Schäfer, jurisPR-ArbR 27/2020 Anm. 2.


Stichwörter:

Arbeitsschutz, Arbeitsschutzrecht, Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), Barrierefreiheit, Behinderungsgerechter Arbeitsplatz, Kündigung


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.