23.03.2021 D: Konzepte und Politik Ulrich: Beitrag D12-2021

Das Reha-System in Kennzahlen: der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX

Die Autorin Lisa Ulrich (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V.) stellt den Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX vor. Dieser ermögliche erstmals Einblicke in das gesamte trägerübergreifende Reha-Leistungsgeschehen. Die Datenlage verbessere sich dabei von Berichtsjahr zu Berichtsjahr. Die Autorin sieht in dem Bericht für alle Akteure aus Politik, Recht und Praxis der Rehabilitation eine wichtige Grundlage für Fragen der Weiterentwicklung von Rehabilitation und Teilhabe.

(Zitiervorschlag: Ulrich: Das Reha-System in Kennzahlen: der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX; Beitrag D12-2021 unter www.reha-recht.de; 23.03.2021)

I. Einleitung

Der Beitrag stellt den Teilhabeverfahrensbericht (abgekürzt THVB) nach § 41 SGB IX vor. In insgesamt vier Abschnitten werden zunächst die gesetzliche Grundlage und Hintergrundinformationen erläutert (unter II), gefolgt von jeweils einer Einordnung zu den beiden bisher veröffentlichten Berichten (Abschnitt III und IV) sowie einem abschließenden Ausblick auf den nächsten THVB (Abschnitt V).

II. Der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX

Im Zuge des Bundeteilhabegesetzes (BTHG) wurde mit dem THVB in § 41 SGB IX eine gesetzliche Grundlage zur Erhebung statistischer Daten bei allen über 1.200 Reha-Trägern gelegt.[1] Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) ist vom Gesetzgeber beauftragt, auf Basis der an sie übermittelten Daten jährlich einen THVB zu veröffentlichen. Die Angaben zu insgesamt 16 Sachverhalten werden durch die BAR unter Beteiligung der Reha-Träger ausgewertet.[2] Die Daten, die die Reha-Träger erfassen, beziehen sich beispielsweise auf die Anzahl der bei ihnen gestellten Anträge auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, zu deren Verfahrensdauern, auf die Anzahl von Weiterleitungen, auf die Entscheidungsarten der Anträge (u. a. Ablehnung oder vollständige Bewilligung) und auf die Anzahl von Rechtsbehelfen wie Widerspruch und Klage.[3] Daneben fließen auch die Daten der Reha-Träger über Art und Höhe der Selbsthilfeförderung in den THVB ein.[4] Die im THVB veröffentlichten Daten umfassen immer ein Kalenderjahr. Die Daten der Träger werden nicht namentlich, sondern pseudonymisiert anhand einer Buchstaben- und Zahlenkombination dargestellt (im THVB „PUB-ID“ genannt). Sie ermöglicht nur Rückschlüsse auf den Trägerbereich.

Um eine Vergleichbarkeit der erhobenen Sachverhalte im THVB über alle Trägerbereiche hinweg sicherzustellen, wurden einheitliche Grundlagen für die Datenerfassung geschaffen. In mehrmaligen Arbeitstreffen hat sich die BAR mit Expertinnen und Experten aus allen Trägerbereichen auf eine gemeinsame Auslegung der Merkmale nach § 41 SGB IX verständigt und es wurden einheitliche Definitionen und Begrifflichkeiten formuliert. Die Ergebnisse dieser trägerübergreifend abgestimmten Definitionen sind u a. im Dokument „Variablenbeschreibung“ festgehalten.[5] Bei ausgewählten Definitionen haben sich die Expertinnen und Experten der Trägerbereiche darauf verständigt, sich auch im Rahmen der Datenerfassung für den THVB an den ergänzenden Konkretisierungen der Gemeinsamen Empfehlung Reha-Prozess[6] zu orientieren (z. B. bei der Definition eines fristauslösenden Antrags[7]). Durch die gemeinsam abgestimmten Grundlagen sind die Merkmale für die Erfassung im Rahmen des THVB hinreichend konkretisiert und ein Abweichen einzelner Trägerbereiche von den gemeinsam getroffenen Definitionen ist möglichst ausgeschlossen.

Mit dem THVB sind damit erstmalig Einblicke in das gesamte, d. h. trägerübergreifende Reha-Leistungsgeschehen möglich. Die Ergebnisse des Berichts sollen Fragen zum Reha-System beantworten, Erkenntnisse über die Umsetzung gesetzlicher Regelungen liefern und Ansatzpunkte für die Verbesserung des Systems aufzeigen.[8]

III. Der 1. Teilhabeverfahrensbericht

Der 1. THVB ist seit Ende 2019 veröffentlicht und bildet die Daten der Reha-Träger aus 2018 ab.[9] Aufgrund der engen zeitlichen Taktung zwischen dem Beginn der Berichtspflicht und den dafür erforderlichen Vorarbeiten aufseiten der Reha-Träger wurde mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein stufenweises Vorgehen vereinbart: Das Berichtsjahr 2018 wird als Übergangsphase angesehen. Das stufenweise Vorgehen bestand für alle Trägerbereiche darin, ihrer Berichtspflicht für das Jahr 2018 – wenn erforderlich – zunächst mit ausgewählten Pilotträgern nachzukommen.[10] Die jeweiligen Spitzenverbände und obersten Landesbehörden als Vertreterinnen für die Trägerbereiche wurden aufgefordert, bis zu fünf Pilotträger aus ihrem Trägerbereich – möglichst über das gesamte Bundesgebiet verteilt – zu benennen. Insgesamt liegen für den 1. THVB die Daten von 39 Trägern zu 2,3 Millionen Anträgen vor. Die Bundesagentur für Arbeit und der Trägerbereich der gesetzlichen Rentenversicherung haben vollständig, d. h. mit allen Trägern Daten erfasst. Aus den Trägerbereichen der Eingliederungshilfe, der gesetzlichen Krankenversicherung, der Kinder- und Jugendhilfe, der gesetzlichen Unfallversicherung und von den Trägern im Rahmen des Rechts der sozialen Entschädigung wurden Pilotträger benannt.[11] Somit bildet der erste THVB für diese Trägerbereiche nicht die Daten aller Träger ab. Dadurch ist die zur Verfügung stehende Datengrundlage im ersten THVB unvermeidlich reduziert. Auf dieser Grundlage können keine Schlüsse über den jeweiligen gesamten Trägerbereich gezogen werden. Darauf wird im Bericht u. a. zu Beginn jeder Datendarstellung in einer farblich abgesetzten Infobox „Zur Einordnung der Daten“ hingewiesen. Diesen Umstand gilt es beim Referenzieren der Daten aus dem ersten THVB und bei der Lesart seiner Ergebnisse zwingend zu berücksichtigen.

Die Beteiligung der Reha-Träger an der Auswertung ihrer Angaben erfolgte für den ersten THVB über bilaterale Erörterungsgespräche mit allen Trägern, die Daten übermittelt haben.[12] Auf Basis der ausgewerteten Datendarstellungen haben Vertreterinnen und Vertreter aus jedem Trägerbereich auf trägerspezifische Besonderheiten hingewiesen, die aus ihrer Sicht für eine qualitative Einordnung der Daten erforderlich scheinen. Diese von den Trägern gegebenen Hinweise sind im Bericht in einer farblich abgesetzten Infobox „Aus den Trägerbereichen“ zu jedem Sachverhalt wiederzufinden. Außerdem haben die Bundesagentur für Arbeit und der Spitzenverband der gesetzlichen Unfallversicherung für den Bericht jeweils eigene Beiträge verfasst, in denen auf trägerspezifische Eigenheiten hingewiesen wird, die über die Eingaben in den Infoboxen hinausgehen.[13]

IV. Der 2. Teilhabeverfahrensbericht

Ende 2020 ist der 2. THVB erschienen.[14] Während der 1. THVB die Daten von 39 Trägern enthält und einen Ausschnitt des Reha-Systems abbildet, umfasst der 2. THVB die Datenmeldungen aus allen Trägerbereichen. Es liegen somit erstmalig vergleichbare Daten zu Verfahrensabläufen des gesamten Reha-Systems vor. Insgesamt 991 Träger haben ihre Daten für den 2. THVB an die BAR übermittelt. Das entspricht 78,7 Prozent aller 1.259 Träger, die bei der BAR für eine Datenübermittlung registriert sind.

Im Vergleich zum 1. THVB hat sich die Anzahl der zu meldenden Datensätze für den 2. THVB maßgeblich erhöht. Aus diesem Grund musste das Vorgehen zur Plausibilitäts- und Validitätsprüfung der übermittelten Daten neu strukturiert werden. Dieses Verfahren ist ein wichtiger und gängiger Bestandteil jeder statistischen Datenanalyse und dient u. a. der Sicherung einer ausreichend hohen Datenqualität.[15] Nur so können belastbare Aussagen aus den Daten abgeleitet werden. Die Plausibilitäts- und Validitätsprüfung hat zur Folge, dass die verwendete Datengrundlage von Sachverhalt zu Sachverhalt unterschiedlich sein kann. Die Information, von wie vielen Trägern Daten ausgewertet werden konnten, wird im Bericht für jeden Sachverhalt angegeben und in einer farblich abgesetzten Infobox „Zur Einordnung der Daten“ erläutert. Diese sowie weitere Hinweise sollten bei der Betrachtung der Datendarstellungen und für die Lesart der Daten stets berücksichtigt werden.[16] Die PUB-IDs wurden für den 2. THVB letztmalig randomisiert und neu vergeben. Das bedeutet, dass sich hinter den PUB-IDs im 2. THVB nicht dieselben Träger verbergen wie im 1. THVB.

Die Beteiligung der Träger an der Auswertung ihrer Angaben ist aufgrund der weitaus höheren Anzahl übermittelter Datensätze ab dem 2. THVB nicht mehr über bilaterale Erörterungsgespräche leistbar. Die Beteiligung erfolgt nun über den in 2020 gegründeten Beirat THVB. Zur Besetzung des Beirats hat die BAR die Spitzenverbände und obersten Landesbehörden um Benennung von Vertretern bzw. Vertreterinnen für die jeweiligen Trägerbereiche gebeten. Der BAR liegen dafür Rückmeldungen aus sämtlichen Trägerbereichen vor. Damit sind alle Reha-Träger, die Daten für den THVB übermitteln, im Beirat repräsentiert und ihre Beteiligung an der Auswertung ihrer Angaben ist sichergestellt. Das BMAS und der Sachverständigenrat Partizipation der BAR (SVR Partizipation) entsenden jeweils einen Vertreter bzw. eine Vertreterin mit Gaststatus in beratender Funktion in den Beirat. Der Gaststatus begründet sich daraus, dass das BMAS und der SVR Partizipation zwar keine Reha-Träger sind, gleichwohl eine wichtige Rolle bei der Erstellung des THVB einnehmen: Das BMAS vertritt den Gesetzgeber als Auftraggeber des THVB; der SVR Partizipation vertritt die Sichtweise der Menschen mit Behinderungen.

Für den 2. THVB haben die Mitglieder des Beirats THVB auf Basis der ausgewerteten Datendarstellungen auf trägerspezifische Besonderheiten hingewiesen, die aus ihrer Sicht für eine qualitative Einordnung der Daten erforderlich scheinen. Diese Hinweise sind auch im 2. THVB weiterhin in einer farblich abgesetzten Infobox „Aus den Trägerbereichen“ zu jedem Sachverhalt zu finden. Einige Trägerbereiche haben auch für den 2. THVB eigene Beiträge verfasst, in denen auf trägerspezifische Eigenheiten hingewiesen wird, die die Eingaben in den Infoboxen ergänzen.[17]

V. Ausblick auf den 3. Teilhabeverfahrensbericht

Der 3. THVB wird 2021 veröffentlicht und ihm wird das Berichtsjahr 2020 zugrunde liegen. Mit dem Fortführen dieser trägerübergreifenden Statistik werden auch die Entwicklungen des Antrags- und Leistungsgeschehens im Jahr 2020 Eingang in die Ergebnisse einzelner Sachverhalte finden. Sowohl die Folgen der SARS-CoV-2-Pandemie als auch die Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen durch die dritte Reformstufe des BTHG werden sich in den Kennzahlen ausgewählter Sachverhalte widerspiegeln. In Vorbereitung auf den 3. THVB hat die BAR in Abstimmung mit den beteiligten Trägern zahlreiche Maßnahmen zur Effizienzsteigerung des Berichtswesens initiiert. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Datengrundlage und die Datenqualität des 3. THVB nochmals erhöhen.

Für die verantwortlichen Akteure in der Rehabilitation und Teilhabe, ob aus Praxis, Recht oder Politik, wird auch der 3. THVB eine wichtige Grundlage für Fragen der Weiterentwicklung von Rehabilitation und Teilhabe sein.

Beitrag von Dr. Lisa Ulrich, Teamleiterin Teilhabeverfahrensbericht, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR)

Fußnoten

[1] Bundestags-Drucksache 18/9522, 249.

[2] Vgl. § 41 Abs. 2 Satz 2.

[3] Vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 1–16 SGB IX.

[4] Vgl. § 45 SGB IX.

[5] Im Internet: https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/THVB/KP003_Variablenbeschreibung.pdf, zuletzt aufgerufen am 28.01.2021.

[6] Für weitere Einzelheiten zum Instrument Gemeinsame Empfehlung vgl. die Beiträge A4-2021 und A5-2021: Schian: Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess – ein „Patentrezept“ für die Gestaltung trägerübergreifender Zusammenarbeit in der Rehabilitation, Teil I und II unter www.reha-recht.de; 26.01.2021.

[7] Siehe Fn. 5, Seite 6.

[8] Siehe Fn. 1.

[9] Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR). 1. Teilhabeverfahrensbericht, 2019. Frankfurt/Main, Dezember 2019. Im Internet: https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/THVB/1_Teilhabeverfahrensbericht_2019.pdf, zuletzt aufgerufen am 25.01.2021.

[10] Siehe Fn. 9, Seite 30ff.

[11] Für deren namentliche Nennung siehe Fn. 9, Tabelle 5, Seite 31.

[12] Siehe Fn. 9, Seite 34f.

[13] Siehe Fn. 9, Seite 113ff.

[14] Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR). 2. Teilhabeverfahrensbericht, 2020. Frankfurt/Main, Dezember 2020.Im Internet: https://www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/THVB/2_THVB_2020.pdf, zuletzt aufgerufen am 25.01.2021.

[15] Exemplarisch: Horenkamp-Sonntag D et al. Prüfung der Datenqualität und Validität von GKV-Routinedaten. In: Swart E, Ihle P, Gothe H, Matusiewicz D, Hrsg. Routinedaten im Gesundheitswesen: Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven. 2. Aufl. Bern: Huber; 2014: 314–330.

[16] Siehe Fn. 14, Seite 44ff.

[17] Siehe Fn. 14, Seite 160 bis 167.


Stichwörter:

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR), Rehabilitationsträger, Teilhabeverfahrensbericht


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