23.06.2020 D: Konzepte und Politik Dittmann: Beitrag D15-2020

Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen in Deutschland und Österreich – Empfehlungen und Diskussionen zur Umsetzung von Art. 27 UN-BRK

Der Autor René Dittmann berichtet von der Fachtagung „Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich und Deutschland“, die am 13. Februar 2020 in Innsbruck stattgefunden hat. Nach einer Darstellung der Beobachtungen und Empfehlungen des UN-Fachausschusses für die Umsetzung von Art. 27 UN-BRK in Deutschland und Österreich, die im Rahmen des jeweils ersten Staatenberichtsverfahrens erfolgten, wird über die auf der Fachveranstaltung geführten Diskussionen zum Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen in den beiden Ländern berichtet.

(Zitiervorschlag: Dittmann: Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen in Deutschland und Österreich – Empfehlungen und Diskussionen zur Umsetzung von Art. 27 UN-BRK; Beitrag D15-2020 unter www.reha-recht.de; 23.06.2020)

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) konkretisiert die in anderen internationalen Verträgen enthaltenen Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen,[1] so auch das Recht auf Arbeit[2]. Nach Art. 27 Abs. 1 S. 1 UN-BRK anerkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit, was das Recht auf die Möglichkeit beinhaltet, den Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit auf einem offenen, integrativen/inklusiven[3] und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld zu verdienen.

Über die Maßnahmen zur Umsetzung der Verpflichtungen aus der UN-BRK und die dabei erzielten Fortschritte haben die Vertragsstaaten dem Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Fachausschuss) regelmäßig zu berichten (Art. 35 Abs. 1 UN-BRK). Deutschland und Österreich haben jeweils ein erstes Staatenberichtsverfahren durchlaufen und werden nun ein zweites Mal durch den UN-Fachausschuss geprüft. Aus diesem Anlass wurde am 13. Februar 2020 in Innsbruck die Tagung „Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland und Österreich“ von Prof. Dr. Michael Ganner, Dr. Elisabeth Rieder, Dr. Caroline Voithofer (alle Universität Innsbruck) und Prof. Dr. Felix Welti (Universität Kassel) veranstaltet.

Dieser Beitrag[4] zeigt auf, welche Beobachtungen und Empfehlungen der UN-Fachausschuss zur Umsetzung von Art. 27 UN-BRK in seinen Abschließenden Bemerkungen zu den ersten Staatenberichten für Deutschland und Österreich hatte (I.). Anschließend wird über aktuelle Diskussionen in beiden Ländern berichtet (II.).

I. Beobachtungen und Empfehlungen des UN-Fachausschusses zur Umsetzung von Art. 27 UN-BRK in Deutschland und Österreich

1. Deutschland

In den Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands aus dem Jahr 2015[5] zeigt sich der UN-Fachausschuss besorgt über die Segregation auf dem deutschen Arbeitsmarkt, über finanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hindern, und über den Umstand, dass Behindertenwerkstätten weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern.[6]

Diese vom Ausschuss geäußerten Sorgen sind auch vor dem Hintergrund der im Staatenberichtsverfahren getätigten Stellungnahmen der Zivilgesellschaft zu sehen. Zum Beispiel hatte die BRK-Allianz[7] in ihrem Parallelbericht die steigende Zahl der dauerhaft Beschäftigten in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (von 211.246 Beschäftigten 2005 auf 248.441 Beschäftigte 2010; bei rund 62 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter[8] und rund 12,6 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen[9]) sowie die niedrige Zahl der Übergänge von einer Beschäftigung in einer Werkstatt zu einer Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt kritisiert. Außerdem sei die Sozialversicherung institutionen- und nicht personengebunden, denn insbesondere setzt der Anspruch auf eine auf Grundlage von erhöhten Versicherungsbeiträgen berechnete Rente wegen voller Erwerbsminderung[10] eine 20-jährige Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen voraus.[11] Die deutsche Monitoring-Stelle hat in ihrem Parallelbericht zum ersten Staatenbericht angeregt, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, einen diskriminierungsfreien Zugang und eine auskömmliche Entlohnung zu gewähren und durch notwendige Unterstützungs- bzw. Assistenzleistungen den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.[12]

Der UN-Fachausschuss empfahl in seiner Abschließenden Bemerkung die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten an zugänglichen Arbeitsplätzen, die schrittweise Abschaffung der Behindertenwerkstätten durch sofort durchsetzbare Ausstiegsstrategien und Zeitpläne sowie durch Anreize für die Beschäftigung bei öffentlichen und privaten Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt, die Sicherstellung, dass Menschen mit Behinderungen keine Minderung ihres Sozialversicherungsschutzes und ihrer Alterssicherung erfahren, die gegenwärtig an die Behindertenwerkstätten gebunden ist, und die Sammlung von Daten über die Zugänglichkeit von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.[13]

Nicht direkt zu Art. 27 UN-BRK, aber auch das Recht auf Arbeit betreffend, empfahl der UN-Fachausschuss, dass Deutschland Schritte unternehmen soll, um sicherzustellen, dass Regelungen zu angemessenen Vorkehrungen als ein in allen Rechts- und Politikbereichen unmittelbar durchsetzbares Recht gesetzlich verankert werden und dass die Versagung angemessener Vorkehrungen als eine Form der Diskriminierung anerkannt und sanktioniert wird.[14]

2. Österreich

Bereits im September 2013 verabschiedete der UN-Fachausschuss seine Abschließenden Bemerkungen zu Österreich.[15] Bezüglich der Umsetzung von Art. 27 UN-BRK zeigt er sich darin besorgt, dass ca. 19.000 Österreicherinnen und Österreicher in geschützten Werkstätten außerhalb des offenen Arbeitsmarkts arbeiten (bei rund 6,44 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter[16] und rund 1,34 Millionen Menschen mit dauerhafter Beeinträchtigung[17]) und nur eine sehr geringe Bezahlung erhalten.[18] Weiterhin kritisierte der Fachausschuss, dass die Mehrheit der Arbeitgeber die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen nicht erfüllen und stattdessen die Zahlung einer Strafe bevorzugen.[19] Außerdem stellt er einen bedeutenden Unterschied hinsichtlich der Beschäftigung und des Einkommens von Frauen mit Behinderungen im Vergleich zu Männern mit Behinderungen fest.[20]

Die Beschäftigungspflicht von Arbeitgebern in Österreich ergibt sich aus dem Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG). Nach § 1 Abs. 1 BEinstG haben alle Dienstgeber, die im Bundesgebiet 25 oder mehr Dienstnehmer beschäftigen, auf je 25 Dienstnehmer mindestens einen „begünstigten Behinderten“ einzustellen. Begünstigte Behinderte in diesem Sinne sind gem. § 2 Abs. 1 S. 1 BEinstG österreichische Staatsbürger (sowie nicht österreichische Staatsbürger nach § 2 Abs. 1 S. 2 BEinstG) mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 von Hundert. Wird die Beschäftigungspflicht nicht erfüllt, ist für jede Person, die zu beschäftigen wäre, eine monatliche Ausgleichstaxe zu zahlen (§ 9 BEinstG), die in das Vermögen des Ausgleichstaxfonds übergeht (§ 10 Abs. 1 BEinstG), dessen Mittel unter anderem zum Zwecke der beruflichen Eingliederung begünstigter Behinderter genutzt werden (§ 10a Abs. 1a BEinstG).

In den Schattenberichten der Zivilgesellschaft zum ersten österreichischen Staatenbericht wurde kritisiert, dass viele Unternehmen (87,1 %)[21] ihre Beschäftigungspflicht aufgrund der geringen Ausgleichstaxe (ab dem 1. Januar 2011: mind. 226 €,[22] für das Jahr 2020: mind. 267 €[23]) nicht erfüllen.[24] Außerdem fehlten sichere und standardisierte Daten über die Arbeitssituation von Menschen mit Behinderungen. Bekannt sei jedenfalls, dass Frauen mit Behinderungen häufig multiple Diskriminierungen erfahren sowie massiv von geringer Qualifizierung, geringen Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit betroffen sind.[25]

Bezüglich der Beschäftigung in Tages- und Beschäftigungsstrukturen (Beschäftigungstherapie, geschützte Werkstätten, Fähigkeitsorientierte Aktivität) kritisierte die Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (heute: Österreichischer Behindertenrat), dass die dort verrichteten Tätigkeiten nicht als reguläre Beschäftigung, sondern als Fördermaßnahmen der Länder betrachtet werden. In der Folge ist mit der Beschäftigung in einer Werkstatt keine eigene Absicherung in der Arbeitslosen- und Pensionsversicherung und kein Anspruch auf einen Arbeitslohn verbunden (stattdessen wird ein Taschengeld gezahlt).[26]

Der UN-Fachausschuss empfiehlt, dass Österreich seine Programme zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem offenen Arbeitsmarkt ausbaut und Maßnahmen einführt, um die geschlechterspezifischen Unterschiede bei Beschäftigung und Bezahlung zu verringern.[27]

II. Umsetzung von Art. 27 UN-BRK in Deutschland und Österreich

Im Rahmen der Fachtagung beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe mit dem Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen. Jürgen Dusel (Beauftragter der deutschen Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen[28]), Dr. Hansjörg Hofer (Österreichischer Behindertenanwalt[29]) und Theresa Hammer (Klagsverband[30]) berichteten und diskutierten über aktuelle Herausforderungen der Umsetzung von Art. 27 UN-BRK.

1. Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt

Mit Blick auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wies Dusel daraufhin, dass die Beschäftigungspflicht (§ 154 SGB IX) von den Arbeitgebern in Deutschland häufig nicht erfüllt wird[31] und empfahl daher die Ausgleichsabgabe (§ 160 SGB IX) zu erhöhen und die Möglichkeit ihrer steuerlichen Absetzung abzuschaffen. Hofer, der die steigende Zahl der Arbeitsuchenden mit Behinderungen betonte, hob hervor, dass ein zukünftiges Ziel sein müsse, (Aus-)Bildung für alle Menschen zu ermöglichen und zu verbessern. Dusel sah eine diesbezügliche Chance in der Digitalisierung. Sie biete neue Möglichkeiten der Beschäftigungsförderung bzw. Weiterbildung für erwerbsgeminderte Menschen, stelle gleichzeitig aber auch eine Herausforderung, insbesondere für Menschen mit Lernbeeinträchtigungen, dar. Besonders wies er darauf hin, dass nicht der Fehler begangen werden dürfe, digitale Infrastruktur auf- und auszubauen, um am Ende festzustellen, dass sie nicht barrierefrei ist. Digitale Barrierefreiheit[32] müsse daher von Anfang an mitgedacht werden. In der Diskussionsrunde wurde vorgeschlagen, dass zur Schaffung betrieblicher Barrierefreiheit motiviert werden könne, wenn damit verbundene Kosten auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden.

Bezüglich der Leistungen zur Rehabilitation griff Dusel Vorwürfe der Arbeitgeber auf, dass das deutsche Leistungssystem zu komplex sei (was ebenso vom UN-Fachausschuss im Individualbeschwerdeverfahren Gröninger vs. Deutschland kritisiert wurde[33]). Auch für Leistungen an Arbeitgeber gelte der Grundsatz „Leistungen wie aus einer Hand“ und müsse entsprechend umgesetzt werden. Aus Österreich berichtete Hofer über ähnliche Herausforderungen hinsichtlich des Rehabilitationssystems. Zum Beispiel hängen Zuständigkeiten für Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit der Feststellung über die Arbeitsfähigkeit zusammen. Bei Feststellung von Arbeitsfähigkeit werden Leistungen auf Grundlage des Bundesrechts, bei Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nach Landesrecht (z. B. Tagesstrukturmaßnahmen) erbracht. Dusel kritisierte, dass das Recht auf Arbeit häufig zu kurz verstanden werde, denn Art. 27 UN-BRK unterscheide nicht zwischen Erwerbsgeminderten und Erwerbsfähigen. Daher dürften Menschen die keine 15 Stunden in der Woche arbeiten können, nicht vom Zugang zu Rehabilitationsleistungen ausgeschlossen werden.

Zur Gleichbehandlung in der Arbeitswelt berichtete Hammer, dass das österreichische Behinderteneinstellungsgesetz ein Diskriminierungsverbot enthalte (§ 7b BEinstG) sowie die Verpflichtung der Dienstgeber zu angemessenen Vorkehrungen vorsehe (§ 6 Abs. 1a BEinstG). Ansprüche aus einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (§§ 7e–7i BEinstG) können bei den ordentlichen Gerichten nur geltend gemacht werden, wenn in der Sache vorher ein Schlichtungsverfahren gemäß dem österreichischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz durchgeführt wurde. Dementsprechend ist eine Klage nur zulässig, wenn auf diesem Weg keine gütliche Einigung erzielt wurde (§ 7k Abs. 1 BEinstG).

Für begünstigte Behinderte gilt in Österreich ein besonderer Kündigungsschutz (wie auch in Deutschland für schwerbehinderte Beschäftigte nach §§ 168 ff. SGB IX), wonach die Kündigung eines begünstigten Behinderten von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden darf, wenn der Behindertenausschuss[34] nach Anhörung des Betriebsrates, der Behindertenvertrauensperson[35] oder der Personalvertretung zugestimmt hat (§ 8 Abs. 2 S. 1 BEinstG). Hammer wies darauf hin, dass der besondere Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte im Jahr 2010 gelockert wurde.[36]  Seitdem findet er grundsätzlich keine Anwendung, wenn das Dienstverhältnis nicht länger als vier Jahre bestanden hat (§ 8 Abs. 6 lit. b BEinstG). Das mit dieser Reform verbundene Ziel bestehe in einem Anreiz für Arbeitgeber, begünstigte Behinderte einzustellen.

2. Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarkts

Mit Blick auf die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in Werkstätten außerhalb des allgemeinen Arbeitsmarktes zeigte sich der UN-Fachausschuss über die Situation in Deutschland und Österreich besorgt. Deutschland empfahl er sogar die schrittweise Abschaffung der Werkstätten. Dusel äußerte, dies zeige, dass das Recht auf eine frei gewählte Arbeit nach Art. 27 UN-BRK ernst zu nehmen sei. Betroffene Menschen müssten Alternativen neben der Werkstattbeschäftigung zur Verfügung stehen, die das System aber häufig nicht biete. Hofer erklärte, dass die Menschen in den österreichischen Beschäftigungstherapien nur in der Unfallversicherung teilversichert sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 3m ASVG), in der Kranken- und Pensionsversicherung hingegen dauerhaft als Kinder behandelt werden (§ 123 Abs. 4 S. 1 Z. 2a ASVG und § 252 Abs. 2 Z. 3 ASVG)

In der Diskussion wurde die sowohl in Deutschland, als auch in Österreich vorherrschende Situation angesprochen, dass regelmäßig kein Lohn auf Grundlage eines Arbeitsvertrags gezahlt wird. Es wurde geäußert, dass die Zahlung von Mindest- bzw. Kollektivlohn ein Grund für den Verbleib in einer Werkstatt und somit ein Hindernis für den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt sein könnte. Außerdem wird von Skepsis seitens einiger Werkstattbeschäftigter berichtet, die Befürchtungen äußerten, dass Vorteile, wie z. B. Fahrtkostenerstattungen oder der im Vordergrund stehende rehabilitative Charakter der Tätigkeit verloren gingen. Die Abschaffung der Werkstätten, so ein Teilnehmer, werde nicht dazu führen, dass alle bisher dort Beschäftigten einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erlangen. Geeigneter scheine es, die Werkstätten im Sinne der UN-BRK weiterzuentwickeln. Ein Beispiel liefere Liechtenstein, wo Werkstattbeschäftigte als Arbeitnehmende gelten und ein Leistungslohn auf Grundlage eines Arbeitsvertrags mit Rechten und Pflichten gezahlt wird.[37]

III. Fazit

Die jeweils ersten Staatenberichte des UN-Fachausschusses für Deutschland und Österreich empfehlen bezüglich der Umsetzung von Art. 27 UN-BRK, dass beide Staaten ihre Anstrengungen zur Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verstärken.[38] Eine diesbezüglich stark diskutierte Maßnahme ist die Beschäftigungspflicht von begünstigten bzw. schwerbehinderten Menschen und die damit verknüpfte Ausgleichstaxe/-abgabe. Außerdem sorgt die Frage nach der Gestaltung der Beschäftigungsbedingungen in Werkstätten bzw. Beschäftigungstherapien in beiden Ländern für Diskussionen. Der Blick auf die Entwicklungen im jeweiligen Nachbarland kann daher von theoretischem und praktischem Nutzen sein. Dies zeigt z. B. die Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes in Deutschland, in dem mit Blick auf die positiven Erfahrungen aus Österreich ein Schlichtungsverfahren implementiert wurde.[39]

Mittlerweile befinden sich Deutschland und Österreich in ihrem jeweils zweiten und dritten Staatenberichtsverfahren.[40] Neben der jeweils national geführten Diskussion, den Beobachtungen und Analysen rund um die Empfehlungen des UN-Fachausschusses, bietet dies auch Gelegenheit, Vergleiche des Rechts der Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zwischen den beiden Ländern zu intensivieren.

Beitrag von René Dittmann (LL.M.), Universität Kassel

Fußnoten

[1] Degener, Die UN-Behindertenrechtskonvention – ein neues Verständnis von Behinderung, in: Degener/Diehl (Hrsg.), Handbuch Behindertenrechtskonvention, S. 59.

[2] Das z. B. in Art. 23 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder Art. 6 des Internationalen Pakts für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Recht vom 19. Dezember 1966 verankert ist.

[3] In Österreich wurde die ursprüngliche deutsche Übersetzung der UN-BRK (österreichisches BGBl. III, Nr. 155/2008) durch eine korrigierte Übersetzung (abrufbar unter: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=19, zuletzt abgerufen am 29.04.2020) ersetzt. Aus dem Begriff der Integration wurde in diesem Zuge Inklusion.

[4] Weitere Beiträge zur Fachveranstaltung in Innsbruck: Beyerlein: Die Staatenberichtsprüfung nach Art. 34 UN-BRK in Österreich und Deutschland; Beitrag D14-2020 unter reha-recht.de, 19.06.2020; Dittmann: Einblicke in die Umsetzung der UN-BRK in Österreich und Deutschland, Beitrag D13-2020 unter reha-recht.de, 18.06.2020.

[5] CRPD/C/DEU/CO/1; eine deutsche Übersetzung wurde von der Monitoring-Stelle zur UN-BRK bereitgestellt, abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_Staatenbericht_Deutschlands_ENTWURF.pdf, zuletzt abgerufen am 08.04.2020.

[6] CRPD/C/DEU/CO/1, Nr. 49.

[7] Organisationen der Zivilgesellschaft in Deutschland haben sich in der BRK-Allianz zusammengeschlossen, um im Staatenberichtsverfahren einen koordinierten Parallelbericht einzubringen (siehe http://www.brk-allianz.de/).

[8] Die Zahl betrifft das Jahr 2011 und umfasst alle Personen im Alter ab 15 und unter 74 Jahren, siehe https://www-genesis.destatis.de/genesis//online?operation=table&code=12111-0002&levelindex=1&levelid=1588147962961.

[9] Die Zahl betrifft das Jahr 2013 und umfasst alle Personen im Alter ab 15 Jahren, siehe Zweiter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen, S. 43 abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a125-16-teilhabebericht.pdf?__blob=publicationFile&v=7, zuletzt abgerufen am 12.05.2020.

[10] Die Beiträge behinderter Menschen, das sind vor allem in Werkstätten Beschäftigte (§ 1 S. 1 Nr. 2a SGB VI), betragen mindestens 80 % der sozialversicherungsrechtlichen Bezugsgröße (§ 162 S. 1 Nr. 2 SGB VI), d.h. des Durchschnittentgeltes der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 18 SGB IV).

[11] BRK-ALLIANZ (Hg.), Für Selbstbestimmung, gleiche Rechte, Barrierefreiheit, Inklusion!, Erster Bericht der Zivilgesellschaft zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland, S. 61, abrufbar unter: http://www.brk-allianz.de/attachments/article/93/beschlossene_fassung_final_endg-logo.pdf, zuletzt abgerufen am: 08.04.2020.

[12] Monitoring-Stelle zur UN-BRK, Parallelbericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen anlässlich der Prüfung des ersten Staatenberichts Deutschlands gemäß Artikel 35 der UN-Behindertenrechtskonvention, Nr. 143, abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/Parallelberichte/Parallelbericht_an_den_UN-Fachausschuss_fuer_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen_150311.pdf, zuletzt abgerufen am 08.04.2020.

[13] CRPD/C/DEU/CO/1, Nr. 50.

[14] CRPD/C/DEU/CO/1, Nr. 14.

[15] CRPD/C/AUT/CO/1; eine deutsche Übersetzung wurde vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz bereitgestellt, abrufbar unter: https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=391, zuletzt abgerufen am 15.04.2020.

[16] Die Zahl betrifft das Jahr 2010 und umfasst alle Personen im Alter ab 15 und unter 74 Jahren, siehe https://www.statistik.at/wcm/idc/idcplg?IdcService=GET_PDF_FILE&RevisionSelectionMethod=LatestReleased&dDocName=023468 (zuletzt abgerufen am 29.04.2020).

[17] Die Zahl betrifft das Jahr 2015 und umfasst alle Personen ab 15 Jahren, siehe https://broschuerenservice.sozialministerium.at/Home/Download?publicationId=428, zuletzt abgerufen am 12.05.2020.

[18] Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs (siehe Fn. 11), Nr. 44.

[19] Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs (siehe Fn. 11), Nr. 45.

[20] Abschließende Bemerkungen zum ersten Bericht Österreichs (siehe Fn. 11), Nr. 46.

[21] Responses of Austrian Civil Society Organizations with regard to the List of Issues of the UN-Committee on the Rights of Persons with Disabilities of 19 April 2013, abrufbar unter: https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CRPD/Shared%20Documents/AUT/INT_CRPD_NGO_AUT_10_20808_E.doc, S. 15, zuletzt abgerufen am 12.05.2020.

[22] § 9 Abs. 2 BEinstG.

[23] Vgl. https://www.sozialministeriumservice.at/Menschen_mit_Behinderung/Ausbildung__Beruf_und_Beschaeftigung/Ausgleichstaxe_und_Praemie/Ausgleichstaxe_und_Praemie.de.html, zuletzt abgerufen am 22.04.2020.

[24] Siehe z. B. Austrian National Council of Persons with Disabilites (OeAR), Alternative Report CRPD Austria 2013, S. 134, abrufbar unter: https://www.behindertenrat.at/wp-content/uploads/2018/07/OEAR-Report_En2013_final_lang.pdf, zuletzt abgerufen am 22.04.2020.

[25] Ebd., S. 132 f.

[26] Ebd., S. 135.

[27] CRPD/C/AUT/CO/1.

[28]  Nach § 18 Abs. 1 S. 1 BGG hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen darauf hinzuwirken, dass die Verantwortung des Bundes, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen, in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfüllt wird.

[29] Der Anwalt für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen (Behindertenanwalt) ist zuständig für die Beratung und Unterstützung von Personen die sich nach dem österreichischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz oder durch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots in der Arbeitswelt (§§ 7a-7q Behinderteneinstellungsgesetz) diskriminiert fühlen (§ 13b Bundesbehindertengesetz). Zu seinen möglichen Aufgaben zählt auch das Einreichen einer Verbandsklage nach § 13 Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz.

[30] Der Klagsverband unterstützt die Opfer von Diskriminierungen, ggfs. durch Unterstützung von Einzelpersonen vor Gericht. Außerdem ist er nach § 13 des österreichischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz dazu berechtigt Verbandsklagen einzureichen.

[31] Siehe dazu: https://www.reha-recht.de/infothek/beitrag/artikel/entwicklung-der-situation-von-menschen-mit-behinderungen-auf-dem-arbeitsmarkt/, zuletzt abgerufen am 06.05.2020.

[32] Zur digitalen Barrierefreiheit: Boysen: Barrierefreiheit digital – ein Überblick; Beitrag D13-2018 unter www.reha-recht.de; 09.05.2018.

[33] CRPD/C/D/2/2010, Nr. 6.2; eine deutsche Version ist abrufbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/UN_BRK/Individualbeschwerde_Groeninger.pdf;jsessionid=83706C7FC9A888E9F5CB401B2638946B.2_cid355?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt abgerufen am 06.05.2020.

[34] Behindertenausschüße sind bei jeder Landesstelle des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen einzurichten (§ 12 Abs. 1 BEinstG) und besteht aus einem Mitarbeiter des Bundesamtes, einem Vertreter der örtlich zuständigen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, je einem Vertreter die Dienstnehmer und Dienstgeber und drei Vertretern der organisierten Behinderten (§ 12 Abs. 2 BEinstG).

[35] Behindertenvertrauenspersonen und ihre Stellvertreter werden in Betrieben mit mindestens fünf begünstigten Behinderten gewählt (§ 22a BEinstG) und sind dazu berufen, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der begünstigten Behinderten im Einvernehmen mit dem Betriebsrat wahrzunehmen (§ 22a Abs. 7 BEinstG).

[36] Mit Art. 103 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. (Ö) I, Nr. 111/2010.

[37] Siehe Verein für Menschenrechte in Liechtenstein, Situation und Rechte von Menschen mit Behinderungen in Liechtenstein, S. 14, abrufbar unter https://www.menschenrechte.li/wp-content/uploads/2019/02/Sit.analyse-Behindertenrechte.pdf, zuletzt abgerufen am 12.05.2020.

[38] Einiges wurde bereits unternommen, anderes ist geplant, siehe: Dittmann: Einblicke in die Umsetzung der UN-BRK in Österreich und Deutschland; Beyerlein: Die Staatenberichtsprüfung nach Art. 34 UN-BRK in Österreich und Deutschland; Mattern: Das Budget für Arbeit – Diskussionsstand und offene Fragen – Teil I bis Teil III; Beiträge D5-, D6- und D7-2020 unter www.reha-recht.de; 23., 24. und 27.01.2020; Jürgens: Das BTHG als Reform der beruflichen Teilhabe: Die Intention, die Neuregelung und ihre Umsetzung; Beitrag D26-2017 unter www.reha-recht.de; 23.06.2017; Wörmann: Inklusionsunternehmen als andere Leistungsanbieter; Beitrag A10-2018 unter www.reha-recht.de; 14.06.2018 sowie weitere Beiträge im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht (www.reha-recht.de).

[39] Bundestagsdrucksache 18/7824, S. 45; Welti et al., Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Abschlussbericht, S. 490, abrufbar unter: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/Forschungsberichte/fb-445.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 12.05.2020.

[40] Zu den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen in der zweiten Staatenberichtsprüfung Deutschlands: Drygalski: Die Werkstatt für behinderte Menschen in der zweiten Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, Beitrag D11-2020 unter www.reha-recht.de; 13.05.2020.


Stichwörter:

UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Art. 27 UN-BRK, Berufliche Teilhabe, Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Internationales, Österreich, Menschenrechte


Kommentare (2)

  1. Monika Labruier
    Monika Labruier 27.08.2020
    Anknüpfend en dem Kommentar von Herrn Weber bin ich davon überzeugt, dass die berufliche Inklusion erst eine wirkliche Chance bekommt, wenn wir es gesellschaftlich wagen, die Ausrichtung bisheriger institutioneller bzw. maßnahmeorientierter Qualifizierungs-, Unterstützungs- und Beschäftigungsangebote in die Verantwortung der Menschen und der Unternehmen als wichtigste Akteure zu geben.
    Konkrete Erfahrungen zeigen, dass ein gebündeltes und im Bedarfsfall langfristiges Unterstützungs- und Coachingangebot aus einer Hand für den Beschäftigung suchenden Menschen wie auch für das Beschäftigung gebende Unternehmen eine neue und nachhaltige Beschäftigungsvielfalt ermöglichen. Passt dann, nach gemeinsamer Abstimmung der beiden Akteure, erst einmal eher eine arbeitnehmerähnliche Beschäftigung im Sinne eines betriebsintegrierten Arbeitsplatzes einer WfbM / Anderen Leistungsanbieters / Persönlichen Budgets, ist dies ein wichtiger, vielleicht sogar dauerhafter Erfolg. Was sich hieraus dann entwickelt wird die gemeinsame Arbeit zeigen.
    Mit dem gesetzlich verankerten Persönlichen Budget und den neuen Möglichkeiten des Bundes-Teilhabe-Gesetz haben wir die Chance eines individuellen und vielfältigen Angebotes. Die Praxis zeigt schon heute, dass dies im Sinne der Menschen zu nachhaltigen Beschäftigungen wie auch im Sinne inklusionsbereiter Unternehmen zu einem neuen Beschäftigungsmarkt für alle führt.
    Wichtig ist hierbei, es braucht ein verlässliches Angebot, dass sowohl dem Menschen wie auch dem Unternehmen verbindlich und nachhaltig zur Seite steht und die Vielfalt der individuell erforderlichen Unterstützungsangebote unkompliziert in die Arbeitswelt integriert.
  2. Weber Roland
    Weber Roland 04.07.2020
    Zwei Fragen an das Forum:
    Auf welchen Arbeitsmarkt, sollen die Menschen gehen die durch eine psychische Erkrankung diesen bisherigen Arbeitsmarkt auf Grund ihrer Erkrankung verlassen mußten?
    Hat sich den schon mal Jemand mit der Frage befasst, wieviel Beschäftigte aus den Werkstätten, möchten diesen Schritt tun den sogenannten 1. Arbeitsmarkt zu bedienen.
    Ich dachte wir wären in einer Zeit wo das Wort des Betroffenen, genauso wichtig sein könnte wie das Wort derer die über uns Schreiben.

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