06.06.2018 D: Konzepte und Politik Schreiner: Beitrag D19-2018

Peer Counseling als Methode der unabhängigen Teilhabeberatung? – Ergebnisse des Modellprojektes „Peer Counseling im Rheinland“ – Teil II

Nachdem Dr. Mario Schreiner im ersten Teilbeitrag die strukturelle Ausgestaltung und Inanspruchnahme des Peer Counseling im Rheinland beschrieben hat, zeigt der Autor, jene Ergebnisse zur Grundlage genommen, im zweiten Teilbeitrag zentrale empirische Erkenntnisse zu den Wirk- und Gelingensfaktoren des Peer Counseling auf. Dargestellt werden Merkmale von Ratsuchenden, die Reichweite der Beratungsthemen, Konzeptionelles, personelle Voraussetzungen sowie räumlich-sächliche Faktoren, die in ihrer Wirkung für eine gelingende Peer-Beratung, und damit für einen Schritt in Richtung Emanzipation, entweder als förderlich oder hinderlich eingestuft werden können. Den Abschluss bildet der Bezug zur bundesweiten Einführung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) nach § 32 SGB IX.   

(Zitiervorschlag: Schreiner: Peer Counseling als Methode der unabhängigen Teilhabeberatung? – Ergebnisse des Modellprojektes „Peer Counseling im Rheinland“ – Teil II; Beitrag D19-2018 unter www.reha-recht.de; 06.06.2018)

I. Einleitung

Im vorliegenden zweiten Teilbeitrag zur Begleitforschung im Modellprojekt „Peer Counseling im Rheinland“ werden zentrale empirische Ergebnisse zu den Wirk- und Bedingungsfaktoren des Peer Counseling aufgezeigt.[1] Die Darstellung bezieht sich wesentlich auf die qualitativen Daten der Fokusgruppendiskussionen in Kombination mit den quantitativen Ergebnissen der standardisierten Fragebogenerhebungen. Diese geben Einblick in sowie Auskunft zu Wirk- und Bedingungsfaktoren der im Rheinland erprobten Beratungsmethode. Die Betrachtung der empirischen Ergebnisse erfolgt im Lichte der im ersten Beitragsteil vorgestellten strukturellen Ergebnisse der Begleitforschung.[2] Abschließend werden Erkenntnisse aus dem Rheinland in Bezug zur bundesweiten Einführung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) gesetzt.

II. Methodisches Vorgehen

Die Evaluation im Modellprojekt erfasst Perspektiven zum Peer Counseling von Ratsuchenden, Beratenden und Koordinierenden. Zur Untersuchung der notwendigen Bedingungsfaktoren sowie der Wirkungen des Peer Counseling wurden qualitative und quantitative empirische Befragungen durchgeführt. Konkret wurden leitfadengestützte Fokusgruppendiskussionen mit Peer Counselors, Ratsuchenden und Koordinierenden geführt, in denen ein themenfokussierter Austausch zu den verschiedenen Wirkungen und Gelingensfaktoren des Peer Counseling stattfand. Darüber hinaus erfolgte eine quantitative Befragung der Peer Counselors und der Ratsuchenden mit standardisierten Fragebögen – die auch jeweils in einer Version in Leichter Sprache vorlagen. Auf der Basis vorausgehender Erhebungsschritte[3] wurde als Referenzrahmen für die Bewertung der Beratungsangebote ein – zunächst vorläufiges – Bedingungs- und Wirkmodell des Peer Counseling entwickelt, das im Verlauf des Modellprojektes vor dem Hintergrund struktureller und empirischer Ergebnisse geprüft und sukzessive weiterentwickelt wurde.[4]

III. Voraussetzungen und Wirkweisen des Peer Counseling – Zentrale empirische Ergebnisse

In der folgenden Zusammenschau der Befragungsergebnisse des rheinländischen Modellprojekts zeigt sich, dass die angebotene Peer-Beratung vornehmlich den konzeptionellen Ansprüchen und Zielen – wie sie sich beispielsweise in der analysierten Literatur finden lassen – entspricht. Die Ratsuchenden melden mehrheitlich zurück, dass sie positive Erfahrungen mit dem Peer Counseling gemacht haben. Dies gilt sowohl hinsichtlich des Verhaltens und der Kompetenz der Peer Counselors in den Beratungen als auch für die Ergebnisse der Beratungsgespräche, beispielsweise im Hinblick auf ein verbessertes Wohlbefinden, da Probleme sowie Fragen besprochen bzw. beantwortet werden konnten und die Beratungsgespräche als hilfreich zur Optimierung der eigenen Lebenssituation dargestellt werden.[5] In den Aussagen der Ratsuchenden, die ein zweites Mal befragt wurden, zeigen sich zudem Hinweise auf eine nachhaltige Wirkung des Peer Counseling in Richtung konkreter Veränderungen der Lebenssituationen, z. B. hinsichtlich positiver Wandlungen in der Lebenssituation wie der Freizeit, aber auch in den Bereichen Wohnen und Arbeiten. Die Beraterinnen und Berater teilen diesen positiven Gesamteindruck. Sie beraten gerne und erfahren Zufriedenheit durch die Beratungen. Ein Zuwachs an Selbstvertrauen und eine bessere Orientierung in der eigenen Lebensführung sind den Counselors zufolge positive Auswirkungen ihrer Beratungstätigkeit.

1. Einflussfaktoren der Ratsuchenden

Die Struktur der Ratsuchenden im Rheinland ist hinsichtlich der Merkmale Alter, Geschlecht, Behinderungsart, Erwerbssituation und Schul- bzw. Bildungsabschlüsse als heterogen zu bezeichnen. Die vorliegenden Schulabschlüsse der befragten Ratsuchenden sind überdurchschnittlich, was – neben selektiven Effekten beim Ausfüllen der Fragebögen – auch als Hinweis auf eine mögliche Selektivität der mit der Beratung und der Evaluation erreichten Personen interpretiert werden kann. Die Mehrzahl der Ratsuchenden lebt in einer eigenen Wohnung oder einer Wohngemeinschaft. Dabei leben einige ohne Hilfe/Unterstützung andere mit Unterstützung. Einige Ratsuchende leben bei ihren Eltern oder der Familie. Nur zwei Personen leben in einer stationär betreuten Wohnform[6], so dass zu fragen ist, inwiefern Menschen in stationären Wohnformen nur erschwert Zugang zur Peer-Beratung finden können und wie mögliche Zugangsbarrieren zu überwinden sind. Aussagen aus zwei Fokusgruppendiskussionen, die in der zweiten Erhebungsphase exklusiv mit WfbM-Beschäftigten durchgeführt wurden, signalisieren, dass es für Menschen in stationären Angeboten der Eingliederungshilfe häufig schwierig ist, Angebote außerhalb der genutzten Dienstleistungen bzw. außerhalb der angebotenen Dienste des genutzten Leistungserbringers wahrzunehmen. Mögliche Gründe hierfür können den Diskutantinnen und Diskutanten zufolge unter anderem eingeschränkte Mobilität oder mangelnde Informationen über vorhandene Angebote sein.

Die Beratungsthemen sind vielfältig, was den offenen und lebensweltlichen Ansatz des Peer Counseling widerspiegelt. Es lassen sich thematische Schwerpunkte in einzelnen Beratungsstellen feststellen, welche vermutlich in Verbindung mit Behinderungsarten und damit gehäuft einhergehenden Fragestellungen und Bedarfen stehen. Beratungsstellenübergreifend werden die Themen Wohnen und Arbeiten am häufigsten nachgefragt. Unabhängig vom Beratungsanlass beurteilen die Ratsuchenden die Beratungssituationen und -ergebnisse durchgehend als positiv bzw. sehr positiv. Allerdings zeigt sich, dass eine unspezifische Motivation die Beratung aufzusuchen, wie beispielsweise der Wunsch „ich brauche jemanden zum Reden“, mit Blick auf konkrete Beratungsergebnisse weniger zielführend ist. Hingegen führen konkrete Beratungsanlässe, die eine Problemanalyse und Zielfindung ermöglichen, vermehrt zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenssituation und lösen häufiger Veränderungsprozesse bei den Ratsuchenden aus.[7] Die Befragungsergebnisse zeigen insgesamt sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen der Ratsuchenden. Diese nehmen Einfluss auf das Peer Counseling, sowohl mit Blick auf Nachfrage und Erreichbarkeit, aber auch hinsichtlich des Prozesses und der Ergebnisse der Beratung. Zur Anerkennung der unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebenssituationen sollte sich ein Angebot des Peer Counseling an diesen individuellen Ausgangslagen orientieren und diese bei der konzeptionellen Ausgestaltung berücksichtigen, sodass das Beratungsangebot für alle potentiellen Nutzerinnen und Nutzer offen und zugänglich ist. Eine grundsätzliche Vielfalt an Beratungsstellen, Beratenden und konzeptionellen Orientierungen in der Beratungslandschaft des Peer Counseling ist mit Blick auf die heterogenen Anforderungen der Ratsuchenden wünschenswert. Trotz einer grundsätzlichen thematischen Offenheit kann es hilfreich sein, wenn einzelne Beratungsstellen thematische Schwerpunkte setzen, bezogen auf eine bestimmte Art der Beeinträchtigung und daraus resultierender ähnlicher Lebenserfahrungen. Diese Profilierung auf spezielle Beratungsthemen und Gruppen von Ratsuchenden mit gleichartigen Beeinträchtigungen hat sich bei einigen Beratungsstellen im Modellprojekt bewährt. So werden beispielsweise einige Beratungsangebote von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen vermehrt von Menschen mit psychischenen Beeinträchtigungen aufgesucht, was aus Sicht von Ratsuchenden und Beratenden (teilweise) zur Qualitätssteigerung der Beratung beitragen kann.[8]

2. Einflussfaktoren der Beratungsstruktur

Konzeptionelle Faktoren

In den Beratungsstellen des Modellprojektes werden Peer Counselors als hauptamtlich Beratende, Beratende im Nebenamt (von den eigentlichen Aufgaben am Arbeitsplatz für die Beratung freigestellt) und als ehrenamtlich Beratende beschäftigt.[9] Die Beschäftigungsverhältnisse werden in den Fokusgruppendiskussionen von den Beratenden als bedeutsam für gelingendes Peer Counseling thematisiert. Im Rahmen der schriftlichen Befragungen zeigt sich, dass die Ratsuchenden mit der Beratung durch die Beratenden in den unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen zufrieden sind. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass in der Einschätzung der Ratsuchenden, die neben- und hauptberuflichen Peer Counselors etwas bessere Beratungsleistungen erzielen. Aufgrund der Befragungsergebnisse ergeben sich Hinweise, dass vorliegende Beratungserfahrungen der haupt- und nebenberuflich Beratenden ausgeprägter sind als die der ehrenamtlich tätigen Peer Counselors, was Einfluss auf die Beratungen haben könnte.

Insbesondere Peer-Beratende mit kognitiven Beeinträchtigungen formulieren das Bedürfnis bzw. die Notwendigkeit im Bedarfsfall sowie auf eigenen Wunsch Begleitung und Unterstützung in der Beratungssituation durch eine dritte Person erhalten zu können. In dieser unterstützenden Begleitung einer dritten Person im Beratungsgespräch ist eine wichtige Bedingung für das Gelingen von Peer Counseling zu sehen. Bemerkenswert ist, dass neben den Beratenden mit kognitiven Beeinträchtigungen auch zahlreiche Peer Counselors mit anderen Beeinträchtigungsarten Unterstützung in Beratungssituationen als relevant für den Beratungserfolg betrachten, auch wenn diese selbst keine Unterstützung benötigen. Sowohl Peer Counselors als auch Ratsuchende, die Beratungsgespräche in Anwesenheit einer dritten Person geführt haben, schildern dies als nicht hinderlich. Im Gegenteil berichten Beratende, die Unterstützung in Anspruch nehmen, dass diese ihnen Sicherheit vermittelt und dabei hilft, zunehmend selbständiger zu beraten. Allerdings kommt es in einigen Fällen vor, dass die unterstützenden Personen sich unaufgefordert in Beratungsgespräche einbringen, was nicht ihrer Aufgabenstellung entspricht und als problematisch zu bewerten ist.

Zahlreiche Peer Counselors geben in der schriftlichen Befragung und in den Fokusgruppen an, dass die Probleme der Ratsuchenden sie über die eigentliche Beratungssituation hinaus beschäftigen und sie mitunter deshalb Stress empfinden. Dieser Umstand legt einen Bedarf an einem regelmäßigen Angebot an kollegialem Austausch, Fallbesprechungen sowie Supervision nahe und ist als relevante Unterstützung zur Begleitung der Beratungstätigkeit zu betrachten.

Personelle Faktoren

In der Zusammenschau der Ergebnisse lassen sich Beraterqualifikation, eigene Betroffenheit, Beziehungsqualität, Grundhaltung sowie Vorbildfunktion der Peer Counselors als zentrale personelle Faktoren identifizieren. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Ratsuchenden die Peer Counselors – hinsichtlich deren Verhalten und Kompetenz – durchweg positiv wahrnehmen. Diese positive Wahrnehmung der Beratenden ist unabhängig von der Art der Beeinträchtigung, der Beraterqualifikation und dem zugrundeliegenden Beschäftigungsverhältnis. Die generell positive Einschätzung durch die Ratsuchenden ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch darauf zurückzuführen, dass Beratende, die im Vorfeld keine einschlägige Beratungserfahrung hatten, die Möglichkeit bekamen, interne Schulungen in den Beratungsstellen sowie externe Schulungen des Zentrums für selbstbestimmtes Leben (ZsL) Köln oder des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) zu absolvieren. In diesen Schulungen wurden grundlegende Kompetenzen der Beratungsarbeit und Besonderheiten des Peer Counseling vermittelt. Die Schulungs- und Qualifizierungsangebote standen auch erfahrenen Peer-Beratenden offen. Schulung und Qualifizierung der Peer Counselors werden von den Befragten als elementar wichtige Beraterqualifikation mit besonderem Einfluss auf Beratungsqualität sowie Beratungserfolg genannt. In den Fokusgruppendiskussionen unterstreichen die Beratenden und Koordinierenden sogar die Notwendigkeit, Ausbildung und Schulung der Peer Counselors im Konzept der Beratungsstellen zu verankern.

Mit Blick auf die Motivation der Ratsuchenden, eine Peer-Beratungsstelle aufzusuchen, lässt sich konstatieren, dass die Ähnlichkeit der Erkrankung oder Beeinträchtigung der Peer Counselors zentrale Bedeutung hat. Besondere Relevanz hat die Passung der Beeinträchtigung zwischen Peer Counselors und Ratsuchenden und die resultierende gleichartige Betroffenheit bzw. Lebenserfahrung. Dieser Faktor wird von den Befragten als Basis für gelingende Beratung beurteilt, denn mit der gleichen Beeinträchtigung bzw. chronischen Erkrankung verbundene Erfahrungen werden als zentrales Merkmal der besonderen Form der Peer-Beratung betrachtet. Mögliche weitere persönliche Voraussetzungen, wie Geschlecht, Alter, Bildungsstand, ethnische Herkunft oder sozioökonomischer Hintergrund werden als weitaus unwichtiger erachtet.

Die Befragten nennen einen respektvollen und wertschätzenden Umgang als wesentliche Elemente zielführender Peer-Beratung. Dementsprechend sollten die Peer Counselors zuhören können und verständnisvoll sein. Die Unabhängigkeit von institutionellen, persönlichen und wirtschaftlichen Interessen der Peer Counselors und auch generell der Beratungsstellen bildet in Kombination mit der Parteilichkeit für die Interessen der Ratsuchenden, verbunden mit der Begegnung von Ratsuchenden und Beratenden auf Augenhöhe, ein entscheidendes Merkmal der Beziehungsqualität in der Peer-Beratung. Peer Counselors sollen nach übereinstimmender Meinung authentisch sein und eine empathische sowie akzeptierend offene Grundhaltung haben. Ergänzend müssen sie aktiv zuhören können und mit Anliegen und Informationen der Ratsuchenden diskret umgehen. Die genannten Attribute, um Belastbarkeit und Zuverlässigkeit der Counselors ergänzt, stellen Voraussetzungen für erfolgreiches Peer Counseling dar. Der Schwerpunkt der Beratungsarbeit liegt in der gemeinsamen Entwicklung einer individuellen Problembewältigungsstrategie. Diese soll Handlungsalternativen eröffnen und vorliegenden Schwierigkeiten, Krisen sowie Problemen mit Empowermentstrategien begegnen. Ziel ist es dabei, die Persönlichkeit der Ratsuchenden weiter zu entwickeln, hin zu mehr Unabhängigkeit, Selbstbewusstsein und Selbständigkeit. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Ratsuchende nur sehr selten den Eindruck hatten, dass die Peer Counselors ihnen ihre Meinung aufdrängen oder sie zu etwas überreden wollten. Mit ihren eigenen (erfolgreichen) Biografien dienen die Peer Counselors für einige Ratsuchende und Angehörige als Vorbild. Diese Vorbildfunktion ist nicht generell vorhanden. Jedoch ist sie bei Ratsuchenden, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt sind, besonders ausgeprägt. So hegen Werkstattbeschäftigte häufig den Wunsch, ihren Peer Counselors nachzueifern und selbst in der Beratung tätig zu werden. Als schwierig bzw. ungünstig für die Beratung wird in den Gruppendiskussionen das Vorliegen von persönlichen Beziehungen, wie Freundschaften oder auch kollegiale Verhältnisse zwischen Ratsuchenden und Beratenden, aufgeführt. Ein solcher Interessenkonflikt durch eine „Doppelfunktion“ tritt nach den getätigten Aussagen häufiger bei Peer Counselors auf, die in WfbM beschäftigt sind und auch in diesen Kontexten beraten.

Räumlich-sächliche Faktoren

Aus Sicht der Ratsuchenden sind die Beratungsstellen zugänglich und erreichbar, da diese (zumeist) baulich weitgehend barrierefrei sind und Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr haben. Ebenfalls geben die Befragten an, dass die Atmosphäre in den Beratungssituationen angenehm bzw. angemessen ist. Als bedeutend wird die Möglichkeit des niederschwelligen Zugangs zu den Beratungsstellen, per Telefon oder auch E-Mail, beschrieben. Darüber hinaus werden von den befragten Personen in den Fokusgruppendiskussionen feste Bürozeiten, aufsuchende Beratungsangebote sowie über das Beratungsangebot hinausgehende Angebote des Peer Supports als wünschenswert genannt. Unter dem Stichwort räumlich-sächliche Anforderungen werden von einigen Peer Counselors eigene ansprechend und funktional ausgestattete Büro- und Beratungsräume sowie eigene Computer gewünscht. Diese scheinen insbesondere für die Beraterinnen und Berater, die an WfbM angeschlossen oder ehrenamtlich tätig sind, nicht selbstverständlich zu sein.

Eine gute Vernetzung mit unterschiedlichen Akteuren im lokalen und regionalen Umfeld der Beratungsstellen wird von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gruppendiskussionen gefordert. Dies wird damit begründet, dass das Themenspektrum des Peer Counseling weit gefasst ist und alle Lebens- und Teilhabebereiche umfasst. Aus diesem Grund kann es notwendig sein, in bestimmten Frage- und Problemstellungen die Ratsuchenden an andere (Beratungs-)Stellen, Behörden, Ämter, Ärzte, Vereine, Selbsthilfegruppen oder weitere Akteure zu verweisen.

IV. Fazit und Ausblick

Mit Abschluss der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes „Peer Counseling im Rheinland“ liegen erstmals aussagekräftige Daten auf einer breiten empirischen Basis zu den Wirkweisen sowie den Gelingensfaktoren von Peer Counseling im deutschsprachigen Raum vor. Die Befragten sind sich über die besonderen Qualitäten des Peer Counseling als Form der Beratung von Betroffenen für Betroffene einig und verstehen das Angebot als eine ergänzende wie auch alternative Beratungsform zu den etablierten Angeboten. Dabei bestätigen sie dem Peer Counseling positive Wirkungen und bringen diesem große Akzeptanz entgegen. Werkstattbeschäftigte bzw. Menschen mit Behinderungen, die in Wohneinrichtungen lebn, konnten offensichtlich schlechter mit dem Beratungsangebot sowie in den Erhebungen erreicht werden. Für die zukünftige Ausgestaltung des Angebotes an Peer-Beratung sollte sowohl im Rheinland als auch bundesweit – mit der Umsetzung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) (§ 32 SGB IX) – versucht werden, auch diese Personen zu erreichen. Das formulierte Ziel der „Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen“, durch „eine von Leistungsträgern und Leistungserbringern unabhängige[n] ergänzende[n] Beratung als niedrigschwelliges Angebot […] im Vorfeld konkreter Leistungen“ (§ 32 Abs.1 SGB IX), muss allen potentiell Ratsuchenden zugänglich sein. Generell können die Ergebnisse des Modellprojektes sowie die formulierten Handlungsempfehlungen[10] für die weitere nachhaltige Umsetzung und Ausgestaltung im Rheinland für die bundesweit einzuführende ergänzende unabhängige Teilhabeberatung nach § 32 SGB IX richtungsweisenden Charakter haben, enthalten sie doch Anhaltspunkte, die sich auf die Anforderungen zur organisatorischen Ausgestaltung erfolgreicher Peer-Beratung auch auf Bundesebene übertragen lassen.

Beitrag von Dr. Mario Schreiner, Humboldt-Universität zu Berlin

Literatur

Braukmann, Jan; Heimer, Andreas; Jordan, Micah; Maetzel, Jakob; Schreiner, Mario; Wansing, Gudrun (2017): Evaluation von Peer Counseling im Rheinland. Endbericht. Online verfügbar unter http://www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/170717_Peer_Counseling_Endbericht.pdf, zuletzt abgerufen am 06.02.2018.

Ernst, Jochen; Eichhorn, Svenja; Kuhnt, Susanne; Giesler, Jürgen M.; Schreib, Melanie; Brähler, Elmar; Weis, Joachim (2014): Ambulante psychosoziale Krebsberatung – Ergebnisse einer nutzerbasierten Studie zu Beratungsanliegen und Zufriedenheit mit der Beratung. In: Psychother Psych Med 64 (11), S. 421–430.

Schreiner, Mario (2017): Peer Counseling als Methode der unabhängigen Teilhabeberatung? – Ergebnisse des Modellprojektes „Peer Counseling im Rheinland“ (Teil I). Beitrag D2-2018 unter http://www.reha-recht.de/fileadmin/user_upload/RehaRecht/Diskussionsforen/Forum_D/2018/D2-2018_Peer_Counseling_Teil_I_bf.pdf, zuletzt abgerufen am 06.02.2018.

Vossler, Andreas (2006): Evaluation von Erziehungs- und Familienberatung in Deutschland. Ergebnisse und Anregungen für die künftige Praxis. Online verfügbar unter http://oro.open.ac.uk/17207/1/Evaluation_von_Erziehungs-_und_Familienberatung_in_Deutschland._Ergebnisse_und_Anregungen_f%C3%BCr_die_zuk%C3%BCnftige_Praxis.pdf, zuletzt abgerufen am 06.02.2018.

Fußnoten

[1] Die Evaluation (Projektzeitraum 2014-2017) wurde im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) von der Prognos AG (Leitung: Andreas Heimer) sowie der Universität Kassel (Leitung: Prof. Dr. Gudrun Wansing, jetzt: Humboldt-Universität zu Berlin) durchgeführt. Im Folgenden dargestellte Ergebnisse beziehen sich auf den Endbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung (AutorInnen: Braukmann, J.; Heimer, A.; Jordan, M.; Maetzel, J.; Schreiner, M.; Wansing, G.). Online unter: http://www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/170717_Peer_Counseling_Endbericht.pdf, zuletzt abgerufen am 15.01.2018.

[2] Vgl. Schreiner 2018.

[3] Hierzu gehören eine Literaturanalyse, Beratungen im Expertenpanel des Projektes, Erkenntnisse der ersten Erhebungsphase der Fokusgruppendiskussionen sowie leitfadengestützte Gespräche mit den Beratungsstellen.

[4] Eine ausführliche Darstellung des Wirkmodells findet sich im vorliegenden Endbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung (AutorInnen: Braukmann, J.; Heimer, A.; Jordan, M.; Maetzel, J.; Schreiner, M.; Wansing, G.), S. 86. Online unter: http://www.lvr.de/media/wwwlvrde/soziales/menschenmitbehinderung/wohnen/dokumente_232/peer_counseling/170717_Peer_Counseling_Endbericht.pdf, zuletzt abgerufen am 15.01.2018.

[5] Andere Evaluationen, welche vergleichbare Beratungserfahrungen erfassen, kommen ebenfalls mehrheitlich zu positiven bis sehr positiven Erfahrungen der Ratsuchenden (vgl. z. B. Vossler 2016; Ernst et al. 2014).

[6] Vgl. Braukmann et al. 2017 und Schreiner 2018 für ausführliche Daten.

[7] Vgl. Braukmann et al. 2017, S. 101 zur Übersicht der Veränderungen in der Lebenssituation der Ratsuchenden.

[8] Vgl. hierzu auch die unter 3.2.2 dargestellten Ergebnisse zu den personellen Faktoren.

[9] Vgl. ebd. und Schreiner 2018.

[10] Vgl. Braukmann et al. 2017, S. 122 ff.


Stichwörter:

Peer Counseling, Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), Beratung, Zugänglichkeit, Barrieren, Empowerment, Landschaftsverband Rheinland (LVR), Selbsthilfe


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