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Im vorliegenden Beitrag bespricht der Autor das „Budget für Arbeit“ und bezieht sich auf Erfahrungen des Sozialhilfeträgers Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen. Zunächst thematisiert er die Bedeutung des Budgets für Arbeit für die beruflichen Teilhabechancen behinderter Menschen, insbesondere auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Anschließend stellt er die jeweiligen Anforderungen an ein Budget für Arbeit aus Sicht des Sozialhilfeträgers dar. Grundlegend sei dabei die Bestimmung des Personenkreises, hier die werkstattberechtigten Menschen, und dass die Leistungen nicht mehr umfassen sollten als beim alternativen Werkstattbesuch. Er skizziert zudem die Entwicklung und die aktuelle Lage zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen behinderter Menschen in Hessen und betont dabei einen kontinuierlichen Zuwachs behinderter Menschen auf dem Arbeitsmarkt in den letzten fünf Jahren.
Schließlich führt der Autor eine Reihe von Aspekten bei der Ausgestaltung eines Budgets für Arbeit aus, die die bisherigen Erfolge noch steigern können. Insgesamt bewertet er das Budget für Arbeit als positiv und sieht es als ein Teil der Eingliederungshilfe.
(Zitiervorschlag: Jürgens: Hessisches Budget für Arbeit! Aber wie?; Forum D, Beitrag D23-2015 unter www.reha-recht.de; 05.07.2015)
Hinter dem Begriff „Budget für Arbeit“ verbergen sich verschiedene Modelle die eines gemeinsam haben: sie sollen behinderten Menschen, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) beschäftigt sind oder ohne das Budget für Arbeit in einer solchen aufgenommen würden, durch finanzielle Unterstützung eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Warum denken wir über ein Budget für Arbeit nach? Dafür sprechen verschiedene Interessenlagen:
Für die Sozialhilfeträger kommt eine Förderung von Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur in Betracht, wenn ansonsten eine Beschäftigung in einer WfbM gezahlt werden müsste. Daher beschränkt sich die Zielgruppe bei einem Budget für Arbeit tatsächlich auf diesen Personenkreis. Gelegentlich geäußerte Wünsche, dass das Budget für Arbeit auch für andere Personen gelten soll, müssten sich nach der heutigen Rechtslage an andere Träger richten.
Für den Sozialhilfeträger gibt es aber noch eine weitere Leitplanke: das Budget für Arbeit darf jedenfalls nicht teurer sein, möglichst sogar preiswerter, als ein Werkstattplatz. Wenn eine freiwillige Sozialhilfeleistung wie das Budget für Arbeit erbracht werden soll, geht dies nur, wenn dadurch andere Ausgaben in gleicher Höhe oder gar darüber hinaus erspart werden.
Für den LWV Hessen können daher zwei grundlegende Bedingungen für ein Budget für Arbeit bereits festgehalten werden: es geht um den Personenkreis der werkstatt-berechtigten Menschen und kann nicht mehr Leistungen umfassen, als beim alternativen Werkstattbesuch ausgegeben werden müssten.
Die Werkstätten für behinderte Menschen als Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben haben nach § 136 SGB IX den Auftrag, behinderten Menschen eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung anzubieten und Ihnen zu ermöglichen, ihre Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen. „Sie fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen“ (§ 136 Abs. 1 Satz 3 SGB IX). Dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen wird den Werkstätten durch ein Budget für Arbeit vermutlich erleichtert.
Dem gesetzlichen Auftrag haben sich die Träger der hessischen WfbM und der LWV Hessen bereits in den 1990iger Jahren gestellt. Mit dem damaligen Hessischen Konzeptionspapier zur Schaffung und Finanzierung von Arbeits-, Ausbildungs- und Beschäftigungsplätzen außerhalb von Werkstätten für Behinderte, wie sie damals bezeichnet wurden, wurde ein innovativer Ansatz verfolgt, der sich durchaus bewährt hat.
Parallel dazu hat der LWV Hessen den Werkstätten, die sich diesem Auftrag im besonderen Maße stellen wollten, zusätzliches Personal – Fachkräfte für berufliche Integration (FBI) – finanziert, welches sich mit diesem Themenfeld schwerpunktmäßig beschäftigt hat.
Um die Grundlagen für die Arbeit zu aktualisieren, hat eine Arbeitsgruppe ein Nachfolgepapier zu dem bereits zitierten Hessischen Konzeptionspapier erarbeitet, das als Hessisches Übergangspapier – kurz HÜP genannt – bekannt ist. Ein zentraler Punkt bei der Überarbeitung war bei den Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen, wie die früheren „Außenarbeitsplätze“ jetzt heißen, den individuellen Bedarf des behinderten Menschen stärker in den Mittelpunkt zu rücken.
Parallel dazu wurde zwischen der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen, den Verbänden privater Träger in Hessen und dem LWV Hessen eine Rahmenzielvereinbarung über den Ausbau von Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätzen – kurz BiB genannt – für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2016 abgeschlossen. Ziel dabei ist es, die Betriebsintegrierten Beschäftigungsplätze von 600 wie zu Beginn dieser Laufzeit auf 1200 bis zum Ende der Laufzeit zu verdoppeln. Dabei sind die Personen auf den BiB weiterhin Mitarbeiter der Werkstatt zu den Bedingungen der Werkstattmitarbeiter. Die Idee ist allerdings, dass bei einer entsprechenden Eignung auch ein Übergang in den Betrieb erfolgt, bei dem die BiBs eingerichtet sind.
Nach zwei Jahren kann festgestellt werden, dass die Zahl der 600 BiB im Vergleich zum Beginn des Abschlusses der Rahmenzielvereinbarung um nahezu 50 % auf 887 BiB zum 31. Dezember 2014 gesteigert werden konnte. Bei mehr als 16.500 Personen, die in Kostenträgerschaft des LWV Hessen in hessischen Werkstätten für behinderte Menschen beschäftigt sind, eine beachtliche Zahl.
Dies ist ein Erfolg für jede einzelne Person, die die Chance erhält, sich auf einem BiB zu profilieren, und ggf. den Schritt schafft, ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einzugehen. Auch bei diesem Ziel, das dem in 2013 verabschiedeten Leitbild Inklusion entspricht, konnte bezogen auf die Leistungsberechtigten in Zuständigkeit des LWV Hessen eine kontinuierliche Steigerung in den letzten fünf Jahren festgestellt werden.
Waren es in 2010 noch 21 Personen, konnten in 2011 bereits 23 Personen den Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vollziehen. In 2012 und 2013 haben jeweils 28 Personen diesen Schritt geschafft, wobei im Jahr 2014 wiederum eine Steigerung auf 35 Personen festzustellen war.
Hinzu kommen noch die Personen, die den Wechsel vollziehen und in Kostenträgerschaft z. B. der Bundesagentur für Arbeit, der Deutschen Rentenversicherung oder anderer außerhessischer Sozialhilfeträger stehen. Bezogen auf die Jahre 2012 und 2013 sind die Vermittlungen in Ihrer Gesamtheit über alle Kostenträger hinweg von 37 im Jahr 2012 auf 48 in 2013 gestiegen.
Auch in das seit 2014 geltende Hessische Perspektivprogramm zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen schwerbehinderter Menschen – kurz HePAS – konnte die Förderung beim Übergang von einer Werkstatt in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen werden.
Für diese Personen gilt: sie konnten ohne zusätzliches Budget für Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden. Sie leben derzeit unabhängig von Hilfe zum Lebensunterhalt und von Eingliederungshilfe.
Wir müssten ein Budget für Arbeit so gestalten, dass wir die bisherigen Erfolge noch steigern können, ohne reine Mitnahmeeffekte zu erzielen. Bei der Ausgestaltung sind eine Reihe von Aspekten zu beachten, die ich im Folgenden skizzieren möchte.
Da ist zunächst einmal die Sicht des betroffenen behinderten Menschen: Er wird einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen und dazu einen Arbeitsvertrag abschließen. Dies bedeutet eine rechtliche Gleichstellung mit anderen Arbeitnehmern statt der besonderen Rechtsstellung der Werkstattmitarbeiter, die nach wie vor nicht als Arbeitnehmer gelten.
Die Arbeit wird es ermöglichen, ein möglichst selbständiges Leben zu führen und den eigenen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften sicherzustellen. Dies führt zu mehr Selbstbestimmung und Selbstbestätigung. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat festgestellt, dass bei den Personen, die über das dortige Budget für Arbeit den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft haben, wohl auch der Unterstützungsbedarf im Bereich Wohnen sinkt. Wer mehr Selbstständigkeit im Bereich Arbeit erfährt, findet sich auch in anderen Lebensbereichen besser zurecht und braucht hierbei weniger Unterstützung. Für die betroffenen Menschen ein Zugewinn an Selbstbestimmung. Für den Kostenträger eine zusätzliche Entlastung.
Diesem Ansatz der Normalisierung muss auch die technische Umsetzung folgen. Das Budget für Arbeit kann daher nicht nach dem Prinzip erbracht werden, wie es vom persönlichen Budget in anderen Leistungsbereichen bekannt ist. Das persönliche Budget bedeutet, dass der Betroffene Geld erhält, mit dem er sich soziale Dienstleistungen – z. B. im betreuten Wohnen – am Markt eigenständig beschaffen kann. Das Arbeitsverhältnis ist aber dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer Arbeitszeit und Arbeitsleistung schuldet, der Arbeitgeber das entsprechende Entgelt. Dazu würde es nicht passen, wenn der (behinderte) Arbeitnehmer den Arbeitgeber dafür bezahlt, dass dieser ihn beschäftigen und bezahlen kann. Das Budget für Arbeit sollte daher als Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber als direkte Leistung ausgestaltet sein und nicht im „Umweg“ über den Leistungsberechtigten erbracht werden.
Aus Sicht der Betroffenen ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung. Bei der Beschäftigung in einer WfbM werden aus Bundesmitteln Rentenversicherungsbeiträge geleistet, die den Betroffenen eine Erwerbsminderungsrente nach 20 Jahren aufgrund von Beiträgen in Höhe von 80 % eines Durchschnittsbeitrags gewährleisten. Bei einer Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden Rentenversicherungsbeiträge nach dem realen Einkommen berechnet, das beim Budget für Arbeit in den meisten Fällen deutlich darunter liegen wird, vermutlich eher in der Nähe des Mindestlohns.
Für diejenigen, die bereits eine Rente beziehen oder kurz davor sind, ist daher ein Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht sehr attraktiv. In Betracht kommen daher vor allem Personen, die unmittelbar vor Aufnahme in eine Werkstatt stehen oder erst relativ kurze Zeit dabei sind.
Auch für diese Personen, so zeigen es auch die Regelungen in anderen Bundesländern, ist es unerlässlich, den betroffenen Personen ein uneingeschränktes Rückkehrrecht in die Werkstatt für behinderte Menschen einzuräumen, sofern die Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht weiter aufrechterhalten werden kann. In diesem Falle müssten die bereits erworbenen Anwartschaften, die aus früheren Beschäftigungszeiten in der WfbM herrühren, wieder aufleben.
Die betroffenen Personen können weiterhin als dauerhaft voll erwerbsgemindert gelten, da sie nur mit diesem Lohnkostenzuschuss ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis eingehen können.
Daraus abgeleitet die nicht minder bedeutsame Frage, welche Folgen sich bzgl. der rentenversicherungsrechtlichen Ansprüche mit dem Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben? Diese Fragen müssen geklärt werden.
Aus Sicht des Sozialhilfeträgers ist die finanzielle Ausgestaltung eines Budgets für Arbeit von Bedeutung. Wie hoch soll ein Zuschuss sein, welchen Anteil sollen die Arbeitgeber übernehmen, wie kann erreicht werden, dass v. a. die Personen profitieren, die ansonsten keine oder kaum Aussichten haben. Es soll schließlich so ausgestaltet sein, dass potentielle Arbeitgeber mit den finanziellen Konditionen eine Perspektive für behinderte Menschen bieten können. In den meisten Ländern, in denen ein Budget für Arbeit existiert, wird ein Zuschuss von bis zu 70 % des Arbeitgeberbruttos geleistet, höchstens jedoch der im Falle einer WfbM-Beschäftigung zu zahlende Betrag.
Auch kommt es entscheidend darauf an, ob neben Eingliederungshilfemitteln des Sozialhilfeträgers auch ergänzende Mittel des Integrationsamtes aus der Ausgleichsabgabe eingesetzt werden können. Das Integrationsamt leistet bisher einen nicht unerheblichen Beitrag an finanziellen Leistungen an den Arbeitgeber, wenn dieser einen schwerbehinderten Menschen – gerade im Anschluss an Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen – beschäftigt. Diese sollten Bestandteil eines Budgets für Arbeit sein. Dies muss mit dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration abgestimmt werden, bei dem die Fachaufsicht für das Integrationsamt liegt. Wichtig ist auch die Frage, inwieweit ein Integrationsfachdienst die Begleitung am Arbeitsplatz sicherstellen kann, um den Wechsel aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für den behinderten Menschen und für den Arbeitgeber erfolgreich zu gestalten.
Von der Klärung dieser und einiger weiterer Fragen wird abhängen, ob und wie ggf. ein Hessisches Budget für Arbeit zu verwirklichen ist. Entscheidend ist dabei der weitere Verlauf der geplanten Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe. Es bleibt zu hoffen, dass bei einem zukünftigen Bundesteilhabegesetz verstärkt die Personenzentrierung in den Blick genommen wird, die zumindest nach dem jetzigen Stand der Diskussion auch das Budget für Arbeit als eine mögliche Alternative zur Werkstattbeschäftigung vorsieht.
Dies ist wiederum ein weiterer Schritt zur Umsetzung der Vorgaben des Artikel 27 UN-Behindertenrechtskonvention und des Leitbildes Inklusion des LWV Hessen.
Beitrag von Erster Beigeordneter Dr. Andreas Jürgens, LWV-Hessen
Fußnote:
[1] Der Beitrag beruht auf einem Vortrag am 23.04.2015 in Marburg/Lahn.
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Budget für Arbeit, Sozialhilfeträger, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Bundesagentur für Arbeit (BA), Berufliche Rehabilitation, Berufliche Teilhabe
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