07.03.2022 D: Konzepte und Politik Ulrich: Beitrag D3-2022

Entwicklungen in Reha und Teilhabe aufzeigen – Vorstellung ausgewählter Ergebnisse aus dem 3. Teilhabeverfahrensbericht

Die Autorin Dr. Lisa Ulrich (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V.) stellt den 3. Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX mit den zugrundeliegenden Daten aus dem Jahr 2020 vor. Der aktuelle Bericht weise die Besonderheit auf, dass er erstmals eine Betrachtung des Rehabilitationsgeschehens im Zeitverlauf ermögliche und zudem Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Rehabilitation und Teilhabe sichtbar mache. In dem Beitrag stellt die Autorin ausgewählte Ergebnisse dar, bewertet den Erfolg des vom Gesetzgeber angestrebten Ziels, mehr Transparenz im Reha- und Teilhabesystem zu ermöglichen, und gibt Hinweise für die Arbeit mit dem Bericht.

(Zitiervorschlag: Ulrich: Entwicklungen in Reha und Teilhabe aufzeigen – Vorstellung ausgewählter Ergebnisse aus dem 3. Teilhabeverfahrensbericht; Beitrag D3-2022 unter www.reha-recht.de; 07.03.2022)

I. Einleitung

Der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX wurde mit Inkrafttreten des Teil 1 des Bundesteilhabegesetzes zum 1. Januar 2018 eingeführt und erscheint seit 2019 jährlich. Entlang 16 gesetzlich vorgeschriebener Sachverhalte erfassen die gesetzlichen Krankenkassen, die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung, die Träger im Rahmen des Rechts der sozialen Entschädigung, die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe verschiedene Merkmale zu Verfahrensabläufen bei Anträgen auf Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR) ist vom Gesetzgeber beauftragt, die an sie übermittelten Angaben unter Beteiligung der Rehabilitationsträger auszuwerten und jährlich einen Bericht zu veröffentlichen. Weiterführende Informationen zum Hintergrund und zur Methodik des Teilhabeverfahrensberichts bietet der Beitrag D12-2021 unter www.reha-recht.de.[1]

Ende Dezember 2021 wurde der 3. Teilhabeverfahrensbericht veröffentlicht.[2] Der vorliegende Beitrag erläutert die Besonderheiten des dritten Berichts, stellt ausgewählte Ergebnisse vor und gibt Hinweise zum Arbeiten mit dem Teilhabeverfahrensbericht.

II. Besonderheiten des 3. Teilhabeverfahrensberichts

Der 3. Teilhabeverfahrensbericht zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus: Zum einen liegen diesem Bericht die Daten aus dem Jahr 2020 zugrunde. Dieses Jahr war in allen Bereichen durch die SARS-CoV-2-Pandemie geprägt und hat auch das System der Rehabilitation und Teilhabe auf unterschiedlichen Ebenen beeinflusst.[3] Nicht zuletzt liefern auch die Daten aus dem Teilhabeverfahrensbericht Hinweise zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Antrags- und Leistungsgeschehen im Bereich der Rehabilitation und Teilhabe.

Des Weiteren ist der 3. Teilhabeverfahrensbericht der zweite Bericht in Folge, für den alle Rehabilitationsträger ihre Angaben erfassen und übermitteln mussten. Liegt eine Serie von zeitlich geordneten Auswertungsergebnissen vor, die aus Datenerhebungen stammen, die in gleichbleibenden Abständen am gleichen Untersuchungsgegenstand zu gleichen Merkmalsdefinitionen durchgeführt werden, können durch Zeitreihenanalysen unter anderem Verläufe, Veränderungen und Strukturbrüche beschrieben und abgebildet werden.[4] Somit können mit den Angaben aus dem 3. Teilhabeverfahrensbericht erstmals die Daten zu ausgewählten Sachverhalten aus zwei Berichtsjahren – 2019 und 2020 – mittels Zeitreihenanalyse verglichen und Veränderungen aufgezeigt werden.

III. Ausgewählte Ergebnisse

Von über 1.200 als berichtspflichtig bei der BAR registrierten Rehabilitationsträgern haben 1.064 die gesetzliche Aufgabe erfüllt und ihre Angaben für das Berichtsjahr 2020 übermittelt. Die Meldequote liegt bei rund 85 Prozent und hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent erhöht. 15 Prozent der berichtspflichtigen Rehabilitationsträger haben keine Datenmeldung übermittelt. Auch diese Träger werden im Teilhabeverfahrensbericht abgebildet.

2,8 Millionen Anträge auf Leistungen zu Rehabilitation und Teilhabe wurden in 2020 bei den Reha-Trägern in Deutschland gestellt. Im Vergleich zum Jahr 2019 ist die Antragszahl um 14,7 Prozent zurückgegangen.[5]

Die Bearbeitungsdauer ergibt sich aus der Zeit vom Antragseingang beim leistenden Rehabilitationsträger bis zur Entscheidung über den Antrag. Im Jahr 2020 dauerte es im Durchschnitt 21,7 Tage bis zur Entscheidung über einen Antrag – unabhängig davon, wie über einen Antrag entschieden wurde. Insgesamt wurden 80,7 Prozent aller beantragten Leistungen vollständig oder teilweise bewilligt. Die Bearbeitungsdauer bei bewilligten Anträgen hat sich 2020 im Vergleich zu 2019 auf Systemebene, also bei Betrachtung aller Trägerbereiche, um durchschnittlich 1,5 Tage verkürzt.[6] Betrachtet man jeweils einzelne Trägerbereiche im Jahresvergleich, dauerte die Bearbeitung bei Bewilligung im Jahr 2020 teilweise länger als 2019.

Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe können in Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden – in allen Trägerbereichen und sowohl trägerspezifisch als auch trägerübergreifend. Im Jahresvergleich 2020 zu 2019 hat sich die Anzahl der beantragten trägerspezifischen Persönlichen Budgets um 7,1 Prozent und die Anzahl der bewilligten trägerspezifischen Persönlichen Budgets um 14,5 Prozent erhöht. Die Anzahl variiert stark zwischen den Trägerbereichen. Die Träger der Eingliederungshilfe und der gesetzlichen Unfallversicherung berichten im Jahresvergleich die höchsten Werte. Für die Berichtsjahre 2020 und 2019 und über alle Trägerbereiche gesehen, liegt der Anteil Persönlicher Budgets in Bezug auf alle entschiedenen Anträge weiterhin bei unter 1 Prozent.

Teilhabeplanungen und Teilhabeplankonferenzen bilden ein Kernstück für die bedarfsgerechte Koordinierung von Leistungen und für die trägerübergreifende Zusammenarbeit, wenn mehrere Rehabilitationsträger für die Leistungserbringung zuständig sind. Bei Betrachtung der einzelnen Trägerbereiche für das Berichtsjahr 2020 reicht die Spannweite beim Anteil trägerübergreifender Teilhabeplanungen an allen entschiedenen Anträgen von unter 1 Prozent bis rund 2 Prozent. Im Jahresvergleich 2020 zu 2019 ist die Anzahl trägerübergreifender Teilhabeplankonferenzen um gut ein Drittel zurückgegangen.[7]

Die Hälfte aller über 170.000 Widersprüche und rund ein Drittel von 6.782 Klagen sind im Berichtsjahr 2020 zugunsten von Leistungsberechtigten entschieden worden. Von insgesamt 158 Anträgen auf Erstattung selbstbeschaffter Leistungen nach § 18 SGB IX wurden über 90 Prozent bewilligt.

Diese und weitere Ergebnisse sind im 3. Teilhabeverfahrensbericht aufgezeigt.

IV. Arbeiten mit dem Teilhabeverfahrensbericht

Aus Sicht des Gesetzgebers soll der Teilhabeverfahrensbericht zu mehr Transparenz im trägerübergreifenden Reha- und Teilhabesystems führen und neue Möglichkeiten der Evaluation und Steuerung eröffnen.[8]

Bereits mit den drei vorliegenden Berichten hat der Teilhabeverfahrensbericht zu mehr Transparenz geführt und gezeigt, dass er als wichtige Informationsgrundlage für die Betrachtung von Entwicklung im System der Rehabilitation und Teilhabe dienen kann. Seine Erkenntnisse ermöglichen allen handelnden Akteuren, Weiterentwicklungen anzustoßen und das Ergebnis der Veränderungsprozesse im Zeitverlauf zu betrachten.

Dafür sollten die Ergebnisse aus dem Teilhabeverfahrensbericht nicht losgelöst von weiterführenden Informationen betrachtet werden, die überwiegend von den Rehabilitationsträgern selbst im Zuge ihrer Beteiligung an der Auswertung der Angaben eingebracht werden. Sie geben wichtige Einblicke in die Verfahrensabläufe eines Trägerbereichs und die trägerübergreifende Zusammenarbeit.[9]

Daneben sind bei der Ergebnisbetrachtung auch methodische Aspekte zu beachten. Für die Auswertung einzelner Sachverhalte liegen nicht von allen Rehabilitationsträgern Daten in gleichem Umfang vor, weil beispielsweise keine Werte übermittelt wurden und Angaben somit fehlen, Werte im Zuge der Plausibilisierung bereinigt werden mussten und deswegen von der Auswertung ausgeschlossen sind, oder Merkmale eines Sachverhalts im Berichtsjahr nicht vorgekommen sind und demnach mit dem Wert null übermittelt werden. Beispielsweise liegen für das Berichtsjahr 2020 von nahezu allen Rehabilitationsträgern aus dem Bereich des sozialen Entschädigungsrechts (SER) Angaben vor zur Anzahl der entschiedenen Anträge, bei denen ein Gutachten zur Bedarfsermittlung beauftragt wurde. Hierbei berichten über 90 Prozent dieser Träger, dass von ihnen in 2020 keine Gutachten zur Bedarfsermittlung beauftragt wurden, also die Gutachtenanzahl bei diesem Merkmal den Wert null hat. Die verbleibenden 8 Prozent der SER-Träger berichten, dass sie mindestens eine Entscheidung mit Gutachten hatten. Nur für diese können wiederum Aussagen über mögliche Fristüberschreitungen bei Entscheidungen mit Gutachten getroffen werden (§ 14 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).[10] Denn wenn keine Gutachten beauftragt wurden, können auch keine dazugehörigen Fristen überschritten werden. Das Beispiel verdeutlicht, dass bestimmte Merkmale eines Sachverhalts innerhalb eines Trägerbereichs durchaus sehr unterschiedlich verteilt sein können.

Das kann dazu führen, dass aus den dargestellten Ergebnissen keine Aussagen abgeleitet werden sollten, die auf einen gesamten Trägerbereich oder auf alle Trägerbereiche, also auf das gesamte Reha- und Teilhabesystem bezogen sind. Die Information, von wie vielen Trägern Angaben ausgewertet werden konnten, wird im Teilhabeverfahrensbericht für jeden Sachverhalt in einer Infobox „Zur Einordnung der Daten“ sowie unter jeder Tabelle und Abbildung detailliert erläutert.

Diese und weitere Hinweise sind im Bericht aufgezeigt. Sie sollten bei der Betrachtung der Ergebnisse und für die Lesart der Daten stets berücksichtigt werden. Dann ist der Teilhabeverfahrensbericht ein valides Instrument, mit dem gearbeitet werden kann, um den möglichen Bedarf einer Fortentwicklung des trägerübergreifenden Reha- und Teilhabesystems beurteilen zu können. Auf diese Weise erreicht der Teilhabeverfahrensbericht die vom Gesetzgeber beabsichtigten Ziele in vollem Umfang.

Beitrag von Dr. Lisa Ulrich, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR)

Fußnoten

[1] Ulrich: Das Reha-System in Kennzahlen: der Teilhabeverfahrensbericht nach § 41 SGB IX; Beitrag D12-2021 unter www.reha-recht.de; 23.03.2021.

[2] Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR). 3. Teilhabeverfahrensbericht 2021. Frankfurt/Main, Dezember 2021. Im Internet unter https://www.bar-frankfurt.de/themen/teilhabeverfahrensbericht/teilhabeverfahrensberichte.html, zuletzt aufgerufen am 03.01.2022.

[3] Exemplarisch: a) Das deutsche Reha-System in der COVID-19-Pandemie. Rehabilitation 2020; 59: 137–138; DOI: 10.1055/a-1175-4195;
b) Corona-Konsultationsprozess der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR). Im Internet unter https://www.dvfr.de/arbeitsschwerpunkte/projektberichte/, zuletzt aufgerufen am 03.01.2022;
c) Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Die Coronapandemie in der Behindertenhilfe – Auswirkungen, Probleme, Lösungen, Stand 09/2021. Im Internet: https://www.bgw-online.de/resource/blob/50196/c80eeddcf52124482bf45a61e0088267/bgw55-83-142-trendbericht-behindertenhilfe-corona-pandemie-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.01.2022.

[4] Metz R. Zeitreihenanalyse. In: Wolf C, Best H, Hrsg. Handbuch der sozialwissenschaftlichen Datenanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien GmbH Wiesbaden; 2010: 1053–1090.

[5] Hier und bei allen weiteren Ergebnissen des Jahresvergleichs gilt zu beachten, dass für die Berechnung der Werte im Jahresvergleich nur die Daten der Träger berücksichtigt wurden, von denen Angaben zu der / den entsprechenden Meldevariable(n) sowohl für das Berichtsjahr 2019 als auch für das Berichtsjahr 2020 vorliegen. Aus diesem Grund können die Werte im Jahresvergleich von den Werten bei Einzelbetrachtung eines Sachverhalts pro Berichtsjahr abweichen.

[6] Für die Berechnung der Werte im Jahresvergleich wurden nur die Daten der Träger berücksichtigt, von denen Angaben zu der / den entsprechenden Meldevariable(n) sowohl für das Berichtsjahr 2019 als auch für das Berichtsjahr 2020 vorliegen. Aus diesem Grund können die Werte im Jahresvergleich von den Werten bei Einzelbetrachtung eines Sachverhalts pro Berichtsjahr abweichen.

[7] Siehe vorherige Fußnote.

[8] Bundestags-Drucksache 18/9522 unter § 41.

[9] U. a. haben alle Trägerbereiche die Möglichkeit, eigene Beiträge für den Teilhabeverfahrensbericht einzureichen, die als Teil des Berichts in einem dafür vorgesehenen Kapitel und in dafür vorgesehene Infoboxen erscheinen.

[10] Vergleiche Tabelle 18 und Tabelle 20 im 3. Teilhabeverfahrensbericht.


Stichwörter:

Teilhabeverfahrensbericht, Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e. V. (BAR), Antragstellung, Rehabilitationsträger, Rehabilitationssystem


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