17.09.2015 D: Konzepte und Politik Viehmeier: Beitrag D33-2015

Tagungsbericht „Kooperationsmodelle in der medizinisch-beruflichen Rehabilitation“

Sarah Viehmeier berichtet in ihrem Beitrag von der 10. Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der medizinisch-beruflichen Rehabilitationseinrichtungen e. V., die sich am 11. Mai 2015 mit dem Thema „Kooperationsmodelle in der medizinisch-beruflichen Rehabilitation“ befasste.

Unter anderem wurden bereits funktionsfähige Kooperationsmodelle wie der Rahmenvertrag zu Leistungen der medizinisch-beruflich-orientierten Rehabilitation (MBOR) in Baden-Württemberg und Erfolgsfaktoren von MBOR diskutiert. Einzelne Themen der beruflichen Rehabilitation und der medizinischen Rehabilitation wurden vertieft und künftige Herausforderungen der MBOR wie die Durchführung eines Nachsorgemanagements, die Finanzierung von Leistungen oder die Individualisierung von Leistungen diskutiert.

Insgesamt wurde die große Bedeutung der Kooperation im Bereich der medizinisch-beruflichen Rehabilitation deutlich, die nicht mehr nur als Konzept wahrgenommen wird, sondern in verschiedenen Bereichen inzwischen erfolgreich realisiert wird.

(Zitiervorschlag: Viehmeier: Tagungsbericht „Kooperationsmodelle in der medizinisch-beruflichen Rehabilitation“; Forum D, Beitrag D33-2015 unter www.reha-recht.de; 17.09.2015)


 

Am 11. Mai 2015 fand in Bonn die 10. Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft der medizinisch-beruflichen Rehabilitationseinrichtungen e. V. (Phase II) zum Thema „Kooperationsmodelle in der medizinisch-beruflichen Rehabilitation“ statt. Im Rahmen der Veranstaltung wurden verschiedene Modelle präsentiert, die zeigen, wie Kooperation im Bereich der medizinisch-beruflichen Rehabilitation gelingen kann.

I. Funktionsfähige Kooperationsmodelle

„Der Rahmenvertrag zu MBOR-Leistungen in Baden-Württemberg: Ein Beispiel gelungener Kooperation“ wurde vorgestellt von Andrea Nordmann (Zentrum Beruf+Gesundheit, Bad Krozingen). Der Rahmenvertrag im Bereich der medizinisch-beruflich-orientierten Rehabilitation (MBOR) ziele auf eine verbesserte Effektivität im Bereich der beruflichen Rehabilitation, berichtete Nordmann. Durch vertraglich festgelegte Kooperationen sollen die Leistungen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation besser ineinander greifen. Der Rahmenvertrag biete darüber hinaus die Möglichkeit, auch externe Dienstleister mit einzubeziehen. Zudem könnten die Potentiale einzelner Leistungsbereiche über die Kooperationen für alle Reha-Kliniken nutzbar gemacht werden. Aus dem Rahmenvertrag ergeben sich neben steigenden Zahlen der Kooperationen auch positive Netzwerkbeispiele sowie Wettbewerbsvorteile der beteiligten Rehabilitationseinrichtungen. Nordmann erklärte, es gehe darum, die Qualität und Wirtschaftlichkeit zu steigern, Schnittstellenprobleme zu verringern sowie bedarfsgerechte Angebote zu schaffen.

Prof. Dr. med. Jens D. Rollnick (BdH-Klinik Hessisch Oldendorf) präsentierte eine erste Projektskizze zur „Evaluationsstudie zur interdisziplinären Zusammenarbeit in medizinisch-beruflichen Rehabilitationseinrichtungen“. Er betonte zunächst, dass es bisher sehr wenige Studien gebe, die sich mit der medizinisch-beruflichen Rehabilitation befassten. Er berichtete von der Studie „MEmbeR“, in der 200 Datensätze erfasst wurden mit dem Ergebnis, dass durch eine medizinisch-berufliche Rehabilitation die Arbeitsunfähigkeit von 70 % auf 5,6 % gesunken sei und 80 % der Rehabilitanden auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig wurden. Die neue Studie „ElmeR“ ist auf einen Zeitraum von 48 Monaten ausgelegt und befasst sich damit, welche Faktoren der interdisziplinären Zusammenarbeit das Outcome medizinisch-beruflicher Rehabilitation beeinflussen. Das Projekt gliedert sich in vier Phasen. In einem ersten Schritt erfolgt eine Bestandsaufnahme der Ist-Situation. Dabei geht es insbesondere um die Erfassung der interdisziplinären Ausrichtung der Teams, die therapeutische Intervention und deren berufliche Ausrichtung sowie die interdisziplinäre Kommunikation als auch die Kommunikation nach außen. In einem zweiten Schritt werden dann die Ergebnisse der ersten Phase ausgewertet. Es folgt eine Interventionsphase, in der auf der Grundlage der bisherigen Ergebnisse ICF-Core-Sets eingeführt werden sollen. Im Anschluss an diese Implementierung erfolgt eine zweite Auswertungsphase, in welcher überprüft werden soll, wie sich die berufliche Teilhabe der in der Interventionsphase entlassenen Rehabilitanden darstellt.

Priv.-Doz. Dr. phil Heiner Vogel (Universität Würzburg) und Dr. phil Silke Neuderth (Universität Würzburg) referierten zum Thema „Erfolgsfaktoren von MBOR: Zuweisungsadäquanz, Arbeitsplatzorientierung und Teamwork“. Sie stellten das Projekt MBOR-Management vor, das die Universität Würzburg in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt hat. Dazu wurde in sieben Reha-Kliniken ein MBOR-Management eingeführt. Es wurde ein Vergleich zwischen MBOR- Leistungen und medizinisch-beruflichen Rehabilitationsleistungen bei orthopädischen Rehabilitanden erstellt. Zunächst wurde der Zugang zu den beiden Leistungsformen miteinander verglichen. Die Referenten erläuterten, dass eine frühzeitige Identifizierung von Risikopatienten entscheidend für eine bedarfsgerechte Behandlung sei. Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen hätten eine deutlich höhere Chance auf eine medizinisch-beruflich-orientierte Rehabilitation als Patienten ohne besondere berufliche Problemlagen, wenn bei der Zuweisung Screening-Verfahren eingesetzt würden. Die Arbeitsunfähigkeit der Rehabilitanden im Anschluss an die Maßnahme sei umso geringer, je mehr berufsbezogene Gruppenangebote oder Arbeitsplatztrainings während der Reha angeboten werden. Verbesserungsbedarf gebe es jedoch noch in dem Bereich der Vernetzung mit Betriebs- und Werksärzten sowie im allgemeinen Kontakt zu den Betrieben. Insgesamt zeige sich jedoch, dass eine berufsbezogene Motivation als durchgängiges Prinzip den Erfolg der medizinisch-beruflich-orientierten Rehabilitation steigert. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit und ein gut funktionierendes Reha-Team seien Voraussetzungen für eine erfolgreichere Rehabilitation.

II. Kontext berufliche Rehabilitation

Dr. jur. Katja Robinson (Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke) stellte die „Ziele und Aufgaben des Netzwerkes berufliche Rehabilitation (NbR)“ vor. Dieses habe sich 2011 als Plattform der Leistungserbringer nach § 35 Sozialgesetzbuch (SGB) IX aus dem Projekt „Prüfung von aktuellem Stand und Potential der Bedarfsermittlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der ICF (Machbarkeitsstudie)“[1] formiert. In dem Netzwerk haben sich sieben verschiedene Bundesarbeitsgemeinschaften[2] zusammengeschlossen. Ziel des NbR sei die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (hierbei insbesondere Art. 26) sowie die Sicherstellung der Leistungsqualität für Menschen mit Behinderungen. Das Netzwerk diene den Arbeitsgemeinschaften als Informationsplattform und zur Abstimmung gemeinsamer Anliegen. Innerhalb des Netzwerkes würden gemeinsame Positionen und Aktivitäten erarbeitet. Im vergangenen Jahr hat das Netzwerk berufliche Rehabilitation ein Diskussionspapier zur Reform des deutschen Teilhaberechts herausgebracht.[3] Darin setzt sich das Netzwerk für einen neuen Behinderungsbegriff, einheitliche Maßstäbe für die Bedarfsfeststellung unter Anwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), barrierefreie ganzheitliche Teilhabepläne nach bundeseinheitlichen Kriterien sowie für die Weiterentwicklung der gemeinsamen Servicestellen und ein einheitliches Berichtswesen aller Reha-Träger ein. Darüber hinaus geben die Mitglieder des Netzwerkes das Versprechen, ihre Leistungen unter Anwendung der ICF stärker an den individuellen Teilhabezielen und der selbstbestimmten Lebensführung des Einzelnen auszurichten und mittels einer konsequenten Personenzentrierung durch ein eigenständiges Reha-Management noch umfassender zu vernetzen.

Dr. Michael Schubert (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) stellte in seinem Vortrag ein „Kooperatives Forschungsprojekt: Basiskonzept zur Bedarfsermittlung in der beruflichen Rehabilitation“ vor. Das dreijährige Projekt, das im Juni 2015 begonnen hat, baut auf die von Robinson erwähnte Machbarkeitsstudie auf. Im Rahmen der Machbarkeitsstudie wurde die IST-Situation analysiert und der Frage nachgegangen, wie der Bedarf in der beruflichen Rehabilitation festgestellt wird, was verbesserungswürdig ist und inwieweit die ICF dabei helfen kann, aktuelle Probleme zu lösen. Die Bedarfsfeststellung in der beruflichen Rehabilitation ist, so Schubert, geprägt von einer Vielzahl von Akteuren. Dabei werden über 400 verschiedene Instrumente und Verfahren eingesetzt. Probleme gebe es insbesondere bei der Kommunikation untereinander und der Passgenauigkeit von Leistungen. Das neue Forschungsprojekt werde auf der Basis der bereits erhobenen Daten ein Konzept entwickeln, welches anschließend der Bedarfsermittlung aller am beruflichen Rehabilitationsprozess Beteiligten zu Grunde gelegt werden soll. Innerhalb des Basiskonzeptes werden sozialrechtliche Grundanforderungen an die Bedarfsermittlung herausgearbeitet sowie konzeptionelle Grundlagen als Vorgaben für Handlungskonzepte entwickelt. Die unterschiedlichen vorhandenen Verfahren werden analysiert und in einer Toolbox aufbereitet, sodass alle Beteiligten darauf zugreifen können. Das Basiskonzept schaffe keine neuen Instrumente zur Bedarfsfeststellung, betonte Schubert. Es diene vielmehr dazu, bestehende Verfahren zu sammeln und eine gemeinsame Sprache sowie ein gemeinsames Handlungskonzept für die an der beruflichen Rehabilitation Beteiligten bereit zu stellen.

III. Kontext medizinische Rehabilitation

Dr. med. Wilfried Schupp (Fachklinik Herzogenaurach) befasste sich mit der Frage „Wie viel MBOR kann/soll in der normalen medizinischen Rehabilitation laufen und wie gelingt Kooperation mit bzw. Übergang in MBR?“. Zu Beginn stellte Schupp die medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation als konzeptionellen Bestandteil der medizinischen Rehabilitation vor. Demnach habe sich die medizinische Rehabilitation auch am Arbeitsplatz des Rehabilitanden bzw. an der Arbeitswelt auszurichten. Die MBOR ziele auf Patienten mit besonderen Problemlagen (problematische sozialmedizinische Verläufe, negative berufliche Prognose, aus sozialmedizinischer Sicht notwendige berufliche Veränderung etc.). Schupp betonte, dass in der MBOR die Kontextfaktoren auf Basis der ICF besondere Berücksichtigung zu erfahren haben. Zu nennen sei hierbei beispielsweise die Situation des Arbeitsmarktes, aber auch die Wertschätzung am Arbeitsplatz, die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes oder Selbsteinschätzung, Wünsche und Ziele der betroffenen Person.

Die Angebote der MBOR lassen sich, so Schupp, untergliedern in beruflich orientierte Basisangebote, MBOR-Kernangebote sowie spezifische MBOR, zu denen auch die Arbeits- und Belastungserprobung zähle. Die ersten beiden Stufen der MBOR werden in klassischen Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation erbracht, wobei hier auch mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation (beispielsweise Berufsbildungswerken) zusammengearbeitet werde. Die spezifische MBOR kann insbesondere auch in Einrichtungen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation erbracht werden. Hier seien vielfältige Kooperationsmöglichkeiten, etwa bei der Diagnostik oder aber auch im Bereich der Nachsorge, denkbar. Insgesamt sei die Zahl der MBOR-Maßnahmen seit 2008 deutlich steigend.

IV. Herausforderungen in der Zukunft

Hubert Seiter (Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg) und Thomas Keck (Deutsche Rentenversicherung Westfalen) diskutierten zu dem Thema „Die Zukunft der medizinisch-beruflichen Rehabilitation“. Eine große Herausforderung der Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung liege in der Finanzierung der Leistung. Die Budgetierung von Reha-Leistungen stehe im Widerspruch zur Bedarfsorientierung. Da davon auszugehen sei, dass das Budget für Rehabilitationsleistungen in den nächsten Jahren nicht steigen werde, müsse man bereits jetzt in das Rehabilitationssystem investieren und sich über mögliche weitere Finanzierungsquellen für Reha-Leistungen Gedanken machen. Kritisch wurde seitens der Referenten auch die Passgenauigkeit von bereits bestehenden Angeboten zu individualisierten Leistungen diskutiert. In diesem Zusammenhang sei auch die Frage zu klären, inwieweit das Wunsch- und Wahlrecht nach § 9 SGB IX mit Ausschreibungen von Leistungen der Träger in Einklang gebracht werden kann. Neben einer umfassenden Bedarfsfeststellung gebe es zudem Handlungsbedarf in den Bereichen der (flexiblen) Verweildauer und beim Nachsorgemanagement. Hier sei zu klären, wie und vor allem von wem ein solches Nachsorgemanagement durchgeführt werden kann, welches sich nicht nur auf einen kurzen Zeitraum nach der Rehabilitation beschränkt. Trotz der Spannungsfelder, in denen die medizinisch-berufliche Rehabilitation verortet ist, sei positiv festzustellen, dass es bei den Arbeitgebern einen Paradigmenwechsel gegeben habe. Seitens der Arbeitgeber ist das Interesse an der Rehabilitation und der Förderung der Gesundheit, insbesondere älterer Mitarbeiter, stark gestiegen. Viele Arbeitgeber seien auch bereit, sich finanziell an der Rehabilitation ihrer Mitarbeiter zu beteiligen. Insgesamt sahen die beiden Referenten eine notwendige Weiterentwicklung der medizinisch-beruflichen Rehabilitation in den nächsten Jahren.

Beitrag von Sarah Viehmeier, LL.M., Universität Kassel

Fußnoten:

[1] Vgl.: www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/Startseite/Abschlussbericht_end_x.pdf.

[2] Dies sind die Bundesarbeitsgemeinschaften der Beruflichen Trainingszentren (BAG BTZ), der Berufsbildungswerke (BAG BBW), der deutschen Berufsförderungswerke (ARGE BFW), der medizinisch-beruflichen Rehabilitation (BAG mbR), der Rehabilitationseinrichtungen psychisch Kranker (BAG RPK), der Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) sowie der Bundesarbeitskreis der Berufsförderungswerke (BAK BFW).

[3] Siehe: www.bagbbw.de/w/files/uploads-veroeffentlichungen/14-05-05-nbr-sgbix-diskussionspapier.pdf.


Stichwörter:

Bedarfsermittlung, Berufliche Rehabilitation, Berufliche Teilhabe, Kooperation zwischen Betrieb und Rehabilitationseinrichtung, Koordinierung (§ 10 SGB IX), Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR), Medizinische Rehabilitation, Wiedereingliederung in das Erwerbsleben


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.