25.08.2016 D: Konzepte und Politik Schülle: Beitrag D33-2016

Barrieren der Barrierefreiheit – Gesundheitsversorgung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung; Teil 1 – Empirische Erkenntnisse

Die Autorin Mirjam Schülle befasst sich in ihrer Beitragsreihe mit dem Zugang zur Gesundheitsversorgung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Im vorliegenden ersten Teil erfolgt eine Darstellung empirischer Erkenntnisse. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) fordert eine gleichberechtigte gesundheitliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen.

Dennoch gibt es trotz unzureichender Datenlage Hinweise auf erhebliche Barrieren. Die Autorin stellt zunächst die empirischen Erkenntnisse über Zugänglichkeit und bestehende Barrieren auf nationaler und internationaler Ebene vor. Es folgen Erkenntnisse aus der Praxis zu Umweltbarrieren, strukturellen Barrieren des Gesundheitssystems sowie Ausführungsbarrieren der Leistungsträger. Anschließend befasst sich Schülle mit den besonderen Barrieren der Gesundheitsversorgung für geistige und mehrfachbehinderte Menschen, so z. B. sprachliche und soziale Barrieren sowie Wissensdefizite der Leistungserbringenden. Die Autorin schließt mit dem Fazit, dass es zwar bereits Bemühungen zur Verbesserung der Barrierefreiheit gebe, jedoch noch ein großer Bedarf an Maßnahmen zur Verwirklichung eines inklusiven Gesundheitssystems besteht.

(Zitiervorschlag: Schülle: Barrieren der Barrierefreiheit – Gesundheitsversorgung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung; Teil 1 – Empirische Erkenntnisse; Beitrag D33-2016 unter www.reha-recht.de; 25.08.2016)


I. Einleitung: Die Vision einer gleichberechtigten gesundheitlichen Teilhabe

Ausgehend von der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat das gesellschaftliche und politische Bewusstsein zur gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen – auch an gesundheitlichen Diensten – in den vergangenen Jahren zugenommen. Das Ziel einer gleichberechtigten gesundheitlichen Teilhabe für Menschen mit Behinderungen impliziert einen umfassenden und barrierefreien Zugang zu allen individuellen und bedarfsdeckenden Leistungen der Gesundheitsversorgung, Rehabilitation und Pflege, Gesundheitsförderung und Prävention.

Es stellen sich für das Gesundheitswesen die Fragen, welcher Maßnahmen es bedarf, wie diese gelingen können und wer die Verantwortung für die Realisierung trägt, so dass langfristig ein inklusives Versorgungssystem verwirklicht werden kann.

Im ersten Teil der Beitragsreihe werden empirische Ergebnisse zum Stand der gesundheitlichen Teilhabe insbesondere für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung dargestellt.

II. Barrieren der Barrierefreiheit in der Gesundheitsversorgung für behinderte Menschen

Eine umfassende Bewertung der Gesundheitsversorgung für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen ist derzeit weder national noch international möglich. Hinweise aus Wissenschaft und Praxis zeigen jedoch erhebliche Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung auf.

1. Nationale Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung behinderter Menschen

Für die BRD liegen erste Erkenntnisse zur Zufriedenheit mit der allgemeinen Gesundheitsversorgung (laut Selbsteinschätzung) vor. In Haushaltsuntersuchungen aus dem Jahr 2012/13 (Teilhabebericht[1]) wurden Frauen und Männer mit Behinderungen und Beeinträchtigungen zu ihrer Zufriedenheit mit ihrer gesundheitlichen Versorgung befragt. Die Männer gaben mit 64% an, sehr zufrieden bis zufrieden zu sein, 27% waren mäßig zufrieden und 7% unzufrieden bis sehr unzufrieden. 55% der Frauen waren im Vergleich dazu mit der gesundheitlichen Versorgung sehr zufrieden oder zufrieden. Anteilsmäßig ähnlich viele Frauen (10%) und Männer waren unzufrieden bis sehr unzufrieden.[2]

Im Hinblick auf die Zugänglichkeit[3] zu allgemeinen Gesundheitsleistungen beschäftigt sich der Teilhabebericht (2013[4]) lediglich mit dem Aspekt rollstuhlgerechter Praxisräume im ambulanten Sektor. Demnach bietet jede fünfte Allgemeinarztpraxis einen rollstuhlgerechten Zugang (ebenerdig oder mit Fahrstuhl) zu den Praxisräumen und diese sind vorwiegend barrierefrei[5] gestaltet. Nur in Ausnahmefällen sind auch behindertengerechte Parkplätze (4%), eine barrierefreie Toilette (2%) und flexible Untersuchungsmöbel (2%) vorhanden. Weitere Kriterien für barrierefreie Praxisgestaltung wie bspw. Informationsmaterialien in leichter Sprache oder Orientierungshilfen für Sehbehinderte, werden so gut wie gar nicht erfüllt. Für die Facharztpraxen stellt sich die Situation ähnlich dar.[6]

Im Rahmen der Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes (BGG) (2014)[7] wurden, neben den Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern, Mitglieder von Verbänden und Vereinen behinderter Menschen zur Barrierefreiheit im Gesundheitswesen befragt. Unter anderem wurde erhoben, ob es Beschwerden seitens der Mitglieder von Verbänden und Vereinen behinderter Menschen gab, die sich gegen das Gesundheitswesen richteten. Insgesamt gab es in 65,4% der Fälle (n = 631[8]) Beschwerden, die sich auf das Gesundheitswesen richteten. Dabei waren Kommunikationsschwierigkeiten (56%) und fehlende Wahlfreiheit in der ärztlichen Versorgung (46,7%) die häufigsten Beschwerdegründe. In 44,5% der Fälle wurden bauliche Gegebenheiten als Grund der Beschwerde benannt. Die Befragten aus Verbänden und Vereinen behinderter Menschen bewerteten die Auffindbarkeit und Nutzung der Gebäude von Krankenkassen mit „gut“ und die Kommunikation sowie die Website und Nutzbarkeit digitaler Medien als „befriedigend“. Die Krankenkassenbeschäftigen wurden zudem zur Barrierefreiheit von Arztpraxen und Rehabilitationseinrichtungen befragt. Mehrheitlich wurde angegeben, dass keine Informationen zur Barrierefreiheit vorliegen. Diejenigen, denen Informationen zur Barrierefreiheit von Arztpraxen und Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung stehen (9,2%, n = 447), gaben an, dass die niedergelassenen Praxen teilweise barrierefrei seien. Ein ähnliches Bild ergab sich für die Rehabilitationseinrichtungen.[9]

In einer Zufriedenheitsbefragung zu behördlichen Dienstleistungen des Statistischen Bundesamtes (2015)[10] wurden Menschen mit Behinderung u. a. zu ihrer Zufriedenheit mit Leistungen von Krankenkassen befragt. Die 880 befragten Personen gaben mit 1,17 Prozentpunkten auf einer Skala von -2 bis +2 an, grundsätzlich zufrieden mit den Krankenkassen und Pflegekassen zu sein. Der Faktor „Diskriminierungsfreiheit“ bei behördlichen Dienstleistungen wurde als zweithöchster Wert mit 1,36 Prozentpunkten nach der „Unbestechlichkeit“ (1,80 Prozentpunkten) angegeben. Am niedrigsten wurde die „Verständlichkeit des Rechts“ mit 0,28 Punkten bewertet. Die Wichtigkeit der Diskriminierungsfreiheit wurde mit 97% als höchster Wert in Bezug auf die Pflege- und Krankenkassen bewertet.[11] Demnach ist behinderten Menschen ein diskriminierungsfreier Zugang zu den Krankenkassen besonders wichtig und dieser wird weitgehend zufriedenstellend erfüllt.

Resümierend wird im o. g. Teilhabebericht festgehalten, dass (subjektive) Daten zur Erreichbarkeit, Verfügbarkeit, Nutzbarkeit und Erschwinglichkeit von Versorgungsangeboten weitestgehend fehlen. Ebenso bedarf es Daten zur wahrgenommenen Zufriedenheit bei der Inanspruchnahme, Bedarfsdeckung sowie zur Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen bei der Inanspruchnahme von gesundheitlichen Dienstleistungen. Der wissenschaftliche Beirat zum Teilhaberecht betont, dass neben den physischen Zugangsbarrieren auch inhaltliche Barrieren zu berücksichtigen seien. Die inhaltlichen Barrieren könnten bspw. Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme, Kommunikationsbarrieren, unerfahrenes Personal, fehlende Angebote zu Hausbesuchen oder Angst und Vertrauensverlust sein.[12]

Darüber hinaus liegen keine empirischen Daten zur gesundheitlichen Teilhabe vor, sodass nachfolgend die internationale Empirie dargestellt wird, die einen erweiterten Einblick bieten soll.

2. Internationale Erkenntnisse zur medizinischen Versorgung behinderter Menschen

Aus dem Weltbericht Behinderung (2001)[13] der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht hervor, dass Menschen mit Behinderungen mehr Gesundheitsversorgungsleistungen benötigen und ihre Bedarfe nicht hinreichend gedeckt sind. Die vorhandenen, aber ungedeckten Bedarfe verteilen sich über das ganze Spektrum der Gesundheitsversorgung, von Kuration, Rehabilitation und Pflege bis hin zu Prävention und Gesundheitsförderung[14].

Eine Ungleichheit in der allgemeinen Gesundheitsversorgung zeigt sich in der zahnärztlichen Versorgung. Eine australische Studie zeigt, dass eine reguläre zahnmedizinische Versorgung bei 41% der behinderten Kinder nicht erfolgt.[15]  Grundsätzlich ist zur Zahn- und Mundgesundheit bekannt, dass diese bei Menschen mit Behinderungen unzureichend und der Zugang zur zahnmedizinischen Versorgung besonders erschwert ist.[16] Es wird vermutet, dass der Grund hierfür in der schlechteren sozioökonomischen Situation vieler behinderter Menschen liegt.[17] In vielen Gesundheitsversorgungssystemen sind die Kosten der zahnärztlichen Versorgung teilweise privat zu tragen und sind damit eine Zugangsbarriere. Ebenso bestehen erhöhte Anforderungen an die Sensitivität und die Kompetenz des zahnärztlichen Personals sowie an die materielle Ausstattung.[18]

Gesundheitsförderungs- und Präventionsangebote werden selten für behinderte Menschen (mit-) konzipiert und erbracht. Sie erhalten seltener Vorsorgeuntersuchungen, seltener regelmäßige Gesundheits-Check-Ups und seltener eine Gesundheitsversorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.[19] Mehrere internationale Studien zeigen auf, dass Frauen mit Behinderung seltener Screenings für Brustkrebs und Gebärmutterkrebs erhalten.[20] Dies gilt insbesondere für Frauen mit geistiger Behinderung.[21] Behinderte Männer nahmen weniger Screenings für Prostatakrebs in Anspruch.[22]

Eine Untersuchung auf Basis qualitativer Interviews (n = 30) aus den USA zeigt, dass die Zugangsbarrieren umfassend und mehrschichtig sind. Nach Jessica Scheer et al. (2003)[23] können sie unterteilt werden in: Umweltbarrieren, strukturelle Barrieren des Gesundheitssystems und Ausführungsbarrieren der Leistungserbringenden.

Zu den Umweltbarrieren zählen der Transport zu den Einrichtungen des Gesundheitswesens und ihre baulich-räumliche Zugänglichkeit. Öffentliche Verkehrsmittel sind nicht durchgängig barrierefrei gestaltet, nicht flächendeckend vorhanden und Einrichtungen des Gesundheitswesens sind teilweise mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar.[24] Laut einer Untersuchung aus den USA von Kristi L. Kirschner et al. hatten 22% der Befragten Schwierigkeiten beim Aufsuchen der allgemeinmedizinischen und fachärztlichen Praxen aufgrund der nicht behindertengerechten physischen Umgebung.[25]

Die strukturellen Barrieren des Gesundheitssystems können eine inklusive Gesundheitsversorgung wesentlich beeinträchtigen. An übergeordneter Stelle werden diese von der gesundheitspolitischen Makroebene aus, z. B. in Deutschland mit Krankenhausplänen und der Bedarfsplanung in der vertragsärztlichen Versorgung, gesteuert. Bei Fehlsteuerungen können daraus Zugangshindernisse resultieren, wie bspw. ein Mangel an geeigneten und verfügbaren Versorgungsdiensten, ein limitierter Zugang durch private Finanzierung, Eigenanteile oder Zuzahlungen, die Zersplitterung und unzureichende Koordinierung der Dienste und unangemessene Bezahlung der Leistungserbringenden.[26]

Unter Ausführungsbarrieren der Leistungserbringenden wird an erster Stelle häufig der Mangel an Fachwissen der Professionellen im Gesundheitssystem zu behinderungsspezifischen Gesundheitsfragen genannt. Darunter fallen Probleme der Differenzierung zwischen Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung stehen und denen, die unabhängig von der Behinderung sind, sowie Unwissen, wie die behinderungsspezifischen Probleme zu behandeln sind. Darüber hinaus existiert teilweise die Annahme, dass Menschen mit Behinderungen nicht das gesamte Spektrum der möglichen Gesundheitsleistungen benötigen (bspw. wenn es um Fragen der sexuellen Fortpflanzung geht).[27]

Im Weiteren werden limitierte Zeitfenster bei der Konsultation und Schwierigkeiten bei der Terminfindung als kritische Barrieren des Zugangs angesehen. So berichteten bspw. mehr als die Hälfte der Teilnehmenden der Studie von Scheer et al., dass sie Schwierigkeiten bei der Terminfindung hatten. Gründe waren zu lange Wartezeiten und ungünstige Zeiträume, die bspw. mit den Zeiten öffentlicher Verkehrsmittel, der Fahrdienste oder begleitender Assistenz nicht kompatibel waren.[28]

3. Nationale Erkenntnisse aus der Praxis zur medizinischen Versorgung behinderter Menschen

Auch wenn die internationalen Erkenntnisse nicht unmittelbar auf Deutschland zu übertragen sind (u. a. aufgrund der unterschiedlichen finanziellen und strukturellen Gestaltung der Gesundheitssysteme[29]), besteht dennoch in der Literatur weitgehender Konsens darüber, dass für behinderte Menschen in Deutschland ebenso erhebliche fachliche als auch organisatorisch-strukturelle Mängel im Gesundheitswesen existieren.[30] Im Parallelbericht (Schattenbericht) der BRK-Allianz wird zu Art. 25 S. 1 UN-BRK (Gesundheit) darauf verwiesen, dass die Mängel den Ministerien, Sozialversicherungen und Leistungserbringern seit Langem bekannt und zudem gut dokumentiert sind.[31]

a) Umweltbarrieren

Wie bereits im o. g. Teilhabebericht dargestellt, sind durch die unzureichend barrierefreien Gebäude der Leistungserbringer Umweltbarrieren gegeben. Für Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen sind nur unzureichend barrierefreie gynäkologische Praxen vorhanden, v. a. solche, die neben der rollstuhlfreien Zugänglichkeit auch höhenverstellbare gynäkologische Stühle oder sog. Lifter bereitstellen. Ähnliche Probleme fehlender behinderungsgerechter medizinischer Ausstattung gibt es in der zahnärztlichen Versorgung.[32]

b) Strukturelle Barrieren des Gesundheitssystems

Durch die unzureichende bauliche und ausstattungsbedingte Barrierefreiheit ist das Recht auf freie Arztwahl (§ 76 SGB V) faktisch eingeschränkt und wird dadurch zusätzlich zu einer strukturellen Barriere. Die Wahlfreiheit ist eingeschränkt, wenn Menschen mit Behinderung darauf achten müssen, dass an ihrem Wohnort auch eine adäquate medizinische Versorgung möglich ist.[33]

Als strukturelle Barrieren des Gesundheitswesens werden von der BRK-Allianz insbesondere die allgemeinen »Privatisierungstendenzen« in der Gesetzlichen Krankenversicherung hervorgehoben und kritisiert. Menschen mit Behinderungen sind durch Zuzahlungen notwendiger Leistungen in besonderer Weise benachteiligt, bspw. weil Hilfsmittel, die zugleich Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs sind, von der Erstattungspflicht der Krankenkassen ausgeschlossen sind. Durch die zunehmenden Wettbewerbstendenzen unter den Krankenkassen wird der Druck auf gesundheitlich benachteiligte Versicherte verstärkt.[34] Nach wie vor ist ungelöst, wie Menschen mit Behinderung eine Chance erhalten können, gleichberechtigt in eine private Krankenversicherung aufgenommen zu werden oder eine Lebensversicherung abzuschließen. Zudem sind in der gesetzlichen Krankenversicherung Eigenbeteiligungen, Zuzahlungen und Aufzahlungen für Gesundheitsleistungen zu erbringen, die bei Menschen mit Behinderung deutlich häufiger anfallen und eine Benachteiligung darstellen.[35] Als weiteres spezifisches Problem sind die komplexen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen im Gesundheitsbereich als strukturelle Barriere zu sehen, welche die Betroffenen daran hindern können, ihre gesetzlichen Ansprüche zu verstehen und ggf. gerichtlich durchzusetzen. Damit wird auch einer gendergerechten Versorgung nicht entsprochen. Psychotherapeutische Angebote für Personen mit Behinderungen und schweren psychischen Erkrankungen[36] sind insbesondere unzureichend (im Verhältnis zu der allgemeinen Unzugänglichkeit dieses Versorgungsbereichs).[37] Es fehlen interkulturell kompetente und muttersprachliche Therapeuten und Therapeutinnen für behinderte Menschen mit Migrationshintergrund.[38] Im stationären Sektor wird das fallpauschalen-basierte Vergütungssystem (DRG) als Barriere angesehen, da es frühzeitige Entlassungen fördert, gerade bei Personen mit aufwendigem Pflegebedarf.[39] Grundsätzlich sind die strukturellen Versorgungsmängel in ländlichen Gebieten besonders hoch. Es gibt kaum angepasste Angebote, die wohnortnah und kurzfristig in Anspruch genommen werden können.[40]

c) Ausführungsbarrieren der Leistungserbringer

Als eine große Barriere durch Leistungserbringer wird für Deutschland neben dem unzureichenden Fachwissen die »Barriere in den Köpfen« betont.[41] Gemeint ist damit die Einstellung von ärztlichen Leistungserbringenden und Pflegenden gegenüber Menschen mit Behinderungen, die oft von Berührungsängsten und Stigmatisierung geprägt ist.[42]

III. Besondere Barrieren der Gesundheitsversorgung für geistig und mehrfach behinderte Menschen

Auch für geistig und mehrfach behinderte Menschen[43] fehlen für Deutschland wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zur Versorgungssituation und den Barrieren im Zugang zur Gesundheitsversorgung.[44] Nach internationalen Untersuchungen bestehen auch bei Menschen mit geistiger und/oder mehrfacher Behinderung Ungleichheiten in der gesundheitlichen Versorgung. Viele gesundheitliche Probleme werden nicht erkannt, zu spät diagnostiziert oder unzureichend begleitet.[45] Baxter et al. (2006) erhoben bei 51% von 190 untersuchten Erwachsenen mit geistiger Behinderung unerkannte medizinische Probleme, die behandelt werden mussten.[46]

Eine qualitative Untersuchung aus Norddeutschland konnte viele internationale Erkenntnisse für die BRD bestätigen. So wurde der Mangel an Durchführung von medizinischen Maßnahmen und Interventionen (bspw. Leistungen werden nicht verordnet) bestätigt, ebenso die mangelnden angemessenen Umweltbedingungen (bauliche Barrieren) als auch der Mangel an einer bedarfsdeckenden Facharztversorgung.[47]

Grundsätzlich kann bei Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung von gleichen Barrieren im Zugang zum Versorgungssystem wie für alle Gruppen behinderter und beeinträchtigter Menschen ausgegangen werden, allerdings mit einigen Besonderheiten. Alborz et al. (2005) zeigen auf, dass die Barrieren für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sich besonders auf die Kommunikation, die inadäquate Ausstattung der Einrichtungen (bspw. klare und einfache Beschriftungen), rigide (Untersuchungs-)Abläufe und ein Fehlen an benötigtem Fachwissen bei den allgemeinen Leistungserbringern beziehen.[48] Eine explorative Untersuchung in zwei Hamburger Bezirken zeigte für die vertragsärztliche Versorgung, dass die Anzahl von qualifizierten Haus- und Fachärzten unzureichend ist und dass sich für viele Betroffene die Suche nach geeigneten Leistungserbringern äußert problematisch darstellt.[49] Während der Suche wurde selten adäquat mit den Menschen umgegangen, bspw. wurde von »schroffem Umgang oder einer Kommunikation über den Betroffenen hinweg« berichtet. Gleichwohl wurde von allen Befragten eine vertrauensvolle Hausärztin oder Hausarzt gefunden, mit deren Betreuung sie zufrieden waren.[50]

Anders als der rechtliche und physische Zugang gestaltet sich der soziale Zugang zur medizinischen Versorgung. Während für Menschen mit körperlichen Behinderungen physische Barrieren im Vordergrund stehen und erst danach immaterielle Barrieren (z. B. Folgen von Stigmatisierung), stehen bei Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen soziale Barrieren im Vordergrund.[51] Eine Untersuchung aus Australien zeigt, dass für Menschen mit geistiger Behinderung die mangelnden Kenntnisse der Hausärztinnen und Hausärzte zu einem der größten Hindernisse einer adäquaten medizinischen Versorgung zählen.[52] Während der Konsultation komme es vermehrt zu Kommunikationsproblemen wegen fehlender Erfahrungen und nur unzureichendem Ausbildungswissen, zeitlich knapper Ressourcen oder unterschiedlichen Informationen, die die Leistungserbringer von den Patientinnen und Patienten und/oder der begleitenden Person erhalten.[53] Zu den Kommunikationsproblemen gehört auch der Sprachhabitus der Ärzteschaft, der selten verständlich für diese Patientinnen und Patienten ist.

Neben fehlenden Kenntnissen der Leistungserbringenden können auch Verhaltensweisen von Menschen mit geistiger Behinderung »Barrieren durch Klientfaktoren«[54] darstellen. Patientenbasierte Faktoren wie Verhaltensauffälligkeiten und Kommunikationsprobleme werden dann zur Barriere, wenn diese Mechanismen den Ärztinnen und Ärzten unbekannt sind und/oder von Patientinnen und Patienten nicht verbal ausgedrückt werden können. Beispielsweise kann (auto-)aggressives und destruktives Verhalten ein Ausdruck von Schmerzen sein.[55]

Die Wissensdefizite zum Behandlungsspektrum und der Behandlungspraxis als Ausführungsbarrieren der Leistungserbringenden werden besonders für autistische Patientinnen und Patienten, für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen, Demenz, geistiger Behinderung oder schweren Bewegungsstörungen benannt. In den Gesundheitsberufen werde dem Thema Behinderung weder in Aus-, Fort- und Weiterbildung ausreichend entsprochen und es erfolge keine Sensibilisierung für die Bedarfslagen und Menschenrechte der Menschen mit Behinderung, so die BRK-Allianz.[56] Lediglich dort wo sich entsprechende Einrichtungen befinden, wird auch die Kompetenz im Umgang und den besonderen Bedürfnissen aufgebaut, anderenorts fehlt das Wissen bei den Beschäftigten im Gesundheitssektor.[57]

Viele der angesprochenen Aspekte sind in der stationären Versorgung ähnlich.[58] Als positiv wurde von den Befragten der Hamburger Studie die weitestgehend räumliche Barrierefreiheit im stationären Bereich genannt. Allerdings wurden die Abläufe als inadäquat, intransparent und nicht nachvollziehbar beschrieben, was größtenteils aus den mangelnden zeitlichen Ressourcen des pflegenden Personals resultiert.[59] Die Problematik liegt bei Krankenhausaufenthalten in der Kontinuität und Besonderheit der Betreuung. Die notwendige Assistenz und Unterstützung für Menschen mit Behinderungen wird bei einem Krankenhausaufenthalt nur in Ausnahmefällen sichergestellt.[60]

IV. Fazit: Es bedarf weiterer Maßnahmen zur Verwirklichung eines inklusiven Gesundheitssystems

Auch wenn für Deutschland noch keine umfangreichen empirischen Daten zur gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderungen und ihrem Zugang zu diesem vorliegen, lassen internationale empirische Befunde und das Wissen aus der „Alltagsempirie“ folgende zusammenfassende Aussagen zu:

  • Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen haben viele unerfüllte Gesundheits- und Rehabilitationsbedürfnisse.
  • Im Zugang zum medizinischen Versorgungssystem existieren für Menschen mit Behinderungen verschiedenste und vielfältige bauliche, finanziell-strukturelle und kompetenzbezogene Barrieren.
  • Die medizinische Versorgung im Regelversorgungssystem genügt besonders dem speziellen Bedarf von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung nicht.

Überwiegend werden Menschen mit Behinderung in den gleichen Gesundheitseinrichtungen behandelt wie Menschen ohne Behinderung. Dieser Umstand ist aber nicht gleichbedeutend mit Inklusion. Menschen mit Behinderung sind auch in der Gesundheitsversorgung mit Benachteiligungen und unzureichender Bedarfs- und Leistungsgerechtigkeit konfrontiert.[61] Eine teilhabeorientierte Versorgung setzt differenzierte und gestufte Versorgungsangebote voraus, die jedem Menschen mit Behinderung eine angemessene Behandlung im allgemeinen Gesundheitssystem mit haus- und fachärztlicher ambulanter sowie stationärer Versorgung gewähren. Dies impliziert eine Versorgung, die den besonderen Bedarf von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt. Daher sind ebenso spezialisierte Dienste bei Bedarf – als Ergänzung zur Regelversorgung – verfügbar und erreichbar zu gestalten, dies ergibt sich u. a. auch aus Art. 25 UN-BRK.

Der Gesetzgeber hat bereits eine wesentliche gesetzliche Lücke im Zuge des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes behoben, indem er ermöglicht (durch §§ 43, 119c SGB V) Medizinische Zentren für Erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB) als Folgeeinrichtungen zu den Sozialpädiatrischen Zentren zu errichten. Es bleibt abzuwarten und zu beobachten, welchen Beitrag diese spezialisierten Zentren für erwachsene Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung als Ergänzung zur Regelversorgung auf dem Weg zu einem inklusiven Gesundheitssystem leisten können.

In darauf folgenden Beiträgen wird die rechtliche und praktische Implementierung dieser Medizinischen Zentren für Menschen mit geistiger Behinderung und für Mehrfachbehinderte aufgezeigt, die einen Beitrag zur gesundheitlichen Teilhabe leisten sollen.

Beitrag von Mirjam Schülle, M. Sc. (Universität Kassel)

Fußnoten:

[1] Hornberg/Schröttle/Puchert/Jugnitz/Schrimpf (2013): Lebenssituation und Belastung von Männern mit Behinderungen und Beeinträchtigungen in Deutschland – Haushaltsbefragung. BMAS-Forschungsbericht, Bd. 435, Bonn, S. 73 f.

[2] Ebd.

[3] Zugänglichkeit wird hier i. S. d. Art. 9 UN-BRK verstanden, welcher sowohl die Bedingungen/Barrieren in rechtlicher, sozialer und baulicher bzw. physischer Hinsicht einbezieht (Vgl. Trenk-Hinterberger (2013): Zugänglichkeit Art. 9, In: Kreutz/Lachwitz/Trenk-Hinterberger, (2013): Die UN-Behindertenrechtskonvention in der Praxis. Erläuterungen der Regelung und Anwendungsgebiete. Köln. S. 135, Rn. 10).

[4] Auf der Datengrundlage einer Sonderauswertung Arztauskunft der Stiftung Gesundheit, aufgearbeitet durch die Prognos AG (Hornberg et al., a. a. O.).

[5] Die Stiftung Gesundheit Fördergemeinschaft betreibt eine umfangreiche Datenbank zur Informationssammlung über barrierefreie Arztpraxen. Siehe auch (Stand 06.04.2016): www.stiftung-gesundheit-foerdergemeinschaft.de/projekte-und-vorhaben/projekt-barrierefreie-praxis/.

[6] Hornberg et al., a. a. O., S. 73.

[7] Welti/Groskreutz/Hlava/Rambausek/Ramm/Wenckebach (2014): Evaluation des Behindertengleichstellungsgesetztes. BMAS-Forschungsbericht, Bd. 445, Bonn.

[8] Mehrfachantworten waren möglich.

[9] Ebd.

[10] Statistisches Bundesamt (2015): Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mit behördlichen Dienstleistungen. Ausgewählte Ergebnisse der Zufriedenheitsbefragung 2015. Wiesbaden, abzurufen unter (Stand 06.04.2016): www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressekonferenzen/2015/zufriedenheitsbefragung/Pressebroschuere_zufriedenheitsbefragung.pdf;jsessionid=0D21582A73AEDA2A365D379AF4A6580E.cae1.

[11] Ebd., S. 86 ff.

[12] Hornberg et al., a. a. O., S. 73.

[13] World Health Organization (WHO) (2011): World report on disability. Geneva, S. 80 f., abzurufen unter (Stand 06.04.16): www.who.int/disabilities/world_report/2011/report/en; Zusammenfassung und Aktualisierung (2015) (Stand 06.04.16): www.who.int/mediacentre/factsheets/fs352/en/.

[14] Vertiefend dazu: Sandforth/Hasseler, (2014): Gesundheitsförderung bei Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen. In: Prävention und Gesundheitsförderung, S. 80–84. DOI: 10.1007/s11553-014-0432-7.

[15] Desai/Messer/Calache (2001): A study of the dental treatment needs of children with disabilities in Melbourne, Australia. In: Aust Dental J 46 (1).

[16] WHO, a. a. O.

[17] Oredugba (2006): Use of oral health care services and oral findings in children with special needs in Lagos, Nigeria. In: Special Care in Dentistry 26 (2), S. 59–65.

[18] BRK-Allianz (2013): Für Selbstbestimmung, gleiche Rechte, Barrierefreiheit, Inklusion! Erster Bericht der Zivilgesellschaft zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Hg. v. BRK-Allianz c/o NETZWERK ARTIKEL 3 e. V.

[19] WHO, a. a. O.; Drum/Peterson/Culley/Krahn/Heller/Kimpton/ et al. (2009): Guidelines and criteria for the implementation of community-based health promotion programs for individuals with disabilities. In: American journal of health promotion: AJHP 24 (2), S. 93–101.

[20] Proulx/Mercier/Lemétayer/Jutras/Major (2012): Access to breast cancer screening programs for women with disabilities. In: Journal of health care for the poor and underserved 23 (4), S. 1609–1619; Merten/Pomeranz/King/Moorhouse/Wynn (2015): Barriers to cancer screening for people with disabilities: a literature review. In: Disability and health journal 8 (1), S. 9–16.

[21] Greenwood/Dreyfus/Wilkinson (2014): More than just a mammogram: breast cancer screening perspectives of relatives of women with intellectual disability. In: Intellectual and developmental disabilities 52 (6), S. 444–455.

[22] Hoffman/Shumway-Cook/Yorkston/Ciol/Dudgeon/Chan (2007): Association of mobility limitations with health care satisfaction and use of preventive care: a survey of Medicare beneficiaries. In: Archives of physical medicine and rehabilitation 88 (5), S. 583–588; Ramirez/Farmer/Grant/Papachristou (2005): Disability and preventive cancer screening: results from the 2001 California Health Interview Survey. In: American journal of public health 95 (11), S. 2057–2064.

[23] Scheer/Kroll/Neri/Beatty (2003): Access Barriers for Persons with Disabilities. The Consumer's Perspective. In: JOURNAL OF DISABILITY POLICY STUDIES 13 (4), S. 221–230.

[24] Scheer et al., a. a. O.

[25] Kirschner/Breslin/Lezzoni (2007): Structural impairments that limit access to health care for patients with disabilities. In: JAMA 297 (10), S. 1121–1125.

[26] Scheer et al., a. a. O.; Kirschner et al., a. a. O.; Alborz/McNally/Glendinning, (2005): Access to health care for people with learning disabilities in the UK: mapping the issues and reviewing the evidence. Review article. In: Journal of health services research & policy 10 (3), S. 173–182.

[27] Scheer et al., a. a. O.; Kirschner et al., a. a. O.

[28] Scheer et al., a. a. O.

[29] Hasseler (2015): Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen als vulnerable Bevölkerungsgruppe in der gesundheitlichen Versorgung. Ausgewählte Ergebnisse einer qualitativ-explorierenden Untersuchung mit dem Fokus auf defizitären Erfahrungen. In: Rehabilitation 2015, 54: 369–374.

[30] Beispielhaft Bundesärztekammer (2013): Inklusion von Menschen mit Behinderung im Sinne der UN-BRK aus der Sicht der Bundesärztekammer. In: GVG (2013): Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Ein Zwischenstand. Köln, abzurufen unter: gvg.org//cms/medium/195/schriftenreihe74_leseprobe.pdf; Bundesverband Evangelische Behindertenhilfe e. V. (BEB) (2001): Gesundheit und Behinderung. „Expertise zu bedarfsgerechten gesundheitsbezogenen Leistungen für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung als notwendiger Beitrag zur Verbesserung ihrer Lebensqualität und zur Förderung ihrer Partizipationschancen. Diakonie-Verlag, abzurufen unter: www.beb-ev.de/files/pdf/2010/2010-05-08ExpertiseGesundheitundBehinderung2001.pdf.

[31] Z. B. durch die Publikationen der Tagungsreihe »Teilhabe braucht Gesundheit«, die von Hubert Hüppe (ehemaliger Behindertenbeauftragter der Bundesregierung) veranlasst und durchgeführt wurde. Abrufbar unter (Stand 06.04.2016): www.brk-allianz.de/index.php/parallel-bericht.html.

[32] Ebd.

[33] Weber (2015): Umsetzung der UN-BRK in der medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderungen. Stand und Perspektiven. In Sozialer Fortschritt 11/2015, S. 273–279.

[34] Ebd.

[35] Schmidt-Ohlemann (2015): Gesundheit und Rehabilitation in einem inklusiven Gemeinwesen. In Degener/Diehl (2015): Handbuch Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe. Bonn, S. 204–216; MGEPA (2013): 22. Landesgesundheitskonferenz NRW „Von der Integration zur Inklusion: Gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen verbessern. Abzurufen unter (Stand 05.04.2016): www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/gesundheit/LGK_2013_Entschliessung.pdf.

[36] Heinnicke (2013): Zur psychosozialen Versorgungssituation geistig behinderter Menschen mit zusätzlichen Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Störungen. In: Bienstein/Rojahn (Hg.): Selbstverletzendes Verhalten bei Menschen mit geistiger Behinderung. Grundlagen, Diagnostik und Intervention. Göttingen: Hogrefe, S. 228–250.

[37] Koch/Vogel/Holzmann/Pfennig/Salize/Puschner/Schützwohl (2014): MEMENTA-'Mental healthcare provision for adults with intellectual disability and a mental disorder'. A cross-sectional epidemiological multisite study assessing prevalence of psychiatric symptomatology needs for care and quality of healthcare provision for adults with intellectual disability in Germany: a study protocol. In BMJ open 4 (5), S. e004878.

[38] Julia Zinsmeister gibt in dem Zusammenhang zu bedenken, dass die staatliche Behindertenpolitik bis heute kaum interkulturelle Ansätze zeigt. Das sozialstaatliche Engagement zielt vor allem auf die (Wieder-) Eingliederung behinderter Menschen in den Arbeitsmarkt. Zinsmeister (2014): Additive oder intersektionale Diskriminierung? In: Wansing/Westphal (Hg.): Behinderung und Migration. Inklusion Diversität Intersektionalität. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 265–283.

[39] Bartz/Bienstein (2007): Ich muss ins Krankenhaus … und nun? Dokumentation der Kampagne 2006/2007. ForseA e. V.

[40] BRK-Allianz, a. a. O.

[41] Seidel (2013a): „Barrierefreiheit beginnt mit der Wertschätzung der Menschen“. In: Deutsches Ärzteblatt 110 (33-34), S. A1549-A1550.

[42] Bartz et al., a. a. O., BRK-Allianz, a. a. O.

[43] An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Differenzierung nach der Behinderungsart geistige und mehrfache Behinderung und allen Behinderungsarten in der Literatur äußerst unscharf ist. Grund dafür sind vermutlich die ungenauen und differierenden Definitionen, ebenso die große Unterschiedlichkeit und Spezifik der individuellen Ausprägungen der Behinderungen der einzelnen Personen.

[44] Steffen/Blum (2012): Menschen mit geistiger Behinderung. Defizite in der Versorgung. Ergebnisse einer explorativen Untersuchung in zwei Hamburger Bezirken. In: Deutsches Ärzteblatt 109 (17), S. A860-A862.

[45] Havercamp/Scott (2015): National health surveillance of adults with disabilities, adults with intellectual and developmental disabilities, and adults with no disabilities. In: Disability and health journal.

[46] Baxter/Lowe/Houston/Jones/Felce/Kerr (2006): Previously unidentified morbidity in patients with intellectual disability. In: British Journal of General Practise 56 (523), S. 93–98.

[47] Hasseler, a. a. O. [48]   Dies konnte in der jüngsten Studie auch Hasseler (2015) nachweisen. A. a. O. [49] Steffen et al., a. a. O.

[50] Flathmann/Nicklas-Faust (2013): Bedarfe von Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Familien in der Gesundheitsversorgung. In: Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung 10 (1), S. 19–22.

[51] Weber, a. a. O.

[52] Lennox/Diggens (1997): The general practice care of people with intellectual disability: Barriers and solutions. In: Journal of Intellectual Disability Research (41), S. 380–390.

[53] Brown/Percy (Hg.) (2007): A comprehensive guide to intellectual and developmental disabilities. Baltimore, Md.: Brookes.

[54] Haveman/Stöpper, a. a. O.

[55] Ebd.

[56] BRK-Allianz, a. a. O.

[57] Weber, a. a. O.

[58] Stockmann/Martin (2013): Spezielle Bedarfslagen der gesundheitlichen Versorgung im Krankenhaus von Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung aus der Sicht eines spezialisierten Krankenhauses. In: Medizin für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung 10 (1), S. 46–49.

[59] Steffen/Blum, a. a. O.; Seidel, a. a. O.; Bartz/Bienstein, a. a. O.

[60] Weber, a. a. O.

[61] MGEPA, a. a. O.


Stichwörter:

Gesundheitsversorgung, Menschen mit geistiger Behinderung, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Zugänglichkeit, Barrierefreiheit


Kommentare (1)

  1. Ursula Goldschmidt
    Ursula Goldschmidt 18.06.2017
    Frau Schülle beschreibt sehr genau, wie die Realität für Menschen mit geistiger Behinderung aussieht.

    Das Problem fängt bei Personen, die in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe leben, schon früher an: der Bedarf, einen Arzt aufzusuchen, Präventionsmaßnahmen zu nutzen, mit dem Bewohner verhaltenstherapeutisch zu arbeiten, wird gar nicht erst erkannt. Nach einem Besuch des Arztes können angeordnete Maßnahmen wegen verschiedener Regelungen, die im Heim gelten, nicht umgesetzt werden.

    Drei Beispiele:
    Die Bewohnerin (geistig behindert, Pflegegrad 5) klagt über Schmerzen, bewegt sich anders, als sonst und möchte nicht in die Behindertenwerkstatt. Sie wurde morgens von einer Person versorgt, die keinerlei pflegerische Ausbildung hat. Diese weist die Bewohnerin an, in den Bus zu steigen mit dem Hinweis, dass es im Sitzen schon besser werde. Später ruft die Gruppenleitung der Werkstatt die Eltern an und bittet darum, die Bewohnerin abzuholen. Im Heim sei wie tagsüber üblich niemand zu erreichen. Diese weine vor Schmerzen. Die junge Frau wird ihrer Hausärztin vorgestellt, die eine akute Ischialgie diagnostiziert. Gegen die Schmerzen wird ein Medikament verordnet. Unterstützend soll sie Wärmeanwendungen erhalten. Und schon beginnt das Problem: Salben sind wegen zahlreicher Allergien nicht möglich, eine Wärmflasche ist im Heim verboten (Verbrühungsgefahr), Kirschkernkissen auch nicht (Explosionsgefahr), Körnerkissen ebenfalls nicht (Brandgefahr). Die Funktonsgymnastik kann nicht ausgeführt werden, weil das Heim keine Begleitung stellen kann (Personalmangel), Eingliederungshilfe, Krankenkasse und Pflegekasse sich für nicht zuständig erklären - also keine Funktionsgymnastik.
    Der Bewohnerin wird ein Brillenhämatom durch eine Mitbewohnerin geschlagen. Sie klagt anschließend über Zahnschmerzen. Das blaue Auge wird nicht gesehen, die Zahnschmerzen versucht die Hilfskraft (Fachkraft nicht anwesend) mit gutem Zureden zu lindern. Am nächsten Tag wird sie in die Werkstatt geschickt. Weiteres Procedere s.o..
    Bewohnerin (Allergikerin, Neurodermitis) klagt über starken Juckreiz und kratzt sich die Arme blutig. Dem wird mit pädagogischen Mitteln erfolglos begegnet. Vorstellung beim Hautarzt erfolgt nicht. Nach Wechsel des Waschmittels im Heim hört der Juckreiz auf.

    Pflegestandards existieren - gelten aber nur bedingt in Einrichtungen der Eingiederungshilfe.Kontrolle des tatsächlichen Pflegezustands weder durch den MdK, noch durch die Heimaufsicht.
    Präventionsmaßnahmen existieren - scheitern aber an der Begleitung zur und während der Maßnahme.
    Recht auf Krankenhausbehandlung existiert - scheitert aber am Personalmangel auf den Stationen explizit an Kenntnissen im Umgang mit dieser Behindertengruppe.
    Anspruch auf Psychotherapie existiert - scheitert aber in der Regel, weil es kaum niedergelassene Therapeuten gibt, die mit dieser Klientel arbeiten will (Pillen sind einfacher)

    Ich empfinde diese Situation als menschenunwürdig. Niemand fühlt sich für Beschwerden zuständig, denn in den Konzepten steht, dass alles ok ist. Die Menschen mit geistiger Behinderung werden nicht gehört.

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