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- 19.09.2017 Beitrag D39-2017
- 08.09.2017 Beitrag D37-2017
Alice Dillbahner, Eva Nachtschatt und Matthias Liebsch berichten über das 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht, welches am 2. und 3. März 2017 in Berlin stattfand. Inhaltlich beschäftigte sich die Tagung mit den Auswirkungen der Digitalisierung und Internationalisierung auf das Arbeitsrecht. Die Tagung setzte sich aus Plenumsvorträgen und verschiedenen Foren zu den Themen Bundesteilhabegesetz, dem weiterentwickelten Pflegerecht, dem Arbeitszeitschutz, aktuellen Fragen des Tarifrechts und der Unternehmensmitbestimmung sowie der Betriebsverfassung im 21. Jahrhundert zusammen.
In diesem zweiten Teil des Beitrages berichten die AutorInnen vom Forum 1 zum Thema Bundesteilhabegesetz und Teilhabe im Betrieb. Zunächst wurde auf die Entstehung des Bundesteilhabegesetzes und wesentliche Neuerungen eingegangen. Anschließende Themen waren u.a. das Verfahren der Bedarfsermittlung und -feststellung bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, das Eingliederungsmanagement, der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt, die berufliche Rehabilitation sowie die Rolle des Integrationsfachdienstes. In einer kritischen Zusammenfassung wurden nochmals wichtige Punkte wie die Chancen, die in dem Budget für Arbeit liegen, hervorgehoben, bevor das Forum mit einer Podiumsdiskussion endete.
(Zitiervorschlag: Dillbahner/Nachtschatt/Liebsch: Tagungsbericht Berlin 11. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht – Teil 2; Beitrag D38-2017 unter www.reha-recht.de; 13.09.2017.)
Zu Beginn referierte Dr. Steffen Luik (Landessozialgericht Baden-Württemberg) über die Entstehung und die Entwicklung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Dabei betonte Luik besonders die drei Stufen des In-Kraft-Tretens der gesetzlichen Regelungen und ging kurz auf diese ein. Als vierte Stufe komme das Jahr 2023, in dem die Bestimmung bezüglich des leistungsberechtigten Personenkreises neu geregelt werde, in Betracht. Zum besseren Verständnis erörterte Luik die Hintergründe des BTHG, insbesondere die Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) der Vereinten Nationen. Sie sei der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Die Neuregelung des SGB IX als Ausfluss der UN-BRK müsse auch in ihrem Sinne, nach Ziel und Zweck (Art. 1) ausgelegt werden. Daher sollen sich die einzelnen neuen Begriffe und gesetzlichen Regelungen im Lichte der spezifischen Artikel der UN-BRK auswirken und entfalten. In dem Entschließungsantrag vom 01.12.2016[1] wurde festgehalten, dass der Deutsche Bundestag von den Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Kommunen erwarte, dass diese die neu geschaffenen Regelungen des BTHG in der Rechtsanwendung im Lichte der UN-BRK umsetzten. Als Auslegungshilfen seien zum Beispiel Art. 19 (Unabhängige Lebensführung) für das selbstbestimmte Wohnen und bei Assistenzleistungen, Art. 20 (persönliche Mobilität) für die Regelungen zu KFZ-Hilfen und Art. 24 (Bildung) für inklusive Bildung heranzuziehen. Der neue erste Teil des SGB IX wird zum 01.01.2018 in Kraft treten. Dabei sind unter anderem die Neudefinition des Behindertenbegriffs in § 2 Abs. 1 SGB IX, die neue Leistungsgruppe der Leistungen zur Teilhabe an Bildung in § 5 SGB IX und das verbindliche Teilhabeverfahren in §§ 19 ff. SGB IX zu nennen.[2] Zur Teilhabeplanung wurde das Urteil des BSG vom 07.09.2010, 5 R 104/08 R[3], genannt. Die Entscheidung nennt für das "rehabilitative Gesamtkonzept" als wesentliche Bestandteile die Einheitlichkeit der Leistungen verschiedener Träger, Frühzeitigkeit der Festlegung sowie einen inneren Zusammenhang. § 19 SGB IX n. F. beschreibt die Teilhabeplanung und in der Gemeinsamen Empfehlung vom "Reha-Prozess"[4] vom 01.08.2014 bildet diese eine der fünf Phasen des idealen Reha-Verfahrens. Die Notwendigkeit eines Teilhabeplanverfahrens zur Sicherung von Grundrechten im Verwaltungsverfahren seien bereits der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 08.10.1997[5] zu entnehmen. Die dritte Phase des "idealen" Reha-Verfahrens bilde, nach der Bedarfserkennung und Bedarfsfeststellung und vor der Durchführung von Leistungen und der Sicherung des Erfolges, die Teilhabeplanung nach § 19 SGB IX. Die Ermittlungen nach § 20 Abs. 1 der Gemeinsamen Empfehlungen Reha-Prozess müssten folgende Informationen zu Tage bringen: Schädigungen, d. h. Art und Schwere der Behinderung, Beeinträchtigungen der Aktivitäten und/oder Teilhabe (Auswirkungen der Behinderung), vorhandene Ressourcen, personen- und umweltbezogene Kontextfaktoren, besondere Bedürfnisse behinderter Frauen und Kinder, leistungsbezogene Ziele und Wünsche des behinderten Menschen, Gründe für die Erforderlichkeit der Leistungen, Ziel, Art, Umfang, inhaltliche Ausgestaltung der Leistungen, Angabe, ob ein Persönliches Budget gewünscht wird, voraussichtlicher Beginn, Dauer und Ort der Leistungen, organisatorische und zeitliche Abläufe (v. a. bei verzahnten und sich überschneidenden Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe) sowie die Klärung, welche Rehabilitationsträger und ggf. sonstige Dritte zu beteiligen sind. Weiter erörterte Luik die neuen Regelungen in §§ 14–18 SGB IX zur Zuständigkeit der Leistungsträger und zur Selbstbeschaffung von Leistungen. Abschließend wurden überblicksmäßig weitere Neuerungen ab dem 01.01.2018 und 01.01.2020 vorgestellt, dazu zählen u. a. die Neuregelung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes, das Gesamtplanverfahren, auch die Thematik des leistungsberechtigten Personenkreises wurde angesprochen.
Über die "Rechte der Schwerbehindertenvertretung" referierten Daniel Hlava (Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht, Frankfurt a. M.) und Alfons Adam (Schwerbehindertenvertretung Daimler AG, Bremen). Hlava stellte in einem ersten Teil die gesetzlichen Änderungen der Schwerbehindertenvertretung vor. Die Regelungen zum Schwerbehindertenrecht traten zum 30.12.2016 in Kraft, wobei sich noch Änderungen bei den Paragraphen-Nummerierungen zum 01.01.2018 ergeben werden.[6] Der Vortragende ging auf die Änderungen in den §§ 96 Abs. 4 Satz 2 SGB IX n. F. (Freistellungsanspruch der Vertrauensperson), 95 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB IX n. F. (Heranziehung von Stellvertretern), 94 Abs. 1 Satz 1 SGB IX n. F. (Öffnung von Vertretungsfällen), 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n. F. (Unwirksamkeitsklausel bei Kündigungen), 96 Abs. 4 Satz 3 SGB IX n. F. (Schulungsanspruch für Stellvertreter) und 96 Abs. 8 SGB IX n. F. (Kostentragung für Bürokraft) ein. In § 94 SGB IX n. F. wird ein Absatz 8 (Verweis auf § 21a BetrVG – Übergangsmandat) eingefügt. In einem zweiten Teil berichtete Adam von der aktiven Mitwirkung an der Entstehung des Bundesteilhabegesetzes. Wichtige Forderungen umfassten die Verbesserung der Informations- und Anhörungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen insbesondere bei personellen Einzelmaßnahmen. Die Neuregelungen seien zunächst zu begrüßen, bärgen aber viele Unklarheiten in sich, z. B. in welchem Umfang der Schwerbehindertenvertretung eine Bürokraft zusteht. Adam gab abschließend zu bedenken, die betriebliche Umsetzung der Neuregelungen werde die Betriebspartner vor Herausforderungen stellen.
In einem dritten Vortrag referierte Michael Schubert (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation [BAR], Frankfurt a. M.) über die „Bedarfsermittlung und Bedarfsfeststellung bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben“. Schubert erläuterte die einzelnen Phasen des Verfahrens eines idealisierten Rehabilitationsprozesses. Dieses umfasse Bedarfserkennung, Bedarfsfeststellung durch den Leistungsträger (Leistungsbemessung, Bestimmung der Teilhabeziele) sowie die Durchführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA – Leistungsplanung und -anpassung, Konkretisierung der Teilhabeziele) und Re-/Integration in Arbeit (nachhaltige Beschäftigung). Ein Leistungsbegehren unterliegt dem Antragserfordernis. Der Bedarf an Teilhabeleistungen sei im Ergebnis umfassend, weshalb die Prüfung und Feststellung leistungsgruppen- und rehabilitationsübergreifend zu erfolgen habe. Der individuelle Teilhabebedarf, der zu mehreren Leistungen führen könne, müsse bei der Bedarfsermittlung auch erkannt werden. Dadurch solle eine Stärkung des Teilhabeplanverfahrens erreicht werden (§§ 19 ff. SGB IX n. F.). Im Rahmen der Leistungsverantwortung bei Zusammentreffen mehrerer Rehabilitationsbedarfe sehe § 15 SGB IX n. F. vor, dass ein leistender Rehabilitationsträger für andere Träger Bedarfe feststelle und kostenwirksam über Leistungen aus deren Zuständigkeitsbereich entscheide[7]. § 13 SGB IX n. F. sehe nun zur Bedarfsermittlung die Heranziehung von systematischen Arbeitsprozessen und standardisierten Arbeitsmitteln (Instrumenten) vor. Zu diesem Zweck sollen die Reha-Träger trägerübergreifende Grundsätze für die Instrumente der Bedarfsermittlung nach § 26 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX n. F. (Gemeinsame Empfehlungen) vereinbaren. Die Erarbeitung von gemeinsamen Grundsätzen zur Bedarfserkennung, Bedarfsermittlung und Koordinierung von Rehabilitationsmaßnahmen und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit zählten zu den Aufgaben der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR, § 39 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX n. F.). Die Mindestanforderungen an die Instrumente werden in § 13 Abs. 2 SGB IX n. F. beschrieben. Individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung sowie passgenaue Leistungen seien maßgeblich für die individuellen Teilhabechancen. Entsprechend sei ein übergreifender fachlicher Entwicklungsprozess von gemeinsamen Grundlagen erforderlich, da die Bedarfsermittlung im gegliederten System einheitliche und übergreifend angewandte Grundlagen benötige. Abschließend stellte Schubert das b3-projekt der BAR vor. Ziel des Projektes sei die Erarbeitung eines Bedarfsermittlungskonzeptes. Dieses solle den zahlreichen bestehenden Instrumenten/Verfahren zur Bedarfsermittlung einen einheitlichen Bezugsrahmen bieten. Dieser orientiere sich an dem bio-psycho-sozialen Modell und solle flexibel genug sein, um sich weiterzuentwickeln. Aus den Erhebungen habe sich ergeben, dass die grundlegenden Anforderungen an die Bedarfsermittlung umfassend, funktionsbezogen, individuell, zielorientiert, inter-/multidisziplinär, transparent, Lebenswelt/-sozialraumorientiert und partizipativ ausgestaltet sein sollten. Weiter solle das Projekt die Vielzahl aktuell eingesetzter Instrumente und Verfahren der Bedarfsermittlung systematisieren und eine übersichtliche Datenbank (Toolbox) hervorbringen, welche die Zuordnungen der Instrumente zum bio-psycho-sozialen Modell enthält.
Den ersten Teil rundete Werner Mall (AOK Nordost) mit einem Vortrag über „Eingliederungsmanagement – Unterstützung durch Krankenkassen“ ab. Mall gab einen Überblick zu Leistungen der AOK an Versicherte, Betriebe und zur betrieblichen Gesundheitsförderung. Zu den Unterstützungsangeboten an Versicherte zählten u. a. die stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX/ § 74 SGB V sowie das Case-Management. Als mögliche Leistungen an Arbeitgeber kämen in diesem Zusammenhang Seminare für Führungskräfte zur Umsetzung des BEM[8], Gespräche oder Unterstützung bei der Etablierung einer BEM-Struktur im Betrieb, als Orientierungshilfe in der Form eines „Wegweiser für die Praxis“ in Betracht. Die AOKNordost biete auch eine bedarfsgerechte Beratung, fundierte Analysen, angepasste Konzepte, Workshops, Seminare und Kurse an. Im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (§ 20b SGB V) werde in Kürze ein Beratungs- und Informationsportal online[9] gestellt. In diesem Zusammenhang werde eine Ist-Situationen-Analyse durchgeführt. Darauf folgten die Auswahl geeigneter Mittel und deren Umsetzung. Die Maßnahmen umfassten Angebote sowohl für Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer zu Organisation und Arbeitsbedingungen. Abschließend werde eine erneute Bewertung der Situation durchgeführt.
Im zweiten Teil des Forums 1 gab zunächst Prof. Dr. Katja Nebe (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) einen Einblick in die Rechtsgrundlagen für Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.[10] Die Empirie zeige, dass Deutschland hinter den Forderungen der UN-BRK zur Gewährleistung eines gleichberechtigten Zugangs zu einem inklusiven Arbeitsmarkt auch für Menschen mit Behinderungen zurückbleibe. Zwar gebe es zahlreiche Normen, die eine behinderungsbedingte Diskriminierung verböten, dennoch bestünden Reserven bei deren Implementierung. Konkrete Handlungsaufträge werden durch den Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung formuliert (NAP 2.0), an dem sich die Rechtspraxis orientieren könne. Im Rahmen der Staatenprüfung durch den UN-Fachausschuss wurde trotz nationaler Bemühungen unter anderem der mangelnde „Abbau von Sonderbildungs- und Sonderarbeitswelten“ kritisiert sowie eine „Sensibilisierung“ und eine „stärkere Menschenorientierung“ gefordert.[11] National könne diese Kritik dazu genutzt werden, um Modelle für den Übergang aus Sonderarbeitswelten rechtlich und finanziell zu stärken. Hierzu gehöre insbesondere das Budget für Arbeit, welches ab dem 01.01.2018 in § 61 SGB IX n. F. als erster Schritt verankert sein wird und Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt konventionskonform zu gestalten. Zudem müsse aber auch das Bewusstsein in der „normalen“ Arbeitswelt für das Thema sensibilisiert werden. Der Übergang müsse zudem so frühzeitig wie möglich erfolgen, um die Kluft zum allgemeinen Arbeitsmarkt einzudämmen. Bereits eine möglichst betriebsnahe Berufsausbildung und Rehabilitation seien arbeitswissenschaftlich vorzugswürdig und haben sich daher auch in verschiedenen Leistungsansprüchen durchgesetzt. Beispielsweise seien zu nennen die Unterstützte Beschäftigung gemäß § 38a SGB IX/ § 55 SGB IX n. F. sowie die Pflicht der Reha-Einrichtungen nach § 35 Abs. 2 SGB IX, Teile der beruflichen Ausbildung in Betrieben oder Dienststellen durchzuführen. Durch das Budget für Arbeit sei ab 01.01.2018 in dem verbindlich normierten dauerhaften Lohnkostenzuschuss und in der Arbeitsbegleitung behinderter Menschen die Chance zu sehen, Betrieben die berufliche Ausbildung behinderter Menschen zu ermöglichen. Schließlich könnten Tarifverträge, Betriebs- und Inklusionsvereinbarungen belastbare Rechtspflichten normieren und so in der Wechselwirkung von Arbeits- und Sozialrecht zu einer inklusiven Arbeitswelt beitragen.
Sodann berichtete Jana Block (Bundesagentur für Arbeit [BA], Nürnberg) über die Berufliche Rehabilitation durch die BA. Es sei für die BA schwer, behinderte Menschen außerhalb von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) in eine Ausbildung zu führen. Zwei Drittel der durch die BA betreuten Behinderten sind junge Menschen. Derzeit seien 43.000 bis 45.000 Ausbildungsstellen unbesetzt, jedoch bewerbe sich auf diese Ausbildungsstellen regelmäßig nur ein Prozent der Jugendlichen mit Behinderungen. Zudem würden ein Viertel der eingegangenen Ausbildungsverhältnisse – oftmals durch einen Wechsel der Ausbildungsstätte – wieder beendet. Im Handwerk sei zu überlegen, ob eine behinderungsgerechte Fortbildungsordnung in Betracht gezogen werden sollte. Ferner fehle es vielen KMU[12] an der Ausbildungsberechtigung behinderter Menschen.[13] Die BA könne insoweit eine Berufsberatung anbieten, welche jedoch nur der Berufsorientierung diene; den Betroffenen also dabei unterstützt, eine zumutbare und angemessene Berufung zu finden. In diesem Zusammenhang leiste die BA insbesondere Berufsorientierungsmaßnahmen nach § 48 Abs. 3 SGB III und Berufseinstiegsbegleitungen nach § 49 SGB III. Durch das BTHG gehören Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 5 Nr. 4 SGB IX n. F. nicht mehr zur Leistungsgruppe der Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft und Leistungen zur Teilhabe an Arbeit. Sie bildet ab dem 01.01.2018 ausdrücklich eine eigene Leistungsgruppe.[14] Problematisch seien derzeit noch die Finanzierungsfragen, da insoweit als Adressaten sowohl die Schulen als auch die Länder, Kommunen und die BA in Betracht kämen. Schließlich sollen auch die Interessenvertretungen vor Ort einbezogen werden, um den Übergang von der WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt attraktiv gestalten zu können.
Daraufhin referierte Prof. Dr. Renate Bieritz-Harder (Hochschule Emden/Leer) zur Rolle der Integrationsfachdienste und zu den sonstigen Leistungserbringern. Die Integrationsfachdienste befänden sich an einer Schnittstelle zwischen Integrationsämtern und BA. In dieser Rolle seien sie als trägerübergreifende Dienste kodifiziert, demnach aber auch stets von der Beauftragung durch die einzelnen Reha-Träger abhängig. Zweck der Integrationsfachdienste sei die Beratung schwerbehinderter Menschen sowie die Information und Beratung der Arbeitgeber bei der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben. Die gesetzlichen Grundlagen der Integrationsfachdienste werden aufgrund des BTHG mit Wirkung zum 01.01.2018 in den §§ 192 ff. SGB IX n. F. zu finden sein. Hierbei wurden als Aufgaben der Integrationsfachdienste in § 193 Abs. 2 SGB IX n. F., insbesondere die Berufsorientierung und Berufsberatung in schulischen Einrichtungen (Nr. 1) und die Begleitung betrieblicher Ausbildung (Nr. 3), ausdrücklich festgelegt. In diesem Zusammenhang könnten Integrationsfachdienste deutlich zur Verbesserung der Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen, so dass sie als stetige Begleiter im Übergangsprozess beteiligt werden sollten. Faktisch würden Integrationsfachdienste durch die Reha-Träger aus Kostengründen jedoch kaum noch beauftragt. Insgesamt sei die Bedeutung der Integrationsfachdienste hoch, sofern sie zuständigkeitsgerecht beauftragt werden. Letztlich müsse daher eine trägerübergreifende Kooperation gefordert werden, in welcher die Integrationsfachdienste ihre Stellung einnehmen können.
Abschließend fasste Christoph Beyer (Integrationsamt Landschaftsverband Rheinland, Köln) die Vorträge kritisch zusammen. Zunächst machte Beyer darauf aufmerksam, dass nach seiner Erfahrung viele Betriebe gewillt seien, behinderungsgerechte Ausbildungsplätze zu schaffen. Ob bei unwilligen Arbeitgebern eine Sanktionierung erfolgen sollte, sei eine politische Entscheidung. Ferner seien die Integrationsfachdienste bei Schnittstellenproblemen zwischen den Reha-Trägern gute Vermittler. Beyer kritisierte die finanziellen Restriktionen, welche der Einbeziehung von Integrationsfachdiensten oftmals entgegenstünden. Weiter ging er auf die Bedeutung der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung im Zustimmungsverfahren bei den Integrationsämtern zur Kündigung eines schwerbehinderten Menschen ein und begrüßte eine intensive Kooperation. Beyer forderte die stärkere Einbeziehung der Integrationsämter in Fragen der Berufsausbildungsvorbereitung nach den §§ 68 ff. Berufsbildungsgesetz (BBiG) und der Fortbildungsordnung nach § 42 Handwerksordnung (HwO). Beyer befürwortete das Budget für Arbeit als Schnittstelle zwischen Sozial- und Arbeitsrecht und gab zugleich die Möglichkeit eines Budgets für Ausbildung zu bedenken.
In der anschließenden Podiumsdiskussion wurde der Zeitpunkt der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung thematisiert. Adam gab zu bedenken, dass die Anhörung nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unverzüglich zu erfolgen habe. Weiter wurde eine Vereinheitlichung der Vorgehensweise regionaler BA-Arbeit gefordert. Auch wurde die Barrierefreiheit von Arbeitsstätten als wesentlicher Indikator für behinderungsgerechte Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt herausgearbeitet.
Beitrag von Alice Dillbahner (B.A.), Mag. Iur. Eva Nachtschatt, beide Universität Kassel, Ass. Iur. Matthias Liebsch, Zentrum für Sozialforschung Halle e. V.
[1] BT-Drs. 18/10528, S. 2.
[2] Ramm, Welti: „Eingliederungshilfe für ein Studium nach einer Berufsausbildung ist angemessen – gleiche Bildungschancen sind entscheidend“; Sozialgericht Düsseldorf, Beschluss vom 20.04.2010, S 17 SO 138/10 ER; Forum A – 6/2010 unter www.reha-recht.de); Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 1: Das Recht auf Bildung; Beitrag D20-2017 unter www.reha-recht.de; 31.05.2017.)
[3] BSG Urteil vom 07. September 2010 – B 5 R 104/08 R –, SozR 4-3250 § 49 Nr. 1.
[4] Gemeinsame Empfehlung zur Erkennung und Feststellung des Teilhabebedarfs, zur Teilhabeplanung und zu Anforderungen an die Durchführung von Leistungen zur Teilhabe (Reha-Prozess) gemäß §§ 12 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, 13 Abs. 2 Nr. 2, 3, 5, 8 und 9 SGB IX vom 1. August 2014, abrufbar unter http://www.bar-frankfurt.de/publikationen/produktdetails/produkt/91/.
[5] 1 BvR 9/97 – BVerfGE 96, 288 = NJW 1998, 131 zu Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
[6] Einen detaillierten Überblick über die gesetzlichen Änderungen im Bereich des Schwerbehindertenrechts finden Sie in Giese/Ramm, Behindertenrecht im Betrieb (2017), Schwerbehindertenrecht S. 22–25.
[7] § 15 SGB IX – Leistungsverantwortung bei Mehrheit von Rehabilitationsträgern.
[8] Betriebliches Eingliederungsmanagement.
[9] Nähere Informationen finden Sie unter https://www.bgf-koordinierungsstelle.de/.
[10] Siehe dazu ausführlich Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung, Teil 1–7, Kategorie D: Konzepte und Politik unter www.reha-recht.de, 2017.
[11] Committee on the Rights of Persons with Disabilities, List of issues in relation to the initial report of Germany (2014) CRPD/C/DEU/CO/1 S. 8; Hirschberg: Schritte und Hindernisse auf dem Weg zu einem inklusiven Ausbildungssystem – Teil 1; Forum D, Beitrag D21-2015 unter www.reha-recht.de; 24.06.2015; vgl. auch Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 1: Das Recht auf Bildung, Forum D, Beitrag D20-2017 unter www.reha-recht.de, 31.05.2017.
[12] Kleineren und Mittleren Unternehmen.
[13] Vgl. auch Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 4: Statistischer Hintergrund zur beruflichen Bildung von Jugendlichen mit Behinderung, Forum D, Beitrag D27-2017 unter www.reha-recht.de, 28.06.2017.
[14] Vgl. BT-Drs. 18/9522, S. 258; vgl. auch Ramm: Wege in die berufliche Bildung für Jugendliche mit Behinderung – Teil 6: Das Bundesteilhabegesetz: Ein Gewinn für die berufliche Ausbildung für Jugendliche mit Behinderung?, Forum D, Beitrag D30-2017 unter www.reha-recht.de, 14.07.2017.
Eingliederungsmanagement, Schwerbehindertenvertretung (SBV), Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Bedarfsfeststellung, Einkommens- und Vermögensanrechnung, BEM, Berufliche Rehabilitation, Integrationsfachdienst, Integrationsamt, Budget für Arbeit, Berufliche Teilhabe
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