29.02.2024 D: Konzepte und Politik Engels et al.: Beitrag D4-2024

Übergänge aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Die Autorinnen und Autoren Dietrich Engels, Anne Deremetz, Holger Schütz, Svenja Eibelshäuser, Arnold Pracht, Felix Welti und Clarissa von Drygalski stellen in diesem Beitrag ausgewählte Erkenntnisse der "Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt" vor. Dargestellt werden Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Nach Darstellung des aktuellen Stands der Übergänge bei der Stichprobe der Studie folgt die Darstellung von fördernden und hemmenden Faktoren für den Übergang aus Sicht von WfbM-Beschäftigten und Werkstattleitungen. Abschließend formulieren die Autorinnen und die Autoren Vorschläge zur Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt und fassen die Erkenntnisse des Beitrags in einem Fazit zusammen.

(Zitiervorschlag: Engels et al.: Übergänge aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt; Beitrag D4-2024, unter www.reha-recht.de; 29.02.2024.)

I. Einleitung

Im September 2023 wurde die „Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ veröffentlicht, die ein Forschungsverbund von ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH, Universität Kassel und Prof. Pracht (Hochschule Esslingen) im Auftrag des Bundes­ministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) durchgeführt hat.[1] In dieser Studie sollte untersucht werden, welche Möglichkeiten es gibt, das Entgeltsystem in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) weiterzuentwickeln oder neu zu gestalten. Neben der Frage der Entgeltreform war im Forschungsprojekt auch zu untersuchen, ob, unter welchen Bedingungen und wie Übergänge von der WfbM auf den Arbeitsmarkt gefördert werden und gelingen können. Nach § 219 Abs. 1 Satz 3 SGB IX gehört dies zu den zentralen Aufgaben der WfbM: „Sie fördert den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen.“ Dieses Thema wurde auch in den Befragungen der Werkstattleitungen, der Beschäftigten und ihrer Angehörigen sowie von Werkstatträten, Frauenbeauftragten und ehemaligen WfbM-Beschäftigten angesprochen, die in den Jahren 2021 und 2022 durchgeführt wurden.

Die Beschäftigten im Arbeitsbereich einer WfbM gelten als voll erwerbsgemindert (§ 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI), was auf den ersten Blick einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt entgegensteht. Bei näherer Betrachtung wirken hier jedoch mehrere Faktoren zusammen: Die individuelle Leistungsfähigkeit des Beschäftigten kann sich verändern und beispielsweise durch Lernprozesse gefördert werden. Die Aufgabenstellung und die Arbeitsumgebung in einem Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarkts können auf Beeinträchtigungen der Beschäftigten abgestimmt werden. Flankierende Unterstützungsmaßnahmen können sowohl bei der Vorbereitung eines Übergangs als auch bei der späteren Begleitung eingesetzt werden. Der Gesetzgeber hat mit der Unterstützten Beschäftigung (§ 55 SGB IX)[2] und dem Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX)[3] finanziell hinterlegte Unterstützungsformen eines solchen Übergangs geschaffen, und auch Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen in Inklusionsbetrieben (§ 215 SGB IX)[4] ermöglichen eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. „Erwerbsgemindert“ heißt eben nicht „erwerbsunfähig“ oder „arbeitsunfähig“, sondern dass mit der Arbeit unter Marktbedingungen der Erwerb für den Lebensunterhalt nicht immer gesichert werden kann. 

Übergänge aus der Werkstatt auf den Arbeitsmarkt können auch durch den Zwischenschritt über ausgelagerte WfbM-Arbeitsplätze erleichtert werden (§ 219 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX). Diese haben für die WfbM-Beschäftigten den Vorteil, dass sie einen Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes kennenlernen, die dortige Arbeitsweise erproben und den Anfahrtsweg dorthin einüben können. Umgekehrt können die Betriebe die Beschäftigten mit Behinderungen auf diesem Wege näher kennenlernen und einen möglichen Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung konkret prüfen.

II. Realisierte Übergänge – Status Quo

Durch die Inklusionsleistung der WfbM soll sukzessive der Anteil der Beschäftigten erhöht werden, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln. In den befragten WfbM fanden nach Auskunft der Werkstattleitungen sowohl Wechsel aus dem Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich (EV/BBB) als auch aus dem Arbeitsbereich statt. Im Jahr 2015 wechselten in den 300 WfbM, deren Leitungen sich an der Befragung beteiligten, 45 Teilnehmende aus dem EV/BBB auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, diese Zahl konnte im Jahr 2019 auf 57 Teilnehmende erhöht werden. Dies ergibt eine Wechselquote im EV/BBB von 0,6 % in Relation zu allen Teilnehmenden im EV/BBB. Aus dem Arbeitsbereich der 300 befragten WfbM wechselten im Jahr 2015 insgesamt 294 Beschäftigte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, diese Zahl nahm bis zum Jahr 2019 auf 447 Beschäftigte zu. Die Quote dieser Übergänge ist in diesem Zeitraum von 0,26 % auf 0,35 % gestiegen. 63 Personen kehrten aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt in die WfbM zurück (14 % der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt).

Grafische Darstellung der Informationen aus dem Fließtext zum Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt (Balkendiagramm).

Abbildung 1: Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Quelle: ISG-Befragung von Werkstattleitungen 2021. Angaben in absoluten Zahlen

Von denjenigen Beschäftigten, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gewechselt sind, wurden 82 % in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vermittelt, 6 % in Unterstützte Beschäftigung und 11 % in eine andere Form der Beschäftigung.

Grafische Darstellung der Informationen aus dem Fließtext zu Formen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (Balkendiagramm).

Abbildung 2: Formen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Quelle: ISG-Befragung von Werkstattleitungen 2021. Angaben in Prozent, Basis: n=299

Von denen, die in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wechselten, wurde ein Drittel in ein Budget für Arbeit (30 %) und 6 % in einen Inklusionsbetrieb vermittelt (darunter meist in Kombination mit einem Budget für Arbeit). In 45 % der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt handelt es sich um andere Beschäftigungsformen.

Die Vermittlung wurde in 77 % aller Wechsel durch die WfbM begleitet und in 28 % durch den Integrationsfachdienst. Eine mögliche Erklärung dafür liegt in der Auftragsbeschreibung von WfbM, diesen Wechsel zu begleiten. Zudem besteht ein enges Vertrauensverhältnis der Beschäftigten zu Angestellten der WfbM und deren spezifischer Kenntnis der individuellen Fähig- und Fertigkeiten. Berufsbetreuerinnen und -betreuer, Privatpersonen und andere Institutionen spielen bei der Vermittlung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine untergeordnete Rolle.

III. Der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt aus Sicht der Beschäftigten

In Befragungen der Beschäftigten und ihrer Angehörigen sowie von Werkstatträten, Frauenbeauftragten und ehemaligen WfbM-Beschäftigten wurden Wechselwünsche sowie Einschätzungen zu förderlichen und hindernden Faktoren ermittelt.

Ein Drittel der Werkstattbeschäftigten aus dem Arbeitsbereich findet einen Wechsel zumindest überlegenswert, zwei Drittel hingegen äußern in der Befragung keinen Wechselwunsch, meist weil sie sich in der Werkstatt sowohl von der Tätigkeit als auch hinsichtlich der sozialen Einbindung gut aufgehoben fühlen. Mit Blick auf die Motivationen ist für Werkstattbeschäftigte die erwartet höhere Anerkennung für die eigene Arbeit besonders wichtig, für ehemalige Werkstattbeschäftigte dagegen vor allem das höhere Entgelt. Frauenbeauftragte betonen wiederum insbesondere die mögliche Erweiterung des Tätigkeitsprofils und Lerneffekte. Insgesamt geht es also um Möglichkeiten, einer Arbeit mit besserer Arbeitsqualität und höherer Wertschätzung nachzugehen und dabei zugleich mehr Geld zu verdienen.

Um einen Übergang von der Werkstatt auf den Arbeitsmarkt erfolgreich gestalten zu können, bedarf es allerdings unterstützender Rahmenbedingungen und auch konkreter Hilfen durch unterstützende Personen und Instanzen. Eine gute, umfassende Beratung und Information im Vorfeld des Übergangs sowie Hilfen zum Kennenlernen von Betrieben und zu Bewerbungsprozessen bilden aus Perspektive der Befragten übereinstimmend besonders wichtige Elemente für gelingende Übergangsprozesse. Mit Bezug auf Unterstützung betonen ehemalige Werkstattbeschäftigte, Werkstatträte und Frauenbeauftragte vor allem die Rolle von WfbM-Mitarbeitenden, des zukünftigen Arbeitgebers und von Familienangehörigen sowie von Freunden und Freundinnen als häufige bzw. wichtige Unterstützung für den Übergangsprozess.

Ein wichtiger Grund dafür, dass es zurzeit noch vergleichsweise wenige Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, ist eine hohe Unsicherheit der Beschäftigten, einen Wechsel anzustreben. Viele wollen in der Werkstattbeschäftigung bleiben. Als ein Hemmnis für den Übergang nennen die Befragten die im Vergleich meist höheren Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt, weswegen sich viele Werkstattbeschäftigte diese Arbeit nicht zutrauten. Auch andere Befürchtungen, etwa vor dem Verlust des vertrauten sozialen Umfeldes oder Diskriminierung im neuen Kollegenkreis, mindern die Übergangsmotivation. Bei den Arbeitgebern werden von den Befragten häufiger Vorurteile gegenüber WfbM-Beschäftigten sowie fehlende Kenntnisse zu den Unterstützungsmöglichkeiten für Wechsler aus der WfbM vermutet.

Aus zusammenfassender Betrachtung der förderlichen und hemmenden Faktoren für die Initiierung und Gestaltung von Übergangsprozessen kommt es demzufolge vor allem auf breit angelegte Information und Kommunikation für alle Beteiligten an. Dafür bedarf es zunächst aktiver Protagonisten (Werkstattbeschäftigte selbst oder Unterstützungspersonen, die den Prozess federführend in die Hand nehmen). Sodann ginge es um gezielten Abbau von Befürchtungen und Vorbehalten einerseits, starke Erweiterung konkreter Informationen und Kenntnisse sowohl bei WfbM-Beschäftigten als auch auf betrieblicher Seite. Vermutlich werden die Potenziale dazu noch nicht systematisch genug ausgeschöpft, auch wenn ein aktives Übergangsmanagement von Werkstätten und Betrieben hier und dort auch heute schon praktiziert wird.

IV. Förderliche und hemmende Faktoren für Arbeitsmarktübergänge aus Sicht der Werkstattleitungen

In der bundesweiten Befragung von Werkstattleitungen wurde auch gefragt, welche Faktoren den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern könnten. Ein förderlicher Faktor ist nach Einschätzung der teilnehmenden Werkstattleitungen die Entgelthöhe bzw. die Chance auf einen höheren Lohn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zwei Drittel der Werkstattleitungen geben an, dass der höhere Lohn ein wichtiger Anreiz für einen Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ist.

Weitere Anreize sind, dass mit dem Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine Änderung des sozialen Status einhergeht. Dies kann darin zum Ausdruck kommen, dass mit einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eine höhere gesellschaftliche Anerkennung verbunden ist, das Selbstbewusstsein gesteigert wird und zudem das Gefühl und das Wissen entsteht, unabhängig von Sozialleistungen leben zu können. Auch diese Faktoren können die Motivation von WfbM-Beschäftigten erhöhen, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anzustreben.

Ein fördernder Faktor kann der Zwischenschritt einer Arbeitstätigkeit auf einem ausgelagerten bzw. betriebsintegrierten Arbeitsplatz sein. Die meisten WfbM halten nicht nur interne Arbeitsplätze, sondern auch ausgelagerte Arbeitsplätze vor. Insgesamt verfügten die rd. 300 befragten WfbM über 12.919 Außenarbeitsplätze, was einem durchschnittlichen Anteil an allen Werkstattplätzen von 9 % entspricht. Von diesen 9 % sind 59 % Einzelarbeitsplätze und 41 % Gruppenarbeitsplätze. Diese Form von Arbeitsplätzen kann im günstigen Falle als „Sprungbrett“ in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dienen.

Es gibt aber auch Faktoren, die sich eher hemmend auf einen Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken bzw. die eher einen Verbleib in der WfbM nahelegen. Neben der Sorge, das gewohnte strukturelle und soziale Umfeld zu verlieren, was sich gerade bei Menschen mit psychischer und seelischer Beeinträchtigung destabilisierend auswirken kann, besteht weiterhin die Sorge, den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente beim Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verlieren. Zudem ist der Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zwar in der Regel mit einem höheren Lohn verbunden, abhängig vom Einzelfall hat dies aber ggf. geringere Rentenbeiträge und in der Folge geringere Rentenanwartschaften zur Folge. Dies kann sich wiederum negativ auf die Höhe der Altersrente auswirken. Die befragten WfbM geben an, dass die Beschäftigten die Sorge hätten, dass diejenigen, die wechseln, ihre in der WfbM erworbenen Rentenansprüche (Rentenbeiträge in Höhe von 80 % des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung, 20 Jahre Wartezeit bis zur Erwerbsminderungsrente) verlieren bzw. sie nicht mehr in dieser Höhe weiter erwerben und sich finanziell somit schlechter stellen würden. Dies ist vor allem für Beschäftigte ab etwa 40 Jahren, die einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente erworben haben, ein entscheidender Faktor, der eher dazu motiviert, in einer WfbM beschäftigt zu bleiben.

Anzumerken ist, dass die Sorge des Wegfalls der Erwerbsminderungsrente bzw. der Rentenanwartschaften nur in Teilen begründet ist. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt besteht der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente i. d. R. nur in den Fällen fort, in denen der Wechsel über das Budget für Arbeit oder in einen Inklusionsbetrieb erfolgt. Die Erwerbsminderungsrente unterliegt dann den allgemeinen Regelungen zur Hinzuverdienstgrenze (vgl. § 96 a SGB VI), so dass je nach Entgelthöhe eine Anrechnung in Betracht kommt. Der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht jedoch nur, solange die Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung weiterbestehen und keine vollständige Eingliederung in den Arbeitsmarkt erfolgt ist (vgl. § 43 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB VI). Da das Vorliegen dieser Voraussetzungen nur im Einzelfall und nicht im Vorhinein von der Rentenversicherung festzustellen ist, besteht in diesem Bereich eine rentenrechtliche Unsicherheit. Davon ist auch die Personengruppe betroffen, die noch keine Erwerbsminderungsrente erhält. Das Weiterlaufen der 20-jährigen Wartezeit (§ 43 Abs. 6 SGB VI) ist im Budget für Arbeit und im Inklusionsbetrieb zwar möglich, jedoch ebenfalls an das ununterbrochene Vorliegen der vollen Erwerbsminderung geknüpft. Wird im Budget für Arbeit nach Erfüllung der Wartezeit ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente erlangt, wird dieser zudem ggf. geringer als in der WfbM oder einem Inklusionsbetrieb ausfallen, da im Budget für Arbeit kein erhöhter Rentenbeitrag gezahlt wird.

Mehr als die Hälfte der Werkstattleitungen halten dies für einen „eher wichtigen“ bis „den wichtigsten“ Grund, der für einen Verbleib in der WfbM spricht. Neben den Auswirkungen eines Wechsels auf die Rentenansprüche und die Höhe der Beiträge, die an die Rentenversicherung abgeführt werden, nannten die Werkstattleitungen zusätzlich auch den Umstand, dass der Lohn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in der Regel nicht höher als in der WfbM liege. Hemmend wirke sich auch der Leistungs- und Zeitdruck aus, dem sich viele WfbM-Beschäftigte mutmaßlich nicht gewachsen sehen. Hinzu kommt der Verlust des sozialen Umfelds wie auch der Arbeitsplatzsicherheit, die in einer WfbM als höher einzustufen ist als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wenngleich nach § 220 Abs. 3 SGB IX ein Rückkehrrecht in die WfbM besteht.

Fast zwei Drittel der Werkstattleitungen (64 %) halten es für sinnvoll, Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt anders als bisher zu unterstützen. Mögliche Ziele für Veränderungen sehen sie vor allem in einer dauerhaften und stabilen Begleitung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch müsse die Personenzentrierung[5] bei der Vermittlung noch verstärkt werden. Ein Wechsel von WfbM-Beschäftigten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sollte nicht zu einer finanziellen Schlechterstellung führen.

Gleichzeitig wird auch auf die immer noch vorhandenen Barrieren bei potenziellen Arbeitgebern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hingewiesen. Hier müssten sowohl finanzielle Anreize als auch unbürokratische Wege geschaffen werden, die einen Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtern könnten. Neben der Erhöhung der Ausgleichsabgabe[6] für Unternehmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden auch die Stärkung des Budgets für Arbeit sowie die Erhöhung bzw. Schaffung spezialisierter Fachdienste für Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt als wesentliche Stellschrauben gesehen, die Wechselquote von WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhöhen.

V. Vorschläge zur Förderung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Um Menschen mit Behinderungen den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern, werden in der Studie auf Basis der Befragungsergebnisse mehrere Bausteine vorgeschlagen:

  • Die Potenziale der Instrumente Unterstützte Beschäftigung und Budget für Arbeit sind mutmaßlich noch nicht hinreichend ausgeschöpft. Dabei könnte die Unterstützte Beschäftigung dadurch an Attraktivität gewinnen, dass nach ihrem Abschluss eine weitere Förderung im Rahmen des Budgets für Arbeit mit einem Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 % möglich ist. Um die Nutzung dieser Instrumente zu steigern, erscheint es unter anderem unerlässlich, ihre Bekanntheit bei den Menschen mit Behinderungen und Unterstützungsakteuren weiter zu erhöhen.
  • Weiterhin sollten die Beschäftigungsmöglichkeiten in Inklusionsbetrieben (die auch Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes sind) weiter ausgebaut werden, um ein inklusives Arbeiten von Menschen mit und ohne Behinderungen zu unterstützen.
  • Im Bewusstsein der Ambivalenz ausgelagerter Arbeitsplätze wird empfohlen, deren Anteil an allen WfbM-Arbeitsplätzen zu erhöhen, da sie grundsätzlich die Möglichkeit zur Begegnung, zum kooperativen Austausch und zum erfolgreichen Wechsel auf ein Beschäftigungsverhältnis im Arbeitsmarkt bieten. Um die Übergangsraten zu steigern, könnten öffentlich geförderte und/oder tariflich vereinbarte Übergangsregeln von ausgelagerten Arbeitsplätzen in andere Arbeitsverhältnisse konzipiert werden. Es könnte auch überlegt werden, ob eventuell eine zeitliche Maximaldauer der ausgelagerten Werkstatttätigkeit definiert werden sollte, verbunden mit einer verpflichtenden Überprüfung durch den betrieblichen Arbeitgeber und der WfbM, ob die Voraussetzungen für eine betriebliche Übernahme in ein reguläres Arbeitsverhältnis gegeben sind.
  • Wenn die Förderung des Übergangs in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als eine zentrale Aufgabe von WfbM gesehen wird, so müssen die individuellen Anstrengungen der Werkstätten strukturell verankert und finanziell unterstützt werden. Die dauerhafte Einrichtung eines professionell angelegten Inklusions- und Übergangsmanagements in WfbM zur Förderung und Unterstützung von Übergängen zu anderen Arbeitsstellen im allgemeinen Arbeitsmarkt bildet dafür eine zentrale Maßnahme.
  • Ein Inklusions- und Übergangsmanagement sollten auch die Unternehmen einführen, um den dauerhaften Austausch mit WfbM zu fördern und zu stärken. Denkbar wären hier z. B. Unternehmenspartnerschaften oder Tandem-Programme mit dem Ziel, zwischen WfbM und Unternehmen bestehende Hürden abzubauen. In den Unternehmen und Branchen kann dies durch Inklusionsvereinbarungen und tarifvertragliche Regelungen unterstützt werden, die sich mit den Aufnahmebedingungen und der Aufnahmebereitschaft beschäftigen.
  • Für WfbM wie auch für Unternehmen, die Anstrengungen unternehmen, erfolgreiche Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen, sollten finanzielle Anreize, z. B. in Form von Prämien-Modellen vorgesehen werden.
  • Grundsätzlich muss dieser Übergang als eigenständige Phase angesehen werden, die nicht mit dem Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung endet, sondern dort kontinuierlich begleitet werden muss und auch mehrere Jahre andauern kann. Auch hierfür müssen die Anstrengungen von WfbM und Unternehmen finanziell unterstützt und kompensiert werden.
  • Um diesen Übergangsprozess gerade für Menschen zu erleichtern, für die der Verlust der gewohnten Alltagsstruktur und des sozialen Umfelds mit dem Risiko einer Destabilisierung des Gesundheitszustands und der Leistungsfähigkeit einhergehen kann, muss diese Übergangsphase an die jeweils individuellen Bedarfe angepasst werden. Durch Kooperationsmodelle zwischen WfbM und Unternehmen könnte die Möglichkeit geschaffen werden, einen stufenweisen Übergang aus dem Arbeitsbereich (bzw. einem ausgelagerten Arbeitsplatz) in das neue Beschäftigungsverhältnis zu schaffen, z. B. indem Beschäftigte für eine gewisse Zeit sowohl Arbeitstage in der WfbM und als auch im Unternehmen absolvieren. So könnte eine stufenweise Reduzierung der Arbeitstage in der WfbM und eine stufenweise Erhöhung der Arbeitstage im Unternehmen dazu beitragen, dass diese Übergangsphase nicht zu einer abrupten Umstellung der bisherigen Strukturen und Sicherheiten führt, sondern man sich allmählich in die neue Arbeitssituation – sowohl psychisch als auch strukturell – eingewöhnen kann.
  • Einschränkungen der Mobilität können beim Wechsel in einen Betrieb des allgemeinen Arbeitsmarktes eine wichtige Rahmenbedingung darstellen, wenn der Wohnort weiter entfernt ist: Je schlechter die Infrastruktur am Wohnort ausgebaut ist, desto mehr wird Mobilität zum Problem. Dies betrifft vor allem den ländlichen Raum. Ist die Möglichkeit zur eigenständigen Mobilität nicht gegeben, erschwert dies die Beschäftigungsalternative zur WfbM, da dort zumindest die Möglichkeit besteht, einen Fahr- und Transportdienst nutzen zu können. Um einen Wechsel in das neue Beschäftigungsverhältnis auch unter diesem Aspekt zu unterstützen, bieten sich auf individueller bzw. personeller Ebene finanzierte Fahrtrainings einschließlich Trainingsangeboten zur Nutzung des ÖPNV an. Auf struktureller Ebene muss insbesondere bei Übergängen in ein anderes sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis und darüber hinaus die Mobilität garantiert sein. Das kann z. B. durch die Subventionierung von Fahrmöglichkeiten (Fahrdienste, Mitfahrgelegenheiten, Rufbusse etc.) erfolgen.

VI. Fazit

Die Förderung von Übergängen in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist ein zentraler Baustein in der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Nach den Ergebnissen des Forschungsprojektes ist die Übergangsquote von 0,26 % im Jahr 2015 lediglich auf 0,35 % im Jahr 2019 gestiegen. Für diese geringen Übergangszahlen gibt es mehrere zusammenwirkende Gründe: Zum ersten zeigen sich bei manchen WfbM-Beschäftigten Vorbehalte, in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu wechseln: Neben der Sorge um finanzielle Nachteile (z. B. Sorge um den Verlust der Erwerbsminderungsrente oder des Rentennachteilsausgleichs) tragen auch der damit verbundene Verlust der gewohnten Tagesstruktur und des sozialen Umfelds sowie Unsicherheit bezüglich des Anforderungsniveaus und der Akzeptanz durch Kolleginnen und Kollegen dazu bei, dass seitens der Beschäftigten ein Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oft eher mit Vorsicht gesehen wird. Zum zweiten stellen die bisherigen Strukturen des Arbeitsmarktes immer noch erhebliche Hürden und mangelnde Inklusionsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen dar. Ein Faktor sind dabei die Information der Arbeitgeber und ihre Motivation, Menschen mit Behinderungen eine Beschäftigungschance zu geben. Hinzu kommen Aspekte wie die Aufnahmebereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, des barrierefreien Zugangs und der Ausstattung von Arbeitsplätzen wie auch die Mobilitätsanforderungen zum Erreichen der Betriebe, in denen die avisierte Beschäftigung stattfinden könnte.

Die Studie entwickelt eine Reihe von Vorschlägen, wie Hemmnisse ausgeräumt und förderliche Faktoren verstärkt werden können, um noch mehr Menschen mit Behinderungen einen Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Beitrag von Dr. Dietrich Engels; Dr. Anne Deremetz (beide Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik Köln), Dr. Holger Schütz; Svenja Eibelshäuser (beide Institut für angewandte Sozialwissenschaft Bonn), Prof. Dr. Arnold Pracht (Hochschule Esslingen); Prof. Dr. Felix Welti; Clarissa von Drygalski (beide Universität Kassel)

Fußnoten

[1] Engels, D.; Deremetz, A.; Schütz, H.; Eibelshäuser, S.; Pracht, A.; Welti, F., von Drygalski, C. (2023): Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Forschungsbericht des BMAS 626, Berlin.

[2] Siehe dazu Mattern: Unterstützte Beschäftigung als Instrument zur Umsetzung inklusiver Arbeit – Gelingensbedingungen aus Sicht von Arbeitgebern; Beitrag D19-2019 unter www.reha-recht.de; 30.10.2019.

[3] Dazu Mattern: Das Budget für Arbeit – Diskussionsstand und offene Fragen – Teil I: Eckpunkte, Umsetzungsstand und leistungsberechtigter Personenkreis; Beitrag D5-2020 unter www.reha-recht.de; 23.01.2020.

[4] Dazu Falk: Die Inklusionsbetriebe nach der Reform – Kritik und Würdigung der neuen §§ 132–135 SGB IX (ab 01.01.2018: §§ 215–218 SGB IX n. F.) – Teil 1: Entwicklung der Inklusionsbetriebe und Erweiterung des Aufgabenkreises in § 216 SGB IX n.F.; Beitrag D46-2017 unter www.reha-recht.de; 10.10.2017.

[5] Zum Begriff siehe Schäfers: Personenzentrierung im Bundesteilhabegesetz: Trägt die Reform eine personenzentrierte Handschrift?; Beitrag D38- 2016 unter www.reha-recht.de; 04.10.2016.

[6] Zum Begriff siehe Beyerlein: Kleine Schritte zum inklusiven Arbeitsmarkt – Zur Entstehung des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts; Beitrag D6-2023 unter www.reha-recht.de; 16.05.2023.


Stichwörter:

Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Alternativen zur WfbM


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.