22.11.2016 D: Konzepte und Politik Schreiner: Beitrag D50-2016

Wirkungen der Teilhabe am Arbeitsleben in Werkstätten für behinderte Menschen – Perspektiven von Beschäftigten

Mario Schreiner stellt in seinem Beitrag die Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie mit Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) vor. In dieser wurden die Auswirkungen der Werkstattbeschäftigung bezogen auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Anerkennung erfasst. Neben diversen Perspektiven zu den Folgen einer Beschäftigung in den WfbM, werden im Rahmen der Analyse des empirischen Materials vier unterschiedliche Typen von Werkstattbeschäftigten beschrieben. Die Ergebnisse werden vor dem Hintergrund aktueller menschenrechtlicher Anforderungen zur beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, wie sie beispielsweise in Artikel 27 der Behindertenrechtskonvention formuliert werden, dargestellt und mit den Perspektiven der Befragten kontrastiert.

In seinen Ausführungen kommt der Autor zu dem Schluss, dass WfbM aus sozialhistorischer Perspektive eine wohlfahrtsstaatliche Errungenschaft darstellen, die aber – nicht zuletzt basierend auf den ambivalenten Einschätzungen ihrer Beschäftigten – durchaus einer kritischen Weiterentwicklung, wenn nicht sogar einer grundlegenden Reform bedürfen. Für eine solche Entwicklung der WfbM erscheint das vorgelegte BTHG nur bedingt geeignet zu sein.

(Zitiervorschlag: Schreiner: Wirkungen der Teilhabe am Arbeitsleben in Werkstätten für behinderte Menschen – Perspektiven von Beschäftigten; Beitrag D50-2016 unter www.reha-recht.de; 22.11.2016.)


Im vorliegenden Beitrag stellt der Autor die Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie vor[1], die Werkstattbeschäftigte nach den Auswirkungen ihrer Werkstattbeschäftigung, bezogen auf gesellschaftliche Teilhabe und soziale Anerkennung, befragt.

I. Beschäftigung in Werkstätten für behinderte Menschen im Lichte von Behindertenrechtskonvention und Bundesteilhabegesetz

Die Beteiligung an Erwerbsarbeit stellt eine gesellschaftliche Erwartung und ein Bedürfnis der Bevölkerungsmehrheit im erwerbsfähigen Alter dar. Sie dient wesentlich zur sozialen Absicherung und ermöglicht Teilhabe und Anerkennung.[2] Für Menschen mit Behinderungen ist der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zumeist erschwert. Aus diesem Grund besteht für sie ein besonderer Rechtsanspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach Teil 2 SGB IX. Dieser wird in Deutschland für einen Teil der Anspruchsberechtigten vorwiegend in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)[3] als Leistung der Eingliederungshilfe umgesetzt. Die Aufgabe der WfbM ist es, Menschen mit Behinderungen, die „nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“[4] arbeiten können, eine Beschäftigung anzubieten. Formuliertes Ziel ist es, „den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen“ zu fördern.[5] Die Beschäftigung in WfbM kann dazu beitragen, einen Teil der negativen Folgen eines Mangels an Erwerbsbeteiligung zu kompensieren.[6] Gleichwohl stehen WfbM seit einigen Jahren zunehmend in der Kritik. Die Diskussionen über das Pro und Kontra werden dabei durch steigende Beschäftigtenzahlen, verbunden mit wachsenden Kosten der Eingliederungshilfe beflügelt[7]. Darüber hinaus geraten Werkstätten als Sondereinrichtungen, die vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgrenzen, im Lichte der Behindertenrechtskonvention (BRK) unter Druck. Artikel 27 der BRK formuliert für Menschen mit Behinderungen „das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird“. Laut dem Staatenbericht zur Umsetzung der BRK aus dem Jahr 2015 werden diese Anforderungen von WfbM in Deutschland nicht erfüllt. In den abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum Staatenbericht Deutschlands wird „die schrittweise Abschaffung der Behindertenwerkstätten durch sofort durchsetzbare Ausstiegsstrategien und Zeitpläne sowie durch Anreize für die Beschäftigung […] im allgemeinen Arbeitsmarkt“ empfohlen.[8] Trotz dieser eindeutigen Empfehlungen wird im Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)[9] weiterhin grundsätzlich an den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in WfbM festgehalten. Die rechtlichen Regelungen erfahren nur geringe Veränderungen bzw. Ergänzungen durch alternative Leistungsformen (z. B. Beschäftigung durch andere Anbieter nach § 60 SGB IX neu sowie das Budget für Arbeit nach § 61 SGB IX neu).

Die Befürworter der WfbM geben im Zuge der Diskussionen zu bedenken, dass viele Werkstattbeschäftigte nicht in der Lage seien, eine Tätigkeit unter den aktuellen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben und ohne die WfbM keinerlei Beschäftigung nachgehen könnten. Darüber hinaus böten Werkstätten geschützte Arbeitsmöglichkeiten, welche von den Leistungsberechtigten gewünscht seien. So würden viele Beschäftigte in den WfbM die für sie geeignete Beschäftigungsmöglichkeit sehen und keine Alternativen wünschen.[10] Gegner der WfbM kritisieren, dass die Wege in die WfbM weitgehend durch Automatismen geprägt seien. Insbesondere Absolventinnen und Absolventen der Schulen für geistige Entwicklung wechseln am Ende ihrer Schulzeit ohne Umwege in die WfbM. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben dabei wenig bis keinen Einfluss auf die Entscheidung für den Besuch der WfbM, Alternativen sind ihnen und ihren Angehörigen häufig nicht bekannt.[11] Darüber hinaus habe sich die WfbM zu einem kostenintensiven Ersatzarbeitsmarkt entwickelt und fungiere wie ein „Auffangbecken“ für Menschen mit Behinderungen, die keinen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden.[12] Indikator ist beispielsweise die steigende Anzahl an Beschäftigten in den Werkstätten. Insbesondere fällt in diesem Kontext auf, dass die Anzahl der Beschäftigten mit psychischen Beeinträchtigungen sich konstant erhöht,[13] was als ein Indiz dafür zu sehen ist, dass alternative Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation dieser Personen fehlen.

Mit Blick auf die bis dato kontrovers geführte Debatte lässt sich feststellen, dass die Perspektiven der in den WfbM beschäftigten Menschen bislang wenig Beachtung finden. Dieser Umstand verwundert umso mehr, da es doch die Beschäftigten sind, die Auswirkungen sowie Folgen einer Beschäftigung in WfbM am besten und aus eigener Erfahrung beurteilen können. Ihre Einschätzungen und Bewertungen sind als wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung der WfbM und möglicher Alternativen unverzichtbar.

II. WfbM aus Sicht der Beschäftigten – Empirischer Zugang

Die vorliegende empirische Erhebung greift Perspektiven von Werkstattbeschäftigten zu den Auswirkungen der Werkstattbeschäftigung auf. Hierzu wurden von November 2012 bis Januar 2013 20 leitfadengestützte Interviews mit Werkstattbeschäftigten in vier unterschiedlichen WfbM in Hessen geführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Die Interviewten waren im Alter von 20 bis 57 Jahren. Elf Befragte waren weiblichen und neun männlichen Geschlechts. Die Arbeitsmarkterfahrungen der Befragten erstreckten sich von einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis über Praktika in Betrieben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis hin zu keinerlei Arbeitserfahrung außerhalb der WfbM. Auf der Grundlage einer zweistufigen inhaltsanalytischen Auswertung wurde eine empirische Typenbildung[14] vorgenommen, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden.

III. Perspektiven der Beschäftigten

1. Ergebnisse der Inhaltsanalyse

Arbeit und Beschäftigung haben für die befragten Werkstattbeschäftigten besondere Relevanz und nehmen eine zentrale Stellung in ihrem Leben ein. Sie verbinden damit positive Aspekte, wie beispielsweise Tagesstruktur, Beschäftigung und Sozialkontakte. Für die meisten Werkstattbeschäftigten ist die Tätigkeit in einer WfbM von herausragender Bedeutung, da dies aus ihrer Perspektive die einzige Möglichkeit darstellt, überhaupt einer Arbeit nachgehen zu können. Der Rechtsanspruch auf einen Werkstattplatz sowie die lebenslange Absicherung durch den Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung und der Erhalt einer am Durchschnitt orientierten Erwerbsminderungsrente, nach zwanzigjähriger Beschäftigung in WfbM, werden von den Beschäftigten als Gründe für eine Werkstattbeschäftigung genannt. Beschäftigungsalternativen sind weitgehend unbekannt. Die Beschäftigung in einer WfbM hat jedoch neben den positiven auch negative Aspekte. So hat beispielsweise das gezahlte Leistungsentgelt eine geringe Höhe und wird nicht als ausreichend empfunden, um selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe zu realisieren. Von den Werkstattbeschäftigten wird das Leistungsentgelt außerdem als unangemessen in Relation zur erbrachten Arbeitsleistung beschrieben, da sie trotz der Beschäftigung in WfbM ihren Lebensunterhalt vornehmlich aus Sozialleistungen bestreiten müssen.

Die Werkstattbeschäftigten differenzieren sprachlich in der überwiegenden Mehrheit ein „Drinnen“ und ein „Draußen“, um Bezüge und Strukturen innerhalb und außerhalb der WfbM bzw. Einrichtungen der Behindertenhilfe zu unterscheiden. Hierdurch wird eine (Selbst-) Zuordnung vorgenommen, die eine Abgrenzung zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen sichtbar werden lässt. Werkstattbeschäftigte berichten, dass ihre erbrachten Arbeitsleistungen innerhalb der WfbM anerkannt werden. Allerdings erfahre ihre Arbeit außerhalb der WfbM keine bzw. nur geringe gesellschaftliche Anerkennung. Dort würden die Beschäftigten der WfbM als deutlich leistungsgemindert angesehen, was in der Konsequenz zum Ausbleiben gleichberechtigter Anerkennung führen kann. Bei vielen Personen kursiere darüber hinaus ein falsches Bild über die Werkstätten und ihre Beschäftigten sowie den dort ausgeführten Arbeiten. Neben den positiven Aspekten der WfbM lässt sich also feststellen, dass durch die Beschäftigung in WfbM auch eine Stigmatisierung wahrgenommen wird, die zu Erfahrungen von Ausgrenzung führen kann. Ein Teil der Beschäftigten nimmt sich dennoch – zumindest innerhalb der WfbM – als Teil der Arbeitsgesellschaft[15] wahr. Allerdings schätzen die Beschäftigten die Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als wertvoller und bedeutsamer ein als ihre in der WfbM. Die eigenen Kompetenzen werden meist als zu gering für eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erachtet. Die befragten Werkstattbeschäftigten blenden mehrheitlich negative Aspekte der besonderen Beschäftigungsform in WfbM aus oder überdecken diese durch resignative Zufriedenheit.

2. Typen von Werkstattbeschäftigten

Unter den interviewten Werkstattbeschäftigten lassen sich vier unterschiedliche Typen identifizieren. Typ 1 bildet die resignativ zufriedenen Werkstattbeschäftigten ab. Die Interviewpartner und Interviewpartnerinnen dieses Typs sind sich der Vor- und Nachteile der Werkstattbeschäftigung bewusst. Werkstattbeschäftigte dieses Typus hatten nie den Wunsch in einer WfbM beschäftigt zu sein. Alternativen stehen ihnen jedoch nach eigenen Aussagen nicht zur Verfügung, sodass sie resigniert sind und sich mit ihrer Situation arrangieren. Sie nutzen dabei die Vorzüge, welche WfbM bieten. So schätzen sie die soziale Absicherung und den Schonraum der Werkstätten. Dafür nehmen sie in Kauf, dass die Beschäftigung in WfbM sie stellenweise unterfordert und dass ihre Beschäftigung von vielen außenstehenden Personen nicht wertgeschätzt wird. Die resignativ zufriedenen Beschäftigten nutzen die WfbM hauptsächlich zur Pflege von Sozialkontakten. Sie haben häufig negative Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesammelt und kennen die Unterschiede zur WfbM. Einige Werkstattbeschäftigte des Typ 1 nehmen durch ihre Werkstattbeschäftigung Teilhabe an der Arbeitsgesellschaft wahr. Akzeptanz und Anerkennung der eigenen Werkstattbeschäftigung werden jedoch außerhalb der WfbM in der Regel nicht erlebt. Vielmehr werden Missachtungserfahrungen berichtet, was als Folge der (zugeschriebenen) Behinderung sowie der Beschäftigung in WfbM interpretiert wird.

Dem Typ 2 lassen sich die unzufriedenen Werkstattbeschäftigten zuordnen. Die Werkstattbeschäftigten dieses Typs sind unzufrieden mit ihrer Beschäftigungs- und Lebenssituation. Sie sind langjährig in einer WfbM beschäftigt und haben hier (nahezu) ihr gesamtes Arbeitsleben verbracht. Sie beschreiben die Arbeit in den WfbM als etwas Besonderes, das nicht mit einer Erwerbsarbeit gleichzusetzen ist. Aus diesem Grund fühlen sie sich auch nicht zugehörig zur Arbeitsgesellschaft. Ihre Lebensgeschichte ist geprägt und dominiert durch Erfahrungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Die Inanspruchnahme von Leistungen der Behindertenhilfe wird als alternativlos und gleichzeitig stigmatisierend erlebt, da aus ihrer Sicht dadurch ein Status als Mensch mit Behinderung manifestiert wird. Die Beschäftigten von Typ 2 haben Missachtung aufgrund ihrer (zugeschriebenen) Behinderungen innerhalb und außerhalb der WfbM erfahren. Sie fühlen sich ungleich behandelt, diskriminiert und in ihren Selbstbestimmungs- und Persönlichkeitsrechten eingeschränkt.

Der Typ 3 stellt die kritisch-ambivalenten Werkstattbeschäftigten dar. Die Beschäftigung in einer WfbM erzeugt bei diesem Typ die Wahrnehmung von Teilhabe am Arbeitsleben. Gleichzeitig besteht der Wunsch, dass Menschen mit Behinderungen Zugangsmöglichkeiten zum allgemeinen Arbeitsmarkt eröffnet bekommen. Hierzu gehört auch die Forderung von Beschäftigungsalternativen. Kombinationen aus Teilzeitbeschäftigung in WfbM und auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt werden als eine alternative Variante genannt. Typ 3 hat Situationen innerhalb und außerhalb der WfbM erlebt, welche die Teilhabe an und Zugehörigkeit zur Arbeitsgesellschaft bezweifeln lassen. Durch die geschilderten Erlebnisse kommt zum Ausdruck, dass Werkstattbeschäftigte und ihre Arbeitsleistungen von Außenstehenden häufig nicht die Akzeptanz bzw. Anerkennung erhalten, die notwendig wäre, um sich als Teil der Arbeitsgesellschaft zu fühlen und sich als anerkannt wahrzunehmen. Innerhalb der WfbM geübte Kritik an den Arbeitsergebnissen sowie persönlichen Verhaltensweisen werden stellenweise als Missachtung aufgefasst. Trotz solcher negativer Erlebnisse im Kontext der WfbM und einer kritischen Haltung gegenüber Angeboten der Behindertenhilfe wird eine starke Bindung und Zugehörigkeit zur WfbM sowie den Kolleginnen und Kollegen empfunden und signalisiert. Zu Personen und Gruppen außerhalb der Institutionen der Behindertenhilfe wird darüber hinaus aktiv Kontakt gesucht und unterhalten, z. B. durch politisches Engagement auf lokaler Ebene.

Typ 4 liegt in zwei unterschiedlichen Ausprägungen vor. Einem Typ 4a, der die überzeugten Werkstattbeschäftigten und einem Typ 4b, der die überzeugten „vorläufigen“ Werkstattbeschäftigten abbildet. Dem Typ 4a lassen sich Interviewpartnerinnen und Interviewpartner zuordnen, die davon überzeugt sind, dass die Werkstattbeschäftigung für sie richtig ist. Der geschützte Rahmen, den WfbM bieten, wird von ihnen als wichtig beschrieben, da Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch Überforderungen und Erfahrungen des Scheiterns geprägt sind. Die erbrachten Arbeitsleistungen werden in WfbM laut Meinung der Vertreterinnen und Vertreter des Typs 4a anerkannt. Allerdings sorge die Beschäftigung in WfbM nicht dafür, dass sie sich als Teil der Arbeitsgesellschaft fühlen. Missachtung der eigenen Person innerhalb der WfbM wurde bislang nicht erlebt. Die überzeugten Werkstattbeschäftigten fühlen sich der sozialen Gruppe der Menschen mit Behinderungen zugehörig. Menschen ohne Behinderungen meiden einige von ihnen bewusst, da sie sich von diesen ausgegrenzt fühlen. Die berufliche Zukunft wird ausschließlich in der WfbM gesehen.

Die Werkstattbeschäftigten vom Typ 4b stimmen in vielen Merkmalen mit denen des Typs 4a überein. Sie sehen die WfbM aktuell als den geeigneten Ort für ihre Teilhabe am Arbeitsleben, geben jedoch an, dass sie sich in Zukunft wünschen oder vorstellen können, eine berufliche Tätigkeit in Bezügen des allgemeinen Arbeitsmarktes aufzunehmen oder wieder aufzunehmen. Hierzu sind für sie unterschiedliche Modelle denkbar, wie Praktika, eine Mischung aus Werkstatt und allgemeinem Arbeitsmarkt bis hin zu einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit.

IV. Fazit

Sozialhistorisch betrachtet sind Werkstätten für behinderte Menschen Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates, die gegründet wurden, um Menschen mit Behinderungen – die zuvor keiner Arbeit oder Beschäftigung nachkommen konnten – einen Platz zu bieten, an dem sie positive Effekte von Arbeit und Beschäftigung erleben können. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung stehen WfbM unter Verdacht, Sonderarbeitswelten darzustellen, die Gefahr laufen, Distanz zu Arbeits- und Lebensverhältnissen außerhalb von Eingliederungshilfeleistungen zu erzeugen. Hierdurch können sich Kategorisierungen wie „drinnen“, in den Strukturen von Eingliederungshilfeleistungen und „draußen“, außerhalb von Eingliederungshilfeleistungen, manifestieren. Auf diese Weise lassen sich unterscheidbare Lebenswelten von Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen konstruieren. In der Folge kann es zur negativen Attribuierung von Werkstattbeschäftigten als leistungsgemindert oder leistungsunfähig kommen. Die Konsequenz sind häufig Stigmatisierung und infantile Behandlung. Werkstattbeschäftigte werden auf diese Weise ausschließlich als Hilfeempfängerinnen und -empfänger wahrgenommen und nicht als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger bzw. als Erwerbstätige.

Die Ergebnisse der vorgestellten qualitativen Studie bestätigen weitgehend einen ambivalenten Eindruck der Werkstattbeschäftigung, die einerseits positive Aspekte, wie Tagesstrukturierung und Zugehörigkeit auslösen und andererseits zu Stigmatisierung und Ausgrenzung führen kann. Vor diesem Hintergrund werden die WfbM von der Hälfte der Befragten mangels Alternativen mehr oder weniger resignativ akzeptiert. Ein Teil der Beschäftigten lehnt die WfbM ab und ein weiterer Teil gibt an, sich in der Werkstatt richtig platziert zu fühlen.

Was bedeuten diese Ergebnisse für die Zukunft der WfbM im Hinblick auf menschenrechtliche Anforderungen an den Zugang zum Arbeitsmarkt? Klar ist, dass angesichts der hohen Ansprüche des Arbeitsmarktes hinsichtlich Qualifikation, Flexibilität, Mobilität etc. der Beschäftigten viele Menschen mit Behinderungen nur partizipieren können, wenn sie nachteilsausgleichende Unterstützungen erhalten. Diese werden von den Befragten auch überwiegend gewünscht und für notwendig befunden. Zur Ausgestaltung dieser Unterstützung sind Kompetenzen z. B. zur Anpassung von Arbeitsplätzen und Arbeitsaufgaben gefragt, die WfbM bereits heute besitzen. Zukünftige Bestrebungen der WfbM sollten darauf gerichtet werden, diese Kompetenzen verstärkt einzusetzen, um Beschäftigungsverhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu etablieren und möglichst die Räumlichkeiten der WfbM zu verlassen. In Kombination mit einer Modifizierung der Rechtsverhältnisse – beispielsweise von arbeitnehmerähnlichen Rechten – hin zu gleichberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, könnten auf diese Weise heutige WfbM umstrukturiert und mehr Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschaffen werden. Die im BTHG geplanten Änderungen und Ergänzungen zur Teilhabe am Arbeitsleben können zu einer Öffnung und Flexibilisierung der Angebote beitragen. Aber ob die Novellen weitreichend genug sind, um den sich aus der BRK ergebenden Anforderungen zu genügen, bleibt abzuwarten. Die weitgehend restaurative Ausrichtung des BTHG hinsichtlich der WfbM dämpft die Erwartungen an einen grundlegenden Systemwechsel.

Die vorgestellten Perspektiven der Werkstattbeschäftigten können jedenfalls einen substantiellen Beitrag leisten, die bislang weitgehend ideologisch bzw. ohne empirische Basis geführte Debatte zum Für und Wider der Werkstätten für behinderte Menschen zu versachlichen und die Partizipation der Betroffenen an der Diskussion und der Weiterentwicklung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stärken.

Literatur

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Promberger, Markus (2008): Arbeit, Arbeitslosigkeit und soziale Integration. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament (B. 40–41), S. 7–15.

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Weber, Michael (2015): Werkstätten für behinderte Menschen im Spannungsfeld zwischen Schutzfunktion und Übergangsmanagement. In: Teilhabe 54 (5), S. 157–162.

Beitrag von Mario Schreiner, Universität Kassel

Fußnoten:

[1] Dissertationsstudie Mario Schreiner Universität Kassel 2016 (Veröffentlichung in Vorbereitung).

[2] Vgl. u. a. Jahoda 1983; Morgenroth 2003; Promberger 2008.

[3] Der Rechtsanspruch basiert u. a. auf den §§ 136–144 SBG IX.

[4] § 136 Abs. 1 SGB IX.

[5] § 136 Abs. 1 SGB IX.

[6] Vgl. Schreiner/Wansing 2016 (im Erscheinen).

[7] Vgl. Statistisches Bundesamt 2013 und dies. 2016

[8] Vgl. United Nations 2015, S. 9 (nichtamtliche Übersetzung der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention). verfügbar unter: www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/PDF-Dateien/UN-Dokumente/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_Staatenbericht_Deutschlands_ENTWURF.pdf, zuletzt eingesehen: 29.09.2016.

[9] Bundesrat 2016.

[10] Vgl. Weber 2015, S. 157 ff.

[11] Vgl. Detmar et al. 2008.

[12] Vgl. Friedrich 2006, S. 46.

[13] Vgl. BAG WfbM 2006 und dies. 2015.

[14] Zur Typenbildung wurden unterschiedliche Merkmale der Interviewten in Merkmalsräumen gefasst und die Merkmalsausprägungen zu gleichartigen Typen gruppiert. Komplexe Zusammenhänge wurden auf diese Weise sichtbar. Anhand der Typen gelang es die Sinnstruktur von Ansichten bzw. Perspektiven der Werkstattbeschäftigten zu interpretieren. Das angewendete Verfahren orientierte sich an der Empirisch begründeten Typenbildung von Kluge (1999).

[15] Vgl. Krebs 2002 und Kronauer 2010 zum Begriff der Arbeitsgesellschaft.


Stichwörter:

Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), Eingliederungshilfe, Bundesteilhabegesetz (BTHG), UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Berufliche Rehabilitation, Berufliche Teilhabe, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben


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