26.07.2023 D: Konzepte und Politik Giesert et al.: Beitrag D8-2023
BEMpsy – Digital einfach machen
Die psychische Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für Arbeitsfähigkeit, Teilhabe und Lebensqualität. Psychische Beeinträchtigungen hingegen führen oftmals zu langen Ausfallzeiten bis hin zu Frühverrentungen. Im folgenden Beitrag verschaffen die Autorinnen und Autoren einen Einblick in das öffentlich geförderte Projekt »BEMpsy – Digital einfach machen«. Dabei gehen sie zunächst auf die Rahmenbedingungen und die Grundlagen des Projektes ein. Als zentrale Bestandteile werden die Bedarfserhebung, die regionalen Lern- und Experimentierräume sowie die daraus hervorgegangenen Arbeitsgruppen präsentiert. Das Projekt BEMpsy zeichnet sich durch eine interdisziplinäre und agile Arbeitsweise aus. Diese wird im Abschnitt zur agilen Produktentwicklung nach der SCRUM-Methode erläutert. Abschließend werden die ersten digitalen Produkte vorgestellt und ein Ausblick gegeben.
(Zitiervorschlag: Giesert et al.: BEMpsy – Digital einfach machen; Beitrag D8-2023 unter www.reha-recht.de; 27.07.2023)
I. Hintergrund des Projektes
Am 1. Oktober 2020 begann die Laufzeit des dreijährigen Projektes „BEMpsy – Digital einfach machen“. Gefördert wird das Projekt aus dem Ausgleichsfonds auf Grundlage der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (§ 41 SchwbAV). Umgesetzt wird das Projekt von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin sowie der GAW, der gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden mbH mit Sitz in Berlin.
Im Projekt BEMpsy werden digital gestützte Tools und eine digitale Plattform im Kontext des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (zu BEM siehe § 167 Abs. 2 SGB IX) entwickelt, um schwerbehinderten Beschäftigten oder deren Gleichgestellten die Inklusion und die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt beim Umgang mit dem Themenfeld der psychischen Gesundheit.
Hintergrund des Projekts BEMpsy sind die Herausforderungen für das BEM im Zusammenhang mit der weiterhin rasant steigenden Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Erkrankungen, insbesondere Depressionen und Angststörungen.[1] So waren psychische Erkrankungen 2020 Anlass für 28,7% der Krankengeldtage.[2] Nach dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse haben sich die AU-Zeiten aufgrund von Verhaltens- und psychischen Störungen in den letzten 15 Jahren verdoppelt,[3] wohingegen andere Diagnosekapitel weitestgehend stabil blieben. Während psychische Erkrankungen im Jahr 2000 noch für 24,2% der Erwerbsminderungsrenten in Deutschland verantwortlich waren, sind es im Jahr 2020 bereits über 40%.[4]
Bis heute ist der Umgang mit psychischer Beeinträchtigung mit viel Unsicherheit behaftet – auch im Kontext des BEM. Hieraus ergibt sich ein ausdrücklicher gesellschaftlicher Handlungsbedarf, da psychische Gesundheit eine wichtige Voraussetzung für die Arbeitsfähigkeit, Teilhabe und Lebensqualität ist. Außerdem sind die häufig langen Ausfallzeiten der Beschäftigten aufgrund psychischer Erkrankungen für Unternehmen bzw. Organisationen und die dadurch bedingte Mehrarbeit der anderen Kolleginnen und Kollegen ein zunehmend bedeutender Aspekt im Kontext des BEM.
Oftmals fehlt es an Handlungskompetenz und erschwerend kommt hinzu, dass psychische Beeinträchtigungen nach wie vor mit einer hohen Stigmatisierung verbunden sind, was den Zustand der Betroffenen zusätzlich verschlechtern kann. Die Stigmatisierung wird daher oft als „zweite Krankheit“ bezeichnet.
Mit diesen Herausforderungen für das BEM beschäftigt sich das Projekt „BEMpsy“. Mit einem partizipativen Ansatz werden die Zielgruppen „betroffene Beschäftigte“, „Unternehmen/Organisationen“ sowie „Netzwerke“ im Projekt eingebunden. In sogenannten regionalen Lern- und Experimentierräumen werden die Bedarfe aller Zielgruppen identifiziert und darauf aufbauend passgenaue, insbesondere digitale Instrumente bzw. Produkte entwickelt und erprobt. Nach Ende der Laufzeit stehen diese Entwicklungen der Öffentlichkeit zur Verfügung. Einen Überblick über die Schritte der regionalen Lern- und Experimentierräume gibt Abb. 1.
Abb. 1: Ablauf von Lern- und Experimentierräumen
II. Regionale Lern- und Experimentierräume
Die regionalen Lern- und Experimentierräume sind zentraler Bestandteil des Projekts BEMpsy. Hier kommen Projektteam und Projektteilnehmende (betroffene Beschäftigte, Unternehmen bzw. Organisation sowie Netzwerke) zusammen, um in verschiedenen Phasen die digitalen BEM-Tools zu entwickeln. Zwei bis dreimal im Jahr finden die Treffen der Lern- und Experimentierräume, nach Region (Bayern, Berlin/Brandenburg, Nordrhein-Westfalen/Bremen, Rheinland-Pfalz) aufgeteilt, statt. Die regionalen Lern- und Experimentierräume laufen in drei Phasen ab (siehe Abb. 2):
Abb. 2: Drei Phasen regionaler Lern- und Experimentierräume
1. Initialphase
Im Juni 2021 begannen die regionalen Lern- und Experimentierräume in den verschiedenen Regionen. Bisher haben jeweils zwei bis drei regionale Treffen stattgefunden. Aufbauend auf der Bedarfserhebung wurden im Vorfeld sieben thematische Cluster gebildet:
- Vertrauensbildung/Kommunikation
- Führungskräfte/Unternehmenskultur
- Betriebliche Strukturen/Organisationales
- Digitalisierung
- BEM-Prozess
- Evaluation/Nachhaltigkeit
- Vernetzung.
Diese Themen wurden in den Lern- und Experimentierräumen ausführlich diskutiert und in einer gemeinsamen Vereinbarung regionale Themenschwerpunkte gesetzt, die in teils (über)regionalen Arbeitsgruppen aufbereitet werden. Aktuell liegen über alle Lern- und Experimentierräume hinweg die Schwerpunkte in den Themen Vertrauensbildung/Kommunikation, Führungskräfte/Unternehmenskultur, Betriebliche Strukturen/Organisationales sowie Vernetzung. Die Themen Digitalisierung, BEM-Prozess und Evaluation/ Nachhaltigkeit sind übergeordnet Teil aller Arbeitsgruppen.
2. Innovationsphase
Innerhalb der regionalen Lern- und Experimentierräume haben sich Arbeitsgruppen zur Bearbeitung der festgelegten Themen herausgebildet. Diese treffen sich etwa alle zwei Monate. Betroffene Beschäftigte, Unternehmens-/Organisationsvertreterinnen und -vertreter (z. B. BEM-Verantwortliche, Schwerbehindertenvertretungen, Interessensvertretungen) sowie Netzwerkpartnerinnen und -partner (z. B. Rehabilitationsträger, Integrationsamt und Fachdienste, Vereine) widmen sich, auf Basis ihrer eigenen Situation und Bedarfe, der Entwicklung und Erprobung konkreter Produkte bzw. Anwendungen. Das Feedback der Projektteilnehmenden nimmt eine entscheidende Rolle ein im Hinblick auf eine weitere Optimierung der digital gestützten Tools. Methodisch wird hierbei das Prinzip der „Co-Creation“ verwendet. Dies beschreibt den gemeinsamen, kollaborativen Prozess von mehreren Personen zur Schaffung neuer Werte.[5] Im Projekt bedeutet Co-Creation die interaktive Gestaltung des Produktes, der digital gestützten Tools und Plattform, gemeinsam mit den Zielgruppen. Durch die Zusammenarbeit entstehen Synergieeffekte, welche die nachhaltige Entwicklung der Produkte und Plattform unterstützen.
Wegen thematischer Überschneidungen haben sich überregionale und regionale Arbeitsgruppen herausgebildet. Einen Überblick über die Arbeitsgruppen mit den aktuellen Produktideen, welche entwickelt und erprobt werden, wird im Folgenden dargestellt (Schema in Abb. 3).
Abb. 3: Themenschwerpunkte der (über)regionalen Arbeitsgruppen
Arbeitsgruppe Kommunikation und Vertrauensbildung
Bestehend aus zwei überregionalen Unterarbeitsgruppen (Berlin/ Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) werden ein Marketingkonzept für BEM-Verantwortliche im Unternehmen und eine Weiterbildung in psychosozialer Gesundheit für Mitarbeitende entwickelt.
Die Unterarbeitsgruppe „Marketing/Öffentlichkeitsarbeit“ entwickelt ein Marketingkonzept für die interne Unternehmenskommunikation des BEM. Ziel ist es, die Akzeptanz und das Vertrauen in den BEM-Prozess bei allen Mitarbeitenden zu stärken und die Annahmequoten des BEM durch die BEM-berechtigten Personen zu verbessern. Das Marketingkonzept soll auch für Medien- und Präsentationsunerfahrene als Handlungsleitfaden dienen.
Die Unterarbeitsgruppe „Kommunikation allgemein“ beschäftigt sich sowohl mit klassischen als auch mit innovativeren Werbemitteln und -wegen, um die schwer zugänglichen Personengruppen, das heißt BEM-berechtigte Personen mit (Schwer-)behinderung und (drohender) psychischer Beeinträchtigung, besser erreichen zu können. Hierfür entwickelt die Unterarbeitsgruppe, unter dem Titel „Partner*in für psychosoziale Gesundheit“, eine Qualifizierung für am BEM interessierte oder BEM-berechtigte Mitarbeitende, die andere unterstützen möchten. Diese Qualifizierung wird interessierten Mitarbeitenden, als Präsenz-, Web-, Hybrid- und/oder als reiner Selbstlernlehrgang, über die BEMpsy Plattform zur Verfügung stehen.
Arbeitsgruppe Führungskräfte und Unternehmenskultur
Die drei überregionalen Unterarbeitsgruppen
- Führungskräfteschulungen
- Unternehmensleitlinien
- Selbstfürsorge von Führungskräften
widmen sich der Unterstützung und Weiterbildung von Führungskräften sowie der Förderung der Unternehmenskultur durch Unternehmensleitlinien.
In der Unterarbeitsgruppe „Führungskräfteschulungen“ wird ein eLearning-Tool für Führungskräfte und betriebliche Interessenvertretungen anhand des Modells der Handlungskompetenz zu folgenden Themen entwickelt:
- Fachkompetenz (Gesetzliche Grundlagen, Fachwissen BEM, Arbeitswissenschaftliche Grundlagen über altersgerechte Arbeitsgestaltung)
- Methodenkompetenz (Anwendung von Analyse- und Bewertungsmethoden, Medienkompetenz, Kenntnisse zum Einbeziehen datenbasierter Informationen)
- Sozialkompetenz (Kommunikations- und Kooperationskompetenz, Coachingfähigkeiten, Empowerment, Gesundes Führen, Feedbackkompetenz, Problemlösungsstrategien)
- Persönliche Kompetenz (Einfühlungsvermögen, Selbstreflexion, Integrität und Authentizität, Vorbildfunktion)
Auch soll ein Video zum Thema Gesprächsführung zwischen Führungskraft und BEM-Berechtigten gedreht werden. Darüber hinaus werden Informations-/Schulungsangebote der Netzwerkpartnerinnen und -partner bereitgestellt und von den Praxispartnerinnen und-partnern erprobt. In Kooperation mit der Deutschen DepressionsLiga e.V. wurde ein Onlineseminar zum Thema „Umgang mit psychischer Gesundheit und Krankheit“ angeboten und anhand eines Feedbackfragebogens von den Teilnehmenden evaluiert. Hierzu gehörte die eigenständige Durchführung des kostenfreien eLearning Tools von psyGA zum Thema „Förderung psychischer Gesundheit als Führungsaufgabe“. Dieses wurde ebenso mittels eines Feedbackfragebogens evaluiert. Des Weiteren wird ein eLearning Tool zum BEM, unter Berücksichtigung psychischer Beeinträchtigungen, für Führungskräfte und betriebliche Interessenvertretungen, entwickelt.
In der Unterarbeitsgruppe „Unternehmensleitlinien“ werden Informationen, Materialien und Best Practice Beispiele für ein ganzheitliches Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) mit den drei Säulen Arbeitsschutz, BEM und Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), zusammengetragen. Darüber hinaus ist ein Best Practice Video, mit Hinweisen für ein ganzheitliches, betriebliches BGM, geplant.
Die Unterarbeitsgruppe „Selbstfürsorge von Führungskräften“ hat die Unterstützung von Führungskräften durch einen Wissenstransfer zum Ziel. Hierzu entsteht ein Infopool (FAQs) für Führungskräfte mit wissenschaftlich fundierten Antworten zu den Themen:
- Bedürfnisse der BEM-Berechtigten
- Wissen
- Vernetzung.
Dabei wird auf die Anwendbarkeit und Übersichtlichkeit des Tools in der Praxis geachtet, indem das Wichtigste anschaulich dargeboten wird. Für Führungskräfte, die sich vertieft mit einem Thema auseinandersetzen wollen, wird es ausgewählte Verlinkungen zu weiterführenden Informationen geben.
Arbeitsgruppe Betriebliche Strukturen und Organisationales
Die zwei überregionalen Unterarbeitsgruppen
- Fähigkeitsgerechte Arbeitsplätze
- Stärkung der Verpflichtung zum BEM
beschäftigen sich mit der Passung zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitsplatz entsprechend den Fähigkeiten der Arbeitnehmenden, sowie mit der Stärkung des BEM vor allem mit Blick auf diejenigen Unternehmen, die bislang noch kein BEM anbieten.
In der Unterarbeitsgruppe „Fähigkeitsgerechte Arbeitsplätze“ werden Hilfestellungen und Anregungen für die Umsetzung von fähigkeitsgerechten Arbeitsplätzen anhand von Checklisten, Gesprächsleitfäden und mithilfe von Erfahrungsberichten aus der Praxis erarbeitet.
In der Unterarbeitsgruppe „Stärkung der Verpflichtung zum BEM“ soll durch die Aktivierung von betrieblichen Interessenvertretungen und externen Akteurinnen und Akteuren die Implementierung von BEM in Unternehmen gestärkt werden. Es werden Hinweise zur Förderung des BEM von unterschiedlichen Institutionen recherchiert und zusammengetragen. Zudem werden Inhalte zur Promotion des BEM und Ideen zur Schaffung einer Stabsstelle BEM/BGM bei der Landesregierung in Rheinland-Pfalz ausgearbeitet.
Arbeitsgruppe Vernetzung
Diese Arbeitsgruppe setzt sich aus zwei regionalen Kleingruppen (Bayern, Rheinland-Pfalz) zusammen, in denen der Auf- und Ausbau regionaler „Runder Tische“ mit externen Akteurinnen und Akteuren des BEM (z. B. Rehabilitationsträger, Integrationsamt, Integrationsfachdienste) im Fokus steht. Darüber hinaus wird, in Zusammenarbeit mit Projektteilnehmenden in Nordrhein-Westfalen, ein weiterer „Runder Tisch“ ins Leben gerufen. Die Teilnehmenden der Arbeitsgruppe Vernetzung arbeiten außerdem an einer Anleitung mit Checklisten zum Aufbau „Runder Tische“ in weiteren Regionen. Durch die „Runden Tische“ wird der Austausch zum Thema BEM und die Einbindung externer Akteurinnen und Akteure in das BEM gefördert.
Arbeitsgruppe Rechtliche Aspekte im Betrieblichen Eingliederungsmanagement
Fragen zu rechtlichen Aspekten des betrieblichen Eingliederungsmanagements treten in allen Arbeitsgruppen auf. Hierzu steht uns Professor Dr. Andreas Schmidt-Rögnitz von der HTW Berlin zur Seite. Er ist Professor für allgemeines Wirtschaftsrecht sowie Arbeits- und Sozialrecht mit den Schwerpunkten im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht und hier insbesondere in den Bereichen der Krankenversicherung, der Unfallversicherung sowie der Rentenversicherung. Ein Produkt in diesem Bereich werden FAQs zu rechtlichen Aspekten im Betrieblichen Eingliederungsmanagement werden.
3. Lernphase
Die Produkte aus den (über)regionalen Arbeitsgruppen werden im Rahmen der agilen Produktentwicklung nach SCRUM umgesetzt, von den Zielgruppen erprobt und gegebenenfalls nochmal angepasst, bevor sie in die webbasierte Plattform integriert werden.
Agile Produktentwicklung nach der SCRUM-Methode
Abb. 4: SCRUM-Prozess
Quelle: Wallroth 2010[6]
Die Inhalte der regionalen Lern- und Experimentierräume, sowie der (über)regionalen Arbeitsgruppen werden kontinuierlich in digitale Tools überführt, in unsere digitale Plattform integriert und dadurch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zielgruppen sind insbesondere schwerbehinderte Beschäftigte mit (drohenden) psychischen Beeinträchtigungen, Unternehmen/Organisationen sowie Netzwerke.
Die Entwicklung dieser digitalen Tools orientiert sich an modernen partizipativen Vorgehensweisen der Software-Entwicklung. Dabei werden in mehreren aufeinander folgenden Zyklen Prototypen gebaut und durch kontinuierliches Feedback mit den Benutzenden (z. B. Reviews, Usability-Tests) evaluiert und weiterentwickelt.
In der agilen Produktentwicklung fasst das Entwicklungsteam (GAW, HTW Berlin) zunächst mittels der sogenannten SCRUM-Methode die Inhalte aus den regionalen Lern- und Experimentierräumen, sowie den (über)regionalen Arbeitsgruppen und den Konzepten, die aus den qualitativen und quantitativen Nutzer- und Stakeholder-Befragungen heraus konzipiert wurden, als Arbeitspakete in einem Product Backlog zusammen und priorisiert sie. In monatlichen Sprints werden diese anschließend als digitale Tools für unsere digitale Plattform überführt und im Anschluss von den Benutzenden getestet. Ein Sprint dauert jeweils vier Wochen und beinhaltet typische Ablaufelemente, die im Folgenden kurz erklärt werden:
Vor Beginn des jeweiligen Sprints formuliert das Entwicklungsteam zusätzlich das übergeordnete Sprint-Ziel, ebenso werden User Stories aus den Bedarfen der jeweiligen Zielgruppen (betroffene Beschäftigte, Unternehmen bzw. Organisation sowie Netzwerke), nach dem folgenden Prinzip, abgeleitet:
„Als BEM-berechtigte Person möchte ich mir, auch ohne am BEM teilzunehmen, Hilfe zur Selbsthilfe (Beratung/Selbsthilfe etc.) in meiner Region suchen können, damit ich eigenverantwortlich meine Gesundheit und Arbeitsfähigkeit fördern kann.“
Diese helfen dabei, Nutzerpfade innerhalb verschiedener Szenarien und Kontexte besser zu verstehen.
Im anschließenden Sprint Planning werden aus den User Stories konkrete Aufgaben abgeleitet und Verantwortliche für deren Umsetzung benannt, um dem Entwicklungsteam Orientierung für den anstehenden Sprint zu geben. Es folgen zweimal die Woche ein jeweils 15-minütiges Daily des Entwicklungsteams, bei dem es um den aktuellen Stand der Aufgabenumsetzung geht. Aufbauend auf der Ausarbeitung der für den Sprint relevanten Inhalte (GAW), werden diese unter Berücksichtigung von Barrierefreiheit und Usability in digitale Prototypen überführt (HTW Berlin). Diese digitalen Prototypen werden dem gesamten Entwicklungsteam am Ende jedes Sprints im Review vorgestellt.
Die Entwicklung und Umsetzung der digitalen Plattform erfolgen nach nutzerzentrierten Prinzipien. Dabei werden die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer direkt in die konzeptuelle Entwicklung einbezogen, indem sie die entwickelten Prototypen im Anschluss an die Sprints testen und evaluieren. So entsteht eine von Anbeginn an nutzbare Plattform, welche die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer geeignet abbildet.
III. Digital gestützte Tools
Aus den entwickelten und erprobten Inhalten der Sprints entsteht eine webbasierte Plattform in responsivem Design, die sowohl auf Mobil- als auch auf Desktopgeräten intuitiv nutzbar ist. Diese enthält passende interaktive Elemente, die die erfassten Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer (nach Informationen, Vernetzung, etc.) geeignet abbilden. So soll der Zugang zu den Inhalten möglichst barrierefrei gestaltet werden. Alle Informationen sollen in einfacher Sprache sowie in verschiedenen Formaten ([Ab-] Bild, Text, Ton, Video) übermittelt werden. Auch sollen die entwickelten digitalen Tools sowie die BEMpsy Plattform für Screenreader vollständig nutzbar sein. Darüber hinaus wird Wert auf eine gendersensible Ansprache der Zielgruppen gelegt.
Ziel ist es, mit einer möglichst barrierefreien digitalen Plattform die Wiederherstellung, den Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit von schwerbehinderten Menschen mit (drohenden) psychischen Beeinträchtigungen bzw. in psychischen Krisen zu unterstützen.
Im Rahmen der Produktentwicklung nach SCRUM sind seit Januar 2021 bereits die ersten Produkte in digitale Prototypen überführt worden und werden aktuell von einigen Nutzenden im Hinblick auf ihre Barrierefreiheit und Benutzerfreundlichkeit getestet.
So wurden zum Beispiel, unter dem Sprint Titel „BEM - Das Wichtigste in Kürze“, allgemeine Informationen zum BEM (Gesetz, Prozess, Rollen im BEM) zusammengetragen und, u. a. in Form eines Erklärvideos, FAQs und Prozessdarstellung, digital abgebildet (siehe Abb. 5).
Abb. 5: Prototyp »BEM - Das Wichtigste in Kürze« (FAQs für Beschäftigte im Mobildesign)
In einem weiteren Sprint wurden Marketingmaterialien für die interne Unternehmenskommunikation zum BEM erstellt. Darunter, an die Unternehmenssprache anpassbare, Infomaterialien zum BEM (u. a. Flyer, Poster und Präsentationen) in analoger sowie digitaler Form.
Aktuell wird an einem Leistungskatalog unserer Netzwerkpartnerinnen und -partner gearbeitet, der mit einer intelligenten Suche verknüpft wird. Ziel ist es, Informationen zu unseren Netzwerkpartnerinnen und -partnern, deren Leistungen (z. B. Beratung, finanzielle Unterstützung, Selbsthilfe, Rehabilitationsleistungen, Weiterbildungsangebote) und Direktkontakte übersichtlich darzustellen, um den Bedarfen unserer Zielgruppen nach Informationen, Unterstützung und Vernetzung zu begegnen. Es soll ein Netzwerk von Betroffenen und Informationssuchenden sowie Helfenden und Unterstützenden entstehen.
Zusätzlich zu den bisher erarbeiteten digitalen Produkten werden über die nächsten Monate, in enger Zusammenarbeit mit unseren Zielgruppen, weitere digitale Tools, wie Checklisten für Betroffene und Unternehmen, Handlungsleitfäden, (Best Practice) Videos, und vieles mehr, erarbeitet.
Beitrag von Marianne Giesert, Institut für Arbeitsfähigkeit GmbH (IfA); Ruth Kremser, Gesellschaft für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden mbH (GAW); Merle Wünderling, Gesellschaft für Arbeitsfähigkeit und Wohlbefinden mbH (GAW); Tobias Reuter, Institut für Arbeitsfähigkeit GmbH (IfA); Brit Leissler, Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW)
Fußnoten
[1] DAK Gesundheit, Psychreport 2022 – Entwicklungen der psychischen Erkrankungen im Job: 2011 – 2021, https://www.dak.de/dak/download/report-2533050.pdf, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
[2] Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2021 – Krise Wandel Aufbruch, S. 94, https://www.bkk-dachverband.de/fileadmin/Artikelsystem/Publikationen/2021/Gesundheitsreport_2021/BKK_Gesundheitsreport_2021.pdf, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
[3] Techniker Krankenkasse, Gesundheitsreport 2020, S. 25 ff, https://www.tk.de/resource/blob/2081662/46b8286c8e8698f5856d8d6814d87c37/gesundheitsreport-au-2020-data.pdf, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
[4] Deutsche Rentenversicherung Bund, Pressemitteilung – Psychische Erkrankungen häufigste Ursache für Erwerbsminderung 29.11.2021, https://www.deutsche-rentenversicherung.de/Bund/DE/Presse/Pressemitteilungen/pressemitteilungen_archive/2021/2021_11_30_psych_erkrankungen_erwerbsminderung.html, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
[5] Galvagno/Dalli, Theory of value co-creation: a systematic literature review, 2014, https://www.emerald.com/insight/content/doi/10.1108/MSQ-09-2013-0187/full/pdf?title=theory-of-value-co-creation-a-systematic-literature-review, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
[6] Wallroth, S. (2010): SCRUM-Prozess. Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10772971, zuletzt abgerufen am 26.07.2023.
Stichwörter:
BEM, Rückkehr ins Erwerbsleben (return to work), Betriebliche Gesundheitsförderung (Prävention), Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, BEM und psychische Störungen
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