22.04.2022 Sozialmedizin

Bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung für Kinder und Jugendliche – Probleme und Handlungsoptionen

Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann beschreibt in einer aktuellen Expertise Probleme bei der Versorgung von schwer beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen mit verschiedenen Hilfsmitteln und weist auf den dringlichen Handlungsbedarf vorrangig in der Selbstverwaltung hin. Mit Blick auf die Umsetzung der UN-BRK sei auch der Gesetzgeber gefordert, einen Beitrag zur Verbesserung der Hilfsmittelversorgung und des Versorgungsprozesses zu leisten.

Kinder und Jugendliche mit (schweren) Behinderungen benötigen laut der Expertise häufig Hilfsmittel zur Behandlung und zum Behinderungsausgleich. Am Versorgungsprozess mit einigen Hilfsmitteln wird kritisiert, so Dr. Schmidt-Ohlemann, dass dieser oft nicht sachgerecht verläuft, erhebliche Verzögerungen auftreten und das Verfahren die Familien, Verordner, Leistungserbringer und die Krankenkassen unverhältnismäßig stark beansprucht. Dies führt zum Teil zu erheblichen Beeinträchtigungen der Behandlung, der Teilhabe und zur Entwicklungs­verzögerung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie zur übermäßigen Belastung vor allem der Familien aber auch der anderen beteiligten Akteure. Der finanzielle Aufwand für die Hilfsmittelversorgung dieser relativ kleinen Gruppe sei überschaubar und stehe in keinem Verhältnis zum Aufwand, den alle Beteiligten betreiben.

Als Lösungsoptionen nennt die Expertise u. a. klare verbindliche Regelungen für die Bedarfsermittlung (mit einem eigenen Erhebungsformular) und deren Verankerung in der Hilfsmittelrichtlinie. Zur Beschleunigung des Verfahrens könne auf eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst verzichtet werden, wenn eine Bedarfsermittlung und eine qualifizierte Verordnung durch eine spezialisierte ermächtigte Einrichtung, wie z. B. ein Sozialpädiatrisches Zentrum oder durch ein kompetentes interdisziplinäres Team vorgelegt wird. Außerdem könne eine verpflichten­de Kommunikation mit den Verordnern und die Umsetzung des Beratungsanspruches durch den Medizinischen Dienst die Prüf- und Genehmigungszeiträume verkürzen.

Des Weiteren dürfen die Versorgungsverträge der Krankenkassen mit den Leistungs­erbringern einer wohnortnahen Versorgung nicht entgegenstehen. Erforderlich seien insgesamt mehr Transparenz im Versorgungsprozess sowie zum Leistungsgeschehen.

Die Expertise hat Dr. Schmidt-Ohlemann in seiner Eigenschaft als Landesarzt für Körper­behinderte in Rheinland-Pfalz auf Anregung von Personen mit Behinderungen und ihren Angehörigen, Ärztinnen und Ärzten und anderen betroffenen Akteuren aus Rheinland-Pfalz sowie Mitgliedern des Aktionsbündnisses für bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung erarbeitet.

Expertise: Bedarfsgerechte Hilfsmittelversorgung für Kinder und Jugendliche

(Quelle: Dr. med. Matthias Schmidt-Ohlemann)


Kommentare (2)

  1. Dr.med.Tilman Köhler MSc, SPZ Mecklenburg, Schwerin
    Dr.med.Tilman Köhler MSc, SPZ Mecklenburg, Schwerin 24.04.2022
    Vielen Dank für die Expertise! Für den Diskussionsprozess in den Ländern und Gremien MD, Kostenträger, Leistungserbinger und Verordner sind diese Ausführungen hilfreich. Insbesondere die Einbindung der BSG Rechtssprechung Januar und September 2020 zum Grundrechtsanspruch auf Hilfsmittelversrgung (s. Seite 4 unten) ist als Basis wichtig.
    Ergänzend zum Punkt Wachstum (S. 5 4. Absatz) möchte ich noch den Punkt ergänzen, das sich durch verzögerte Versorgungen wachstumsbedingt rasch relevante neuroorthopädische Folgeprobleme eintreten, die mit erhöhten Folgekosten (kostenintensive stationäre Behandlungen, Operationen) die Versichertengemeinschaft durch Ausgbensteigerungen in diesen Bereichen erheblich belasten.
    Zu den Lösungsvorschlägen auf S. 24 möchte die Anregung zu Erarbeitung eines einheitlichen Verordnungsvordruckes analog dem Reha Vordurck Formular 61 besonders hervorheben. Hier ist es wichtig, dass sich die Akteure gemeinsam zusammenfinden und auf dieser Basis einen HM VO Bogen (Formular XX) entwickeln, der dann sinnvollerwiese in die HM Richtlinie des GBA eingebettet werden kann.
    Auch die Voraussetzung eine HM VO bei kompex behinderten Patienten zu erstellen sollte an Qualtitätsvorgaben einer fachlichen Weiterbildung als Voraussetzung einer VO in der HM Richtlinie gekoppelt werden.
    Hierzu existieren im deutschsprachigen Raum anerkannte curriculare Fort und Weiterbildungsangebote.
  2. Mona Dreesmann
    Mona Dreesmann 24.04.2022
    Die gesamte Thematik ist allumfassend hervorragend analysiert und beschrieben. Die Lösungsmöglichkeiten liegen auf der Hand. Nun bedarf es der Überzeugung und Handlung von PolitikerInnen, eine Änderung zu bewirken.
    Ich hoffe sehr, dass zeitnah im Sinne der Kinder und Jugendlichen mit Behinderung und deren Familien eine tragfähige Lösung erarbeitet wird.
    Dr. Mona Dreesmann
    Chefärztin Neuro- und Sozialpädiatrie
    SPZ Potsdam

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