22.04.2021 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Behindertenverbände kritisieren geplantes Barrierefreiheitsgesetz

Am 22. April 2021 ging der Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ohne Bundestagsdebatte an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Am 17. Mai soll der Ausschuss dann eine auf eine Stunde verkürzte Anhörung zum BFSG durchführen. Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), der Sozialverband Deutschland (SoVD), der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) sowie weitere Verbände kritisieren den Gesetzentwurf und das Vorgehen.

Die ISL beklagt, dass der Gesetzentwurf seinen Namen nicht verdiene. Jessica Schröder empört sich: „Es ist eine Schande, dass ein Thema, welches so essentiell für die nächsten Jahrzehnte sein wird, im Bundestag nicht für die Debatte vorgesehen ist, stattdessen in einem vereinfachten Verfahren noch schneller abgefrühstückt werden soll.“ Weiter kommentiert sie: „In so vielen Bereichen sprechen wir über und pochen wir auf Nachhaltigkeit! Und das zu Recht! Dass eine umfassende Barrierefreiheit das nachhaltigste Instrument ist, eine Gesellschaft inklusiv zu gestalten, wird aber immer noch verkannt.“

Hauptkritikpunkt ist, dass sich das BFSG ausschließlich auf digitale Produkte und Dienstleistungen in nur wenigen Bereichen der Privatwirtschaft richte. Das Gesetz lasse im aktuellen Regierungsentwurf die privatwirtschaftliche Verpflichtung zur barrierefreien Gestaltung der baulichen Umwelt völlig außer Acht. Dies sei ein klarer Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), zu deren Umsetzung sich Deutschland und seine Bundesländer durch die 2009 erfolgte Ratifikation verpflichtet haben.

Andreas Bethke, der Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), sagte zum Gesetzgebungsprozess: „Barrierefreiheit steht nicht zur Debatte und die Bundesregierung steht nicht zur Barrierefreiheit. Wir erwarten, dass die Abgeordneten sich ernsthaft mit dem Gesetzentwurf auseinandersetzen und am Ende ein echter Fortschritt in Sachen Barrierefreiheit erreicht wird.“

Für den Sozialverband Deutschland (SoVD) mahnte Adolf Bauer: „Das Gesetz bietet die Chance, gesellschaftliche Teilhabe im Alltag für Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen deutlich zu verbessern. Dafür müsste der vorliegende Gesetzentwurf allerdings an einigen Stellen deutlich nachgebessert werden. Wenn er ohne eine ernsthafte Debatte und Änderungen einfach so durchgewunken wird, ist das ein katastrophales Signal an die Betroffenen.“ SoVD-Präsident Bauer fordert, „dass es eine umfängliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit geben muss. Das bedeutet, dass das Gesetz auch bauliche Barrieren abbauen sollte. Es ist schlichtweg nicht zielführend, wenn beispielsweise der Bankautomat barrierefrei bedienbar, aber der Weg dorthin unüberwindbar ist.“

Die DVfR nahm bereits am 12. März 2021 Stellung zum Gesetzentwurf. Sie plädiert für eine Ausweitung des Gesetzes auch auf beruflich genutzte Produkte und Dienstleistungen. Neben dem Personenfernverkehr soll auch der Personennahverkehr Vorgaben zur Barrierefreiheit umsetzen. Handlungsbedarf sieht die DVfR auch für die bebaute Umgebung – also etwa öffentliche Gebäudezugänge – und ebenso für Alltagsbereiche wie Gesundheitsdienste, Bildung und Wohnen. Die DVfR hält außerdem die langen Übergangsfristen und vorgesehenen Ausnahmeregelungen für problematisch.

Hintergrund
Das BFSG geht auf die EU-Richtlinie European Accessibility Act (EAA) zurück und soll private Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit verpflichten. Es soll eine Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der EU-Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen herbeiführen.

Weitere Informationen

BFSG-Gesetzentwurf der Bundesregierung (Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 18.03.2021)

DVfR-Stellungnahme zum Referentenentwurf für ein Barrierefreiheitsgesetz

barrierefreiheitsgesetz.org - Infowebseite der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL)

(Quellen: ISL e. V., DBSV e. V., AMD-Netz e. V.)

 

 


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