11.11.2022 Politik

Bundestag verabschiedet Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz

Der Deutsche Bundestag hat am 10. November 2022 das Zweite Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) gebilligt, mit dem Menschen mit Behinderungen in Triage-Situationen besser vor Benachteiligungen geschützt werden sollen. In einer Anhörung und in Stellungnahmen zum Gesetzentwurf haben Behindertenverbände und Ärztevertreter die Neuregelung kritisiert. Auch die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben Bedenken geäußert und fordern eine zeitnahe Evaluation.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bundestags-Drucksachen 20/3877, 20/3953, 20/4145 Nr. 4) wurde mit der Mehrheit beinahe aller Stimmen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen angenommen. Die Neuregelung entstand, um einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 (Az.: 1 BvR 1541/20) Rechnung zu tragen, die Handlungsbedarf hinsichtlich der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen aufgezeigt hatte. Der Gesetzgeber müsse geeignete Vorkehrungen aufgrund des Schutzauftrags des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) und wegen des Risikos für das höchstrangige Rechtsgut Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) treffen.

Die Gesetzesänderung stellt klar, dass bei der Zuteilungsentscheidung, wenn aufgrund einer übertragbaren Krankheit überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten nicht ausreichend vorhanden sind, niemand benachteiligt werden darf, insbesondere nicht wegen einer Behinderung, des Grades der Gebrechlichkeit, des Alters, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Das IfSG enthält ferner Regelungen zum Verfahren: Eine Entscheidung über die Zuteilung dieser Behandlungskapazitäten soll nur nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patienten getroffen werden. In bestimmten Fällen sind bis zu drei Ärzte für die Zuteilungsentscheidung heranzuziehen.

Zur Abstimmung lag den Abgeordneten eine Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (Bundestags-Drucksache 20/4359) mit folgenden Ergänzungen vor:

  • die Konkretisierung, wann überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten in einem Krankenhaus nicht ausreichend vorhanden sind;
  • eine Verpflichtung für Krankenhäuser, eine Zuteilungsentscheidung unverzüglich der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde anzuzeigen;
  • die Auflage an das Bundesministerium für Gesundheit, innerhalb von sechs Monaten nachdem erstmals eine Zuteilungsentscheidung angezeigt wurde, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2025, eine Evaluation der Neuregelung zu beauftragen.

Die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern haben in einer gemeinsamen Erklärung vom 9. November 2022 auf schwerwiegende Diskriminierungsrisiken zu Lasten von Menschen mit Behinderungen im Gesundheitswesen hingewiesen und Zweifel daran geäußert, dass die Neuregelung zur Triage einen wirksamen Schutz vor Benachteiligung biete. Die Behindertenbeauftragten fordern eine zeitnahe Evaluation unter Berücksichtigung rechtlicher, medizinischer und ethischer Gesichtspunkte und unter konsequenter Beteiligung der Organisationen von Menschen mit Behinderungen. Sollte sich herausstellen, dass die Regelungen des Gesetzes nicht geeignet sind, Menschen mit Behinderungen bei ärztlichen Zuteilungsentscheidungen umfassend und wirksam vor Diskriminierung zu schützen, müsse der Gesetzgeber unverzüglich nachsteuern. Die Behindertenbeauftragten bedauern, dass es zu diesem zentralen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffenden Thema keinen breit angelegten und öffentlichen Diskurs im Deutschen Bundestag gab.

Weitere Informationen:

Heute im Bundestag: „Bundestag billigt Gesetz zur „Triage-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts" (Berichte, Anhörungen, Stellungnahmen)

Gemeinsame Erklärung Triage der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern (09.11.2022)

(Quellen: Deutscher Bundestag, Behindertenbeauftragte von Bund und Ländern)


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