16.07.2020 Rechtsprechung

Erstattung der Fahrtkosten zur Arbeit bei stufenweiser Wiedereingliederung

Das Sozialgericht Dresden hat entschieden, dass die Krankenkasse einem Arbeitnehmer, der während einer stufenweisen Wiedereingliederungsmaßnahme Krankengeld erhält, auch die Kosten für Fahrten zum Arbeitsort erstatten muss (Urteil v. 17. Juni 2020, Az. S 18 KR 967/19).

Mit der stufenweisen Wiedereingliederung (StW) wird insbesondere langzeiterkrankten Arbeitnehmenden die Möglichkeit gegeben, ihre Belastungsfähigkeit am Arbeitsplatz stundenweise zu steigern und wieder arbeitsfähig zu werden. Je nachdem, ob die Maßnahme im Zusammenhang mit einer stationären Rehabilitation steht, erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dieser Zeit Krankengeld durch die Krankenkasse oder Übergangsgeld durch die Rentenversicherung. Daneben sind auch die Fahrtkosten zum Arbeitsort zu erstatten, was die Rechtsprechung mittlerweile in verschiedenen Entscheidungen bestätigt hat.

Nach Auffassung des Sozialgerichts Dresden ist die StW eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, auch wenn es nicht z. B. um den Aufenthalt in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung geht, sondern um Tätigkeiten beim Arbeitgeber. Insgesamt sei das Konzept der StW auf eine vollständige Wiederherstellung der Gesundheit der Versicherten ausgerichtet. Dies ergebe sich aus § 28 SGB IX und § 74 SGB V. Bei medizinischer Rehabilitation sehe das Gesetz eine Fahrtkostenerstattung vor. Diese trage zum Erfolg der Maßnahme bei, weil Krankengeld oder Übergangsgeld als Lohnersatzleistungen hinter dem eigentlichen Lohn zurückblieben.

Im konkreten Fall war der Kläger an zehn Tagen von seinem Wohnort in Coswig zum Arbeitsplatz in Dresden gefahren. Das Sozialgericht hat die Krankenkasse zur Zahlung von 85 Euro verurteilt mit Verweis darauf, dass der Anspruch auf die Kosten der Benutzung eines regelmäßig verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittels der niedrigsten Beförderungsklasse beschränkt sei.

Gegen das Urteil kann die Krankenkasse Berufung beim Landessozialgericht Chemnitz einlegen.

(Quelle: Sozialgericht Dresden)


Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.

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Kommentare (3)

  1. Wolfgang
    Wolfgang 12.10.2021
    • Kritisch zum Fehlurteil des SG Dresden Anm. Thomas ASMALSKY, FD-SozVR 2021, 435641 - beck-online. Diese Konstellation ist atypisch, da Pkw-Entschädigung (80 EUR) < ÖPNV (86 EUR) nach eigener Berechnung, was aber alle Beteiligten grandios verkannten einschl. DGB-Rechtsschutz und Sozialrichter, der die Klägerin nicht auf diesen Rechenfehler hinwies.

    • Zu restriktiv und klar abzulehnen Siegfried WURM in Schell, SGB IX, § 73 Rz. 40, zur Deckelung der Wegstreckenentschädigung bei Pendelfahrten mit privatem Pkw bei StW zum Rehabilitationsort und zurück „oh­ne den Nachweis einer medizinischen Notwendigkeit“ für Pkw. Auch verweist der § 60 Abs. 5 SGB V entgegen Wurm nicht auf § 73 Abs. 1 bis 3 SGB IX, son­dern auf § 73 Abs. 1 und 3 SGB IX, da GKV ja niemals Träger zur „Teilhabe am Arbeitsleben“ i.S.d. Abs. 2. Die Auslegung in Rz. 40 ist ebenfalls falsch, jedenfalls soweit es um Be­hin­de­rung oder davon bedrohte arbeitsunfähige Rehabilitanden geht, weil Anspruch für diese aus SGB IX direkt folgt (auch für GKV) laut Normenkette
    § 1 ➔ § 64 Abs. 1 Nr. 5 ➔ § 73 SGB IX
    www.tinyurl.com/Haufe-Reisekosten-Rz40

    • Klar abzulehnen auch SICHERT (BAS) in Becker / Kingreen, SGB V, § 74 Rn. 27, der schlicht die ständ. Rspr. und h.M. „ausblendet“, geschweige denn AZ richtig zitiert; a.A. z.B. Prof. Dr. LUIK, Richter am BSG, LPK-SGB IX, 6. Aufl. 2021, § 44 Rn. 7 und 27, Fußnote 48, und WURM, wonach generell Anspruch auf Fahrkosten bei StW bestehe – entgegen weit verbreiteter Ansicht „vieler Rehabilitationsträger“.
    www.tinyurl.com/Haufe-Fahrkosten
  2. Wolfgang
    Wolfgang 23.11.2020
    anderer Ansicht zur Kfz-Weg­stre­cken­ent­schä­di­gung nach § 73 Abs. 1 und 4 SGB IX n.F. mit Ver­weis auf § 5 Abs. 1 BRKG ist offenbar
    LSG NRW, 07.05.2014 – L 8 R 875/13,
    www.dejure.org/2014,9021

    m.w.N. - wo­nach ent­ge­gen SG Dresden vom 17.06.2020 – S 18 KR 967/19, keine Ver­gleichs­be­rech­nung zwecks De­cke­lung mit ÖPNV-Fahr­kos­ten vor­zu­neh­men ist für Re­ha­maß­nah­men:

    • Die in den sog. Reisekostengrundsätzen der Rentenversicherungsträger geregelte und auch in den Informationsblättern für die Versicherten wiedergegebene Praxis, die Pendelkosten auf 269 Euro zu deckeln, sei RECHTS­WID­RIG.

    • Es gebe dafür keine gesetzliche Grundlage. Die Erstattung von Fahrtkosten für Teilnehmer an Rehabilitationsmaßahmen sei in den Regelungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen des Sozialgesetzbuchs „ab­schlie­ßend“ geregelt.

    • Die Regelung sei in den vergangenen Jahren mehrfach geändert worden, ohne dass der Gesetzgeber dabei den ausdrücklichen Vorschlag sowohl der Bundesagentur für Arbeit als auch des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (DRV) aufgegriffen habe, sie um eine ausdrückliche Begrenzung der Fahrtkosten für Pendler auf 269 Euro monatlich zu ergänzen.

    • Nachdem der Achte Senat des LSG NRW die Rechts­la­ge für EIN­DEU­TIG hält, hat er die Revision zum Bun­des­so­zial­ge­richt nicht zugelassen.
  3. Wolfgang
    Wolfgang 13.10.2020
    Das Fehlurteil kann, was die Höhe der zu erstattenden Fahrkosten durch die Krankenkasse [Name von der Redaktion entfernt] (von Coswig nach Dresden) betrifft, schon nach den Gesetzen der Mathematik keinen Bestand haben:

    [1] ÖPNV: Bei Fahrkartenpreis von 4,30 € pro Fahrt x 2 x 10 Tage = 86 €, also nicht 85 €, wie im Antrag und Tenor falsch angegeben. Hier hätte es wenigstens einer über­schlä­gi­gen Plausibilitätsprüfung per Kopf­rech­nung und eines kurzen richterlichen Hin­wei­ses bedurft zur Grund­re­chen­art der Multiplikation nach § 73 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

    Geht man hier mal rein hy­po­the­tisch von diesem Dresdener „Re­chen­mo­dell“ aus, wäre der tenorierte Betrag von 85 € falsch, da ja rechnerisch 86 € fiktive Auslagen für die 20 Ein­zel­fahr­kar­ten des ÖPNV von Coswig nach Dresden und zurück angefallen wären, also offenbar ein Euro MEHR.

    [2] PKW: Weg­stre­cken­ent­schä­di­gung bei PKW-Fahrt: 0,20 € x 2 x 10 Tage x 20 km = 80 € nach § 73 Abs. 4 Satz 1 letzter Halbsatz SGB IX iVm § 5 Abs. 1 BRKG.
    www.tinyurl.com/73-Abs-4-SGB-IX

    Geht man hingegen von einer Weg­stre­cken­ent­schä­di­gung von 80 € aus (also 0,20 € pro km zu­rück­ge­leg­ter Strecke mit dem PKW laut stän­di­ger In­stan­zen­recht­spre­chung bei PKW-Fahrten), so stünde rech­ne­risch nur der oben be­rech­ne­te Er­stat­tungs­be­trag von 80 Euro zu statt den tenorierten 85 €, also 5 Euro WENIGER als nach der Auslegung und Berechnung des Sozialgerichts.
    www.tinyurl.com/StW-Fahrkosten-Urteile

    Das Urteil ist demnach so oder so daneben und bedarf der Korrektur durch das Berufungsgericht. Die bloße Behauptung des SG Dresden, dass trotz PKW-Fahrten keine pauschale Entschädigung nach dem BRKG in Betracht komme, kann eine stichhaltige Begründung nicht ersetzen.

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