12.02.2021 Internationales

EuGH definiert Auslegung einer Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 26. Januar 2021 über die Auslegung einer Richtlinie zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG) entschieden.  Nach Auffassung des EuGH kann in dem Verhalten des Arbeitgebers – seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderungen einen Zuschlag zum Arbeitsentgelt zu zahlen, wenn sie eine Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung ab einem bestimmten Datum vorlegen, im Vergleich zu anderen behinderten Arbeitnehmern, die ihre Bescheinigung bereits vor diesem Zeitpunkt dem Arbeitgeber vorgelegt haben – eine unmittelbare Diskriminierung liegen.

Beim Bezirksgericht Krakau (Polen) ging die Berufungsklage einer Arbeitnehmerin ein, die sich in dem Verhalten ihres Arbeitgebers diskriminiert sieht. Die klagende Arbeitnehmerin hat eine anerkannte Behinderung. Ihrem Arbeitgeber hat sie eine Bescheinigung über die Anerkennung ihrer Behinderung am 21. Dezember 2011 vorgelegt. Mithilfe dieser Bescheinigung kann der Arbeitgeber nachweisen, dass er Menschen mit Behinderungen beschäftigt, was sich positiv auf die Höhe seiner zu leistenden Zahlungen an den polnischen Staatsfonds für die Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen auswirkt.

Mit dem Ziel die Zahlungen an den Staatsfond weiter zu minimieren, teilte der Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden in der zweiten Jahreshälfte 2013 mit, dass er denjenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die ihm bisher keine Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung vorgelegt hatten und dieses nun nachholen, einen Zuschlag zum Arbeitsentgelt zahlen werde. Lag die Bescheinigung bereits vor dem Aufruf des Arbeitgebers vor, sollte kein Zuschlag gezahlt werden. Die Klägerin fühlt sich durch das Vorgehen ihres Arbeitgebers diskriminiert.

Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hat das Bezirksgericht Krakau den EuGH angerufen und um Beantwortung folgender Frage gebeten:

Ist Art. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass eine Differenzierung der Situation einzelner Personen, die zu einer sich durch eine geschützte Eigenschaft auszeichnenden Gruppe gehören [Arbeitnehmer mit Behinderung], eine Form der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellt, wenn die vom Arbeitgeber vorgenommene Differenzierung innerhalb der Gruppe aufgrund eines scheinbar neutralen Kriteriums erfolgt [Vorlage der Bescheinigung ab einem konkreten Datum], dieses Kriterium nicht durch ein rechtmäßiges Ziel objektiv gerechtfertigt werden kann [Reduzierung der Zahlungen des Arbeitgebers an den Staatsfond] und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels [Zahlung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt] nicht angemessen und erforderlich sind?

Die Antwort des EuGH

In seiner Urteilsbegründung beantwortet der EuGH die Frage des Bezirksgerichts Krakau unter Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Dabei erläutert er sein Vorgehen schrittweise unter Berücksichtigung des vom Bezirksgericht Krakau noch zu entscheidenden Sachverhalts. Darüber hinaus sieht sich der EuGH in seiner ständigen Rechtsprechung nicht gehindert, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise, die ihm bei der Entscheidung seiner anhängenden Rechtssache von Nutzen sein können, mitzugeben.

Der EuGH führt aus, dass mit der Richtlinie ein allgemeiner Rahmen zur Bekämpfung von Diskriminierung aus einem der in Art. 1 genannten Gründe, z. B. wegen einer Behinderung, geschaffen werden soll. Danach ist eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung anzunehmen, wenn der Ungleichbehandlungsgrundsatz wegen einer der in Art. 1 genannten Gründe (z. B. Behinderung) verletzt ist.

Zur Frage der Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe

Zunächst widmet sich der EuGH ausführlich der Frage, ob eine Ungleichbehandlung innerhalb einer Gruppe diskriminierend sein kann, oder eine unmittelbare/mittelbare Diskriminierung sich auf die Ungleichbehandlung zwischen unterschiedlichen Personengruppen (z. B. Menschen mit und ohne Behinderung) beschränkt. Der EuGH gelangt zu der Ansicht, dass eine Ungleichbehandlung auch innerhalb einer Gruppe unter den Begriff „Diskriminierung“ fallen kann. Er entnimmt diese Auslegung u. a. dem Ausdruck „wegen“ in Art. 2, der die Ungleichbehandlung an den Diskriminierungsgrund (z. B. wegen einer Behinderung) knüpft. Zum anderen ist nach Ansicht des EuGH der Zweck der Richtlinie 2000/78 die Bekämpfung jedweder Form der Diskriminierung (z. B. wegen einer Behinderung) in Beschäftigung und Beruf.

Sodann prüft der EuGH, ob die Praxis des polnischen Arbeitgebers – für welchen Fall er die Zahlung eines Zuschlags zum Arbeitsentgelt gewährt – unter den Begriff „Diskriminierung“ im Sinne des Art. 2 Abs. 2 a) der Richtlinie 2000/78 fallen kann. Nach dem Vorgehen des Arbeitgebers sind Arbeitnehmer, die vor dem vom Arbeitgeber benannten Datum ihre Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung vorgelegt haben, vom Erhalt des Entgeltzuschlags ausgeschossen.

Zu der in Art. 2 Abs. 2 a) genannten Voraussetzung der „vergleichbaren Situation“ führt der EuGH aus, dass zur Feststellung der Ungleichbehandlung die Situation auf alle Merkmale zu beurteilen ist, die sie kennzeichnen. Dabei müssen die Situationen, die verglichen werden sollen, nicht identisch sein, aber die Prüfung muss spezifisch und konkret erfolgen. Sodann ist zu prüfen, ob die vergleichbare Situation zu einer ungünstigeren Behandlung einer Personengruppe führt und diese wegen einem der in Art. 1 genannten Gründe (z. B. wegen einer Behinderung) erfolgt. Beruht die ungünstigere Behandlung auf einem Kriterium, das untrennbar mit einem der in Art. 1 genannten Gründe verbunden ist, verstößt diese Behandlung gegen das in Art. 2 Abs. 2 a) verankerte Verbot der unmittelbaren Diskriminierung.

Die Feststellung im konkreten Fall kann vom EuGH nicht übernommen werden. Dem Bezirksgericht Krakau überlässt er für die Urteilsfindung folgende Hinweise: Im konkreten Fall basiert die Ungleichbehandlung auf dem Zeitpunkt der Abgabe der Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung. Es ist nun festzustellen, ob das vom Arbeitgeber gewählte Kriterium untrennbar mit der Behinderung verbunden ist. Wird die Untrennbarkeit angenommen, ist zu schlussfolgern, dass die Praxis des polnischen Arbeitgebers eine unmittelbare Diskriminierung wegen einer Behinderung darstellt und damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 2 Abs. 1 verstößt.

Zur Frage der mittelbaren Diskriminierung

Abschließend beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, ob in der Praxis des polnischen Arbeitgebers auch eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 b) angenommen werden kann. Er führt dazu aus, dass eine Maßnahme, auch wenn sie grundsätzlich neutral formuliert wurde – sich also auf andere Kriterien stützt, die nicht mit einem geschützten Merkmal aus Art. 1 verbunden sind – trotzdem zu einer besonderen Benachteiligung von Personen mit diesem Merkmal führen kann. Der EuGH hat im konkreten Fall die Offensichtlichkeit der Behinderung und damit gegebenenfalls verbundene weitere erforderliche Maßnahmen zur Anpassung der Arbeitsbedingungen im Blick. Es besteht die Möglichkeit, dass Arbeitnehmer, deren Behinderung offensichtlich ist oder weitere Maßnahmen zur Anpassung ihrer Arbeitsbedingungen erfordern, sich vornehmlich verpflichtet sahen, ihre Bescheinigung über die Anerkennung einer Behinderung vor dem vom Arbeitgeber bestimmten Datum einzureichen. Hingegen Arbeitnehmer, deren Behinderung nicht offensichtlich oder mit Maßnahmen zur Anpassung der Arbeitsbedingungen verbunden ist, könnten die Vorlage der Bescheinigung zunächst zurückgehalten haben und diese nun infolge des Anreizes des Arbeitgebers übermitteln. Damit wäre die Personengruppe mit offensichtlichen Behinderungsmerkmalen besonders benachteiligt. Zugleich läge eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 b) vor, sofern diese nicht nach Art. 2 Abs. 2 b) i), ii) zu rechtfertigen wäre.

Zum Urteil des EuGH

(Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/curia.europa.eu)


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