25.01.2024 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Kellerkinder e.V.: Psychosoziale Unterstützung ohne Zwang

Bislang sind ärztliche Zwangsmaßnahmen in Deutschland nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus erlaubt und unterliegen weiteren strengen Vorgaben. Im Zuge der Evaluierung des Betreuungsrechts (§1832 BGB) werden nun auch ambulante Zwangsmaßnahmen diskutiert. Gegen deren Legitimation hat sich nicht nur das Deutsche Institut für Menschrechte (DIMR) gestellt, auch der Verein Kellerkinder e. V. befürchtet in seinem Positionspapier vom 25. Januar 2024 eine massive Einschränkung des Rechts auf Selbstbestimmung durch ambulante Formen des Zwangs außerhalb von Kliniken und Maß­regel­­voll­zug.

Wenn Menschen aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln, können unter Beachtung weiterer Vorgaben ärztliche Zwangsmaßnahmen in Betracht kommen. Dabei handelt es sich z. B. um eine isolierte Unterbringung in einem abgeschlossenen Raum oder Fixierung, etwa am Patientenbett, oder auch um Zwangsmedikation, die im Fall der diskutierten ambulanten Zwangsmaßnahmen besonders im Raum steht. Zwangsmaßnahmen müssen immer ärztlich angeordnet und richterlich genehmigt werden – in Ausnahmefällen kann dies auch im Nachhinein geschehen („rechtfertigender Notstand“).

Das Positionspapier zu „Ambulanten Behandlungsweisungen“ des Kellerkinder e.V. wendet sich ausdrücklich gegen eine mögliche Ausweitung der bestehenden Vorgaben des § 1832 BGB:

„Als Selbstvertretung von Menschen mit psychosozialen Behinderungen stellt sich der Verein Kellerkinder e. V. gegen alle Versuche, die Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen rechtlich auszuweiten. Für eine menschenrechtskonforme Unterstützungslandschaft erachten wir den Verzicht auf Zwang in jeglicher Hinsicht als unbedingt notwendig.“

Was als ‚milderes Mittel‘ zu Zwangsbehandlungen in geschlossenen Einrichtungen angepriesen werde, eröffne die Möglichkeit, Menschen in psychischer Not durch rechtliche Anordnungen auch außerhalb der Klinik zu jahrelanger Injektion von Psychopharmaka durch Depotpräparate zu zwingen, so der Verein. Mit Hinweis auf Publikationen von WHO und Vereinten Nationen zu mangelnder Wirksamkeit ambulanter Behandlungsweisungen bekräftigt der Verein seine Forderung nach ausreichenden und stabilen Finanzierungsmodellen von Unterstützungsangeboten außerhalb klinischer und medizinischer Strukturen. Nur die freiwillige Entscheidung, individuelle Sorgen, Probleme und Nöte zu besprechen, ermögliche es gegebenenfalls, etwas zu verändern oder einen neuen Umgang zu finden.

Kellerkinder e. V. versteht sich als politische Selbstvertretung für die Rechte von Menschen mit psychosozialen Behinderungen. Der Verein veranstaltete 2020/21 einen durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten, partizipativen Trialog mit dem Ziel der konsequenten Umsetzung der Menschenrechte für alle. Die Umsetzung der dabei vereinbarten Handlungsempfehlungen fordert er nun auch im Hinblick auf psychosoziale Unterstützungsangebote.

Die Missstände im psychosozialen Versorgungssystem seien sowohl vom Bündnis deutscher Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) als auch vom Deutschen Institut für Menschenrechte in ihren Parallelberichten eindrücklich dokumentiert worden. So regt die Monitoring-Stelle UN-BRK auch an, „die Vermeidung und Beendigung von Zwang in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen (Psychiatrie, Eingliederungshilfe, Kinder- und Jugendhilfe) als normative Anforderung und strategisches Ziel für Politik und die Praxis der Leistungsgewährung zu definieren“.

Positionspapier zu „Ambulanten Behandlungsweisungen“

Handlungsempfehlungen des Kellerkinder e.V. zum Download (Kurzfassung)

Parallelbericht an den UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zum 2./3. Staatenprüfverfahren Deutschlands

(Quelle: Kellerkinder e.V.; Deutsches Institut für Menschenrechte; Vitos gGmbH)


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