22.10.2019 Rechtsprechung

LSG Niedersachsen-Bremen zur Bewertung einer GPS-Uhr als Hilfsmittel

Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat entschieden, dass mit Blick auf den neuen Behinderungsbegriff im SGB IX eine fixierbare GPS-Uhr mit Alarmfunktion ein Hilfsmittel zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung sein kann (Urteil vom 17. September 2019 - L 16 KR 182/18).

Zugrunde lag der Fall eines 19-jährigen Mannes aus der Nähe von Bremen mit Down-Syndrom, verbunden mit einer geistigen Behinderung und Weglauftendenz. Sein behandelnder Arzt beantragte bei der Krankenkasse eine GPS-Notfalluhr, die Alarm auslöst, sobald er einen definierten Aufenthaltsbereich verlässt. Die Uhr sei erforderlich, da er sich durch Orientierungslosigkeit selbst gefährde und in der Tagesförderungsstätte nicht ständig beaufsichtigt werden könne. Herkömmliche Notrufsysteme habe er bislang eigenständig entfernt; dieses Gerät könne jedoch an seinem Handgelenk fixiert werden.

Die Krankenkasse hielt die Uhr für kein Mittel des Behinderungsausgleichs. Nach ihrer Ansicht seien Mechanismen wie abgeschlossene Türen und ständige Begleitung vorrangig. Das Gerät erleichtere auch nicht die Pflege, sondern diene der Patientenüberwachung.

Das LSG hat der Klage stattgegeben und das Gerät als spezielles Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen bewertet. Dabei hat es sich maßgeblich auf den neuen Behinderungsbegriff gestützt, der das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe in den Vordergrund rückt. Durch das Gerät könnten die Folgen der geistigen Behinderung abgemildert werden indem Mobilität und Bewegungsfreiheit überhaupt erst ermöglicht würden. Anders als bei geistig gesunden Menschen sei in dieser Konstellation gerade keine Freiheitsentziehung zu sehen. Denn die Selbstbestimmung der räumlichen Freiheit sei zwar durch die digitale Überwachung eingeschränkt, jedoch erlaube es die Ortungsfunktion des GPS-Systems überhaupt erst einen gewissen Bewegungsradius zu eröffnen, der ohne Ausrüstung mit einem GPS-System verwehrt sei. Unter den gegebenen Umständen führe die am Handgelenk fixierte GPS-Überwachung zu einer Reduzierung der bestehenden Isolation und Freiheitsentziehung.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der Senat die Revision zugelassen.

Zur Pressemitteilung des LSG Niedersachsen-Bremen

(Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen)


Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.

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