18.08.2023 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Noch kein Paradigmenwechsel – Parallelberichte zur Umsetzung der UN-BRK 2023

Exklusion statt Inklusion ist für Menschen mit Behinderungen in Deutschland nach wie vor an der Tagesordnung – dies moniert der Parallelbericht des Bündnisses deutscher Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK, CRPD) unter Federführung des Deutschen Behindertenrats. Auch die Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte benennt in ihrem Parallelbericht Problemfelder wie das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt und das Gesundheitssystem. Die Berichte bilden zusammen mit dem Bericht der Bundesregierung die Grundlage für die Staatenprüfung vor dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen am 29./30. August 2023.

Eine wichtige Rolle im Prüfverfahren nimmt die Zivilgesellschaft ein. Sie hat das Recht, eigene Informationen einzubringen, zum Beispiel in Form von Parallelberichten oder im Rahmen von formellen und informellen Besprechungen vor und während der Ausschusssitzungen. Das Bündnis deutscher Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention besteht aus 37 Organisationen, darunter die Verbände des Deutschen Behindertenrats (DBR), die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, Selbstvertretungs- und Selbsthilfeverbände sowie Sozialverbände. Sie vertreten einen Großteil der in Deutschland lebenden Menschen mit Behinderungen. Das zivilgesellschaftliche Bündnis ist sich einig, dass Deutschland noch weit von einer umfassenden Umsetzung der UN-BRK entfernt ist. Insgesamt fehle es der deutschen Behindertenpolitik an einer durchgängigen Menschenrechtsperspektive. Das könne man daran sehen, dass Menschenrechte behinderter Menschen unter einen Kostenvorbehalt gestellt würden.

„Immer noch werden Gesetze verabschiedet, die der UN-BRK widersprechen“, bemängelt Prof. Dr. Sigrid Arnade, Vorsitzende des Sprecherinnenrats des DBR. Als Beispiel nennt sie das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz, das mit seiner zugehörigen Richtlinie das Menschenrecht auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform konterkariere und dazu geeignet sei, die betroffenen Menschen gegen ihren Willen in Heime zu zwingen. Weitere Hauptkritikpunkte sind, dass private Anbieter von Waren und Dienstleistungen immer noch nicht durchgehend zur Barrierefreiheit und zu angemessenen Vorkehrungen verpflichtet werden und es an einer umfassenden Gewaltschutzstrategie für behinderte Mädchen und Frauen fehle. Auch lange geforderte Partizipationsstandards seien noch nicht in Sicht.

Leander Palleit, Leiter der Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention erklärte: „Ein echter Paradigmenwechsel in Politik und Gesellschaft hin zu Inklusion und Selbstbestimmung ist auch 14 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtkonvention nicht festzustellen.“

Der Parallelbericht der Monitoring-Stelle kritisiert vor allem das stark ausgebaute System von Sonderstrukturen in Deutschland – sowohl in der schulischen Bildung und bei der Beschäftigung in Werkstätten als auch in Form von großen stationären Wohneinrichtungen. In vielen Bereichen würden Menschen mit Behinderungen und ihre Bedarfe nach wie vor kaum oder gar nicht mitgedacht. So fehle ein durchgängiges Bewusstsein für Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung einer gleichberechtigten Teilhabe. Das gelte beispielsweise für Wohnungsbau, Katastrophenschutz sowie Zugang zu Arztpraxen. Fehlende diskriminierungsrechtliche Verpflichtungen zu Barrierefreiheit im privaten Sektor seien zwar seit langem bekannt, aber politisch nicht bearbeitet.

Weitere Informationen:

DBR-Parallelbericht zur UN-BRK: Zivilgesellschaft kritisiert mangelnde Umsetzung

DBR-Parallelbericht in verschiedenen Übersetzungen

Menschenrechtsinstitut bemängelt Stagnation bei Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland

Monitoring-Stelle: Interview mit Leander Palleit und Britta Schlegel

Eine Nichtregierungs-Stellungnahme hat u. a. auch der Mittendrin e.V. zum Artikel 24 UN-BRK (Bildung) veröffentlicht: Der UNO ist unser Föderalismus egal

Weitere Informationen siehe in der Dokumentation zur 29. CRPD-Session 

(Quellen: Deutscher Behindertenrat, Monitoring-Stelle/Deutsches Institut für Menschenrechte, Mittendrin e.V.)


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