31.03.2023 Politik

Sachverständige überwiegend für „vierte Stufe“ der Ausgleichsabgabe

Der Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts (Bundestags-Drucksache 20/5664) war am 27. März 2023 Gegenstand einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestags. Der Großteil der befragten Sachverständigen begrüßte die geplante Einführung einer vierten Staffel der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Thematisiert wurden auch zwei Anträge der AfD-Fraktion und der Fraktion Die Linke.

Der Regierungsentwurf verfolgt das Ziel, mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeit zu bringen und mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit zu halten sowie zielgenauere Unterstützung für Menschen mit Schwerbehinderung zu ermöglichen. Dies soll durch die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber erreicht werden sowie durch die Konzentration der Mittel aus der Ausgleichsabgabe auf die Förderung der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen auf dem allgemei­nen Arbeitsmarkt und die Optimierung von Antragsverfahren beim Integrationsamt sowie weitere Maßnahmen. Der AfD-Antrag zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/5999) enthält u. a. einen Vorschlag für einen jährlichen Bonus für Unternehmen, die alle Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit Behinderung besetzt haben, während die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag (BT-Drs. 20/5820) spezielle Fördermaßnahmen für langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen sowie für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf fordert.

Umsetzung der Beschäftigungspflicht stärken

In der Anhörung wurde vielfach die Erhöhung der Ausgleichsabgabe begrüßt, insbesondere die Einführung der vierten Staffel bzw. „Stufe“ der Ausgleichsabgabe für „Null-Beschäftiger“, da rund 45.000 Unternehmen die Beschäftigungspflicht nicht erfüllten. Kritisiert wurde, dass Unternehmen die Ausgleichsabgabe weiterhin steuerlich absetzen können und dass der Regierungsentwurf eine Streichung der Bußgeldregelung vorsehe. Damit würde dem Staat die Möglichkeit entzogen, eine Ordnungswidrigkeit zu verfolgen und Recht durchzusetzen. Gleichwohl wurde auf den Interessenkonflikt bei der Bundesagentur für Arbeit als Bußgeldbehörde hingewiesen und empfohlen, künftig eine andere Behörde, den Zoll, mit dieser Aufgabe zu betrauen. Zweifel an der Effektivität der „vierten Stufe“ wurden unter Verweis auf die höhere Belastung der Wirtschaft insgesamt vorgebracht.

Zwei Sachverständige berichteten von Erfahrungen, dass Unternehmen sich auch von selbst an ihre Inklusionsprojekte wenden würden. Es wurde betont, dass Qualifizierungsmaßnahmen und Erprobung in Betrieben entscheidend seien, um Unternehmen beim Aufbau der Inklusion zu unterstützen. Wichtig seien Job-Coaching sowie eine gute Beratung möglichst aus einer Hand. In einem Ausbildungsprojekt für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung wurden die Probleme weniger darin gesehen, passende Unternehmen zu finden, sondern vielmehr, dass Berufsschulen keine Nachteilsausgleiche gewähren wollten und die Verwaltungsverfahren zu langwierig waren.

Weiterhin wurde angesprochen, dass für Unternehmen eine „Holschuld“ gelte, um sich Informationen zum inklusiven Arbeitsmarkt zu beschaffen. Es gebe bereits unzählige Kampagnen und Projekte zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen, Hinweise seien im Internet auf vielen verschiedenen Seiten verfügbar. Positiv äußerten sich die Expertinnen und Experten über die neuen einheitlichen Ansprechstellen, die Arbeitgeber zu Förderwegen beraten und somit eine Lotsenfunktion durch die Trägerlandschaft erfüllen.

Fördermaßnahmen zur Inklusion

Unterstützt wurde zum Teil, dass die Ausgleichsabgabe künftig zweckgebunden zur Förderung von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt genutzt werden soll. Es wurde aber auch erläutert, dass trotz Wegfall der Ausgleichs­abgabe als Finanzierungsmöglichkeit für Werkstätten weiterhin dieselbe Qualität der Dienste und Einrichtungen zu gewährleisten sei.

Ein Fokus wurde in der Anhörung auch auf die Schnittstellen beim Übergang von Schule zu Beruf gelegt. Hier müsse dem „Automatismus, von der Förderschule direkt in die Werkstatt“ bspw. durch einen Anspruch auf Beratung und Berufsorientierung begegnet werden. Auch die Zugangsvoraussetzungen zur WfbM wie z. B. das sogenannte Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit müssten überarbeitet werden, da sie häufig eine Hürde für Menschen mit schweren und Mehrfach-Behinderungen darstellen. Als weiterer Kritikpunkt wurde zudem verzeichnet, dass der Regierungsentwurf keinen Anspruch auf Einleitung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) vorsieht, einem wichtigen Mittel zur Wiedereingliede­rung von Beschäftigten nach einer längeren Arbeitsunfähigkeit.

Dass das Gesetzesvorhaben eine sogenannte Genehmigungsfiktion für das Bewilligungs­verfahren der Integrationsämter enthält, wurde von mehreren Sachverständigen begrüßt. Anträge zu Leistungen, auf die ein Anspruch besteht, z. B. Arbeitsassistenz und Berufs­begleitung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung, würden somit automatisch als genehmigt gelten, wenn das Integrationsamt sich nicht binnen sechs Wochen einschalte.

An der Anhörung nahmen folgende Organisationen teil:

  • Deutscher Gewerkschaftsbund
  • Sozialverband VdK Deutschland e.V.
  • Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.
  • Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V.
  • Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.
  • mittendrin e.V.
  • Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland e.V.

Als Einzelsachverständige wurden Prof. Franz Josef Düwell, Monika Labruier, Claudia Rustige und Prof. Dr. Felix Welti befragt. Die Organisationen und Sachverständigen haben vor der Anhörung schriftliche Stellungnahmen abgegeben, die zusammengefasst in der Ausschussdrucksache 20(11)321 online unter der Seite des Berichts zur Anhörung abrufbar sind.

Weitere Informationen:

Bundestag: Bericht zur öffentlichen Anhörung vom 27. März 2023

Das Parlament: Eine Frage der Teilhabe

(Quelle: Deutscher Bundestag)


Kommentare (1)

  1. Wolfgang
    Wolfgang 15.04.2023
    Wortprotokoll Nr. 20/40 über die Anhörung im BT-Ausschuss Arbeit und Soziales vom 27.03.2023 von Verbänden und Einzel­sach­ver­stän­digen zu einem in­klu­si­ve­ren Ar­beits­markt. www.tinyurl.com/Ausschuss-Protokoll-Inklusion
    (PDF, 272 KB, barrierefrei, Anm. d. Red.)

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