11.05.2022 Politik

Triage: Neustart des Gesetzgebungsprozesses reklamiert

Nach heftiger Kritik hatte der zuständige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Montag Pläne zur sogenannten „Ex-Post-Triage“ bei pandemiebedingt nicht ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten für nichtig erklärt. Damit schloss er den umstrittenen Abbruch einer Behandlung im Krankenhaus zugunsten einer Patientin oder eines Patienten mit größeren Überlebenschancen aus. Nicht nur vonseiten der Menschen mit Behinderungen wird nun ein Neuanfang zur Triage-Regelungsfindung gefordert.

Das Deutsche Ärzteblatt bezieht sich in Berichten auf einen Gesetzentwurf vom 5. Mai 2022, der noch nicht mit den Ressorts abgestimmt gewesen sein soll und dem Deutschen Ärzteblatt vorliege. In dem Papier hieße es in der Begründung, dass für den Fall pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten eine Entscheidung über den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung zum Zweck der Zuteilung der Behandlungsressource an einen anderen Patienten ein erweitertes Mehraugenprinzip gelten solle.

„Wir werden einem solchen medizinisch-ethischen Tabubruch – einem Menschen, der bereits notfallmedizinisch versorgt wird, diese Versorgung wieder zu entziehen, weil ein anderer Mensch bei dieser intensiven Begleitung vorgezogen werden soll, niemals zustimmen und alles in unseren Möglichkeiten Stehende dafür tun, um auch andere NGOs in diese Richtung zu mobilisieren“, bekundete der Verband Sonderpädagogik e. V. (vds) in einer Pressemitteilung. „Und dieses werden wir völlig unabhängig davon tun, ob es sich um einen Menschen mit dem Merkmal Behinderung handelt oder nicht.“ Damit sprach sich der vds wie viele andere deutlich dagegen aus, ein solches Verfahren überhaupt in Betracht zu ziehen. Lauterbach selbst hatte nach massivem Protest Betroffener, von Sozialverbänden und aus der Ampelkoalition den umstrittenen Gesetzentwurf bereits zurückgezogen und die Ex-Post-Triage nachträglich für „ethisch nicht vertretbar und weder Ärzten, Patienten noch Angehörigen zuzumuten“ erklärt.

Einbeziehung von potenziell Betroffenen, Fachleuten, Parlament und Öffentlichkeit

Dieses Hin und Her müsse enden, twitterte am 11. Mai der Deutsche Behindertenrat und forderte einen „seriösen Gesetzentwurf“. Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe, Berichterstatter für Menschen mit Behinderungen der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bezeichnete das bisherige Vorgehen Lauterbachs zur Schaffung einer Triage-Regelung als unprofessionell und verlangte einen Neustart unter transparenter Einbeziehung der potenziell Betroffenen, von Fachleuten, des Parlaments sowie der Öffentlichkeit. Ein neuer Triage-Entwurf muss seiner Ansicht nach u. a. die folgenden Aspekte umfassen:

  • Nicht nur pandemiebedingte Triage in Krankenhaus-Intensivstationen, sondern alle denkbaren Triage-Situationen (z. B. Flugzeugabsturz, Naturkatastrophe, Krieg, Terroranschlag) mit Diskriminierungspotential für Menschen mit Behinderungen müssten gesetzgeberisch aufgegriffen werden.
  • Der Staat müsse wissen, ob Triage stattfinde, und er müsse diese überwachen. Daher müsse es eine Meldepflicht (z. B. an das Gesundheitsamt) und die behördliche Kontrolle durchgeführter Triage-Entscheidungen geben.
  • Verstöße etwa gegen Mehraugenprinzip, Facharzterfordernis und Dokumentationspflicht müssten mit Sanktionen belegt werden.
  • Für die Verfahrensanweisungen der Krankenhäuser müsse es allgemein verbindliche Vorgaben geben, deren Einhaltung von der Krankenhausaufsicht überwacht werden müssten.

Der Paritätische Gesamtverband kritisierte ein überholtes Verständnis von Behinderung in der gesamten Diskussion: „Die Debatte um die Triage hat beispielhaft gezeigt, dass noch immer eine große Diskrepanz zwischen dem Selbstbild und den Erfahrungen behinderter und chronisch erkrankter Menschen und der medizinischen Perspektive auf diesen Personenkreis besteht. Der medizinische Blick auf Behinderung ist noch immer stark defizit- und nicht teilhabeorientiert.“ Eine diskriminierungssensible Perspektive sei schon in der Aus- und Fortbildung im Gesundheitswesen zu verankern.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte vom Gesetzgeber eine Regelung gefordert, die Menschen mit Behinderungen im Fall einer pandemiebedingten Triage vor Diskriminierung schützen soll. Einen entspre­chenden Gesetzentwurf wolle man „in Kürze“ vorlegen, so der Gesundheitsminister gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Darin solle es um die „Ex-Ante-Triage“ gehen, bei der vorab über eine Behandlung entschieden wird. Selbst die Triage im Vorfeld einer Behandlung solle nur unter „hohen Auflagen“ möglich sein, fügte Lauterbach hinzu.

(Quellen: Der Paritätische, Deutsches Ärzteblatt, Hubert Hüppe, Verband Sonderpädagogik e. V.)


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