13.01.2025 A: Sozialrecht Zapfel, Zielinski: Beitrag A1-2025

Förderung beruflicher Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderungen durch ein Mentoring

Der vorliegende Beitrag von Bartholomäus Zielinski und Dr. Stefan Zapfel vom Institut für empirische Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg stellt Befunde des durch den Ausgleichfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Mentoring-Programms „BESSER“ vor. BESSER steht für „Barrierefrei Existenzgründen. Selbständig und erfolgreich im Erwerbsleben mit Behinderung“. Ziel des Projekts ist es, die Möglichkeiten der Aufnahme und Stabilisierung einer beruflichen Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderungen durch eine barrierefreie und bedarfsgerechte Gestaltung der Informationsweitergabe, Beratung und Unterstützung zu verbessern. Spezielle Aufgabe des Mentoring-Programms war es, die Erfolgsaussichten von Gründungsvorhaben von Mentees mit Behinderung zu verbessern. Im Verlauf des Beitrags werden Hindernisse, Erfolge und Verbesserungsansätze auf dem Weg zur Erreichung des Ziels anschaulich herausgearbeitet.

Der vorliegende Beitrag wurde bereits unter dem gleichen Titel in der Zeitschrift RP Reha 3/2024 erstveröffentlicht. Wir danken dem Universitätsverlag Halle-Wittenberg für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.

(Zitiervorschlag: Zapfel, Zielinski: Förderung beruflicher Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderungen durch ein Mentoring; Beitrag A1-2025 unter www.reha-recht.de; 13.01.2025)

I. Ausgangssituation

Die berufliche Selbstständigkeit hat für die Erwerbsbeteiligung von Menschen mit Behinderungen in Deutschland ein deutlich geringeres Gewicht als in anderen Ländern, speziell im südeuropäischen und englischsprachigen Raum, und wird von diesem Personenkreis hierzulande auch spürbar seltener als Alternative zu einer abhängigen Beschäftigung genutzt, als es bei Menschen ohne Behinderung der Fall ist.[1] Neben Gründungsbedenken etwa bezüglich des geringeren Sozialversicherungsschutzes und der höheren Kostenbelastung in der Krankenversicherung sowie dem stärkeren Fokus sozialstaatlicher Beratungsangebote auf Arbeitsverhältnisse gehört zu den wesentlichen Ursachen für diese Situation auch, dass die derzeit vorhandenen Gründungsberatungsorganisationen den Bedarfen gründungsinteressierter Menschen mit Behinderung häufig nicht gerecht werden. Die Probleme reichen hier von mangelnden Kenntnissen der Beratenden über sozialstaatliche Unterstützungsoptionen, die speziell diesem Personenkreis bei der Existenzgründung zustehen, über Defizite in der Barrierefreiheit und einem voreiligen Abraten von Gründungsvorhaben bis hin zu einer mitunter mangelhaften Beratungssensibilität.[2]

Ziel des derzeit durch den „Ausgleichsfonds für überregionale Vorhaben zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales geförderten Projekts BESSER[3] ist es, die Möglichkeiten der Aufnahme und Stabilisierung einer beruflichen Selbständigkeit von Menschen mit Behinderungen durch eine barrierefreie und bedarfsgerechte Gestaltung der Informationsweitergabe, Beratung und Unterstützung zu verbessern. Neben einem neu beim Institut für Freie Berufe an der Universität Erlangen-Nürnberg und der Social Impact gGmbH etablierten Beratungs- und Nachbegleitungsangebot für Gründerinnen und Gründer mit Behinderung gehört hierzu auch ein eigenes, mit einem entsprechenden Budget ausgestattetes Mentoring-Programm, das vom Hildegardis-Verein durchgeführt und mittlerweile abgeschlossen wurde. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Projektbegleitung, mit der das Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg betraut ist, geben Auskunft über die Umsetzungserfahrungen und Leistungen dieses Mentoring-Programms.

II. Vorgehen beim BESSER-Mentoring

Mentoring-Programme erfreuen sich bei der Förderung von Bildungs- und Berufskarrieren einer großen Beliebtheit und zeichnen sich durch einen langfristig angelegten, dyadisch orientierten Beziehungsprozess zwischen einem Mentor oder einer Mentorin mit einem großen Erfahrungsschatz auf einem ins Auge gefassten Gebiet einerseits und einer/-m Mentee, welche/r durch die Erfahrungsvermittlung profitieren soll, andererseits aus.[4] Die Teilnahme soll den Mentees dabei helfen, Netzwerke aufzubauen, Selbstbewusstsein zu entwickeln, Wissen zu erweitern sowie eigene Stärken zu erkennen und zielgerichtet einzusetzen, um – bezogen auf das Arbeitsleben – ihre Karrierechancen zu erhöhen.[5]

Aufgabe des BESSER-Mentorings war es, die Erfolgsaussichten von Gründungsvorhaben von Mentees mit Behinderung zu verbessern, indem sie bei der Anbahnung und Umsetzung ihrer beruflichen Selbständigkeit die Möglichkeit erhielten, sich für die Dauer eines Jahres mit Mentorinnen und Mentoren, die vorzugsweise selbst eine Behinderung haben sollten und Erfahrungen mit beruflicher Selbständigkeit hatten, in einem Tandem persönlich und vertiefend auszutauschen. Ergänzend fanden Gruppenveranstaltungen statt, in denen die Ziele und Rollen geklärt und festgelegt, Netzwerkkontakte bereitgestellt und Reflexionsmöglichkeiten für die Tandemarbeit geschaffen wurden. Die Eckpunkte der Tandemarbeit wurden in einer Mentoring-Vereinbarung festgehalten. Diese umfasste Angaben zur Mentoring-Dauer, zu den jeweils vereinbarten Zielen und Maßnahmen, den Kommunikationswegen, zur Vertraulichkeit des Austauschs und zur Aufgabenverteilung zwischen beiden Parteien. Eine Vorgabe bestand außerdem darin, dass die Tandemtreffen mindestens alle drei Wochen für eine Dauer von jeweils eineinhalb bis zwei Stunden abgehalten werden. Flankierend erhielten die Tandems Empfehlungen und Hinweise zur Protokollierung der Treffen und zum Gesprächsverlauf. Ferner wurden die Mentees dazu angehalten, ein Lerntagebuch für die Dauer des Mentorings zu führen. Zudem wurde vom Hildegardis-Verein (2022) ein Handbuch erstellt, in dem die Ziele und die Umsetzung des Mentorings noch einmal zusammengefasst und praktische Hinweise für die Tandems zusammengestellt wurden. Bei Konflikten hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eine Supervision in Anspruch zu nehmen.

Das BESSER-Mentoring fand in zwei Durchgängen statt und war für die Mentees kostenlos. Insgesamt haben 26 Mentees und 21 Mentorinnen und Mentoren eine Teilnahme am Mentoring-Programm aufgenommen und 13 Tandems erfolgreich beendet.

III. Methoden

BESSER wird wissenschaftlich begleitet. Gegenstand der Begleitforschung sind sämtliche Projektkomponenten, zu denen auch das mittlerweile abgeschlossene Mentoring-Programm gehörte. Zu Evaluationszwecken wurden beim Mentoring insgesamt 18 qualitative Leitfadeninterviews zur Konzeption und zu den Umsetzungserfahrungen geführt, davon elf mit Mentees, sechs mit Mentorinnen und Mentoren sowie ein Interview mit der Koordination des Mentoring-Programms. Die Interviews wurden mit Hilfe der Software MAXQDA einer qualitativen Inhaltsanalyse unterzogen.[6] Ergänzend führte die wissenschaftliche Begleitung Dokumentenanalysen durch, die genauer über Ablauf und Umsetzung des Mentoring-Programms informierten, z. B. das Mentoring-Handbuch. Die Befunde der Begleitforschung werden im Folgenden komprimiert dargestellt.

IV. Ergebnisse

Was die Zusammensetzung der Tandems anbelangt, zeigte sich, dass – wie in Mentoring-Programmen erwünscht – die Mentorinnen und Mentoren einen Erfahrungsvorsprung gegenüber den Mentees zu Fragen der beruflichen Selbständigkeit aufwiesen, in Kategorien des Bildungshintergrunds und der biografischen Behinderungserfahrenheit den Mentees hingegen sehr ähnlich waren. Das hat damit zu tun, dass die Zuordnung (Matching) der Mentees zu den Mentorinnen und Mentoren in Mentoring-Programmen bewusst gesteuert wird und außer in jenem Bereich, der den Kern des Erfahrungstransfers bildet, Ähnlichkeiten gewünscht sind, um in der Tandembeziehung Augenhöhe herzustellen sowie Authentizität, Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu steigern und dadurch den Austausch zwischen den Parteien zu erleichtern. Das ist besonders bei Angeboten von Bedeutung, die sich an Menschen mit Behinderungen richten.[7] Zugang zum Programm erhielten beide Gruppen häufig über bereits bestehende Kontakte zum Hildegardis-Verein, insbesondere die Mentorinnen und Mentoren. Bei den Mentees spielten auch Selbsthilfeorganisationen und Aktivitäten der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit, die das BESSER-Projekt seit seinem Beginn unterstützt, eine zentrale Rolle, um über das Mentoring-Programm Kenntnis zu erlangen.

Erwartungsgemäß speiste sich die Teilnahmemotivation der Mentees vor allem aus der Hoffnung, eine intensive Unterstützung im Gründungsprozess und in der Anfangsphase der beruflichen Selbständigkeit zu erhalten. Hemmend gestalteten sich bei ihnen Sorgen, dass sie trotz besonderer Unterstützung Schwierigkeiten haben könnten, ihre behinderungsbezogenen Bedarfe mit den Anforderungen einer selbständigen Tätigkeit in Einklang zu bringen und eventuell mit Mentorinnen oder Mentoren eine Tandembeziehung einzugehen, die für diese Rolle nicht geeignet sein könnten. Die Mentorinnen und Mentoren hingegen schöpften ihre Motivation zur Teilnahme hauptsächlich aus dem Wunsch, Mentees solidarisch zu unterstützen, und der Option, ihr persönliches Netzwerk durch eine Mitwirkung am Programm auszuweiten. Bei diesem Personenkreis im Vorfeld auftretende Teilnahmebefürchtungen richteten sich auf einen unter Umständen zu hohen zeitlichen Aufwand und darauf, dass es die Mentees an der nötigen Ernsthaftigkeit und am Engagement vermissen lassen könnten.

Im weiteren Verlauf der Teilnahme fiel jedoch die Programmbewertung durch die beiden Gruppen insgesamt positiv aus. Das betrifft zunächst die Programmplanung und -organisation des Mentorings, wobei die Mentees vor allem auf die Barrierefreiheit des Mentoring-Angebots, die Gruppendynamik bei den tandemübergreifenden Veranstaltungen, die Berücksichtigung behinderungsbezogener Bedarfe, die Kompetenz des Mentoring-Personals und die Option, im Bedarfsfall einen Mentorenwechsel vornehmen zu können, Bezug nahmen. Die Mentorenseite hob stärker die aufwandschonende Möglichkeit, an den Mentoring-Treffen und -Veranstaltungen auch digital teilnehmen zu können, und das Gruppenklima hervor. Positiv gestaltete sich für die Mentorinnen und Mentoren auch das Gefühl, die Mentees in ihrem persönlichen und beruflichen Fortkommen unterstützt zu haben. Von den Mentees gut bewertet wurden darüber hinaus die ergänzende Unterstützungsleistung des Mentorings bei Gründungsvorhaben, der niederschwellige Zugang zum Programm, die Zusammenarbeit in den Tandems, die Flexibilität der Mentorinnen und Mentoren wie auch die Vermittlung praktischer Tipps, die für die berufliche Selbständigkeit hilfreich sein können (z. B. (steuer-)rechtlicher Art).

Anregungen zur weiteren Verbesserung richteten sich bei den Mentees darauf, mehr Pausen bei Gruppen-Veranstaltungen einzuplanen, frühzeitig zu den Veranstaltungen einzuladen und die Gruppengrößen bei den tandemübergreifenden Terminen zu reduzieren. Ihre Tandempartnerinnen und -partner regten an, zu Beginn solcher Programme die Mentorinnen und Mentoren noch intensiver auf ihre Rolle vorzubereiten, ein größeres Augenmerk auf Absprachen am Anfang der Teilnahme zu legen und auch stärker berufsorientierte Social-Media-Plattformen einzubeziehen, um die Teilnahmebereitschaft potenzieller Mentorinnen und Mentoren zu erhöhen. Angeregt wurde des Weiteren, die Dauer digitaler Mentoring-Treffen zu verringern und die Einführung von Teilnahmegebühren für Mentees in Erwägung zu ziehen, um für sie einen erweiterten Anreiz zu schaffen, sich aktiv in die Tandem-Arbeit einzubringen.

V. Fazit

Das BESSER-Mentoring hat sich als hilfreiche ergänzende Unterstützung für Gründungsvorhaben von Menschen mit Behinderungen erwiesen und wurde sowohl von den Mentees als auch von den Mentorinnen und Mentoren insgesamt positiv bewertet. Anregungen für mögliche Verbesserungen künftiger Angebote in diesem Bereich richteten sich seitens der Mentees vor allem auf tandemübergreifende Veranstaltungen, weniger auf die Zusammenarbeit in den Tandems, während die Mentorinnen und Mentoren sich bei ihren Verbesserungsvorschlägen auf eine stärkere Vorbereitung und Abstimmung der an sie gerichteten Erwartungen konzentrierten.

Teilnahmegebühren könnten dazu beitragen, entsprechende Angebote zumindest in begrenztem Umfang auch über das Projektende hinaus aufrechtzuerhalten und den Grad der aktiven Mitwirkung von Mentees zu erhöhen.

Beitrag von Dr. Stefan Zapfel und Bartholomäus Zielinski, Institut für empirische Soziologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Fußnoten

[1] Zapfel et al., in: Barrierefrei Existenzgründen. Selbständig und erfolgreich im Erwerbsleben mit Behinderung. Forschungsbericht der Vorstudie. Nürnberg: Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen- Nürnberg/Institut für Freie Berufe an der Universität Erlangen-Nürnberg, 2022, S. 10 ff.

[2] Ashley/Graf, in: The Process and Experiences of Self-Employment Among People With Disabilities: A Qualitative Study. Rehabilitation Counseling Bulletin, 2/2018, Pp. 90–100.

[3] BESSER steht für „Barrierefrei Existenzgründen. Selbständig und erfolgreich im Erwerbsleben mit Behinderung“.

[4] Fleck et al., in: Modul Mentoring. Die One-to-one Mentoring-Beziehung. In: Petersen, R.; Budde, M.; Brocke, P. S.; Doebert, G.; Rodack, H.; Wolf, H. (Hrsg.): Praxishandbuch Mentoring in der Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS, 2017, S. 73 (82).

[5] Hildegardis-Verein e.V., in: iXNet – inklusives Expert*innen-Netzwerk. Die Mentoring-Dokumentation. Bonn: Hildegardis-Verein e.V., 2023, S. 23.

[6] Rädiker/Grizzi, in: The Practice of Qualitative Data Analy- sis – Research Examples Using MAX- QDA. Vol. 2. Berlin: MAXQDA Press, 2024.

[7] Sunderland/Mishkin, in: Guidelines for the Practice and Training of Peer Support. Calgary: Mental Health Commission of Canada, 2013, S. 30; Lammers/Dobslaw/Stricker/Wegener, in: Motives of Peer Support Volunteers with Experiences of Mental and Addictive Disorders: An Innovative Approach in the Context of Employment Promotion in Germany. In: International Journal of Voluntary and Nonprofit Organizations 2022, 2022, o. S.


Stichwörter:

Selbstständigkeit (beruflich), Beratung und Unterstützung, Teilhabe am Arbeitsleben


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