16.12.2022 A: Sozialrecht Tietz: Beitrag A21-2022

Die ergänzende Funktion des Fallmanagements nach § 30 Abs. 7 SGB XIV im Hinblick auf das Teilhabeplanverfahren

Die Reform des Sozialen Entschädigungsrechts hat Auswirkungen auf viele Bereiche des Sozialgesetzbuchs und betrifft dabei in unmittelbarer Weise auch das Rehabilitations- und Teilhaberecht. Mit dem Fallmanagement hat der Gesetzgeber ein neues Instrument in das SGB XIV aufgenommen, welches die Leistungsberechtigten bei der Bewältigung des Verfahrens im SER unterstützen soll. Dabei wird in § 30 Abs. 7 SGB XIV eine Verbindung zum Teilhabeplanverfahren hergestellt. Offen bleibt allerdings, wie diese Verbindung konkret ausgestaltet ist. Der folgende Beitrag von Alexander Tietz soll dieser Fragestellung auf den Grund gehen.

(Zitiervorschlag: Tietz: Die ergänzende Funktion des Fallmanage¬ments nach § 30 Abs. 7 SGB XIV im Hinblick auf das Teilhabeplanverfahren; Beitrag A21-2022 unter www.reha-recht.de; 16.12.2022)

I. Einleitung

Mit Wirkung zum 1. Januar 2024 wird das soziale Entschädigungsrecht in einem neuen Teil unter dem Dach des Sozialgesetzbuchs als SGB XIV zusammengefasst und größ­tenteils vereinfacht[1]. Stärker noch als im bisherigen Recht der sozialen Entschädigung (SER)[2] sollen den Berechtigten die Leistungen im reformierten SER schnell, niedrig­schwellig und unbürokratisch zur Verfügung stehen.[3] Besonderer Ausdruck dessen sind die sogenannten „Schnellen Hilfen“ in §§ 29 ff. SGB XIV, zu denen auch das Fall­management gemäß § 30 SGB XIV gehört.

Das Fallmanagement soll u. a. auch bei Leistungen zur Teilhabe beansprucht werden können (§ 30 Abs. 5 Nr. 3 i.V.m. §§ 62 ff. SGB XIV) und könnte in dem Kontext mit den Vorschriften des Teilhabeplanverfahrens aus §§ 19 ff. SGB IX kollidieren. Der Gesetzgeber hat für diesen Fall angeordnet, dass die Leistungen des Fallmanagements dann nur „ergänzend“ erbracht werden sollen. Was darunter genau zu verstehen ist, wurde jedoch nicht weiter ausgeführt.[4] Da die Koordinierung der Leistungen im Rehabilitations- und Teilhaberecht einen hohen Stellenwert genießt und die Leistungen des SGB XIV im Zweifel auch schnell und niedrigschwellig erbracht werden sollen, ist erörterungsbedürftig, wann und in welcher Form die Leistungen des Fallmanagements das Teilhabeplanverfahren ergänzen.

II. Grundkonzeption des Fallmanagements in § 30 SGB XIV

1. Ziele und Besonderheiten

Das Fallmanagement des SGB XIV soll die Leistungsberechtigten im Falle eines schädi­genden Ereignisses (§ 1 Abs. 2 SGB XIV) aktivierend und koordinierend durch das Antrags- und Leistungsverfahren begleiten, § 30 Abs. 1 SGB XIV.[5] Dazu wird ihnen eine feste Ansprechperson zur Seite gestellt.[6] Das Fallmanagement gehört nach § 3 Nr. 1 SGB XIV zu den Leistungen des SER und stellt nach § 29 Abs. 2 SGB XIV eine Leistung eigener Art dar. Das Fallmanagement ist auch nicht mit den allgemeinen Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten der Leistungsträger aus §§ 13–15 SGB I identisch.[7] Die deutlichen Parallelen zu §§ 13–16 SGB I lassen aber darauf schließen, dass es sich beim Fallmanagement um eine Dienstleistung handelt.[8]

Darüber hinaus wird in der Gesetzesbegründung zum Verhältnis der allgemeinen Pflichten aus §§ 13 ff. SGB I und dem Fallmanagement nach § 30 SGB XIV nichts weiter ausgeführt. Funktional sind die Fallmanagerinnen und Fallmanager nicht für die Bearbei­tung von Anträgen zuständig, sondern sollen das Verfahren nach § 30 Abs. 5 Nr. 4 und 5 SGB XIV unterstützen und begleiten. Die Unterscheidung zwischen den Pflichten aus §§ 13 ff. SGB I und dem Fallmanagement trägt dabei einer wichtigen Erkenntnis Rechnung: Qualität und Wirksamkeit beantragter Leistungen hängen maßgeblich auch von der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens ab. Antragsstellende im Bereich des SER stehen vielfach unter dem Eindruck traumatischer Erlebnisse, die einen beson­deren Unterstützungsbedarf nach sich ziehen können. Die gesetzlichen Pflichten aus §§ 13 ff. SGB I reichen in dem Zusammenhang nicht aus, um diesen besonderen Bedürfnissen innerhalb des Verfahrens gerecht werden zu können. Um den Opfer­schutz dennoch nicht zu vernachlässigen, bietet das Fallmanagement eine ergänzende Vertiefung, die unabhängig von den allgemeinen Pflichten des SGB I bestehen.[9]

Das Fallmanagement kann vom Träger der Sozialen Entschädigung (TdSE) direkt geleistet werden. Es ist den Trägern aber gem. § 39 SGB XIV auch erlaubt, im Rahmen von Beratungs- und Begleitangeboten Kooperationsvereinbarungen mit Organisationen abzuschließen, die eine umfassende qualitätsgesicherte Beratung und Begleitung der Berechtigten sicherstellen.[10] In dem Zusammenhang könnte die Durchführung des Fallmanagements beispielsweise auf Opferhilfeverbände übertragen werden, die (teil­weise[11]) über besonders geschultes Personal[12] verfügen.

2. Besonderheiten hinsichtlich des Antragserfordernisses

Soweit das SGB XIV nichts Abweichendes regelt, besteht im SER grundsätzlich ein Antragserfordernis, § 10 Abs. 1 SGB XIV. Die Leistungen des Fallmanagements werden nach § 30 Abs. 2 SGB XIV mit Einwilligung[13] der Berechtigten erbracht, was implizieren würde, dass die Prüfung, ob ein Anspruch auf Leistungen des Fallmanagements besteht, grundsätzlich von Amts wegen zu erfolgen hat. Ein gesonderter Antrag wäre dem­entsprechend nicht notwendig. Gegen diese Ansicht und grundsätzlich für ein Antrags­erfordernis sprächen aber sowohl die Formulierungen in § 10 Abs. 5 S. 2 SGB XIV als auch in § 11 Abs. 4 SGB XIV.[14]

Zutreffend ist in dem Zusammenhang wohl eine differenzierte Betrachtungsweise: Das Antragserfordernis aus § 10 Abs. 1 SGB XIV bleibt auch für die Leistungen des Fallmanagements maßgeblich.[15] Diese strikte Formulierung wird jedoch von § 10 Abs. 5 S. 2 SGB XIV durchbrochen. Demnach genügt es, wenn nach der Kontaktaufnahme ein Antrag auf Leistungen des Fallmanagements gestellt wird. In dem Zusammenhang wird nicht klargestellt, bis zu welchem Zeitpunkt ein solcher Antrag gestellt werden muss. Mit Blick auf § 10 Abs. 5 S. 1 SGB XIV ist aber davon auszugehen, dass eine Antragstellung wohl unverzüglich i. S. v. § 121 Abs. 1 BGB zu erfolgen hat.[16]

Die Regelungen aus § 10 Abs. 5 S. 2 SGB XIV und § 11 Abs. 4 SGB XIV sind vor allem im Zusammenhang mit § 30 Abs. 6 SGB XIV und der zuvor bereits angesprochenen Kontaktaufnahme durch den Träger zu sehen. Ein solches aktives Zugehen auf Opfer von Gewalttaten kommt aber nur in Betracht, sofern es sich bei dem schädigenden Ereignis beispielsweise um schwere Gewalttaten oder Terroranschläge handelt.[17] Den Trägern der Sozialen Entschädigung sind die Opfer von Gewalttaten grundsätzlich nicht bekannt. Eine allgemeine Informationspflicht durch die Strafverfolgungsbehörden ist, entgegen einem Vorschlag des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren, nicht Teil der Regelung geworden.[18]

3. Differenzierendes Eingreifen: Soll- oder Kann-Leistung

Für die Mehrzahl der Leistungsberechtigten ist das Fallmanagement als „Kann-Leistung“ ausgestaltet. Damit ist dem Leistungsträger ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Entscheidung, ob Leistungen des Fallmanagements gewährt werden (Entschließungs­ermessen), eröffnet (§ 30 Abs. 3 SGB XIV). Für besonders schutzbedürftige Geschä­digte ist das Fallmanagement hingegen als „Soll-Leistung“ konzipiert (§ 30 Abs. 4 SGB XIV). Als besonders schutzbedürftig qualifiziert das Gesetz Personen, die Opfer einer Straftat gegen das Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden sind (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 SGB XIV) oder bei Eintritt des schädigenden Ereignisses minder­jährig waren (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 SGB XIV).

Im Ausganspunkt knüpfen die Begriffe an die Vorgaben des § 2 Abs. 1 SGB IV an. Danach sind berechtigte Personen sowohl Geschädigte wie auch deren Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende. Die einzelnen Personengruppen sind in den weiteren Absätzen des § 2 SGB XIV konkretisiert.

Das Fallmanagement kommt für alle Berechtigten i. S. d. § 2 Abs. 1 SGB XIV in Betracht, vgl. § 30 Abs. 1 SGB XIV. Für bestimmte Geschädigte allerdings nicht nur als „Kann“, sondern sogar als „Soll-Leistung“, vgl. § 30 Abs. 4 SGB XIV. Gemäß § 30 Abs. 4 SGB XIV sollen Geschädigte ein Fallmanagement erhalten, wenn das schädigende Ereignis eine Straftat gegen das Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung war (§ 30 Abs. 4 Nr. 1 SGB XIV) oder wenn sie bei Eintritt des schädigenden Ereignisses minderjährig waren (§ 30 Abs. 4 Nr. 2 SGB XIV). Die unterschiedliche Ausgestaltung hat zur Folge, dass die Leistung für eine kleine Gruppe den Regelfall darstellt, von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden darf (§ 30 Abs. 4 SGB XIV).[19] Im Regelfall ist dem Träger hier also kein Ermessen eingeräumt.[20] Für eine andere, gleichwohl größere Gruppe hängt die Leistung regelmäßig von der Ermessensausübung ab (§ 30 Abs. 3 SGB XIV).

Angehörigen, Hinterbliebenen und Nahestehenden kann nach § 30 Abs. 3 SGB XIV ein Fallmanagement gewährt werden. Dem Träger eröffnet sich dabei ein größerer Ermes­sensspielraum, als es bei geschädigten Personen im Rahmen von § 30 Abs. 4 SGB XIV der Fall ist. § 30 Abs. 3 SGB XIV schließt damit auch an die Regelung aus § 6 SGB XIV an, wonach Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende im Vergleich zu geschädig­ten Personen ebenfalls nur über einen eingeschränkten Anspruch auf Leistungen des SER haben. In beiden Fällen haben die Leistungsberechtigten nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB I jedoch einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Leis­tungsträgers.[21]

Das differenzierende Eingreifen des Fallmanagements zeigt anschaulich, welches Verständnis diesem neuen Instrument zu Grunde liegt. Grundsätzlich scheint der Gesetzgeber nämlich davon auszugehen, dass bestimmte Umstände eines schädigen­den Ereignisses[22] in besonderer Art und Weise traumatisch wirken können, was es umso wichtiger macht, in diesen Fällen frühzeitige Hilfen bereitzustellen[23]. Damit wurde vor allem auch der Kritik betroffener Personen und der Wissenschaft[24] entsprochen, die stets darauf hingewiesen haben, dass die Leistungen nach dem alten SER oftmals nur ver­spätet in Anspruch genommen werden konnten, was die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass sich die Auswirkungen der zu entschädigenden Ereignisse noch weiter ver­schlimmern.[25] Darüber hinaus führte das Verfahren nach dem Oferentschädigungs­gesetz (OEG) immer wieder auch zu Retraumatisierungserfahrungen.[26] Aus systema­tischer Perspektive lässt sich dabei anhand der gesetzlichen Voraussetzungen ein ver­einfachter Zugang für Geschädigte zu den Leistungen des Fallmanagements feststellen. Während es nämlich zur Gewährung von Leistungen des SER an Geschädigte grunds­ätzlich darauf ankommt, dass das Vorliegen einer sog. dreigliedrigen Kausalkette im Rahmen eines Vollbeweises nachgewiesen wird[27] (§ 4 Abs. 1 SGB XIV), verlangt § 30 Abs. 4 SGB XIV (abweichend davon) lediglich das Vorliegen bestimmter Umstände. Diese Erleichterung im Verfahren soll vor allem jenen Personen zu Gute kommen, die beim Eintritt des schädigenden Ereignisses minderjährig waren oder aber Opfer einer Straftat gegen das Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung geworden sind, da sich typischerweise gerade in solchen Fällen erhebliche traumatische Wirkungen ein­stellen können.[28] Mit der Sollbestimmung in § 30 Abs. 4 SGB XIV ist das Einschreiten regelmäßig intendiert. Deshalb werden Kinder und Jugendliche gem. § 30 Abs. 4 Nr. 2 SGB XIV unabhängig von den konkreten Tatumständen schon wegen ihres Alters als besonders schutz- und unterstützungsbedürftig eingestuft. Gerade bei Fällen i. S. v. § 30 Abs. 4 Nr. 2 SGB XIV muss man daher auch davon ausgehen, dass das Ermessen des TdSE regelmäßig auf Null reduziert ist. Die Schnellen Hilfen dürfen dabei auch nicht auf das Fallmanagement reduziert werden, sondern müssen immer im Zusammenhang mit den Leistungen in einer Traumaambulanz (§§ 31 ff. SGB XIV) gesehen werden, die ganz maßgeblich und auch frühzeitig (vgl. § 32 SGB XIV) dazu beitragen können, die Aus­wirkungen potenziell traumatischer Erfahrungen zu reduzieren.[29] Darüber hinaus sind die Leistungen des SGB XIV auch an keine Fristen gebunden. Denn die Opfer sollen grundsätzlich selbst entscheiden können, wann sie bereit sind, sich mit den Taten in einem SER-Verfahren auseinanderzusetzen.

4. Verfahrensrechtliche Ausgestaltung

Der Zugang zu Leistungen des Fallmanagements ist auch im Rahmen des Verwaltungs­verfahrens deutlich niedrigschwelliger ausgestaltet.[30] Denn den Leistungen des Fall­managements kommt im Zusammenhang mit der Geltendmachung von (sozialen) Rechten eine wichtige verfahrensrechtliche Rolle zu.[31] Sie werden daher nach § 115 Abs. 1 SGB XIV im Erleichterten Verfahren erbracht. Gemäß § 115 Abs. 2 S. 1 SGB XIV reicht es im Erleichterten Verfahren aus, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass die antragstellende Person nach dem SER anspruchsberechtigt sein kann. Dabei ist der im Antrag dargelegte Sachverhalt als wahr zu unterstellen, wenn nicht dessen Unrichtigkeit offensichtlich ist, § 115 Abs. 2 S. 2 SGB XIV. Es wird dabei weder eine Feststellung über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des von der antragstellenden Person vorgetragenen Sachverhaltes, noch über das Bestehen oder Nichtbestehen weiterer, über die Schnellen Hilfen hinausgehender Ansprüche getroffen (§ 115 Abs. 3 SGB XIV).

Aus dem Regelungszusammenhang der Norm ergibt sich, dass es sich bei dem Fall­management um eine Leistung handelt, die in erster Linie koordinierend auf das Sozial­verwaltungsverfahren einwirken soll, ansonsten aber keine eigenständige Bedeutung hat (§ 116 Abs. 2 SGB XIV). Darüber hinaus ist es vor allem das Ziel, die Leistungs­berechtigten in eine aktive Position zu versetzen. Zu diesem Zweck soll das Fall­management so früh wie möglich im Verfahren ansetzen. Sollte sich im späteren Verlauf herausstellen, dass neben dem Fallmanagement kein Anspruch auf Leistungen des SER besteht, kann sich das nicht (finanziell) nachteilig für die antragstellende Person aus­wirken. Denn auch in diesem Fall werden die Kosten (für die erste Kontaktaufnahme) nach § 11 Abs. 5 SGB XIV übernommen. Auf diese Weise sollen auch solche Personen zur Inanspruchnahme eines Fallmanagements animiert werden, die nicht sicher sind, ob ihnen Leistungen des SER zustehen.[32]

In sachlicher Hinsicht umfasst das Fallmanagement in § 30 Abs. 5 SGB XIV die Ermittl­ung des möglichen Hilfebedarfs (Nr. 1), den Hinweis auf mögliche Sozialleistungen (Nr. 2), die Begleitung der Berechtigten mit dem Ziel des Erhalts zügiger und aufeinander abgestimmter Leistungen, soweit sie Ansprüche gegen andere Träger von Sozialleis­tungen nach den Kapiteln 5, 6, 7 und 11 haben oder haben könnten (Nr. 3), die Unter­stützung bei der Antragstellung (Nr. 4), die Aufklärung über die Einleitung und den Ablauf des Verfahrens in der Sozialen Entschädigung sowie die Begleitung des Verfahrens in der Sozialen Entschädigung (Nr. 5). Die Aufzählung ist nicht abschließend und kann erweitert werden.

Das Fallmanagement nimmt eine herausgehobene Stellung für die Koordinierung des Verfahrens im SER ein. Dementsprechend wichtig ist es, Bedingungen zu schaffen, damit die Leistungen auch tatsächlich gewährleistet werden können. Hier rückt vor allem die Ausstattung der zuständigen Träger mit hinreichenden finanziellen und personellen Mitteln in den Fokus.[33]

TdSE sind nach § 111 SGB XIV die Länder. Diese bestimmen nach § 112 S. 1 SGB XIV die in ihrem Bereich sachlich zuständigen Behörden. Die nach Landesrecht bestimmten Behörden sind dementsprechend auch für das Fallmanagement zuständig.

Die Kostentragung ist getrennt von der sachlichen Zuständigkeit zu betrachten und wird in §§ 133 ff. SGB XIV thematisiert.[34] § 133 SGB XIV entspricht dabei der alten Regelung in § 4 Abs. 7 S. 1 OEG, verzichtet allerdings auf eine Pauschalierung nach § 4 Abs. 7 S. 3 OEG, was die Frage nach der Finanzierung einzelner Maßnahmen teilweise kompli­ziert gestaltet.[35]

III. Grundkonzept des Teilhabeplanverfahren nach §§ 19 ff. SGB IX[36]

In welchem Verhältnis steht nun das Fallmanagement zum Teilhabeplanverfahren? Das Teilhabeplanverfahren ist in erster Linie ein Verfahren zur Koordinierung der Leistungen des SGB IX.[37] Es stellt grundsätzlich ein qualifiziertes Bedarfsfeststellungsverfahren dar, welches immer dann durchgeführt werden muss, wenn die Voraussetzungen aus § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX oder § 19 Abs. 2 S. 3 SGB IX vorliegen. Zum einen ist das der Fall, wenn eine Mehrheit an Rehabilitationsträgern (§ 19 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 SGB IX) oder Leistungsgruppen (§ 19 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 SGB IX) vorliegt oder die leistungsberechtigte Person unabhängig von diesen Voraussetzungen die Durchführung eines Teilhabeplan­verfahrens wünscht (§ 19 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Im Rahmen des Teilhabeplanverfahrens sollen die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hin­sichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen festgestellt und schriftlich oder elektro­nisch so zusammengestellt werden, dass sie nahtlos ineinandergreifen, § 19 Abs. 1 S. 1 SGB IX. Das gesamte Verfahren muss nach § 19 Abs. 2 S. 1 SGB IX in einem Teilhabe­plan dokumentiert werden. Dabei sind insbesondere die in § 19 Abs. 2 S. 2 SGB IX aufgeführten Aspekte zu berücksichtigen.

Als besonderer Bestandteil des Teilhabeplanverfahrens kann eine Teilhabeplankonfe­renz durchgeführt werden (§§ 20 SGB IX, 58 Abs. 1 GE-Rehaprozess). Die Teilhabe­plankonferenz dient dazu, die für die Erreichung der Ziele des § 48 GE-Rehaprozess und für die Erstellung des Teilhabeplans notwendigen Beratungen und Abstimmungen mit dem Leistungsberechtigten, der beteiligten Rehabilitationsträger untereinander sowie gegebenenfalls mit weiteren beteiligten Stellen und Akteuren zu bündeln bzw. erst zu ermöglichen, § 58 Abs. 1 S. 2 GE-Rehaprozess.

Das Teilhabeplanverfahren ist nach Vorstellung des Gesetzgebers als standardisiertes Verwaltungsverfahren im Rehabilitationsrecht vorgesehen.[38] Der Teilhabeplan soll nach § 19 Abs. 4 S. 1 SGB IX die Grundlage der abschließenden, trägereigenen Leistungs­entscheidung bilden. Die Begründung des Leistungsbescheids soll erkennen lassen, inwieweit die Feststellungen des Teilhabeplans berücksichtigt worden sind, § 19 Abs. 4 S. 2 SGB IX.

Dieser Anspruch deckt sich allerdings noch nicht mit der Wirklichkeit. In der Praxis werden Teilhabeplanverfahren (samt Teilhabeplankonferenzen) bisher nur selten durch­geführt.[39]

IV. Ergänzende Wirkung nach § 30 Abs. 7 SGB XIV

Teilhabeplanverfahren und Fallmanagement scheinen auf den ersten Blick dasselbe Ziel zu verfolgen. Beide Instrumente sollen eine verbesserte Koordination der verschiedenen Leistungen im gegliederten System gewährleisten, setzen dabei allerdings unterschied­liche Schwerpunkte.

Während das Teilhabeplanverfahren vor allem als Planverfahren ausgestaltet ist, welches auf trägerübergreifender Ebene ansetzt und die Leistungsberechtigten dabei berücksichtigt, ist das Fallmanagement eine für die einzelne Person vorgesehene Dienstleistung, die Leistungsberechtigte aktivierend durch das Antrags- und Leistungs­verfahren begleiten soll (§ 30 Abs. 1 SGB XIV).

Treffen Fallmanagement und Teilhabeplanung aufeinander, dann werden gem. § 30 Abs. 7 SGB XIV die Leistungen des Fallmanagements ergänzend zu den Verfahrens­regelungen aus §§ 19 ff. SGB IX erbracht.

Erste Anhaltspunkte bei der Ermittlung der ergänzenden Wirkung können dabei § 7 Abs. 2 SGB IX und § 21 SGB IX sein.

Zunächst ist festzuhalten, dass sich das Teilhabeplanverfahren ausdrücklich auch an die Träger des SER richtet, denn diese sind auch Rehabilitationsträger im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 5 SGB IX, vgl. §§ 62 ff. SGB XIV. Grundsätzlich sind die Vorschriften zum Teilhabeplanverfahren dabei nach § 7 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht abdingbar. Das Leis­tungsrecht des SGB XIV und dementsprechend auch die Leistungen des Fallmanage­ments nach § 30 SGB XIV können also keine gegenüber den §§ 19 ff. SGB IX abweichenden Regelungen treffen.[40]

Ergänzungen durch abweichende Regelungen, die den Sinn und Zweck des Teilhabe­planverfahrens fördern, vor allem solche Regelungen, die den Leistungsberechtigten zugutekommen, sind aber nicht ausgeschlossen. Diese Auslegung ergibt sich vor allem aus der Zusammenschau mit § 37 S. 2 SGB I, der einen ähnlichen Anwendungsvorrang wie § 7 Abs. 2 S. 1 SGB IX formuliert. Im Kontext von § 37 SGB I wird, unter Hinweis auf das Effektuierungsgebot aus § 2 Abs. 2 SGB I, davon ausgegangen, dass Regelungen der einzelnen Leistungsgesetze wirksam sein können, wenn sie die rechtliche Position der Leistungsberechtigten grundsätzlich stärken.[41]

Ein ähnliches Ergebnis lässt sich auch § 21 SGB IX[42] entnehmen. Danach gelten in bestimmten Situationen die Vorschriften für die Gesamtplanung (§ 21 S. 1 SGB IX) und das Hilfeplanverfahren (§ 21 S. 2 SGB IX) ergänzend. Weder in der Gesetzesbegrün­dung zu § 21 SGB IX noch in der Norm selbst wurde, ähnlich wie in § 30 Abs. 7 SGB XIV, ausgeführt, was unter der ergänzenden Geltung verstanden werden kann.

Mit Blick auf die übergeordnete Bedeutung des Teilhabeplanverfahrens und den grundsätzlichen Ansatz aus § 7 Abs. 2 S. 1 SGB IX, nämlich das Ziel der Vereinheitli­chung rehabilitationsrechtlicher Koordinationsregelungen, ist davon auszugehen, dass die Regelungen zum Gesamt- und Hilfeplanverfahren in §§ 36 Abs. 2 SGB VIII, 117 ff. SGB IX nur dann zur Anwendung kommen, wenn sie den Grundsätzen des Teilhabe­planverfahrens nicht widersprechen.[43]

V. Fazit

Grundsätzlich dürfen die Leistungen des Fallmanagements also dann ergänzend an­gewandt werden, wenn sie den Grundsätzen des Teilhabeplanverfahrens nicht wider­sprechen bzw. die rechtliche Position der Leistungsberechtigten stärken. Letzteres ist dabei jedoch immer im Einzelfall und unter dem Vorbehalt des Vereinheitlichungs­grundsatzes aus § 7 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu bewerten.

Ziel des BTHG ist es, den Rehabilitationsprozess zu optimieren und die Leistungen „wie aus einer Hand“ zu gewähren. Das Teilhabeplanverfahren ist im Hinblick auf dieses Anliegen eines der wichtigsten Instrumente im SGB IX. Zur Verwirklichung dieses Ziels soll das Verfahren nach §§ 19 ff. SGB IX u. a. auch partizipativ ausgestaltet werden.[44] Hier kann das Fallmanagement des sozialen Entschädigungsrechts anknüpfen.[45]

Dessen unterstützende und aktivierende Funktion (vgl. § 30 Abs. 5 SGB XIV) kann im Zusammenhang mit dem Teilhabeplanverfahren dazu führen, dass die Leistungs-berechtigten Partizipationsrechte selbstständig wahrnehmen und darüber hinaus besser in den Rehabilitationsprozess eingebunden sind.[46]

Die Regelungen aus § 30 SGB XIV können auf diese Weise das grundsätzliche Anliegen des Teilhabeplanverfahrens fördern und tragen damit gleichfalls zur Umsetzung von Art. 3 lit. c) UN-BRK bei, der Partizipation als Querschnittsanliegen verankert, welches im gesamten Bereich des Rehabilitationsrecht Geltung entfaltet.[47] Damit wird den Voraussetzungen aus § 7 Abs. 2 SGB IX entsprochen und die einheitliche Anwendung ergänzender Regelungen aus § 30 Abs. 7 SGB XIV und § 21 SGB IX sichergestellt.

Beitrag von Alexander Tietz, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Fußnoten

* Ein besonderer Dank gilt Dr. Christian Weber, der zur Entstehung dieses Beitrags maßgeblich beigetragen hat.

[1] Hansen, Beitrag D10-2020 unter www.reha-recht.de.

[2] So existierten, ohne gesetzliche Verpflichtung, bereits in einigen Bundesländern „Fallmanager“ (z. B. Niedersachsen, Bayern, NRW), vgl. Weber, RP-Reha 3/2019, S. 26, 30.

[3] Tabbara, NZS 2020, S. 210, 212, 214.

[4] Bundestags-Drucksache (BT-Drucks.) 19/13824, S. 184.

[5] Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Das neue Soziale Entschädigungsrecht – SGB XIV, 1. Auflage 2021, Rn. 94.

[6] BT-Drucks. 19/14870, S. 31.

[7] Weber, RP-Reha 3/2019, S. 26, 30.

[8] Vgl. Spellbrink, in: KassKomm-SGB I, 117. EL, Dezember 2021, § 11 SGB I, Rn. 27; Weber, in: Schmidt, SGB XIV, 1. Auflage 2021, § 133 SGB XIV, Rn. 14; a.A. BT-Drucks. 19/13824, S. 183; BR-Drucks. 351/19, S. 208; Bienert, in: Schmidt, SGB XIV, 1. Auflage 2021, § 30 SGB XIV, Rn. 6.

[9] Mushoff, in: LPK-SGB XIV, 1. Auflage 2022, § 30 SGB XIV, Rn. 7.

[10] Ebd., Rn. 17.

[11] Das scheint aber auch davon abhängig zu sein, wie stark die Verbände in den einzelnen Bundesländern aufgestellt sind.

[12] Vgl. dazu Ausschussdrucks. 19 (11) 505, S. 69.

[13] Also der vorherigen Zustimmung, vgl. § 183 S. 1 BGB.

[14] Karl, Fn. 9, § 10 SGB XIV, Rn. 31, § 11 SGB XIV, Rn. 37 f.; Baumeister, in: BeckOK-SozR, 64. Edition, Stand: 01.03.2022, § 115 SGB XIV, Rn. 42.

[15] Knickrehm, Fn. 10, § 10 SGB XIV, Rn. 22; § 11 SGB XIV, Rn. 25; Mushoff, Fn. 10, § 30 SGB XIV, Rn. 22.

[16] Knickrehm, Fn. 10, § 10 SGB XIV, Rn. 23 f.

[17] Bundesrats-Drucks. 351/19, S. 210.

[18] Bienert, Fn. 9, § 30 SGB XIV, Rn. 40, m. w. N.

[19] Bienert, Fn. 9, § 30 SGB XIV, Rn. 28 f.; Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Fn. 6, Rn. 98.

[20] Spellbrink, in: KassKomm-SGB I, 117. EL, Dezember 2021, § 39 SGB I, Rn. 9.

[21] Dazu Bienert, Fn. 10, § 30 SGB XIV, Rn. 23.

[22] § 30 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 2 SGB XIV.

[23] Bienert, Fn. 9, § 30 SGB XIV, Rn. 24.

[24] Vgl. Ausschussdrucks. 19 (11) 505, S. 34, 45, 60; Schmachtenberg, in: Weisser Ring e. V., Moderne Opferentschädigung, S. 148.

[25] Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Fn. 5, Rn. 93.

[26] Ausschussdrucksache 19 (11) 505, S. 41.

[27] Karl, in: Fn. 9, Rn. 14, 20.

[28] Dazu überblicksartig: Sonnenmoser, Deutsches Ärzteblatt, 4/2011, S. 177 ff.

[29] Vgl. Knickrehm/Mushoff/Schmidt, Fn. 6, Rn. 103; Rassenhofer et al., Psychotherapeut 61 (2016), S. 197 ff.

[30] Karl, in: Fn. 9, Rn. 25.

[31] Kohte, RP-Reha 3/2019, S. 59, 60.

[32] BT-Drucks. 19/13824, S. 174.

[33] Vgl. Kohte, RP-Reha 3/2019, S. 59, 61.

[34] Kador, in: jurisPK-SGB XIV, 1. Auflage 2020, Stand: 29.11.2021, § 112 SGB XIV, Rn. 11.

[35] Vgl. dazu Weber, Fn. 9, § 133 SGB XIV, Rn. 2, 10 ff. 14, m.w.N.

[36] Vgl. dazu Stähler, Beitrag A42-2021 unter www.reha-recht.de.

[37] BT-Drucks. 18/9522, S. 239.

[38] BT-Drucks. 18/9522, S. 239.

[39] BAR, 3. Teilhabeverfahrensbericht, 2022, S. 119 ff.

[40] Dazu Nebe in LPK-SGB XIV, 1. Auf., § 62 Rn. 10 ff.

[41] Spellbrink, in: KassKomm-SGB I, 117.EL, Dezember 2021, § 37 SGB I, Rn. 12.

[42] Schimanski, in: Großmann et al., GK-SGB IX, 118. EL, Stand: 01.11.2021, § 21 SGB IX, Rn. 9, 22 f.

[43] Schian/Giraud, in: Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 4. Auflage 2018, § 21 SGB IX, Rn. 5

[44] BT-Drucks. 18/9522, S. 193, 196.

[45] Ausführlich auch Nebe in LPK-SGB XIV, § 62 Rn. 16 f.

[46] Vor dem Hintergrund kann auch die Teilnahme der Fallmanagerinnen und Fallmanager am Teilhabeplanverfahren auf Seiten der Leistungsberechtigten diskutiert werden (vgl. § 13 Abs. 4 SGB X).

[47] Deutsches Institut für Menschenrechte, Position Nr. 3 zur UN-Behindertenrechtskonvention, Dezember 2010.


Stichwörter:

Teilhabeplanverfahren, Teilhabeplan, Soziales Entschädigungsrecht, SGB XIV, Ermessensspielraum, Ermessen, Koordination, Fallmanagement/Case Management (Fall-Management/Case-Management), BTHG


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