Die Autorin Dr. Natalie Waldenburger widmet sich in der vierteiligen Beitragsreihe dem Förderinstrument der Unterstützten Beschäftigung, das in Deutschland in § 55 SGB IX (§ 38a SGB IX a.F.) gesetzlich verankert ist. Der dritte Beitragsteil beschäftigt sich mit dem leistungsberechtigten Personenkreis nach § 55 SGB IX. Nach Auffassung der Autorin wird die Leistungsgewährung nach § 55 SGB IX nicht durch den Status der Werkstattbedürftigkeit begrenzt. Damit wird ein weiterer Unterschied zum Konzept des Supported Employment aufgezeigt, welches sich gerade auch an Personen richtet, für die nur eine Werkstattbeschäftigung in Betracht kommt.
(Zitiervorschlag: Waldenburger: Unterstützte Beschäftigung nach § 55 SGB IX –Teil III: Der leistungsberechtigte Personenkreis; Beitrag A23-2018 unter www.reha-recht.de; 13.11.2018)
I. Leistungsberechtigte nach § 55 Abs. 1 und 2 SGB IX
Die Unterstützte Beschäftigung richtet sich an Menschen mit Behinderungen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf aufweisen (§ 55 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 SGB IX). Zur Bestimmung des Begriffs der Behinderung ist auf die Definition des § 2 Abs. 1 SGB IX und im Bereich der Bundesagentur für Arbeit (BA) zusätzlich auf § 19 SGB III zurückzugreifen.[1] Weitergehende Fragen wirft die nähere Konkretisierung des besonderen Unterstützungsbedarfs auf. Hierbei ist zu beachten, dass § 55 SGB IX lediglich von behinderten und nicht von schwerbehinderten Menschen spricht. Ausgehend vom Wortlaut der Vorschrift und unter Berücksichtigung ihrer systematischen Stellung im ersten Teil des SGB IX verbietet sich daher ein Rückgriff auf Bestimmungen, die an eine Schwerbehinderung anknüpfen. Dies betrifft sowohl die in § 192 Abs. 2 und in § 215 Abs. 2 SGB IX beschriebenen Zielgruppen der Integrationsfachdienste und Inklusionsbetriebe als auch die in § 155 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX genannten besonders betroffenen schwerbehinderten Menschen. Ausgehend von der gesetzlichen Zielsetzung des § 55 SGB IX, Menschen mit Behinderungen eine angemessene, geeignete und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten, müssen die Leistungen des § 55 SGB IX allen Menschen mit Behinderungen zustehen, die eine entsprechende Beschäftigung anstreben oder erhalten möchten und zur Stabilisierung sowie Sicherung ihrer beruflichen Teilhabe der Unterstützung durch geeignete Fachdienste bedürfen.[2] Der unbestimmte Rechtsbegriff des besonderen Unterstützungsbedarfs darf nach diesem Verständnis nicht restriktiv ausgelegt werden, sondern ist deskriptiv und umfassend zu verstehen.[3] Bei der weiteren Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs ist zudem das Verhältnis des § 55 SGB IX zu inhaltlich weiterführenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu berücksichtigen. Diesbezüglich folgt aus der Gesetzesbegründung, dass berufsvorbereitende Maßnahmen oder Berufsausbildungen den Leistungen nach § 55 SGB IX vorgehen.[4] Seinen Grund hat dies darin, dass diese Leistungen den Abschluss in einem anerkannten bzw. einem behinderungsgerechten Ausbildungsberuf nach § 66 Berufsbildungsgesetz, § 42m Handwerksordnung anstreben und damit eine günstigere Erwerbsaussicht als eine durch § 55 SGB IX geförderte ungelernte Tätigkeit bieten. Gleiches gilt für berufliche Weiterbildungen, die dann in Betracht kommen, wenn der behinderte Mensch bereits im Erwerbsleben stand. Unter Berücksichtigung des so skizzierten Verhältnisses ist somit bereits dann von einem „besonderen“ Unterstützungsbedarf auszugehen, wenn die vorrangig in Anspruch zu nehmenden Maßnahmen der §§ 49, 50 SGB IX nicht zur Realisierung der beruflichen Teilhabe ausreichen.[5]
II. Ausschluss von werkstattberechtigten Personen?
Anhaltspunkte, welche Personengruppen der Gesetzgeber bei der Normierung des § 55 SGB IX im Blick hatte, ergeben sich aus der Gesetzesbegründung[6] und dem darin in Bezug genommenen Bericht der Bundesregierung über die Wirkung der Instrumente zur Sicherung von Beschäftigung und zur betrieblichen Prävention. In diesem heißt es, „dass es für schwerbehinderte Menschen, deren Leistungsfähigkeit an der Grenze zur Werkstattbedürftigkeit liegt und die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, lediglich in den Integrationsprojekten eine bundesweit einheitliche Förderstruktur mit einem betrieblichen Ansatz gibt.“[7] Dies führt zur Frage, ob Menschen mit Behinderungen, die werkstattberechtigt im Sinne von § 219 SGB IX sind, von den Leistungen nach § 55 SGB IX ausgeschlossen sind.
Von der BA wurde dies bereits in der ersten öffentlichen Ausschreibung zur Vergabe der Konzeption und Durchführung von Maßnahmen für die InbeQ bejaht.[8] Auch in der aktuell geltenden Fachlichen Weisung zu § 55 SGB IX (dort unter Ziffer 2) heißt es, dass werkstattbedürftige Menschen im Sinne des § 219 SGB IX nicht zur Zielgruppe des § 55 SGB IX zählen. Dieser pauschale Ausschluss kann unter Berücksichtigung des oben bereits beschriebenen Verständnisses des Begriffs des besonderen Unterstützungsbedarfs nicht überzeugen. Die Maßnahme des § 55 SGB IX richtet sich an Menschen mit Behinderungen, die Potenzial für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, für diesen Übergang aber auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind. Der Unterstützungsbedarf darf jedoch nicht zu einem pauschalen Leistungsausschluss solcher Menschen führen, die bislang auf Werkstattleistungen angewiesen sind und daher als werkstattbedürftig gelten.[9] Bei der Prüfung der Leistungsberechtigung muss die Frage im Vordergrund stehen, ob sich die Personen mit der Unterstützung von Fachkräften auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt behaupten können.[10] Die von der BA vorgenommene Einteilung der Personen in „werkstattberechtigt“ und „nicht werkstattberechtigt“ birgt die Gefahr, die zur Beantwortung der Frage erforderliche prognostische Einzelfallbetrachtung zu missachten. Personen, die noch auf Werkstattleistungen angewiesen sind, könnten voreilig von den Leistungen nach § 55 SGB IX ausgeschlossen werden. Die strenge Statusgrenze zwischen „werkstattberechtigt“ und „nicht werkstattberechtigt“ ist daher nicht geeignet, das Ziel des Gesetzgebers, mittels des § 55 SGB IX mehr Menschen mit Behinderungen eine Alternative zur Werkstattbeschäftigung zu ermöglichen, umzusetzen. Sie trägt auch nicht der im Gesetz selbst angelegten Überschneidung beider Personengruppen Rechnung. Schließlich gehört es zu den originären Aufgaben einer WfbM, das Potenzial der Werkstattbeschäftigten zu erkennen und zu fördern (§ 219 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, S. 3 SGB IX). Dass grundsätzlich auch Werkstattbeschäftigte Leistungsberechtigte im Sinne von § 55 SGB IX sein können, ergibt sich ferner aus § 2 Abs. 2 Werkstättenverordnung (WVO). Danach hat der Fachausschuss bei der Erstellung der Teilhabeplanung Maßnahmen nach § 55 SGB IX einzubeziehen. Zwar gilt dies ausdrücklich nur bei der vor der Werkstattaufnahme abzugebenden Stellungnahme. Als beratendes Gremium muss der Fachausschuss aber während der gesamten Werkstattbeschäftigung prüfen, ob die Teilnahme an einer anderen oder weiterführenden beruflichen Bildungsmaßnahme (§ 4 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 WVO) oder Maßnahmen zur Übergangsförderung (§ 5 Abs. 5 WVO) in Betracht kommen und darüber Stellungnahmen abgeben. Zu den genannten Maßnahmen zählt auch § 55 SGB IX. Demzufolge lassen sich die leistungsberechtigten Personen des § 55 SGB IX nicht scharf von den Werkstattberechtigten abgrenzen, sondern sind dynamisch aus einem sich überschneidenden Bereich zu bestimmen.[11] Unter Beachtung der Zuständigkeitsregelungen für die Leistungen zur InbeQ und der prognostischen Einzelfallbetrachtung können somit auch behinderte Menschen im Eingangsverfahren, Berufsbildungs- und Arbeitsbereich einer WfbM leistungsberechtigt sein.
III. Personalschlüssel als Begrenzung des leistungsberechtigten Personenkreises?
Eine weitere Frage, die sich im Themenfeld des leistungsberechtigten Personenkreises stellt, ist, welche Auswirkungen der in § 7 Abs. 2 Nr. 7 S. 1 GE UB festgelegte Personalschlüssel hat. Konkret wirft das darin geregelte Zahlenverhältnis von Fachkräften zu behinderten Menschen bei der InbeQ von 1 zu 5 die Frage auf, ob behinderte Menschen, deren Unterstützungsbedarf davon nicht gedeckt werden kann, von der Förderung ausgeschlossen sind.
1. Rechtliche Einordnung und Bewertung
Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die GE UB von ihrer Rechtsnatur her eine Verwaltungsvereinbarung zwischen den Leistungsträgern darstellt.[12] Als solche richtet sie sich nur an die Vereinbarungspartner und entfaltet keine unmittelbare rechtliche Außenwirkung im Verhältnis zu den leistungsberechtigten Personen.[13] Mittelbar wirkt sich die Festsetzung des Zahlenverhältnisses jedoch insofern aus, als die Verträge, die die Reha-Träger mit den Leistungserbringern über die Ausführung der Leistung nach § 38 SGB IX abschließen, die Konkretisierungen der GE UB aufgreifen werden. Da die Verträge nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX Regelungen über Qualitätsanforderungen an die Ausführung der Leistungen und das beteiligte Personal enthalten müssen, liegt es nahe, dass regelmäßig nur eine 1 zu 5 Betreuung vertraglich vereinbart und vergütet wird. Dieser Umstand kann dennoch keinen Leistungsausschluss von Personen mit einem höheren Unterstützungsbedarf begründen. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber die Reha-Träger und die BIH in § 55 Abs. 6 S. 1 SGB IX lediglich dazu ermächtigt hat, die in § 55 Abs. 5 SGB IX genannten Qualitätsanforderungen der Leistungserbringer in einer gemeinsamen Empfehlung zu konkretisieren und weiterzuentwickeln.[14] Das Zahlenverhältnis ist zwar in dem mit „Anforderungen an die Strukturqualität“ überschriebenen § 7 GE UB und dort als Nr. 7 unter dem als „Personelle Anforderungen“ bezeichneten zweiten Absatz zu finden. Als solche dient die Vorgabe zunächst der Konkretisierung der personellen Anforderungen und somit der gesetzlichen Zielsetzung. Bei starrer Handhabung bewirkt die Vorgabe jedoch einen Leistungsausschluss von Personen, deren Unterstützungsbedarf nicht von dem Personalschlüssel abgebildet werden kann. Damit berührt die Festsetzung zugleich die Leistungsvoraussetzungen. Deren Festlegung wurde jedoch nicht an die Reha-Träger übertragen, sondern ist nach § 31 SGB I Aufgabe des Gesetzgebers. Dies spricht gegen die rechtliche Zulässigkeit der leistungsverkürzenden Konkretisierung.[15] Gestützt wird diese Einschätzung durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Bezug auf die „Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining vom 01.10.2003“.[16] In diesem Kontext hat das BSG die Ansicht vertreten, dass die Rahmenvereinbarung mangels gesetzlicher Regelungsbefugnis nicht geeignet sei, den gesetzlichen Anspruch auf Funktionstraining und auf Rehabilitationssport einzuschränken.[17] Eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung auf die gemeinsame Empfehlung ist mit Blick auf die vom 1. Senat des BSG festgestellte vergleichbare Funktion beider Regelungswerke angezeigt.[18] Darüber hinaus kann die Vorgabe in der GE UB auch nicht in Einklang mit dem Verständnis der EUSE gebracht werden, deren Qualitätskriterien nach dem Willen des Gesetzgebers in der GE UB jedoch Berücksichtigung finden sollen.[19] Die EUSE spricht sich für eine personenbezogene Unterstützung aus, die sich an den individuellen Bedarfen der Leistungsberechtigten und der Betriebsinhaber orientiert.[20]
2. Praktische Umsetzung
Bei der praktischen Umsetzung des hier gefundenen Ergebnisses ist § 28 Abs. 1 S. 2 SGB IX zu berücksichtigen. Danach bleibt der Reha-Träger auch dann für die Ausführung der Leistung verantwortlich, wenn die Leistung unter Inanspruchnahme Dritter ausgeführt wird. Vor diesem Hintergrund darf sich eine ungenügende Leistungsausführung durch den Leistungserbringer nicht zulasten des Leistungsberechtigten auswirken.[21] Um seiner Verantwortung gerecht zu werden, kann der Reha-Träger zur Abdeckung eines höheren Unterstützungsbedarfs die Kosten für eine Arbeitsassistenz übernehmen. Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitsassistenz nach § 49 Abs. 8 S. 1 Nr. 3 SGB IX der Erlangung eines Arbeitsplatzes dienen muss, im Rahmen der InbeQ jedoch keine arbeitsvertraglichen Beziehungen begründet werden.[22] Dass es auf das Bestehen arbeitsvertraglicher Beziehungen nicht ankommt, folgt aus der Rechtsprechung hinsichtlich der Frage, ob Leistungen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich der WfbM mit der Arbeitsassistenz gefördert werden können.[23] Das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt bejahte das Vorliegen eines Arbeitsplatzes und die Möglichkeit einer Förderung[24] ohne darauf einzugehen, dass Teilnehmer an Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich gem. §§ 221 Abs. 4, 52 S. 1, 2 SGB IX nicht in den Betrieb der WfbM eingegliedert werden und keine Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes sind. Doch unabhängig davon wäre ein Anspruch auf die erforderliche Unterstützung jedenfalls als sonstige Hilfe von § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX umfasst. Das Ziel der sonstigen Hilfen besteht darin, die berufliche Eingliederung behinderter Menschen umfassend zu fördern und erstreckt sich daher auch auf Leistungen, die die Teilnahme an der InbeQ erst ermöglichen sollen.[25]
IV. Fazit und Ausblick auf den nächsten Teil
Unter Berücksichtigung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Leistungen richtet sich § 55 SGB IX an alle Menschen mit Behinderungen, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anstreben und dafür der Unterstützung durch geeignete Fachdienste bedürfen. Die Leistungsgewährung hängt von der Prognose ab, ob die Person durch die InbeQ eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen kann. Die dabei zu berücksichtigenden Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten werden nicht durch den in § 7 Abs. 2 Nr. 7 S. 1 GE UB genannten Personalschlüssel beschränkt. Auch wenn nach der hier vertretenen Auffassung die Leistungsgewährung nicht durch den Status der Werkstattbedürftigkeit begrenzt wird, zeigt sich an dieser Stelle ein weiterer Unterschied zum Konzept von Supported Employment. Denn dieses richtet sich gerade auch an Personen, für die nur eine Werkstattbeschäftigung in Betracht kommt.[26] Diese Personengruppe hatte der Gesetzgeber bei der Normierung des § 55 SGB IX jedoch nicht im Blick. Im nächsten Teil wird der Frage nachgegangen, wie die Leistungen der Berufsbegleitung für behinderte Menschen, die weder schwerbehindert noch schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind, sichergestellt werden können.
Beitrag von Dr. Natalie Waldenburger
Fußnoten
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Berufliche Teilhabe, Unterstützte Beschäftigung, Qualifizierung, Berufsbegleitung, Bundesteilhabegesetz (BTHG), Rehabilitationsleistungen
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