15.01.2015 A: Sozialrecht Walling: Beitrag A3-2015
Sind Mehrkosten einer Leistung zur Teilhabe vom Versicherten zu tragen? – Teil 2
Der Autor beschäftigt sich in seinem zweiteiligen Beitrag mit der Frage, ob bei Leistungen zur Teilhabe entstandene Mehrkosten vom Versicherten selbst zu tragen sind. Nachdem er im ersten Teil des Beitrags die verschiedenen Regelungen der Leistungsträger erläutert hat, befasst er sich im zweiten Teil mit dem Eigenbeteiligungsrecht der Versicherten.
Dem Autor zufolge besteht ein Eigenbeteiligungsrecht zur Abwendung einer abgelehnten Entscheidung eines Rehabilitationsträgers. Schließlich zieht der Autor ein Fazit und betont darin, dass Versicherte grundsätzlich einen Anspruch auf die am besten geeignete Leistung haben.
Dieser Beitrag beantwortet einige der Fragen, die in der Diskussionsrunde „Praktische und rechtliche Fragen des Wunsch- und Wahlrechts“ im moderierten Online-Forum „Fragen – Meinungen – Antworten“ im September/Oktober 2014 diskutiert wurden. Die Zusammenfassung dieser Diskussionsrunde finden Sie in Forum D.
(Zitiervorschlag: Walling: Sind Mehrkosten einer Leistung zur Teilhabe vom Versicherten zu tragen? – Teil 2; Forum A, Beitrag A3-2015 unter www.reha-recht.de; 15.01.2015)
Im zweiten Teil des Beitrags setzt der Autor seine Ausführungen aus Beitrag A2-2015 fort und befasst sich dabei insbesondere mit einem möglichen Eigenbeteiligungsrecht der Versicherten.
II. Eigenbeteiligungsrecht
Fraglich ist ferner, ob ein Eigenbeteiligungsrecht des Versicherten besteht, damit dessen Wunsch nicht wegen fehlender Wirtschaftlichkeit abgewiesen werden kann.
Im Rahmen des Sachleistungsprinzips ist der Rehabilitationsträger grundsätzlich für die gesamte Leistungserbringung verantwortlich. [1] Wenn jedoch behauptet wird, eine Eigenbeteiligung sei nur dort zulässig, wo dies in einem Leistungsgesetz – z. B. § 40 Abs. 2 S. 2 SGB V – ausdrücklich geregelt ist, widerspricht dies nach der hier vertretenen Auffassung dem Selbstbestimmungsrecht des Versicherten. [2]
Sofern Gegner eines Eigenbeteiligungsrechts ausführen, dieses konterkariere das Wunschrecht und würde ein gesetzlich nicht normiertes Amortisationsgebot postulieren, mag dies an der rechtswidrigen Praxis einiger Verwaltungsträger liegen. [3] Wenn von diesen bei Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts sämtliche Kosten, die über einer angebotenen Vergleichsleistung liegen, als Mehrkosten vom Versicherten verlangt würden, wäre dies rechtswidrig und kritikwürdig. Richtig verstanden sind zu erstattende Mehrkosten nur solche Kosten, die nicht mehr angemessen und daher unwirtschaftlich sind.
Wenn gesellschaftliche Grundgüter umverteilt werden, kann damit der Chancengleichheit näher gekommen werden. Sofern Mehrkosten nicht mehr angemessen sind, schädigen sie das finanzielle Potenzial des Kollektivs unangemessen. Ein ausgeübtes Eigenbeteiligungsrecht des Versicherten kann diese Schädigung nicht nur abwenden, [4] sondern auch ein Bewusstsein für die Verantwortlichkeit der Inanspruchnahme fördern.
Die Ablehnung eines Wunsches wegen anfallender Mehrkosten kommt bei eigener Kostentragung der nicht mehr verhältnismäßigen Mehrkosten durch den Berechtigten daher nicht in Betracht. [5] Dies entspricht der älteren Rechtsprechung zu den Wahl- und Stellvertreterleistungen im Krankenversicherungsrecht, die den Versicherten Gestaltungsalternativen eingeräumt hatte, sofern sie die Mehrkosten trugen. [6] Auch das SGB IX scheint mit der Geldleistungsalternative des § 9 Abs. 2 SGB IX von einem allgemeinen Mehrkostentragungsrecht des Versicherten auszugehen. [7] Es besteht daher ein Eigenbeteiligungsrecht zur Abwendung einer ablehnenden Entscheidung. [8]
III. Fazit
Der Versicherte hat unabhängig etwaiger Mehraufwendungen grundsätzlich Anspruch auf die am besten geeignete Leistung, § 19 Abs. 4 S. 1 SGB IX. Mit Ausnahme des Hilfsmittelbereichs gilt, dass die Kosten für die Leistung grundsätzlich vom Leistungsträger zu tragen sind, auch wenn sie höher sind als bei der vom Leistungsträger ursprünglich vorgeschlagenen Leistung. Im Anwendungsbereich des SGB IX sind Mehrkosten nicht aus der Differenz der vorgeschlagenen mit der gewünschten Leistung, sondern zwischen der optimalen und der gewünschten Leistung zu bestimmen. Ein Wunsch nach einer bestimmten Leistung kann dann nicht abgelehnt werden, wenn die nicht mehr verhältnismäßigen Mehrkosten vom Berechtigten getragen werden. [9]
Beitrag von Fabian Walling, Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg
Fußnoten:
[1] BSG vom 28.06.1983, 8 RK 22/81, BSG 55, 188, 193 f.
[2] A.A. Fuhrmann/Heine, Das Wunschrecht nach § 9 I SGB IX und der Leistungserfüllungsort – am Beispiel der medizinischen Rehabilitation, SGb 2009, 516, 523.
[3] Fuhrmann/Heine a. a. O., S. 534, mit Hinweis auf „die derzeitige Praxis vieler Krankenkassen“.
[4] De lege ferenda wäre aus sozialen Gesichtspunkten an eine sozial abgestufte Eigenbeteiligung zu denken.
[5] Juris-PK-SGB IX, Luthe, § 9 Rn. 30; ähnlich für das Sozialhilferecht aber nicht konsequent Neumann u.a., § 9 SGB IX Rn. 6: verhältnismäßige Mehrkosten dürfen das Wunschrecht nicht beschränken, zumindest dann nicht, wenn die Mehrkosten selbst getragen werden; vgl. auch LSG Saarbrücken vom 04.08.2006, L 7 RJ 22/04 (juris): „Auch im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kann vom Rehabilitationsträger grundsätzlich eine zumutbare Selbsthilfe und Eigenbeteiligung verlangt werden.“
[6] Deinert/Neumann, Handbuch SGB IX, 2. Aufl., § 6 Rn. 23.
[7] Deinert/Neumann, a. a. O.
[8] So auch LSG Saarland vom 04.08.2006, L 7 RJ 22/04 (Pilotenlizenz für Hubschrauber).
[9] Juris-PK-SGB IX, Luthe, § 9 Rn. 30; ähnlich für das Sozialhilferecht aber nicht konsequent Neumann u.a., § 9 SGB IX Rn. 6: verhältnismäßige Mehrkosten dürfen das Wunschrecht nicht beschränken, zumindest dann nicht, wenn die Mehrkosten selbst getragen werden; vgl. auch LSG Saarbrücken vom 04.08.2006, L 7 RJ 22/04 (juris): „Auch im Rahmen der beruflichen Rehabilitation kann vom Rehabilitationsträger grundsätzlich eine zumutbare Selbsthilfe und Eigenbeteiligung verlangt werden.“
Stichwörter:
Teureres Hilfsmittel, Wunsch- und Wahlrecht, Hilfsmittelversorgung, Mehrkostenvorbehalt, Unverhältnismäßige Mehrkosten, Erstattung selbstbeschaffter Leistungen (§ 15 SGB IX), Selbstbeschaffung, Hilfsmittel
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