18.05.2022 A: Sozialrecht Kohte, Conrad-Giese: Beitrag A4-2022
Ende der Amtszeit einer Schwerbehindertenvertretung in einem verselbstständigten Dienststellenteil – Anmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.06.2021 – 12 TaBV 402/21
Im vorliegenden Beitrag besprechen Maren Conrad-Giese und Wolfhard Kohte die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2021, Az. 12 TaBV 402/21. Das Landesarbeitsgericht bejaht in seinem Beschluss die Frage, ob das Ende der Amtsperiode des Personalrats mit der Beendigung einer fingierten Selbstständigkeit eines Dienststellenteils bzw. einer Nebenstelle mittels eines Verselbständigungsbeschlusses auch das Ende der Amtszeit der dort gewählten Schwerbehindertenvertretung bedingt. Dies ergebe sich aus § 177 Abs. 7 Satz 3 SGB IX, wonach das Amt vorzeitig erlischt, wenn die Vertrauensperson ihre Wählbarkeit verliert. Anlass für den Verlust der Wählbarkeit war im vorliegenden Fall das Ende der Existenz der durch den Verselbständigungsbeschluss fingierten Dienststelle. Schließlich verneint das Gericht das Bestehen etwaiger Übergangsmandate, da der § 177 Abs. 8 SGB IX i. V. m. § 21a BetrVG ausdrücklich nur für Betriebe und damit nicht für Dienststellen anwendbar sei.
Die Autorin und der Autor begrüßen die Entscheidung. Sie betonen zugleich die Relevanz der Schwerbehindertenvertretung und merken an, dass nach einem Verselbständigungsbeschluss möglichst zeitnah eine Schwerbehindertenvertretung in der selbstständigen Dienststelle gewählt werden sollte, damit eine möglichst lange Amtszeit gewährleistet werden kann.
(Zitiervorschlag: Kohte, Conrad-Giese: Ende der Amtszeit einer Schwerbehindertenvertretung in einem verselbstständigten Dienststellenteil – Anmerkung zu LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.06.2021 – 12 TaBV 402/21; Beitrag A4-2022 unter www.reha-recht.de; 18.05.2022)
I. Thesen
- Mit dem durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) geänderten § 177 Abs. 8 SGB IX zur Regelung von Übergangsmandaten der Schwerbehindertenvertretungen wurden die unionsrechtlichen Vorgaben der RL 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie) nur teilweise umgesetzt. Im Hinblick auf den öffentlichen Dienst enthält § 177 Abs. 8 SGB IX insoweit eine Regelungslücke, für die bis zum Sommer 2021 eine analoge Anwendung des Betriebsverfassungsrechts geprüft werden musste; inzwischen ist § 29 BPersVG analog heranzuziehen.
- Wird eine Nebenstelle oder ein Dienststellenteil durch Beschluss (vorübergehend) verselbstständigt, sollte möglichst zeitnah eine Schwerbehindertenvertretung (SBV) außerhalb der regelmäßigen Wahlperiode gewählt werden, um eine möglichst lange Amtszeit zu erreichen.
II. Wesentliche Aussagen des Beschlusses
- Endet mit der Amtsperiode des Personalrats die durch einen Verselbständigungsbeschluss fingierte Selbstständigkeit eines Dienststellenteils/einer Nebenstelle, endet auch die Amtszeit der dort gewählten SBV.
- Die Regelungen zum Ende der Amtszeit entsprechen sich im Regelfall im Betriebsverfassungsrecht und im Personalvertretungsrecht.
III. Der Sachverhalt
Streitig ist die Interessenvertretung in einer Bundesbehörde mit 23 Standorten. Beim Hauptsitz in Köln ist eine SBV gebildet. Im vorliegenden Fall geht es um den Standort Strausberg, bei dem für die Amtsperiode bis Ende April 2020 ein eigener Personalrat gebildet worden war. Die Grundlage dafür war ein Verselbständigungsbeschluss gem. § 6 Abs. 3 Bundespersonalvertretungsgesetz a. F. (BPersVG; inzwischen: § 7 BPersVG). Infolgedessen wurde für den Standort auch eine eigene SBV, die hier Klägerin ist, gewählt. Die gewählte Vertrauensperson wurde zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben von ihrer beruflichen Tätigkeit zu 10% freigestellt.
Bei der Personalversammlung im November 2019 kam für den Standort Strausberg kein erneuter Verselbständigungsbeschluss zu Stande. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die Beschäftigten des Standorts Strausberg an der Personalratswahl am Hauptsitz in Köln teil. Ab Mai 2020 bestand für diesen Standort kein örtlicher Personalrat mehr.
Die Behörde beteiligte daraufhin die SBV des Standortes nicht mehr. Außerdem teilte sie der Vertrauensperson mit, dass die Funktion der örtlichen SBV erloschen sei, weil der Standort Strausberg seine Dienststelleneigenschaft verloren habe. Der Standort werde künftig von der SBV am Hauptsitz vertreten und die 10%ige Freistellung werde zum 1. August 2020 aufgehoben.
Die SBV hat daraufhin ihren Fortbestand und die Fortgeltung der Freistellung vor dem Arbeitsgericht (ArbG) geltend gemacht. Aus ihrer Sicht sei die Amtszeit der SBV nicht vorzeitig beendet worden. Vielmehr müsse die Dienststelleneigenschaft nur zum Wahlzeitpunkt gegeben sein.
Das ArbG hat die Anträge der SBV zurückgewiesen. Es bestätigte die Auffassung des Beklagten, dass das Amt der SBV mit dem Wegfall der Dienststelle geendet habe. Ein Restmandat nach diesem Zeitpunkt sehe das Gesetz nicht vor. Die SBV legte dagegen Beschwerde ein.
IV. Die Entscheidung
Die Entscheidung des ArbG wurde vom Landesarbeitsgericht (LAG) bestätigt und die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Auch laut LAG endete die Amtszeit der SBV Strausberg mit Ablauf des April 2020. Ende mit der Amtsperiode des Personalrats die fingierte Selbstständigkeit der Dienststelle, gelte das auch für die dort gewählte SBV. So ergebe sich nämlich aus § 177 Abs. 7 Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) IX, dass das Amt vorzeitig erlischt, wenn die Vertrauensperson ihre Wählbarkeit verliert. Nach § 177 Abs. 3 SGB IX sind alle in der Dienststelle nicht nur vorübergehend Beschäftigten wählbar, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb oder der Dienststelle seit sechs Monaten angehören. Durch die beendete Selbstständigkeit der Dienststelle gehöre die gewählte Vertrauensperson ab diesem Zeitpunkt aber nicht mehr der Dienststelle an, für die sie gewählt wurde. Angehören könne man laut LAG nur einer fortbestehenden Dienststelle, was beim Standort Strausberg jedoch gerade nicht mehr gegeben sei. Nach § 6 Abs. 3 Satz 2 BPersVG a. F. (§ 7 Satz 2 BPersVG n. F.) war der Verselbständigungsbeschluss nur bis zum Ende der Amtszeit des dort gewählten Personalrats, also bis Ende April 2020, wirksam. Ab diesem Zeitpunkt habe die durch den Beschluss lediglich fingierte Dienststelle nicht mehr existiert. Die Vertrauensperson sowie die gewählten Stellvertreterinnen und Stellvertreter hätten daraufhin ihre Wählbarkeit verloren, sodass ihre Amtszeit ebenfalls mit diesem Zeitpunkt endete. Aus diesem Grund sei auch ein Nachrücken nach § 177 Abs. 7 Satz 4 SGB IX ausgeschlossen.
Der Senat zog bei seinen Ausführungen Parallelen zu entsprechenden Regelungen des Betriebsverfassungsrechts auf eine Betriebsstilllegung. Auch dort ende das Amt des Betriebsratsmitglieds, wenn dieses wegen Wegfall der Voraussetzungen seine Wählbarkeit verliere. Das sei im Fall der Betriebsstilllegung der Fall, weil es durch den vollständigen Wegfall der betrieblichen Organisation an der Eingliederung in eine solche fehle. Diese Regelungen zum Ende der Amtszeit entsprächen sich im Betriebsverfassungsrecht und dem Personalvertretungsrecht.
Im Hinblick auf das Vorbringen der SBV, dass der Standort Strausberg auch nach April 2020 weiter bestehe und die vertretenen Personen sowie die gewählte Vertrauensperson dort unverändert beschäftigt seien, verwies der Senat auf § 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX, wonach – auch für § 177 SGB IX – das Personalvertretungsrecht maßgeblich für den Dienststellenbegriff ist. Die rechtliche Einordnung des Standorts als eigenständige Dienststelle und die daraus folgende Personalratsfähigkeit folgte lediglich vorübergehend und war gem. § 6 Abs. 3 BPersVG a. F. (inzwischen: § 7 Satz 2 BPersVG n. F.) zeitlich begrenzt auf die Amtszeit des daraus hervorgehenden Personalrats. Vor einer erneuten Personalratswahl hätte es daher eines erneuten Verselbständigungsbeschlusses bedurft. Ansonsten ende die Selbstständigkeit der Dienststelle und diese wird ab diesem Zeitpunkt Teil der Hauptdienststelle.
Sind die Wahlen des Personalrats und der SBV zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfolgt und die reguläre Amtsperiode der SBV von vier Jahren daher noch nicht erreicht, sei dies laut LAG hinzunehmen. Die gesetzlichen Regelungen ließen hier keine andere Bewertung zu.
Auch aus dem von der SBV vorgebrachten unionsrechtlichen Gebot, die Kontinuität der Amtsführung der SBV zu wahren, ergebe sich keine andere rechtliche Bewertung. Der Regelung aus Art. 6 Betriebsübergangs-RL (RL 2001/23/EG) sei durchaus Rechnung getragen, da die schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten des Standortes Strausberg durch die SBV Köln ab Mai 2020 vertreten wurden.
Abschließend verneinte das Gericht auch das Bestehen etwaiger Übergangsmandate. Der § 177 Abs. 8 SGB IX gelte ausdrücklich nur für Betriebe und laut Gesetzesbegründung[1] handele es sich hier um eine bewusste Regelungslücke des Gesetzgebers. Eine Übertragung auf Dienststellen sei somit ausgeschlossen. Darüber hinaus seien auch im Betriebsverfassungsrecht Übergangsmandate nach § 21a BetrVG ausgeschlossen, wenn ein Betrieb oder ausgegliederter Betriebsteil in einen Betrieb eingegliedert wird, für den bereits eine Interessenvertretung besteht. Ein Nebeneinander zweier Vertretungen in einem Betrieb widerspreche dem Prinzip einer einheitlichen betriebsbezogenen Interessenvertretung. Im vorliegenden Fall wurden die Beschäftigten des Standortes Strausberg nach Beendigung der Selbstständigkeit der Dienststelle personalvertretungsrechtlich in die Dienststelle Köln eingegliedert. Dort bestanden sowohl ein Personalrat als auch eine SBV, die nun die (neu bzw. wieder) eingegliederten Beschäftigten mitverträten.
Den Antrag der SBV auf Fortgewährung der Freistellung der gewählten Vertrauensperson wies das Gericht als unzulässig ab, da die SBV Strausberg nach der abgelaufenen Amtszeit nicht (mehr) beteiligtenfähig war.
Das LAG hat die Beschwerde zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Dort ist das Verfahren derzeit unter dem Aktenzeichen 7 ABR 17/21 anhängig, sodass eine abschließende Entscheidung in der Sache noch aussteht.
V. Würdigung/Kritik
Zur Wahrung der Interessen der Beschäftigten sind Interessenvertretungen dort, wo Menschen beschäftigt werden, wichtig. Dies gilt für Betriebs- und Personalräte ebenso wie für Schwerbehindertenvertretungen. Diese können aber nicht beliebig und überall gewählt werden. Nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX kann eine SBV in einem Betrieb oder einer Dienststelle gewählt werden, wenn dort wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind.
1. Verselbstständigung von Dienststellenteilen bzw. Nebenstellen
Gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX richtet sich die Definition der Dienststelle nach dem Personalvertretungsrecht. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 6 BPersVG sind Dienststellen einzelne Behörden, Verwaltungsstellen und Betriebe der dort aufgeführten Verwaltungen und Gerichte. Davon zu unterscheiden sind Nebenstellen und Dienststellenteile. Nebenstellen sind von der Hauptstelle (örtlich) getrennte Verwaltungseinrichtungen, die wegen der räumlichen Entfernung meistens organisatorisch verselbstständigt sind und oft eine örtlich abgegrenzte Funktion und Zuständigkeit besitzen. Teile einer Dienststelle sind Untergliederungen (z. B. Abteilungen, Unterabteilungen, Arbeitsgruppen, Dezernate oder Referate), die ein in sich abgegrenztes Aufgabengebiet verantworten.
Unter Umständen gelten Nebenstellen und Dienststellenteile jedoch als selbstständige Dienststellen, sodass hier ausnahmsweise nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eine eigene SBV gewählt werden könnte.
Die Voraussetzungen für eine solche Verselbstständigung sind
- eine räumlich weite Entfernung der Nebenstelle bzw. des Dienststellenteils von der Hauptdienststelle,
- ein wirksamer Verselbständigungsbeschluss der Mehrheit der Beschäftigten des zu verselbstständigenden Dienststellenteils bzw. der Nebenstelle und
- fünf Wahlberechtigte in dem betreffenden Dienststellenteil bzw. der Nebenstelle, von denen (mindestens) drei wählbar sein müssen.
Eine auf diese Weise entstandene Selbstständigkeit der Dienststelle ist jedoch gemäß § 7 Satz 2 BPersVG zeitlich befristet. Sie endet automatisch nach der Amtszeit des aus ihr hervorgegangenen Personalrats, sofern kein erneuter Verselbständigungsbeschluss zustande kommt. Die daraus resultierenden Konsequenzen für eine auf dieser Grundlage gewählte SBV hat das LAG deutlich gemacht. Auch wenn es eine eindeutige gesetzliche Regelung nicht gibt, sind die Entscheidungsgründe der Kammer gut nachvollziehbar. In der Tat geht aus § 177 Abs. 1 SGB IX hervor, dass eine SBV nur in Betrieben und Dienststellen gewählt werden kann. Verliert eine Nebenstelle oder ein Dienststellenteil also die Selbstständigkeit, weil kein erneuter Verselbständigungsbeschluss zustande kommt, wäre bereits diese Voraussetzung nicht mehr gegeben. Daraus ergibt sich, dass die gewählte Vertrauensperson sowie ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr wählbar wären im Sinne des § 177 Abs. 3 SGB IX. Auch hier bedarf es eines Betriebs bzw. einer Dienststelle, wo die jeweilige Person nicht nur vorübergehend beschäftigt ist. Für die SBV bedeutet das Ende der Selbstständigkeit das – ggf. vorzeitige – Ende der Amtszeit.
§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX ist eine wichtige, aber versteckte Vorschrift. Das SGB IX gilt sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. In dieser Norm wird aber eine Differenzierung vorgenommen; soweit es um den Begriff des Betriebs geht, findet eine Orientierung am BetrVG statt, für den öffentlichen Dienst gibt es eine Orientierung am BPersVG bzw. dem jeweiligen LPersVG. Dadurch kommen hier die Unterschiede der verschiedenen Strukturen der Interessenvertretungen zur Geltung. Wenn es sich um ein privatwirtschaftliches Unternehmen – hier zum Beispiel eine GmbH mit Sitz in Köln und einer Filiale in Strausberg – handelt, ist bei einem solchen weit entfernten Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein eigenständiger Betriebsrat zu bilden. Das beruht darauf, dass im BetrVG die Interessenvertretung als basisnah und dezentral verstanden wird. Im Öffentlichen Dienst ist dies anders. Im Normalfall gibt es zentralistisch nur eine Personalvertretung für die gesamte Dienststelle, auch wenn sie über die Republik verteilt ist. Allerdings können die Beschäftigten durch eine gesonderte Abstimmung für eine verselbstständigte Dienststelle optieren. Diese Beschlüsse gelten aber jeweils nur für eine Amtsperiode (§ 7 Satz 2 BPersVG). Wenn sie nicht erneuert werden, entfällt die Dezen-tralisierung, weil Zentralisierung im Personalvertretungsrecht als „Normalfall“ gilt.
Wie bereits beschrieben legt § 170 Abs. 1 Satz 2 SGB IX fest, dass sich der Geltungsbereich der jeweiligen SBV an den Strukturen des maßgeblichen Betriebsrats bzw. Personalrats orientiert. Das ist sachgerecht, denn dadurch wird die in den Gesetzen der letzten Jahre verstärkt normierte Kooperation zwischen Betriebs- bzw. Personalrat und SBV auch organisatorisch gefördert.
Dies führte in dem hier relevanten Fall dazu, dass der fehlende Verselbständigungsbeschluss in Strausberg für den Personalrat auch unmittelbar auf die Existenz der bisherigen SBV Strausberg durchschlägt. Daraus darf allerdings nicht geschlossen werden, dass immer die Grundsätze des Betriebsverfassungsrechts auf die SBV übertragen werden können, wie das BAG[2] bereits vor einigen Jahren überzeugend dokumentiert hat. Ein anderes Beispiel wird im Moment kontrovers diskutiert.[3]
2. Übergangsmandat einer SBV
Die schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten werden ab diesem Zeitpunkt von der Interessenvertretung des Betriebs bzw. der Dienststelle vertreten, in die sie neu bzw. wieder aufgenommen wurden. Bei anderen Interessenvertretungen, nämlich beim Betriebsrat, ist bei einer Spaltung oder Umgliederung des Betriebs jedoch ein Übergangsmandat für den Betriebsrat gemäß § 21a BetrVG vorgesehen. Danach bleibt der bisher gewählte Betriebsrat weiter im Amt und nimmt seine Aufgaben für die ihm bislang zugeordneten Betriebsteile für eine Übergangszeit – aber nicht, wie hier beantragt - für zwei Jahre wahr. Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass in dem eingegliederten Betrieb ein Betriebsrat besteht. Für SBVen gab es eine solche Regelung zunächst nicht. Im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurde sie mit § 177 Abs. 8 SGB IX eingeführt. Der Gesetzgeber hat jedoch durch den Wortlaut der Regelung und durch die Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass diese Regelung nicht für den öffentlichen Dienst gilt.[4]
Die Gesetzgebung zu Übergangsmandaten ist in Deutschland kompliziert, weil man diese Rechtsfigur lange Zeit abgelehnt hatte. Inzwischen ist sie durch das Unionsrecht vorgeschrieben, das in einer Richtlinie aus dem Jahre 1977, erneuert und erweitert im Jahr 2001, in Art. 6 RL 2001/21/EG solche Übergangsmandate verlangt. Diese sind 2001 im BetrVG und 2016 für die SBV in der Privatwirtschaft normiert worden. Der öffentliche Dienst bleibt in Deutschland weit zurück, erst im Jahr 2021 ist eine teilweise Umsetzung dieser Richtlinie auf Bundesebene im BPersVG erfolgt. Dahinter steht allerdings eine Schwierigkeit, weil diese Richtlinie nicht im hoheitlichen Bereich gilt,[5] jedoch bei „wirtschaftlichen Unternehmen“ im öffentlichen Dienst.[6] Mit dem BTHG hat man die Umsetzung dieser Richtlinie teilweise in § 177 Abs. 8 SGB IX vorgenommen und für die Betriebsverfassung ein Übergangsmandat der SBV anerkannt. Den schwierigen Part des öffentlichen Dienstes hat man ausgeklammert. Das ist teilweise unionsrechtswidrig[7], denn für Teile des öffentlichen Dienstes gilt die RL 2001/23/EG, so dass § 177 SGB IX insoweit eine Regelungslücke enthält.[8] Dies spricht dafür, dass in unionsrechtskonformer Anwendung zumindest für einige Fälle eine analoge Anwendung von § 21 BetrVG in Betracht kommt.[9] Darauf hatte sich die SBV im vorliegenden Fall berufen.
Das LAG hat diese Frage offengelassen und erläutert, dass für die hier fragliche Konstellation auch eine analoge Anwendung von § 21 BetrVG zu keinem anderen Ergebnis führt. Bei einer solchen Eingliederung einer Dienststelle (hier Strausberg) in eine andere Dienststelle (hier Köln), vertritt die Interessenvertretung der größeren Dienststelle auch die Beschäftigten der früheren Außenstelle. Dadurch ist gesichert, dass keine vertretungslose Zeit erfolgt, so dass in dieser Konstellation ein Übergangsmandat der alten SBV in Strausberg entfällt. Anders kann dies sein bei einer Spaltung von Dienststellen, aber darum ging es hier nicht.
Insgesamt ist daher dem Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg zuzustimmen.[10]
3. Außerturnusmäßige Wahl einer SBV
Auf diese Weise kann es also zu einem vorzeitigen Ende der Amtsperiode der SBV kommen. Laut LAG ist dies hinzunehmen. Damit die Amtszeit von vornherein jedoch möglichst lang ist, sollte direkt nach einer Verselbständigung eine SBV gewählt werden. Grundsätzlich findet die Wahl der SBV alle vier Jahre zwischen dem 1. Oktober und dem 30. November statt, § 177 Abs. 5 Satz 1 SGB IX.[11] Nur ausnahmsweise, nämlich in den Fällen des § 177 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, ist eine Wahl außerhalb dieses Turnus möglich.
Dies ist dann der Fall, wenn
- das Amt der SBV vorzeitig erlischt (z. B. durch Amtsniederlegung) und kein stellvertretendes Mitglied nachrückt,
- die SBV-Wahl erfolgreich angefochten wurde oder
- eine SBV noch nicht gewählt ist.
In dem hier einschlägigen Fall, in dem eine Dienststelle erst durch einen Verselbständigungsbeschluss zu einer (eigenen/selbstständigen) Dienststelle wird, liegt eine solche Ausnahme vor. In diesen Fällen gibt es zum Zeitpunkt der Verselbstständigung noch keine gewählte SBV.
Die außerturnusmäßige Wahl führt dann jedoch nicht automatisch zu einer längeren Amtsperiode. Nach § 177 Abs. 5 Satz 3 SGB IX gilt die außerturnusmäßige Wahl bis zum nächsten regulären Wahlzeitraum. Dort wird dann eine SBV für die nächste Amtszeit gewählt. Dies gilt nicht, wenn die außerturnusmäßig gewählte SBV zu diesem Zeitpunkt noch kein Jahr im Amt war. Dann findet die nächste Wahl erst im übernächsten regulären Wahlzeitraum statt.
VI. Fazit
Da die Wirkung eines Verselbständigungsbeschlusses zeitlich auf die folgende Wahl und Amtszeit des Personalrats beschränkt ist (§ 7 Satz 2 BPersVG n. F.; im vorliegenden Fall noch § 6 Abs. 2 Satz 2 BPersVG a. F.), ist vor der nächsten Wahl eine erneute Abstimmung notwendig. Erfolgt diese nicht oder fehlt es an der notwendigen Mehrheit, endet die Verselbständigung der Dienststelle. Dies gilt dann auch für die SBV. Da die Mitglieder der SBV auch Beschäftigte der Dienststelle sind, können sie an den Beratungen und der Abstimmung zur Verselbständigung teilnehmen und für einen eigenen Personalrat in der Außenstelle werben. Wenn sie dabei erfolgreich sind, sollte nach einem Verselbständigungsbeschluss zeitnah eine SBV gewählt werden, um eine möglichst lange Amtszeit für die SBV zu erreichen. Ebenso sollte aber auch die Amtszeit des Personalrats im Blick behalten werden, da nach deren Ende die SBV automatisch nicht mehr existiert. Damit einhergehende Freistellungen der Vertrauensperson bzw. Stellvertreterinnen und Stellvertreter gelten dann nicht mehr.
Beitrag von Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Zentrum für Sozialforschung Halle e.V. (ZSH), und Dr. Maren Conrad-Giese, Dalitz
Fußnoten
[1] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 315.
[2] BAG 16.11.2005 – 7 ABR 9/05, AiB 2006, 447; Kohte/Pick JurisPR-ArbR 12/2006, Anm. 1
[3] Schäfer JurisPR-ArbR 48/2021 Anm. 3 gegen LAG Köln 31.08.2021 – 4 TaBV 19/21
[4] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 315.
[5] Dazu bereits Kohte, BB 1997, 1738 zu EuGH 15.10.1996 – Rs. 298/94, NZA 1996, 1279 – Henke.
[6] Vgl. EuGH 06.09.2011 – Rs. C-108/10, NZA 2011, 1077 – Scattolon.
[7] LPK-SGB IX/Düwell, § 176 Rn. 8.
[8] Kohte/Liebsch, AuR 2019, 4, 7.
[9] Krämer/Gün in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 4. Aufl., § 177, Rn. 37b.
[10] So auch Schäfer, JurisPR-ArbR 41/2021, Anm. 5
[11] Die nächsten regelmäßigen SBV-Wahlen finden im Herbst 2022 statt.
Stichwörter:
Schwerbehindertenvertretung (SBV), Interessenvertretung, Personalrat, Betriebsverfassungsrecht, Wählbarkeit
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