28.03.2018 A: Sozialrecht Liebsch: Beitrag A6-2018

Bericht vom 11. Deutschen REHA-Rechtstag am 27.09.2017 in Berlin – Teil I: Teilhabeplanung, Zuständigkeitsklärung

Am 27.09.2017 haben die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Rehabilitation (DEGEMED), die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) sowie die Deutsche Anwaltakademie in Berlin den 11. Deutschen REHA-Rechtstag in Berlin veranstaltet. Thematisch standen Rechtsfragen der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) im Vordergrund.

Einen umfassenden Überblick boten verschiedene Vorträge zu den Rechtsfragen der Teilhabeplanung, den Zuständigkeiten, Klärungsfristen und der Genehmigungsfiktion in der Praxis der Rehabilitationsträger, zum neuen Vertragsrecht der Eingliederungshilfe, zur praktischen Durchsetzung des Wunsch- und Wahlrechts und abschließend über die Beratungspflichten und Beratungsmöglichkeiten nach dem Ende der Servicestellen. Zwei Arbeitsgruppen ergänzten die Vorträge um einen fachlichen sowie praktischen Austausch. Hierbei hat sich eine Arbeitsgruppe der aktuellen Schiedsstellenpraxis nach § 111b SGB V und eine Zweite dem Vertragsrecht der Eingliederungshilfe gewidmet.

Der Autor Matthias Liebsch berichtet über den von Dr. Steffen Luik (Richter am LSG Baden-Württemberg, Stuttgart) gehaltenen Vortrag zu Rechtsfragen der Teilhabeplanung und die anschließende Diskussion.

(Zitiervorschlag: Liebsch: Bericht vom 11. Deutschen REHA-Rechtstag am 27.09.2017 in Berlin – Teil I: Teilhabeplanung, Zuständigkeitsklärung; Beitrag A6-2018 unter www.reha-recht.de; 28.03.2018)


Dieser erste Teil des Tagungsberichts befasst sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Teilhabeplanung und Zuständigkeitsklärung zwischen den Rehabilitationsträgern[1].

I. Rechtsfragen der Teilhabeplanung

Dr. Steffen Luik (Richter am LSG Baden-Württemberg, Stuttgart) referierte zu den Rechtsfragen der Teilhabeplanung.[2] Den thematischen Rahmen seines Vortrags boten die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG) abgeleiteten verfahrensrechtlichen Anforderungen und hier insbesondere das Erfordernis einer substantiierten Begründung von Verwaltungsbescheiden.[3] In einer ordnungsgemäß durchgeführten Teilhabeplanung nach den §§ 19 ff. Sozialgesetzbuch 9 (SGB IX) liege bereits die Erfüllung wesentlicher Begründungsanforderungen. So könne durch die in der Planung angelegte Trägerkoordination neben einer individuellen Bedarfsermittlung auch die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erbringung von „Leistungen wie aus einer Hand“ sichergestellt werden. Der Teilhabeplan selbst sei nicht als Verwaltungsakt, sondern als Grundlage einer substantiierten Entscheidung des leistenden Trägers zu werten, dem in möglichen späteren Verfahren als Beweismittel entscheidende Bedeutung zukommen könne. In diesem Zusammenhang sei der Teilhabeplan ein geeignetes behördliches Instrument um nachzuweisen, dass der Amtsermittlungsgrundsatz im Rehabilitationsrecht richtig angewandt wurde.

Die praktische Handhabung des Reha-Prozesses könne anhand der aktuellen gemeinsamen Empfehlung der Rehabilitationsträger nachvollzogen werden.[4] Luik verwies zudem darauf, dass leistungsberechtigten Personen durch die neue Rechtslage ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erstellung eines Teilhabeplans zustehe. Jedoch seien im Verhältnis des Teilhabeplans nach § 19 SGB IX zum Gesamtplan nach § 121 SGB IX (gültig ab 01.01.2020)[5] viele Fragen noch nicht geklärt[6], so dass auch hier die Erstellung einer gemeinsamen Empfehlung der Rehabilitationsträger im Rahmen der BAR wünschenswert wäre. Insbesondere seien drei Streitszenarien möglich. Zum einen könne die zuständige Behörde trotz der Aufforderung und des subjektiv-öffentlichen Rechtsanspruchs der leistungsberechtigten Person rein tatsächlich keinen Teilhabeplan anfertigen. Darüber hinaus seien Fälle denkbar, in denen Prognoseentscheidungen des Reha-Trägers zu überprüfen seien. Ferner gäbe es Fälle, in denen ein fehlender Teilhabeplan eine mangelnde Aufklärung des Reha-Bedarfs zur Folge habe.

II. Zuständigkeiten, Klärungsfristen und Genehmigungsfiktion

Anschließend machte Dr. Peter Ulrich (Richter am LSG Sachsen-Anhalt, Halle (Saale)) darauf aufmerksam, dass die Umsetzung vieler Neuregelungen defizitär sein könnte. Das SGB IX sei kein klassisches Leistungsgesetz. Seine Handhabung sei für die Rehabilitationsträger noch sehr undurchsichtig.[7] § 6 Abs. 1 SGB IX verpflichte in Fragen der Rehabilitation eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungsträger. Zwangsläufig komme es bei dieser Vielzahl an Zuständigkeiten für die Erbringung von Reha-Leistungen zu Überschneidungen. Einzelfallbezogene Kooperationsverpflichtungen sowie Koordinierung und Zuständigkeitsklärung nach den §§ 14 ff. SGB IX können hier zu einer klaren Strukturierung beitragen.

Sollte ein Leistungsantrag an einen materiell-rechtlich unzuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet worden sein, begründe dies beispielsweise eine endgültige Sonderzuständigkeit des zweitangegangenen Trägers nach außen zum Leistungsberechtigten. Im Innenverhältnis zwischen den Rehabilitationsträgern habe der zweitangegangene Träger sodann einen Erstattungsanspruch gegen den eigentlich materiell-rechtlich verpflichteten Träger gemäß § 16 Abs. 1 und 3 SGB IX, soweit die Reha-Leistungen nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich zu Unrecht erbracht worden sind.[8] Ein Erstattungsanspruch bestehe gemäß § 16 Abs. 5 SGB IX auch, wenn der zweitangegangene Träger infolge des Eintritts der Genehmigungsfiktion des § 18 Abs. 3 SGB IX Kosten für selbstbeschaffte Leistungen des Leistungsberechtigten zu tragen hat. Versäumt der erstangegangene Träger hingegen die Weiterleitungsfrist, sei dieser nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX unabhängig davon zuständig geworden, ob er materiell-rechtlich überhaupt zur Leistung verpflichtet sei oder nicht. Sein Recht auf Weiterleitung gehe in diesem Zusammenhang unter, er habe den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente der Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX unverzüglich und umfassend festzustellen[9] und die Reha-Leistungen zu erbringen.

Zusammenfassend stelle die Zuständigkeitsklärung nach den §§ 14, 15 SGB IX einen primär den Interessen des Antragsstellers dienenden Mechanismus als Ausgleich zum komplex gegliederten Leistungserbringersystem dar. Diese Zweckbindung sei sowohl im Innen- und Außenverhältnis der Rehabilitationsträger zu beachten. Innerhalb der Ausschlussfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX von zwei Wochen nach Eingang des Leistungsantrags habe der erstangegangene Träger daher eine umfassende Prüfungspflicht seiner Zuständigkeit und der Zuständigkeit weiterer Rehabilitationsträger nach Maßgabe aller Gesetze des Sozialrechts. Zugunsten des Antragstellers seien die in den Neuregelungen vorgesehenen Fristen streng auszulegen. Durch die neue Fassung des SGB IX werde weder eine verspätete Weiterleitung noch eine Weiterleitung an dritte Träger geregelt.

In einer anschließenden Diskussionsrunde wurde für die praktische Handhabung der Zuständigkeitsklärung auf die Gemeinsame Empfehlung der Rehabilitationsträger im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens in der Fassung vom 28. September 2010 verwiesen.[10] Eine Neuauflage der Empfehlung sei in Bearbeitung. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der für den Leistungsberechtigten richtige Rechtsbehelf gegen einen rechtswidrigen Leistungsbescheid der Widerspruch sei.

Beitrag von Ass. iur. Matthias Liebsch, Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.

Fußnoten

[1] Weitere Berichte zum REHA-Rechtstag werden voraussichtlich als Fachbeiträge A7-2018 sowie E2-2018 und E3-2018 bei www.reha-recht.de veröffentlicht.

[2] Hierzu bereits Luik: Rechtliche Grundlagen und Bedeutung der Teilhabeplanung; Forum D, Beitrag D21-2014 unter www.reha-recht.de; 23.09.2014.

[3] Siehe zu den Begründungsanforderungen BVerfG, Beschluss vom 08. Oktober 1997 – 1 BvR 9/97.

[4] Gemeinsame Empfehlung „Reha-Prozess“ kostenlos abrufbar unter
https://www.bar-frankfurt.de/publikationen/gemeinsame-empfehlungen.

[5] Zum gestuften Inkrafttreten des BTHG vgl.
https://www.reha-recht.de/infothek/beitrag/artikel/bundesteilhabegesetz-tritt-gestuft-in-kraft.

[6] Vertiefend zum Verhältnis von Teilhabeplanung und Gesamtplanung Heinisch: Mehr Koordination durch das Bundesteilhabegesetz?; Beitrag D13-2017 unter www.reha-recht.de, 04.04.2017.

[7] Hierzu bereits Gagel "Zur umfassenden Prüfungs- und Bearbeitungspflicht als Folge der besonderen Zuständigkeitsregelung in § 14 SGB IX – Bestätigung durch das BSG und weitere Fragen – Teil I" in Diskussionsforum A, Beitrag 2/2009 auf www.reha-recht.de.

[8] Hierzu Wendt: Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers bei Aufnahme in eine Werkstatt für behinderte Menschen – Anmerkung zu BSG, Urt. v. 06.03.2013 – B 11 AL 2/12 R; Forum A, Beitrag A1-2015 unter www.reha-recht.de; 09.01.2015.

[9] Hierzu bereits Gagel „Zur umfassenden Prüfungs- und Bearbeitungspflicht als Folge der besonderen Zuständigkeitsregelung in § 14 SGB IX – Bestätigung durch das BSG und weitere Fragen – Teil II“ in Diskussionsforum A, Beitrag 3/2009 auf www.reha-recht.de.

[10] Gemeinsame Empfehlung „Zuständigkeitsklärung“ kostenlos abrufbar unter
https://www.bar-frankfurt.de/publikationen/gemeinsame-empfehlungen.


Stichwörter:

Bundesteilhabegesetz (BTHG), Teilhabeplan, Gesamtplanverfahren


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