03.05.2023 A: Sozialrecht Jahn: Beitrag A6-2023

Studienassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben – Anmerkung zu SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20

Im vorliegenden Beitrag bespricht der Autor Philipp Jahn eine Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg zur Zuständigkeit der Bundesagentur für eine Studienassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sofern die berufliche Eingliederung nur mithilfe eines (dualen) Studiums erreicht werden kann, sind die dazugehörigen Unterstützungsleistungen, wie z. B. die Studienassistenz, als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, insbesondere im Verantwortungsbereich der Bundesagentur für Arbeit förderungsfähig. Dagegen wird eine „bestmögliche“ Ausbildung bei schon erfolgter beruflicher Eingliederung zumindest nicht als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gefördert werden, wobei allerdings auch hier sorgsam die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen im Rahmen ihrer beruflichen Orientierung und die besonderen Barrieren während ihrer beruflichen Ausbildung in jedem Einzelfall besonders zu berücksichtigen sind. Es wird insoweit aufgezeigt, dass durch das Bundesteilhabegesetz die Rehabilitationsträger noch stärker verpflichtet sind, Unterstützungsleistungen an den individuellen Bedarfen und Lebenslagen der Leistungsberechtigten auszurichten. Dies muss konsequenterweise auch die Hilfen im hochschulischen Bereich betreffen.

(Zitiervorschlag: Jahn: Studienassistenz als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben – Anmerkung zu SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20; Beitrag A6-2023 unter www.reha-recht.de; 03.05.2023)

I. Einleitung

Studierende mit Behinderung sind in ihrem Studienalltag in unterschiedlichem Maße auf weitere Hilfen angewiesen. Neben der individuellen Art und Schwere der Beeinträchtigung ist dies insbesondere davon abhängig, inwieweit die Barrierefreiheit an der jeweiligen Hochschule umgesetzt ist.[1] Wie und von wem diese Bedarfe gedeckt werden, dürften die zentralen Fragen – abseits der Finanzierung des Lebensunterhalts – der betroffenen Studierenden sein. Lange galt die allgemeine Auffassung, dass Leistungen zur Teilhabe, welche Studierenden mit Behinderung die Durchführung eines Studiums ermöglichen, nicht nach dem SGB III als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zu gewähren sind, da die Förderung dieser Art der Ausbildung selbst nicht nach dem SGB III, sondern nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erfolge.[2] Während sich die Bundesagentur für Arbeit (BA) gewöhnlich für die Teilhabeleistungen allein bei einer beruflichen Ausbildung als zuständig erachtete, sah man die Hochschulbildung in der Praxis eher in der Verantwortung der Träger der Sozial- bzw. der Eingliederungshilfe[3]. Durch höchstrichterliche Judikatur[4] ist inzwischen allerdings auch die Zuständigkeit der BA für Teilhabeleistungen im Rahmen einer Hochschulausbildung anerkannt.[5]

Soweit Assistenzleistungen zum Hochschulstudium als Leistungen der Eingliederungshilfe gewährt worden sind, fand sich die Grundlage bis zur Reform des Rehabilitationsrechts durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in den §§ 53, 54 SGB XII, konkret in Form der Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB XII in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Nr. 5 Eingliederungshilfeverordnung in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (EinhV) als Leistung der Eingliederungshilfe.[6] Seit dem 1. Januar 2020 kommen hierfür Leistungen zur Teilhabe an Bildung gem. §§ 75 Abs. 2 Nr. 4, 90 Abs. 4, 112 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX mit dem Ziel „Ausbildung zum Beruf“ in Betracht, allerdings nur, sofern keine vorrangige Leistungspflicht anderer Stellen besteht,[7] denn der Nachranggrundsatz der Sozialhilfe wurde mit der Überführung der Eingliederungshilfe in das SGB IX nicht aufgegeben, vgl. § 91 Abs. 1 SGB IX.

II. Sachverhalt

Das Sozialgericht Nürnberg hatte zwischen der BA (Klägerin) und dem örtlichen Träger der Sozialhilfe (Beklagter) den Streit zu klären, wer von beiden die Kosten für eine Studienassistenz während des schulischen Teils des dualen Hochschulstudiums zu tragen hat.

Die betroffene Person, um die es in der Entscheidung geht, hat eine beidseits an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit und Sprachstörungen mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 100. Im Anschluss an ihr erfolgreich absolviertes Abitur nahm sie ein duales Vollzeitstudium zum Bachelor of Arts im Gesundheitsmanagement an einer Hochschule auf. Für den schulischen Teil des dualen Hochschulstudiums beantragte sie beim Beklagten als örtlichem Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Eingliederungshilfe Schriftdolmetscherleistungen. Der Beklagte leitete den Antrag wiederum an die BA (Klägerin) weiter, weil es sich nach seiner Auffassung um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) handle. Nach Erlass einer entsprechenden sozialgerichtlichen einstweiligen Anordnung bewilligte die BA für 6 Semester die begehrten Leistungen der Studienassistenz.

Nach abgeschlossenem Studium machte die BA einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger für die Kosten der Assistenz geltend, da sie als zweitangegangene Rehabilitationsträgerin Leistungen bewilligt habe, für die nicht sie, sondern der Beklagte als Träger der Eingliederungshilfe zuständig sei. Dieser lehnte die Erstattungspflicht allerdings ab.

III. Entscheidung des Gerichts

Das Sozialgericht Nürnberg wies die Klage auf Kostenerstattung ab und folgte damit der Rechtsauffassung des Sozialhilfeträgers. Die Kosten für eine Studienassistenz in Form des Schriftdolmetschens stellen auch im schulischen Teil einer dualen Hochschulausbildung eine sonstige Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX (alte Fassung) bzw. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX (neue Fassung) dar. Da die LTA im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. § 54 Abs. 1 S. 2 SGB XII a. F. allerdings jeweils den Rehabilitationsleistungen der BA entsprechen, mussten beide in Betracht kommenden Leistungen voneinander abgegrenzt werden. Das SG Nürnberg differenzierte hier unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung[8] danach, ob eine endgültige Eingliederung in den Arbeitsmarkt bereits erreicht ist oder nicht.[9] Sofern dies nicht der Fall ist, hat die BA vorrangig zu leisten.[10] Die nachrangigen Leistungen der Eingliederungshilfe kämen mithin erst nach endgültiger Eingliederung in den Arbeitsmarkt in Betracht. Für die Schriftdolmetscherleistungen im schulischen Teil des dualen Hochschulstudiums war im vorliegenden Fall daher die BA zuständig. Ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX (in der alten Fassung vom 23.04.2004) gegen den Träger der Eingliederungshilfe steht der BA somit nicht zu.

IV. Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg ist zu begrüßen. Das Urteil ist im Ergebnis zutreffend und auch in der Begründung weitestgehend überzeugend.

Die BA und die Eingliederungshilfeträger können gem. § 6 Abs. 1 SGB IX, sowohl in der bis zum 31. Dezember 2017 als auch in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung, Träger der Leistungen zur Teilhabe an Arbeit sein, für die Teil 1 des SGB IX grundsätzlich verbindlich ist. Die (vorrangige) Zuständigkeit sowie die Anspruchsvoraussetzungen bestimmen sich allerdings nach den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen, vgl. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IX, hier für die BA also vorrangig nach dem SGB III und für die Eingliederungshilfeträger vorrangig nach dem 2. Teil des SGB IX (bzw. bis zur BTHG-Reform nach SGB XII a. F.[11]). Es wirken also die verschiedenen Bücher des SGB zusammen.

Bei der in Rede stehenden Studienassistenz muss es sich zuvorderst um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben handeln.

1. Studienassistenzleistungen im Rahmen eines dualen Hochschulstudiums als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben

Zentrale Leistungsnorm und damit Ausgangspunkt für die Leistungen zur Teilhabe im Recht der Arbeitsförderung ist § 112 SGB III. Die Vorschrift regelt grundlegend die Leistungspflicht der BA für Leistungen behinderter Menschen zur Teilhabe am Arbeitsleben und legt hierzu Ziele und Auswahlkriterien fest.[12] Die Förderung zur Teilhabe am Arbeitsleben setzt nach § 112 Abs. 1 SGB III voraus, dass die Leistungen erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen. In der vorliegenden Entscheidung werden die Norm und deren tatbestandliche Voraussetzungen jedoch nicht gesondert hervorgehoben, sondern direkt auf den nicht abschließenden Leistungskatalog des § 49 SGB IX verwiesen, der auch im SGB III umfassend gilt und Parallelen in der Zielsetzung aufweist.[13]

Das SG Nürnberg stellt allerdings zutreffend auf § 19 Abs. 1 SGB III ab, der den Begriff des behinderten Menschen unter Bezugnahme auf die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 SGB IX definiert. Vom speziellen (arbeitsförderungsrechtlichen) Behinderungsbegriff des § 19 Abs. 1 SGB III werden behinderte Menschen erfasst, bei denen die Aussichten, am Arbeitsleben teilzuhaben oder weiter teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert sind und die deshalb Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigen.[14] Über die Begriffsdefinition des § 2 SGB IX hinaus sieht § 19 SGB III demnach vor, dass die Behinderung berufliche Auswirkungen haben muss.[15] Dies hat letztlich zur Folge, dass zur bio-psycho-sozialen Betrachtung der Behinderung noch eine arbeitsförderungsrechtliche Bewertung hinzutritt. Durch ihre an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen waren die Aussichten der Betroffenen, am Arbeitsleben teilzuhaben, nicht nur vorübergehend wesentlich gemindert, so dass sie Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben benötigte und als Mensch mit Behinderung im Sinne § 2 Abs. 1 S.1 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 1 SGB III einzuordnen war.

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 112 SGB III[16] erfüllt, ist zu schauen, welche konkreten Leistungen zu erbringen sind. Das Arbeitsförderungsrecht unterscheidet dabei in § 113 Abs. 1 SGB III zwischen allgemeinen und besonderen Leistungen. Während allgemeine Leistungen grundsätzlich in gleicher Weise[17] auch an Menschen ohne Behinderung erbracht werden, sind besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben lediglich für behinderte Menschen vorgesehen.[18] Nach dem Gesetz sind Studienassistenzleistungen für Menschen ohne Behinderung nicht vorgesehen, sodass es sich vorliegend um eine besondere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben handelt. Nach dem Wortlaut des § 118 Nr. 3 SGB III umfassen die besonderen Leistungen aber lediglich die Übernahme der Teilnahmekosten für eine Maßnahme. Die Hochschulausbildung stellt jedoch, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung (dual oder universitär), keine Maßnahme im Sinne der Norm dar.[19] Die gewünschte Teilhabeleistung muss stattdessen aus § 117 SGB III, konkretisiert durch § 49 SGB IX, hergeleitet werden.[20]

Die möglichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sind in § 49 Abs. 3 SGB IX beispielhaft, aber nicht abschließend aufgezählt. Ergänzende Bestimmungen zum Leistungsumfang finden sich zudem in den Absätzen 5 bis 8 von § 49 SGB IX. In § 49 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX ausdrücklich geregelt ist dabei die notwendige Arbeitsassistenz für Menschen mit einer Schwerbehinderung zur Erlangung eines Arbeitsplatzes als Teilhabeleistung nach § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX.

Auch wenn sich der Begriff der Studienassistenz dem Gesetz nicht direkt entnehmen lässt, kann diese Form der Assistenzleistung aufgrund der nicht abschließenden Leistungskonkretisierung in Betracht kommen.[21] Statt der Arbeitsassistenz als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes geht es in der konkreten Fallkonstellation vielmehr um eine Hilfe zur Erlangung eines Ausbildungsabschlusses. Denn eine Studienassistenz soll bei den Aufgaben helfen, die die Studierenden mit Behinderung nicht selbst erledigen können.[22] Unter den Begriff Studienassistenz fallen also vor allem unterstützende Tätigkeiten einer Hilfskraft, z. B. beim Besuch und durch Mitschrift von Lehrveranstaltungen, bei Bibliotheksnutzung und beim Ausleihen von Büchern sowie Hilfen bei anderen notwendigen Gängen und Organisation des Studienalltags.[23]

Im vorliegenden Fall geht es überdies um einen praxisintegrierenden dualen Studiengang.[24] Auch praxisintegrierende Studiengänge sind auf den Erwerb eines Ausbildungsabschlusses gerichtet.[25] Der wesentliche Unterschied zur Berufsausbildung liegt darin, dass der theoretische Teil nicht an der Berufs-, sondern an der Hochschule vermittelt wird. Um die Studienassistenz für diesen theoretischen Teil zu erfassen, bedarf es wiederum der Generalklausel des § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX, welche dem Ziel aus Abs. 1 unterliegt.

Gem. § 49 Abs. 1 SGB IX werden die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von der BA erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Dabei umfassen diese Leistungen insbesondere auch sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung zu ermöglichen, vgl. § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX. Die sonstigen Hilfen werden darüber hinaus in Abs. 8 der Norm beispielhaft konkretisiert. Gem. § 49 Abs. 8 S.1 Nr. 3 SGB IX umfassen die sonstigen Hilfen nach § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für Menschen mit Schwerbehinderung als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes.

Wohl auch deshalb zielte die Argumentation der Klägerin (BA) darauf ab, dass der erfolgreiche Abschluss des dualen Studiums lediglich Voraussetzung für die Erlangung eines Arbeitsplatzes sei und nicht unmittelbar auf dessen Vermittlung abziele.[26] Dieser Einwand verkennt jedoch den Wortlaut der Vorschrift. Die Leistungen nach § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX werden einerseits nicht an die unmittelbare Vermittlung eines Arbeitsplatzes geknüpft; zum anderen geht es vielmehr darum den betroffenen Menschen mit Behinderung eine angemessene und geeignete Beschäftigung zu ermöglichen und zu erhalten. Zwar wird die Förderung von Studienassistenzen im Katalog des § 49 Abs. 8 SGB IX nicht explizit erwähnt. Wegen der Formulierung „insbesondere“ ist die Regelung aber als Auffangtatbestand zu qualifizieren. Er wiederholt bzw. konkretisiert das in § 49 Abs. 1 SGB IX bereits ausgedrückte Regelungsziel – die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderung umfassend zu fördern. Schon aufgrund der wachsenden Bedeutung der akademischen Berufsabschlüsse muss zu einer solch umfassenden Förderung auch der theoretische (schulische) Teil eines (dualen) Studiums gehören.

Die Studienassistenz stellt somit letztlich einen nicht näher konkretisierten Fall der sonstigen Hilfe zur Förderung der Teilnahme am Arbeitsleben dar. Für die Kosten einer Studienassistenz im Verantwortungsbereich der BA ist demnach die folgende Normenkette zugrunde zu legen: §§ 112, 113, 117 SGB III i. V. m. § 49 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 7 SGB IX.

2. Abgrenzungskriterien der Verantwortungsbereiche (BA und EGH)

Nach der alten, für die Entscheidung noch maßgeblichen, Rechtslage handelte es sich auch bei den Leistungen nach § 54 Abs. 1 S.1 Nr. 2 SGB XII a. F. um solche zur Teilhabe am Arbeitsleben.[27] Dabei umfasste die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne dieser Vorschrift nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 Eingliederungshilfeverordnung in der Fassung vom 27. Dezember 2003 (EinhV) unter anderem die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprachen also auch im Rahmen der Eingliederungshilfe jeweils den Rehabilitationsleistungen der BA, sodass die beiden in Betracht kommenden Leistungen voneinander abgegrenzt werden mussten.

Nach Auffassung der Kammer des SG Nürnberg hat die Abgrenzung in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung danach zu erfolgen, ob eine endgültige Eingliederung in den Arbeitsmarkt bereits erreicht ist oder nicht.[28] Wenn dies noch nicht der Fall ist, hat die BA vorrangig zu leisten.[29] Nach bereits erfolgter beruflicher Eingliederung ist zudem noch sorgsam zu prüfen[30], ob gleichwohl noch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen sind.[31] Die nachrangigen Leistungen der Eingliederungshilfe sind dagegen erst nach endgültiger Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu prüfen.[32]

Die betroffene Studentin hatte im Anschluss an ihr Abitur das duale Studium aufgenommen. Mithin war sie noch gar nicht bzw. erst recht noch nicht endgültig beruflich eingegliedert.

Die Klägerin (BA) wandte hiergegen ein, dass diese Zuständigkeitsauslegung dem Regelungswillen des Gesetzgebers widerspräche.[33] Denn für die Träger der Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII a. F. bliebe demnach gar kein Anwendungsbereich mehr.[34] Auch diese Argumentation wies das Sozialgericht Nürnberg richtigerweise zurück und stellte fest, dass die Eingliederungshilfe zumindest dann in Betracht käme, wenn die antragstellende Person trotz endgültiger beruflichen Eingliederung, ihr berufliches Fortkommen durch ein Hochschulstudium verbessern will.[35]

Sofern also die berufliche Eingliederung nur mithilfe eines (dualen) Studiums erreicht werden kann, sind die dazugehörigen Unterstützungsleistungen, wie z. B. die Studienassistenz, als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, insbesondere im Verantwortungsbereich der BA förderungsfähig. Dagegen wird eine „bestmögliche“ Ausbildung bei schon erfolgter beruflicher Eingliederung zumindest nicht als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben gefördert werden,[36] wobei allerdings auch hier sorgsam die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen im Rahmen ihrer beruflichen Orientierung und die besonderen Barrieren während ihrer beruflichen Ausbildung in jedem Einzelfall besonders zu berücksichtigen sind.[37]

V. Fazit

Die Instanzentscheidung des SG Nürnberg reiht sich in die wegweisende Rechtsprechungslinie des Bundessozialgerichts[38] zur vorrangigen Verantwortung der BA für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zugunsten von Menschen mit Behinderung ein. Durch das Bundesteilhabegesetz sind die Rehabilitationsträger noch stärker dazu verpflichtet, Unterstützungsleistungen an den individuellen Bedarfen und Lebenslagen der Leistungsberechtigten auszurichten. Dies muss konsequenterweise auch die Hilfen im hochschulischen Bereich betreffen. Denn heutzutage finden viele Menschen den Berufszugang nicht nur über klassische Ausbildungen in einem Handwerksberuf oder in einer Fachpraktikerausbildung, sondern verstärkt auch über einen akademischen Bildungsweg, d. h. über das Hochschulstudium. Dieser muss Menschen mit Behinderung selbstverständlich gleichberechtigt offenstehen, vgl. Art. 24 UN-BRK.

Auch durch die Einführung der Leistungen zur Teilhabe an Bildung folgt nicht automatisch, dass Hilfen für ein Hochschulstudium nicht weiterhin bereits Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sein können. Es muss deswegen im Einzelfall geprüft werden, ob der oder die Studierende mit Behinderung nicht bereits vorrangig Anspruch auf die Hilfe als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben hat. Insbesondere der Auffangtatbestand des § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX ist dabei für Studierende mit Behinderung von erheblicher Bedeutung – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Eingliederung in das Erwerbsleben und eine dauerhafte Teilhabe am Arbeitsleben gleichfalls durch ein abgeschlossenes (duales) Studium gefördert werden kann. Insoweit wurde auch die interne fachliche Weisung zu § 117 SGB III dahingehend angepasst, dass die BA anstelle des Eingliederungshilfeträgers – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – zur Förderung eines Studiums oder Assistenzleistungen im Rahmen dessen, auch außerhalb einer Einrichtung der beruflichen Rehabilitation nach § 51 SGB IX, verpflichtet sein kann.[39]

Es bleibt zu hoffen, dass dadurch in Zukunft mehr Hilfen zur hochschulischen Ausbildung gewährt werden. Die BA sollte gerade in ihrer Funktion als Rehabilitationsträger aufmerksam die Arbeitsmarktentwicklung und die damit einhergehende zunehmende Bedeutung der akademischen Berufsabschlüsse in den Blick nehmen, um die durchaus vorhandenen Potentiale von (jungen) Menschen mit Behinderung zu fördern. Obendrein dürfte die Zuständigkeit der BA auch aus Sicht der Menschen mit Behinderung vorteilhafter sein – zumal die Förderung sodann unabhängig vom eigenen Einkommen oder Vermögen ist.[40]

Die vorliegende Entscheidung bzw. insbesondere die Rechtsauffassung der Klägerin (BA) zeigt insofern aber auch: Im gegliederten System des Rehabilitationsrechts,[41] welches das Zusammenspiel zwischen dem SGB IX und den Leistungsgesetzen der jeweiligen Rehabilitationsträger beschreibt, liegen die größten Herausforderungen weiterhin in der Koordinierung von Bedarfen und deren Bereitstellung.

Beitrag von Dipl. iur. Philipp Jahn, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 

Fußnoten

[1] Vgl. Golla in: Deinert/Welti/Luik/Brockmann, Stichwortkommentar Behindertenrecht, 3. Auflage, Hochschule Rn. 25.

[2] Das deutsche Bildungssystem differenziert zwischen schulisch-geprägter und betrieblich geprägter Ausbildung, vgl. Ramsauer NVwZ 1990, 18. Während die betrieblich-geprägte Ausbildung nach dem SGB III gefördert wird (sog. Berufsausbildung), erfolgt die Förderung der schulisch-geprägten Ausbildung hauptsächlich über das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG. Vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.08.2011 - L 9 U 225/06 juris Rn. 35.

[3] Zu den Folgen des Systems- und damit auch des Trägerwechsels infolge der 3. Reformstufe des BTHG seit 01.01.2020 Hlava in Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX, 5. Auflage, § 90 Rn. 1, 5 ff. sowie zur intensiven Debatte um die verfahrensrechtliche Folgen BSG, Urt. v. 28.01.2021 - B 8 SO 9/19 R, ZFSH/SGB 2021, 485-491; a. A. LSG Chemnitz, Urt. v. 13.07.2022 - L 8 SO 48/21, mit wiederum krit. Anm. Eicher, jurisPR-SozR 18/2022 Anm. 5.

[4] BSG, Urt. v. 24.02.2016 – B 8 SO 18/14 und BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R.

[5] Vgl. Bieritz-Harder SGb 2017, Der Weg zum Beruf zwischen Teilhabe an Bildung“ und „Teilhabe am Arbeitsleben“, S. 491 (492 ff.); Nebe/Schimank: Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit bei der Hochschulbildung, Anmerkung zu BSG v. 24.02.2016, Az.: B 8 SO 18/14 R sowie zu BSG v. 20.04.2016, Az.: B 8 SO 20/14 R, Beitrag A4-2017 unter www.reha-recht.de; 27.10.2017; Hohner, Die Studienassistenz als „neue“ Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 Abs. 3 SGB IX, RP-Reha 3/2020, S. 23–26.

[6] Instruktiv dazu jüngst LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 24.11.2021 - L 12 SO 330/20 – juris.

[7] Vgl. LPK-SGB IX/Bieritz-Harder, § 90 Rn. 11; ausführlich m. w. N. zu der (neuen) Leistungsgruppe Teilhabe an Bildung Bieritz-Harder SGb 2017, Der Weg zum Beruf zwischen Teilhabe an Bildung“ und „Teilhabe am Arbeitsleben“, S. 491 (492 ff.).

[8] BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R.

[9] Vgl. SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, Rn. 19.

[10] So BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R, Rn. 18.

[11] Ein Schwerpunkt der Reform des Rehabilitationsrechts durch das BTHG stellte die Einfügung der Eingliederungshilfe in den neuen 2. Teil des SGB IX unter gleichzeitiger Streichung des 6. Kapitels im SGB XII dar, vgl. hierzu von Boetticher, Das neue Teilhaberecht, 2. Auflage, S. 293 Rn. 1 ff.

[12] Vgl. Nebe in: Gagel SGB II/SGB III, § 112 SGB III, Rn. 1b und 10b.

[13] Dazu Nebe in: Gagel, SGB II/III, § 118 SGB III Rn. 1 und 3 mit Verweis auf BSG, Urt. v. 4.6.2013 - B 11 AL 8/12 R, SGb 2014, 221 sowie BVerwG, Urt. v. 10.1.2013 - 5 C 24/11, Sozialrecht aktuell 2013, 127 sowie Kador in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 7. Aufl., § 118 Rn. 4.

[14] Großmann in: Hauck/Noftz, SGB III, § 112 SGB III Rn. 60 (m.w.N.); Kador in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, § 112 SGB III Rn. 18; SG Augsburg, Urteil vom 21. Dezember 2017 – S 7 AL 288/15 –, Rn. 28, juris; Kritisch zu diesem Verständnis Frehe, DVfR Forum D, Nr. 32/2015, S. 7.

[15] Vgl. bereits BSG, Urteil vom 29.02.1968 – 4 RJ 423/66; BSG, Urteil vom 11.03.1976 – 7 RAr 148/74.

[16] Vgl. Überblick und Checkliste von Karmanski in: Brand, SGB III, 9. Auflage, § 112 Rn. 11; Bienert in: Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III Arbeitsförderung Großkommentar, 7. Auflage, § 112 Rn. 4-27.

[17] Allerdings enthält § 116 SGB III erleichterte Zugangsvoraussetzungen für Menschen mit Behinderungen.

[18] Bienert, info also 2020, 210 (213).

[19] Vgl. hierzu bereits ausführlich Nebe/Schimank in: RP-Reha 2017, Heft 1, S. 16 (20); Hohner in: RP-Reha 2020, Heft 3, S. 23 (26).

[20] BSG, 04.06.2013, B 11 AL 8/12 R sowie BVerwG, 10.01.2013, 5 C 24/11; Nebe in: Gagel SGB III § 118 Rn. 4.

[21] Vgl. bereits ausführlich Hohner in: RP-Reha 2020, Heft 3, S. 23 (24).

[22] Vgl. bspw. https://www.arbeitsagentur.de/bildung/studium/studieren-mit-behinderungen, zuletzt abgerufen am 03.05.2023.

[23] Bundestags-Drucksache 19/11745, S. 31.

[24] Hier wird ausschließlich ein Studienabschluss erworben. Dabei werden neben dem (theoretischen) Studium an einer Hochschule auch Praxisblöcke im jeweiligen Unternehmen abgehalten.

[25] BSG B 12 R 4/08 R – info also 2010, 171 unter Bezugnahme auf Koch-Rust/Rosentreter, NJW 2009, 3005; Vgl. Bienert, info also 2017, 258 (259); Bienert, info also 2020, 210 (211).

[26] Vgl. SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 5.

[27] Bieritz-Harder in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, 11. Auflage 2018, § 54 Rn. 52; Vgl. ausführlich Bienert, info also 2020, 210 (215).

[28] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 19.

[29] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 19; so auch BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R, juris Rn. 18.

[30] Anschaulich insoweit LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 24.11.2021 - L 12 SO 330/20 – juris, Rn. 59 ff.

[31] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 19; Vgl. auch Bienert, info also 2020, 210 (216).

[32] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 19; so auch BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R, juris Rn. 18.

[33] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 5.

[34] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 5.

[35] SG Nürnberg, Urteil vom 21.07.2021 – S 22 SO 212/20, juris Rn. 20.

[36] Bienert, info also 2020, 210 (216); Siefert in: Hauck/Noftz, § 112 SGB III, Stand: März 2022, Rn. 29.

[37] Ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 24.11.2021 - L 12 SO 330/20 – juris, Rn. 59 ff.; vgl. auch BSG, Urt. 06.08.2014 – B 11 AL 5/14 R, Breith 2015, 280-286 zur Ermöglichung eines diskriminierungsfreien Berufsaufstieges.

[38] BSG, Urteil vom 24.02.2016 – B 8 SO 18/14 und BSG, Urteil vom 20.04.2016 – B 8 SO 20/14 R.

[39] Fachliche Weisung der BA zu § 117 SGB III, gültig ab 01.01.2022, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/dok_ba014632.pdf, zuletzt abgerufen am 03.05.2023.

[40] Vgl. Bienert, info also 2020, 210 (215).

[41] Vgl. ausführlich Schaumberg: Das gegliederte System des Rehabilitationsrechts;
Beitrag A9-2020 unter www.reha-recht.de; 14.05.2020.


Stichwörter:

Eingliederungshilfe, Bundesagentur für Arbeit (BA), Studium, Ausbildung, Berufsausbildung, Hochschule, Hochschulassistenz, Dolmetscher, Studierende, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Kostenerstattung, § 113 SGB III


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