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Die Autorin Lydia Schönecker untersucht die Regelungen des Bundesteilhabegesetzes in einem dreiteiligen Beitrag auf ihre Relevanz für Träger der Jugendhilfe. Diese können für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben, für Leistungen zur Teilhabe an Bildung und für Leistungen zur sozialen Teilhabe Rehabilitationsträger sein.
Im vorliegenden dritten Teil geht es um Fragen der Kostenerstattung zwischen den beteiligten Trägern und wann und wie eine Teilhabeplanung durchzuführen ist.
Die Erstveröffentlichung erfolgte als Themengutachten im Fachportal KiJup-online, 1. Auflage, Edition 13 2018. Siehe auch: www.kijup.nomos.de.
(Zitiervorschlag: Schönecker: Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf die Kinder- und Jugendhilfe – Erste Hinweise für die Praxis – Teil III: Kostenerstattung und Teilhabeplanung; Beitrag A8-2019 unter www.reha-recht.de; 18.08.2019.)
Teil II dieses Beitrags widmete sich Fragen der Zuständigkeitsklärung und der Koordination von Aufgaben und Verantwortungen bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger. Der vorliegende dritte Teil behandelt Fragen der Kostenerstattung zwischen den beteiligten Trägern und wann und wie eine Teilhabeplanung durchzuführen ist.[1]
Das Verfahren der Kostenerstattung zwischen den Rehabilitationsträgern ist das notwendige Korrelat zum Prinzip der Leistungserbringung „wie aus einer Hand“.[2] Denn als Ausgleich zur beschleunigten und konzentrierten Leistungserbringung im Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten werden über die Kostenerstattung die im Innenverhältnis der Rehabilitationsträger zueinander bestehenden tatsächlichen Zuständigkeitsverhältnisse wiederhergestellt.[3] Dabei enthält § 16 SGB IX zwar eine eigene Erstattungsregelung (in ihrem Abs. 1 weitgehend identisch mit dem bisherigen § 14 Abs. 4 S. 1 SGB IX a. F.). Diese ist jedoch nicht abschließend, sondern verdrängt die allgemeinen Kostenerstattungsnormen der §§ 102 ff SGB X nur insofern, als sie speziellere Regelungen trifft.
Insgesamt ergibt das Zusammenspiel zwischen § 16 Abs. 1–6 SGB IX und §§ 102 ff SGB X eine nicht ganz leicht zu überschauende Rechtslage. Es ist daher zu empfehlen, wie in §§ 72 ff. Gemeinsame Empfehlungen, zwischen den verschiedenen Erstattungskonstellationen zu unterscheiden:
Sollten Jugendämter in die Verlegenheit eines derartigen Versäumnisses kommen, könnte jedoch folgende Argumentation greifen: Die nunmehr in § 16 SGB IX abgebildete Erstattungsnorm scheint auch auf Überlegungen zurückzugehen, die das Bundessozialgericht (BSG) in der Vergangenheit zu dieser Konstellation einer nicht erfolgten Weiterleitung angestellt hat.[4] Dieses hatte u. a. herausgestellt, dass es beim Ausschluss des Erstattungsanspruchs (gem. § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX a.F.) um die Sanktionierung eines zielgerichteten Eingriffs in fremde Zuständigkeiten ginge, im Rahmen dessen dem Erstattungsgegner Nachteile entstehen können. Handelt es sich hingegen um eine lediglich versäumte Weiterleitung, fehlt es an dieser Eingriffsabsicht, sodass eine Sanktionierung im Sinne eines Erstattungsausschlusses ungerechtfertigt erscheint.[5] Vor dem Hintergrund der Absicht des BTHG-Gesetzgebers, nach stärkerer Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, gerade auch der engen Fristen des § 14 SGB IX, erscheint es allerdings unsicher, ob diese Argumentation – insb. auch gerichtlich – erfolgreich wäre.
Hat ein zweitangegangener Rehabilitationsträger Leistungen erbracht, obwohl ein anderer Rehabilitationsträger insgesamt zuständig war, kann er gegen den eigentlich zuständigen Rehabilitationsträger den Erstattungsanspruch nach § 16 Abs. 1 SGB IX geltend machen. Dieser richtet sich im Umfang nach den für den leistenden Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften (§ 16 Abs. 1 S. 2 SGB IX, § 73 Abs. 1 Gemeinsame Empfehlungen). Gleiches gilt im Falle einer „Turboklärung“ nach § 14 Abs. 3 SGB IX, wenn der infolge der „Turboklärung“ leistende Rehabilitationsträger letztlich doch unzuständig geleistet hat (§ 73 Abs. 2 Gemeinsame Empfehlungen).
Die in § 15 SGB IX geregelte „Leistungsverantwortung bei Mehrheit von Rehabilitationsträgern“ schlägt sich auch im Rahmen der Kostenerstattung nieder:
Im Übrigen sieht § 16 Abs. 6 SGB IX i.V.m. § 108 Abs. 2 SGB X u. a. für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe insofern eine Privilegierung vor, als sie einen zusätzlichen Anspruch auf Verzinsung des Erstattungsanspruchs i.H.v. § 4% geltend machen können. Hintergrund ist das Anerkenntnis des Gesetzgebers, dass diese aufgrund ihrer umfassenden Zuständigkeit für die Leistungsgruppen nach § 6 Abs. 1 SGB IX häufig in eine nachrangige Leistungsverantwortung kommen und daher ein besonderes Interesse an einer beschleunigten Aufwandserstattung haben.[8]
Der nach § 19 SGB IX aufzustellende Teilhabeplan ist das „zentrale Instrument zur Koordinierung der Leistungen“.[9] In diesem Sinne ist er in drei Konstellationen verpflichtend aufzustellen:
Das Ziel der Teilhabeplanung liegt darin, die Leistungen so aufeinander abzustimmen, dass das gesamte Verfahren nahtlos, zügig, zielorientiert und wirtschaftlich abläuft und ist insb. auf die Erstellung bzw. Anpassung eines individuellen Teilhabeplans ausgerichtet (§ 19 Abs. 1, Abs. 3 SGB IX, § 48 Gemeinsame Empfehlungen).
Die Verantwortung für die Aufstellung des Teilhabeplans liegt grundsätzlich bei dem nach § 14 SGB IX leistenden Rehabilitationsträger. In Abstimmung mit den Leistungsberechtigten kann auch ein nach § 15 SGB IX beteiligter Rehabilitationsträger anstelle des leistenden Rehabilitationsträgers die Verantwortung für die Teilhabeplanung übernehmen, wobei die Leistungsverantwortung des leistenden Rehabilitationsträgers hiervon unberührt bleibt (§ 52 Abs. 2 S. 4 Gemeinsame Empfehlungen). Zu berücksichtigen ist, dass diese Verantwortung nicht mit der einmaligen Aufstellung endet, sondern die Pflicht zur Fortschreibung und entsprechenden Anpassung des Teilhabeplans besteht (§ 19 Abs. 3 SGB IX).
Der Teilhabeplan ist schriftlich oder elektronisch zu erstellen, d.h. nicht zwingend im persönlichen Austausch zwischen dem Leistungsberechtigten und dem/den beteiligten Rehabilitationsträger/n.[10] Die notwendig zu dokumentierenden – und für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe besonders relevanten – Inhalte gibt insofern § 19 Abs. 2 SGB IX vor:
§ 55 Abs. 3 Gemeinsame Empfehlungen erwähnt darüber hinaus noch die folgenden Dokumentationsinhalte:
Diese Teilhabeplan-Dokumentation selbst gilt nicht als Verwaltungsakt, sondern ist standardisierter Bestandteil der Aktenführung.[11] Sie bereitet die Entscheidung vor und dient insofern als fachliche Grundlage für die Steuerung des Rehabilitationsprozesses (§ 57 Gemeinsame Empfehlungen). Die Begründung der Leistungsentscheidung muss erkennen lassen, dass und wie die im Teilhabeplan enthaltenen Feststellungen berücksichtigt wurden (§ 19 Abs. 4 S. 2 SGB IX).
Zum Verhältnis zum zentralen Planungsinstrument der Kinder- und Jugendhilfe – der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII – bestimmt § 21 S. 2 SGB IX: Ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe der für die Teilhabeplanung verantwortliche Rehabilitationsträger, gelten die Vorgaben des § 36 SGB VIII ergänzend. Hinsichtlich der Frage, wie dieses Zusammenspiel von Hilfe- und Teilhabeplanung in der Praxis der Jugendämter sinnvoll gestaltet werden kann, finden derzeit noch kräftige Suchbewegungen statt und erscheinen aufgrund der bundesweiten Vielgestaltigkeit kaum pauschale Antworten möglich. Im Ausgangspunkt dürfte jedoch die – im Vergleich zum gesetzlichen Wortlaut des § 21 S. 2 SGB IX umgekehrte – Vorgehensweise eher im Interesse der Verwaltung sein, die bisher entwickelten und erprobten Verfahren zur Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII um die hinzukommenden Aspekte der Teilhabeplanung i. S. d. § 19 SGB IX zu ergänzen.
Allerdings ist hierbei zu beachten, dass gem. § 61 Abs. 1 Gemeinsame Empfehlungen der für die Teilhabeplanung verantwortliche Rehabilitationsträger den Teilhabeplan allen bei der Erstellung des Teilhabeplans beteiligten Rehabilitationsträgern, Jobcentern, Leistungserbringern, dem Leistungsberechtigten sowie ggf. weiteren nach § 22 SGB IX beteiligten Akteuren – unter Beachtung des Datenschutzes – zur Verfügung stellen soll. Dies bedeutet, dass bei der Verknüpfung von Hilfe- und Teilhabeplanung gleichwohl darauf zu achten ist, dass die Informationen aus der Hilfeplanung nach § 36 SGB VIII, die nicht gleichzeitig Bestandteil der Teilhabeplanung nach §§ 19, 20 SGB IX sind (z. B. Hilfeprozesse die Eltern oder Geschwisterkinder betreffend), gut trennbar dokumentiert werden.
Bei der Teilhabeplankonferenz kommen die Beteiligten zur Abstimmung des Teilhabeplans zusammen,[12] um als zusätzliche Verfahrensmöglichkeit der Bedarfsfeststellung in den Fällen der Trägermehrheit vor allem auch die Partizipation der Leistungsberechtigten zu stärken. Macht der für die Teilhabeplanung nach § 19 SGB IX verantwortliche Rehabilitationsträger von dieser Option keinen Gebrauch, können die Leistungsberechtigten, die beteiligten Rehabilitationsträger oder auch die Jobcenter die Durchführung einer solchen Teilhabekonferenz vorschlagen.
Von diesem Vorschlag kann abgewichen werden, wenn der zur Feststellung des Rehabilitationsbedarfs maßgebliche Sachverhalt schriftlich ermittelt werden kann (§ 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 SGB IX), der Aufwand zur Durchführung zum Umfang der beantragten Leistung in keinem angemessenem Verhältnis steht (§ 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 SGB IX) oder der Leistungsberechtigte die datenschutzrechtliche Einwilligung nach § 23 Abs. 2 SGB IX hierfür nicht erteilt hat (§ 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 SGB IX).
Einziger Fall, in dem eine Teilhabeplankonferenz zwingend durchzuführen ist, liegt dann vor, wenn diese mit Blick auf Leistungen an Mütter und Väter mit Behinderungen bei der Versorgung und Betreuung ihrer Kinder (sog. Elternassistenzleistungen) vorgeschlagen wurde (§ 20 Abs. 2 S. 2 SGB IX).
Von Boetticher, Das neue Teilhaberecht, Nomos, Baden-Baden, 2018.
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess, 2019, www.bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/publikationen/empfehlungen/downloads/GEReha-Prozess.web_2019.pdf, zugegriffen am 17.06.2019.
Deinert/Welti (Hrsg.), Behindertenrecht, Arbeits- und Sozialrecht, Öffentliches Recht, Zivilrecht: alphabetische Gesamtdarstellung, 2. Aufl., StichwortKommentar, Baden-Baden, Marburg 2018.
Deutsche Vereinigung für Rehabilitation e. V. (DVfR). Stellungnahme zur ICF-Nutzung bei der Bedarfsermittlung, Bedarfsfeststellung, Teilhabe- und Gesamtplanung im Kontext des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG), August 2017, abrufbar unter www.dvfr.de/arbeitsschwerpunkte/stellungnahmen-der-dvfr/detail/artikel/icf-nutzung-bei-der-bedarfsermittlung-bedarfsfeststellung-teilhabe-und-gesamtplanung-im-kontext-d, zugegriffen am: 21.03.2018 (zit. DVfR-Stellungnahme).
Feldes/Kohte/Stevens-Bartol, SGB IX – Sozialgesetzbuch Neuntes Buch, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 4. Aufl., Frankfurt am Main 2018 (zit. als Feldes/Kohte/Stevens-Bartol-Bearbeiter).
Fuchs, Intention des Gesetzgebers zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nach § 13 SGB IX und Begriffsbestimmung – Teil II: Trägerübergreifend einheitliche Mindestanforderungen, Beitrag A17-2018 unter www.reha-recht.de.
Hauck/Noftz (Hrsg). Sozialgesetzbuch SGB IX. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, Bd. 1 §§ 1–92, Loseblatt, Erich Schmitt, Berlin (zit. als Hauck/Noftz/Bearbeiter).
Kreitner/Luthe (Bandhrsg.), Juris Praxiskommentar SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 3. Aufl., juris, Saarbrücken, 2018 (zit. JurisPK-SGB IX/Bearbeiter).
Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII Kinder- und Jugendhilfe. Lehr- und Praxiskommentar, 7. Aufl., Nomos, Baden-Baden, 2018 (zit. LPK-SGB VIII/Bearbeiter).
Münder/Meysen/Trenczek (Hrsg.), Frankfurter Kommentar SGB VIII, 8. Aufl., 2019 (zit. als Münder/Meysen/Trenczek-Bearbeiter).
Rosenow, Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes auf die Kinder- und Jugendhilfe ab 1.1.2018, JAmt 2017, 480 bis 487.
Walhalla Fachredaktion, Bundesteilhabegesetz Reformstufe 2: Das neue SGB IX, Walhalla Fachverlag, Regensburg, 2018.
Beitrag von Lydia Schönecker, SOCLES – International Centre for Socio-Legal Studies, Heidelberg
[1] Die Erstveröffentlichung dieses Beitrags erfolgte als Themengutachten im Fachportal KiJup-online, 1. Auflage, Edition 13 2018. www.kijup.nomos.de.
[2] Bundestags-Drucksache 18/9522, 236.
[3] V. Boetticher Teilhaberecht Rn. 83.
[4] Ausführlich hierzu Hauck/Noftz/Götze, Stand: 12/2012, SGB IX § 14 Rn. 25 ff.
[5] BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R –, BSGE 98, 267-277, SozR 4-3250 § 14 Nr. 4.
[6] V. Boetticher, Teilhaberecht Rn. 89.
[7] V. Boetticher, Teilhaberecht Rn. 95.
[8] Bundestags-Drucksache 18/9522, 237.
[9] So ausdrücklich v. Boetticher, Teilhaberecht Rn. 116.
[10] V. Boetticher,Teilhaberecht Rn. 123.
[11] Bundestags-Drucksache 18/9522, 239.
[12] V. Boetticher, Teilhabeplan Rn. 127 ff.
Jugendamt, Kinder- und Jugendhilfe, BTHG, Rehabilitationsträger, Medizinische Rehabilitationsleistungen, Berufliche Rehabilitation, Soziale Teilhabe, Leistungen zur Teilhabe an Bildung, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), Teilhabeplanverfahren, Teilhabeplan, Kostenerstattung, Teilhabeplankonferenz
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