13.07.2022 B: Arbeitsrecht Kohte: Beitrag B6-2022

Der Anspruch des Wahlvorstands der SBV-Wahl auf eine Schulung vor der Wahl – Anmerkung zu LAG Frankfurt, Beschluss vom 20. August 2018 - 16 TaBVGa 159/18

Der Autor Prof. Dr. Wolfhard Kohte bespricht im vorliegenden Beitrag die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Frankfurt vom 20. August 2018, Az. 16 TaBVGa 159/18. Das LAG Frankfurt erkannte in seiner Entscheidung den Anspruch des Wahlvorstandes für die SBV-Wahl auf eine externe Schulung aller Mitglieder an. Der Arbeitgeber ist zur Freistellung der Wahlvorstandsmitglieder und zur Übernahme der Kosten verpflichtet.

Der Autor stimmt der Entscheidung zu und betont die Bedeutung der Fortbildung für die SBV-Wahl und die Möglichkeit der Durchsetzung des Rechts des Wahlvorstandes im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.

(Zitiervorschlag: Kohte: Der Anspruch des Wahlvorstands der SBV-Wahl auf eine Schulung vor der Wahl – Anmerkung zu LAG Frankfurt, Beschluss vom 20. August 2018 - 16 TaBVGa 159/18; Beitrag B6-2022 unter www.reha-recht.de; 13.07.2022)

I. Thesen des Autors

  1. Die Wahlen der Schwerbehindertenvertretung (SBV) werden im Wesentlichen im Wege der Selbstorganisation durchgeführt. Im formellen Wahlverfahren wird ein Wahlvorstand bestellt, der die wesentlichen Entscheidungen zu treffen hat. Dazu sind einige Fachkenntnisse erforderlich, denn die Mitglieder des Wahlvorstands müssen eine Reihe von Entscheidungen in Übereinstimmung mit der Wahlordnung und der sonstigen Rechtslage treffen.
  2. Aus diesem Grund steht den Mitgliedern des Wahlvorstands ein Anspruch auf Teilnahme an einer Schulung zur SBV-Wahl zu, für die sie von der Arbeit freizustellen sind. Die Kosten der Schulung und der Freistellung von der Arbeit sind vom Arbeitgeber zu tragen.
  3. Angesichts der kurzen Fristen zwischen der Bestellung des Wahlvorstands und den wesentlichen Entscheidungen ist es erforderlich, dass alle drei Mitglieder des Wahlvorstands kurzfristig an einer solchen Schulung teilnehmen. Der gerichtliche Rechtsschutz erfolgt im Wege der Einstweiligen Verfügung.
  4. Es ist wichtig, dass solche Schulungen rechtzeitig angeboten werden.

II. Wesentliche Aussagen der Entscheidung

Gemäß § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX, § 20 Abs. 3 S. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) trägt der Arbeitgeber die Kosten der Wahl und darf das Arbeitsentgelt eines Arbeitsnehmers nicht mindern, wenn dieser wegen der Betätigung im Wahlvorstand Arbeitszeit versäumt und die Teilnahme an der Schulung für die Ausübung des Amtes erforderlich ist. Die Teilnahme an einer Schulung ist auch dann erforderlich, wenn der Arbeitgeber selbst für die Mitglieder der Wahlvorstände in seinem Unternehmen Schulungen zur Wahl durchführt. Die Mitglieder des Wahlvorstands sind nicht verpflichtet, ihr Wissen durch Schulungen des Arbeitgebers zu beziehen.

III. Der Sachverhalt

Die Arbeitgeberin ist ein großes Luftfahrtunternehmen. Die drei Mitglieder des Wahlvorstands zur Wahl einer SBV des Bordpersonals verlangen Freistellung für eine Schulung zu den Rechtsfragen der SBV-Wahl. Die Arbeitgeberin hatte in ihrem Unternehmen eine allgemeine Schulung für alle Wahlvorstände der SBV organisiert. Der Wahlvorstand für das Bordpersonal hatte beschlossen, dass er eine eigenständige Schulung durch Rechtsanwältin A erhält, die ihn auch in anderen Fragen berät. Diese Schulung sollte ursprünglich zwei Tage betragen und ist danach auf anderthalb Tage verkürzt worden. Als Kosten sind eine Pauschale von 1000 € Honorar und eine Verpflegungspauschale von 15 € pro Tag und Person festgelegt werden. Der Arbeitgeber lehnte eine Übernahme der Kosten und eine Freistellung der Wahlvorstandsmitglieder ab, da er eine eigenständige Schulung bereits für alle Wahlvorstände angeboten habe.

Die Mitglieder des Wahlvorstands hielten es für unzumutbar, dass sie sich in der wichtigen Frage auf arbeitgeberseitig organisiertes Wissen zu verlassen hätten und beantragten daher eine Einstweilige Verfügung zur Freistellung zur Schulung und zur Übernahme der Kosten durch den Arbeitgeber. In der ersten Instanz am Arbeitsgericht waren die Mitglieder des Wahlvorstands nicht erfolgreich.

IV. Die Entscheidung

Die Beschwerde des Wahlvorstandes am Landesarbeitsgericht (LAG) hatte Erfolg.

Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung, dass der Arbeitgeber die Kosten der Wahl zu tragen hat und dass dazu auch die Kosten der Betätigung im Wahlvorstand gehören. Zur Betätigung im Wahlvorstand gehöre, so betont das LAG, auch die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung. Angesichts der Komplexität der Wahlordnung zur SBV-Wahl sei eine solche Schulung auch erforderlich; erst recht bei erstmals berufenen Wahlvorstandsmitgliedern. Eine Dauer von anderthalb Tagen sei hier angemessen, zumal auch die von der Arbeitgeberin angebotene Schulung ebenfalls anderthalb Tage dauerte. Schließlich bestünden laut dem LAG auch keine fachlichen Bedenken gegen die Kompetenz der Anwältin, die die Schulung angeboten hat. Angesichts der kurzen Frist sei eine einstweilige Verfügung hier geboten.

V. Würdigung/Kritik

Für die Betriebsratswahl hat das Bundesarbeitsgericht zu den Wahlordnungen zum BetrVG bereits 1974 entschieden,[1] dass eine Schulung des Wahlvorstands in der Regel erforderlich ist und dass ihre Kosten zu den Kosten der Wahl gehören, die der Arbeitgeber zu tragen hat (§ 20 Abs. 3 BetrVG). Dieser Grundsatz gilt auch für die SBV-Wahl. Das ist sachgerecht, denn die Wahlordnung für die SBV ist kompliziert; sie kennt verschiedene Verfahrensvorschriften und sie unterscheidet sich deutlich von der bekannteren Wahlordnung der Betriebsverfassung. Für Wahlvorstandsmitglieder ist es daher erforderlich, dass sie über das notwendige Wissen verfügen, welche Anforderungen die Wahlordnung stellt und wie die Gerichte die Wahlordnung auslegen. Dies spricht deutlich dafür, dass Mitglieder des Wahlvorstands regelmäßig einen Anspruch auf eine solche Schulung haben.

Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch des SBV-Wahlvorstands ist nicht einfach zu finden. § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX verweist zum Wahlschutz auf die einschlägigen Vorschriften des BetrVG und des BPersVG. § 20 Abs. 3 BetrVG erklärt lapidar, dass der Arbeitgeber die Kosten der Wahl trägt. Erst durch Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ergibt sich, dass zu diesen Kosten auch die Kosten der Teilnahme an einer Schulung für Wahlvorstände gehören. Zu diesen Kosten gehört auch die Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Ebenso ist es daher geboten, dass die Mitglieder des Wahlvorstands für die Zeit der Schulung von der Arbeit freigestellt werden.

Im vorliegenden Fall ging es weniger um das Ob der Schulung; die Arbeitgeberin hatte durch die Veranstaltung einer eigenen Schulung implizit eingeräumt, dass dieses Wissen erforderlich ist. Sie bot jedoch eine kostengünstigere Regelung an. Zu dieser Problematik liegt eine ganze Reihe von Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vor. Danach hat das Gremium das Recht, unter konkurrierenden Angeboten auszuwählen. Es ist auch nicht verpflichtet, die kostengünstigste Veranstaltung auszuwählen, wenn sie eine andere Schulung für qualitativ besser geeignet hält. Daher ist die Interessenvertretung auch nicht gehalten, an einer vom Arbeitgeber veranstalteten Schulung teilzunehmen. Im vorliegenden Fall hatte es schon im Vorfeld Konflikte zwischen Arbeitgeber, SBV und Wahlvorstand gegeben. Auch in anderen Konstellationen ist es so, dass das Gremium an einer Schulung teilnehmen kann, die von einem Veranstalter seines Vertrauens durchgeführt wird. Dies war in diesem Verfahren maßgeblich.

Die Entscheidung zeigt weiter, dass die für diese Fragen zuständigen Arbeitsgerichte regelmäßig auf Entscheidungen zum BetrVG blicken, weil es bisher wenige Entscheidungen zur SBV-Fortbildung gibt. Daher ist es hilfreich, auf den reichhaltigeren Fundus der BetrVG-Wahlen zurückzugreifen.[2] In dem hier besprochenen Verfahren war beantragt worden, dass alle drei Mitglieder des Wahlvorstands an der Schulung teilnehmen. Das Gericht hatte diesem Antrag entsprochen, denn ein Wahlvorstand muss die Mehrzahl seiner Entscheidungen als Gremium in kurzer Zeit treffen und kann sie nicht verschieben, wenn ein Mitglied verhindert ist.[3] Bei erstmals bestellten Mitgliedern ist eine solche Schulung immer erforderlich. Aber auch Personen, die 2018 im Wahlvorstand agiert haben, benötigen 2022 eine solche Fortbildung, da durch die Digitalisierung neue Fragen aufgetreten sind, die damals kaum beachtet worden waren. In jedem Fall ist es geboten, dass sich der Wahlvorstand in seiner ersten oder zweiten Sitzung mit dem Thema befasst, die Teilnahme an einer Schulung beschließt und sich an den Arbeitgeber wendet, damit die Freistellung und die Kostenübernahme zügig geklärt werden können.

Im vereinfachten Wahlverfahren gibt es keinen Wahlvorstand. Hier erfolgen die Einladung zur Wahlversammlung und die wichtigen Vorbereitungen zur barrierefreien Versammlung nach § 19 Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen SchwbVWO) durch die SBV. Die SBV muss auch prüfen, ob eine digitale Wahlversammlung nach § 20 Abs. 5 SchwbVWO geboten ist. Daher hat in dieser Konstellation die SBV Anspruch auf eine Schulung zur SBV-Wahl.

Beitrag von Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Zentrum für Sozialforschung Halle

Fußnoten

[1] BAG v. 05.03.1974 - 1 AZR 50/73, juris.

[2] Dazu zuletzt Rabe-Rosendahl: Anspruch des stellvertretenden Mitglieds der Schwerbehindertenvertretung auf Teilnahme an einer BEM-Fortbildung für Fortgeschrittene – Anmerkung zu ArbG Kaiserslautern, Beschluss v. 06.10.2020 – 3 BV 14/20; Beitrag B9-2020 unter www.reha-recht.de; 21.12.2020.

[3] Daher sollte wenigstens ein Ersatzmitglied für den Wahlvorstand bestellt werden, dazu Husmann, Wahl der Schwerbehindertenvertretung 2022, S. 51.


Stichwörter:

Schwerbehindertenvertretung (SBV), Wahl einer Schwerbehindertenvertretung, Durchführung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung, Fortbildung, Freistellung, Kostenübernahme (Kostenträger), Schulung, § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX, § 20 Abs. 3 BetrVG, § 19 SchwbVWO, SBV-Wahl


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