Beitrag als PDF zum Download
Beitrag drucken oder senden
Beitrag in Sozialen Netzen teilen
Dieser Beitrag gehört zu:
Der Autor Christian Huppert, Prof. an der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen (Schwerpunkt Behinderung und Inklusion) setzt sich in dem vorliegenden Beitrag mit der Teilhabe an Bildung für Schüler mit (drohender) Behinderung durch Schulbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe auseinander.
Zu Beginn ordnet er die rechtlichen Zuständigkeiten, die Bedeutung der Schulbegleitung und die bisherigen Bestrebungen in der praktischen Umsetzung ein. Sodann benennt und bewertet er kritisch die Errungenschaften zur Schulbegleitung im Landesrahmenvertrag NRW mit einem Blick auf das Erreichen von Teilhabezielen. Abschließend stellt der Autor mögliche Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung und Implementierung der Schulbegleitung auf dem noch weiten Weg zu einem inklusiven Schulsystem dar.
(Zitiervorschlag: Huppert: Schulbegleitung im Landesrahmenvertrag NRW – Zwischen Qualitätssteigerung und Verantwortungsverlagerung; Beitrag D1-2022 unter www.reha-recht.de; 14.01.2022)
Teilhabe an Bildung für Schülerinnen und Schüler mit (drohender) Behinderung ist eines der großen Themen in der Bildungslandschaft und steht selbst angesichts vieler beachtenswerter Projekte, die seit dem Integrations-/Inklusionsdiskurs der 1970er-Jahre etabliert wurden, in der Breite des Schulsystems noch in den Anfängen einer bundesweiten Umsetzung.[1] Anpassungen in den Schulgesetzen, in der Ausbildung von Lehrkräften, konzeptionelle Entwicklungen, didaktisch-methodische Überlegungen sind nur ein Teil der damit verbundenen Herausforderungen.
Vergleichsweise wenig Beachtung findet bislang eine Ressource, die im Gemeinsamen Unterricht immer häufiger zum Einsatz kommt. Die Ressource der Schulbegleitung als Leistung der Eingliederungshilfe ist nicht Teil des Schulsystems und wird von außen durch Mitarbeitende anderer Anstellungsträger in schulischen Zusammenhängen erbracht. Als individuelle Leistung ausgestaltet, werden Bedarfe ausgeglichen, die durch das Schulsystem selbst nicht gedeckt werden können. Teilhabe an Bildung, insbesondere im sog. Regelschulsystem, wäre durch diese Ressource an vielen Stellen kaum möglich. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass Schulbegleitung wenig strukturell eingebunden und fachlich konturiert erscheint. Schon die Vielfalt an Bezeichnungen, wie z. B. Integrationshilfe oder Schulassistenz lässt dies deutlich werden. Lübeck[2] identifiziert ein „Rollenprekariat“, das u. a. geprägt ist durch unklare Aufgabenbeschreibungen, Rollenzuschreibungen, Qualifikationen, formale Rahmenbedingungen und Zugänge zu den Leistungen. Diese Diffusität führt zu Verunsicherungen bei den beteiligten Akteurinnen und Akteuren und erschwert eine dem Ziel der Teilhabe an Bildung förderliche Zusammenarbeit.
Rechtlich verortet sind die Leistungen der Schulbegleitung in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen zum einen in § 35a SGB VIII bei (drohender) seelischer Beeinträchtigung und zum anderen in § 75 SGB IX in Verbindung mit § 112 SGB IX bei (drohender) körperlicher, geistiger oder Sinnesbeeinträchtigung. Das SGB VIII verweist hinsichtlich der Aufgaben und Ziele auf die einschlägigen Regelungen im SGB IX. Hier wurde mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 1. Januar 2018 die Teilhabe an Bildung als eine von fünf Leistungsgruppen normiert (§ 5 SGB IX) und erlangt somit und im Vergleich zu den vorhergehenden Rechtsgrundlagen im SGB XII deutlich mehr Gewicht.[3] Neben Hilfen zur Schulbildung im Rahmen der Schulpflicht (im besonderen Fokus dieses Beitrags) werden auch Hilfen zur schulischen Berufsausbildung, der Hochschulbildung und der beruflichen Weiterbildung als Rechtsanspruch in § 75 SGB IX hervorgehoben. Der zentrale Reformschritt zum 1. Januar 2020 löste die Leistungen der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgerecht des SGB XII und gliederte sie als zweiten Teil in das Teilhaberecht des SGB IX ein. In § 112 SGB IX wird seither die Teilhabe an Bildung weiter ausdifferenziert. Mit Blick auf die schulische Bildung werden erstmals Leistungen zur Unterstützung schulischer Ganztagsangebote eingeschlossen. Zudem wird ebenfalls erstmals genauer geregelt, dass die Leistungen auch an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden können, sofern dies zumutbar ist und entsprechende Vereinbarungen mit Leistungserbringern bestehen.
Nicht erst mit der Reform der Eingliederungshilfe erlangten die Hilfen zur Schulbildung in Form von Schulbegleitung in der Praxis eine erhebliche Relevanz. Seit Mitte der 2000er-Jahre sind die Zahlen in der Leistungsgewährung deutlich angestiegen. Für Nordrhein-Westfalen (NRW) wird ein Anstieg von 152 % bei Schülerinnen und Schülern mit Bezug von Leistungen der Eingliederungshilfe („Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung“) in den Jahren von 2010 bis 2018 ausgewiesen.[4] Die breite gesellschaftliche Diskussion rund um ein inklusives Schulsystem im Anschluss an die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) im Jahr 2009 hat zu diesem Anstieg beigetragen. Im Zuge der Bemühungen um einen Ausbau des gemeinsamen Unterrichts wird deutlich, dass ein hoher Bedarf an zusätzlichen Ressourcen im Schulsystem besteht. Es kann von dem Versuch ausgegangen werden, den Bedarf durch die Beantragung und Einbindung von Schulbegleitung, aber auch durch den Anstieg der Feststellungen eines sonderpädagogischen Förderbedarfs zu decken.
Der Ausbau der Schulbegleitung ging einher mit Bestrebungen zur Professionalisierung der Leistungen. Auf Ebene der Leistungserbringer wurde konzeptionell gearbeitet und die Schnittstellen zwischen den Beteiligten – hier insbesondere zwischen Leistungserbringer, Leistungsträger, Lehrkräften, Schule und Eltern – wurden durch Vereinbarungen oder vertragliche Regelungen gestaltet. Im Rahmen eines Modellprojekts zur Qualifizierung von Schulbegleitern und Schaffung von Netzwerken für die gelungene schulische Integration (QuaSI) in Thüringen sollten neben einer fachlichen Positionierung in diesem Feld den Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern im Rahmen einer erprobten und evaluierten Qualifizierung die Möglichkeit eröffnet werden, sich ein berufliches Selbstverständnis anzueignen. Gleichzeitig wurden berufliche Standards zur Stärkung der Fachlichkeit entwickelt.[5] Ausdruck der Professionalisierungsbestrebungen sind weitere Positionierungen und fachliche Veröffentlichungen der vergangenen Jahre. Das Ziel eines Papiers der Bundesvereinigung Lebenshilfe[6] war die bundesweite Herstellung vergleichbarer Rahmenbedingungen und Qualitätsvereinbarungen zur Sicherung des Zugangs zu Bildung. Der Paritätische Gesamtverband stellt in seiner ausführlichen Auseinandersetzung mit der Schulbegleitung fest, dass sich die Leistung „in den letzten Jahren zunehmend verstetigt hat [und] zum Abbau von Barrieren im Schulalltag für lernende Kinder und Jugendliche mit Behinderungen beitragen“ kann. [7] Eine Orientierungshilfe von Spitzenverbänden der Leistungsträger[8] beschreibt neben der Abgrenzung von Aufgaben der Schule und anderer möglicher Leistungsträger auch mögliche Organisationformen einer gemeinsamen Leistungserbringung (sog. Poolbildung).
Die Stadt Dortmund hat über mehrere Jahre ein infrastrukturelles Angebot organisiert, das dem individuellen sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren vorgelagert war. Unter Beteiligung von Jugendamt und Sozialamt wurde im Rahmen von „SchubiDo“ (Schulbegleitung in Dortmund) ein zusätzlicher Personalbedarf an Schulen mit Gemeinsamem Unterricht erhoben, geprüft, und es wurden in Zusammenarbeit mit Leistungsanbietern entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt. Nur in Ausnahmefällen und bei höherem Bedarf wurden Anträge auf individuelle Schulbegleitung gestellt und von den zuständigen Stellen geprüft. Mit Verweis auf die neue Rechtslage durch die dritte Reformstufe des BTHG zum 1. Januar 2020 wurde das Verfahren eingestellt.[9]
Den Bogen von einem Blick in die Praxis inklusive einiger Arbeitshilfen und -materialien hin zur Forschung in diesem Feld schlägt ein Sammelband des Lebenshilfe-Verlags, bereits in zweiter Auflage erschienen.[10] Neben einem Überblick über bisherige Forschungsprojekte samt internationaler Perspektive werden in unterschiedlichen Beiträgen erste Erkenntnisse zusammengetragen. Dworschak stellt entlang seiner Studie fest, dass es gemessen an bestimmten Faktoren eine deutlich unterschiedliche Bewilligungspraxis bei unterschiedlichen Leistungsträgern gibt. Zudem problematisiert er, dass Schülerinnen und Schüler mit höherem Unterstützungsbedarf seltener im Regelschulsystem beschult werden. Lübeck hat die Einbindung der Schulbegleitungen in das schulische Kollegium untersucht und sieht Handlungsbedarf in Richtung einer stärker multiprofessionell ausgerichteten Zusammenarbeit. In mehreren Studien werde die Positionierung der Schulbegleitung im Unterricht und im Zusammenwirken mit den weiteren Akteurinnen und Akteuren als zu bearbeitende Themen herausgehoben. Die Perspektiven der (Mit-)Schülerinnen und Schüler werden von Böing/Köpfer sowie von Lindmeier/Ehrenberg beleuchtet und stigmatisierende Wirkungen festgestellt. Als eine der Schlussfolgerungen aus den Studienergebnissen wird in je unterschiedlicher Perspektive ein Bedarf an Professionalisierung, Qualifizierung und Profilschärfung gesehen.
In Nordrhein-Westfalen gab es bereits 2006 erste Bestrebungen der Vertragspartner in der Gemeinsamen Kommission (insbesondere die kommunalen Spitzenverbände und die LAG Freie Wohlfahrtspflege), eine Leistungsbeschreibung zur Schulbegleitung zu verabschieden. Zu einem weitgehend fertigen Entwurf einer Leistungsbeschreibung konnte seinerzeit in der Kommission kein Konsens gefunden werden. Eine weitere Verhandlungsrunde wurde im Jahr 2014 ebenfalls ohne Ergebnis beendet. In diesem Zuge hat sich die LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW mit einem Profil zu Schulbegleitung positioniert und stellt fest, dass sich die Leistung „als wichtige, personelle Ressource etabliert [hat], die aus dem Schulalltag nicht mehr wegzudenken ist“[11]. Auf kommunaler Ebene entstanden seither viele unterschiedliche und kreative Modelle, die mit ebenso sehr unterschiedlichen Zielsetzungen Beachtung gefunden und/oder Kritik auf sich gezogen haben. Qualitätsbeschreibungen, Rollenklärungen, Bestrebungen zur Dämpfung des Kostenanstiegs, Modelle der gemeinsamen Inanspruchnahme (sog. Schulbegleitungs-Pools) oder eher infrastrukturelle Ansätze wurden entwickelt und eingeführt. Der Druck in Richtung einer Verständigung zur Schulbegleitung auf Landesebene wuchs.
Mit dem BTHG und den hieraus folgend erforderlichen Verhandlungen eines neuen Landesrahmenvertrages für NRW nutzten die Vertragspartner die Chance, sich erneut mit der Schulbegleitung zu beschäftigen. In der komplexen Verhandlungsstruktur wurde eine Arbeitsgruppe zu Leistungen für Kinder und Jugendliche eingerichtet, die sich u. a. mit heilpädagogischen Leistungen in unterschiedlichen Settings, Leben in besonderen Wohnformen und Pflegefamilien, aber auch mit Assistenz im familiären Kontext (analog zu Familienunterstützenden Diensten) und autismusspezifischen Fachleistungen beschäftigt hat. Die Schulbegleitung war ein weiterer Schwerpunkt und mit der Verabschiedung des Vertrags konnte im Juli 2019 für alle genannten Leistungen eine Verständigung zu Rahmenleistungsbeschreibungen erzielt werden.[12]
In der Rahmenleistungsbeschreibung[13] werden Art und Inhalt der Schulbegleitung ausführlich dargestellt. Hier wird bereits hervorgehoben, dass die Leistung neben den zen-tralen schulischen Angeboten (Unterricht, Klassenfahrten, Wandertage…), sowie im Offenen Ganztag auch in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften erbracht werden soll. War Begleitung in freiwilligen Angeboten häufiger Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten, gab es hier eine Verständigung, dass die Teilnahme an der Breite der schulischen Angebote der Teilhabe insgesamt dienlich ist. Das vielfältige Aufgabenspektrum wird mit einer nicht abgeschlossenen Aufzählung hervorgehoben, explizit eingeschlossen sind dabei auch Ressourcen für den Informationsaustausch an den Schnittstellen zu Erziehungsberechtigten, zum Lehrpersonal, zu wichtigen Bezugspersonen oder zu Therapieangeboten. Die Schulbegleitung wird als individuelle Leistung ausgestaltet und mit Verweis auf § 104 SGB IX kann sie auch für mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam erbracht werden. In der Beschreibung wird in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass entsprechende Modelle mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort (Schülerinnen und Schüler, Träger der Eingliederungshilfe, Schulen, Schulträger, Leistungserbringer und Eltern) zusammen entwickelt werden sollen. Dies greift die Erfahrung auf, dass Modelle besonders dann gelingen, wenn sie in kommunikativen Prozessen gemeinsam getragen werden können. Der Umfang der Leistungen orientiert sich am individuellen Bedarf der Leistungsberechtigten und soll den Förderplan der Schule sowie individuell nutzbare Ressourcen berücksichtigen. Die fallspezifische Zusammenarbeit im Team der Schule bzw. Offenen Ganztag gehören zum Umfang der Leistung. Zur Prozessqualität wird hervorgehoben, dass die Schulbegleitung mitwirkt an der Ausgestaltung der Vernetzung und Zusammenarbeit der an dem multiprofessionellen System Beteiligten. In Anerkennung des breiten Tätigkeitsspektrums soll bei der Personalausstattung je nach Fallkonstellation geeignetes Personal eingesetzt werden. Grund- und weiterführende Qualifikationen für das Aufgabenfeld sind geboten und ebenso Aufgabe der Leistungserbringer wie die Durchführung von Teambesprechungen und (kollegialer) Supervision.
In den weitergehenden Verhandlungen wurde die Rahmenbeschreibung nun um eine Muster-Leistungsvereinbarung und eine Muster-Vergütungsvereinbarung ergänzt, ein Berechnungsbogen zur Ermittlung einer zeitbasierten Vergütung im Bereich der Schulbegleitung (Vergütungssatz) entwickelt und eine standardisierte Leistungsdokumentation zur Verfügung gestellt (zum Download u. a. auf den Seiten des LVR 2021). Diese Dokumente sollen als Grundlage dienen für die Verhandlungen zwischen den einzelnen Leistungserbringern und kommunalen Leistungsträgern.
Mit Blick auf die hier vorgestellten und auf die weiteren Regelungen in der Rahmenleistungsbeschreibung zur Schulbegleitung kann festgehalten werden, dass diese in inhaltlicher wie auch formaler Hinsicht deutlich in die Tiefe gehen. Neben einem offenen Leistungskatalog samt versuchter Abgrenzung zum pädagogischen Kernbereich der Schule werden beispielsweise bereits hier der Umfang prozentualer Zuschläge für Leitung/Verwaltung und Sachkosten als Plausibilitätswerte vereinbart. Besonders hervorzuheben sind die Anerkennung aller – auch freiwilliger – Angebote im Schulalltag sowie die an mehreren Stellen betonte Gestaltung des Zusammenwirkens der Akteurinnen und Akteure auf unterschiedlichen Ebenen (fallspezifisch, Vernetzung, Modelle gemeinsamer Leistungserbringung). Wesentliche Anforderungen im Rahmen der Erbringung von Leistungen der Schulbegleitung werden somit für NRW verbindlich festgelegt. Es scheint gelungen, die Leistung der Schulbegleitung für NRW stärker zu strukturieren, zu konturieren, zu qualifizieren und für bisherige Streitpunkte Lösungen anzubieten. Damit kann sich ein System stabilisieren, das zurzeit als eine wichtige Ressource zur Ermöglichung von Teilhabe an Bildung beschrieben wird.
Die Stabilisierung des Systems der Schulbegleitung wirft gleichzeitig auch kritische Fragen auf. Analysiert entlang neoinstitutionalistischer Ansätze[14] hat sich ein organisationales Feld etabliert, das durch isomorphe, gleichgestaltete Strukturen gekennzeichnet ist. War es bislang die Imitation erfolgreichen Handelns, tragen die gesetzlichen Regelungen im SGB IX und die aktuellen Leistungsbeschreibungen zu einer weiteren Angleichung im Feld der Schulbegleitung bei. Eine verstärkte institutionelle Reproduktion mit komplexen Abhängigkeiten zwischen den Akteurinnen und Akteuren und der machtvollen Tendenz, geschaffene Werte zu erhalten, können in der Folge zu einem stabilen und beharrlichen System führen. Die aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen zur Stärkung der Schulbegleitung – in rechtlichen Zusammenhängen durch das BTHG und in der Praxis durch den Landesrahmenvertrag – können sogenannte pfadabhängige Entwicklungsprozesse befördern und spätere (grundlegende) Veränderungen in dem Feld erschweren.
In der Anfangszeit wurde deutlich kritisiert, dass die Eingliederungshilfe als Ausfallbürge für fehlende Ressourcen im Schulsystem fungiert und somit die fachliche und finanzielle Verantwortung für die Teilhabe an Bildung im Bereich individueller Assistenzen verlagert wird. Mit der Verantwortungsübernahme haben die Akteurinnen und Akteure den rechtlichen Rahmen genutzt und mit vielen Modellen die Schulbegleitung fachlich weiterentwickelt und flexibilisiert. Mit Blick auf das organisationale Feld insgesamt kann in diesem Zuge von einer Stabilisierung und Festigung des Systems gesprochen werden. Grundlegende Veränderungen werden angesichts dieser Entwicklungen erschwert, und aktuell sind keine Tendenzen erkennbar, grundlegende Reformen im Schulsystem vorzunehmen, die Auswirkungen auf das Feld der Schulbegleitung haben könnten.
Mit dem BTHG wurde die gemeinsame Leistungserbringung gestärkt, die eine rechtliche Fundierung darstellt für bereits entwickelte sogenannte Poolmodelle und ein Motor für weitere Erprobungen unterschiedlicher Modelle ist. Der Deutsche Verein hat sich aktuell positioniert und empfiehlt nachdrücklich deren Implementierung.[15] Dabei wird unterschieden zwischen fallabhängigen und infrastrukturellen Modellen. Bei fallabhängigen Modellen werden individuelle Rechtsansprüche im Rahmen des sozialrechtlichen Dreiecks zusammengefasst und gemeinsam erbracht. Infrastrukturelle Modelle sind der individuellen Bedarfsprüfung vorgeschaltet. Dabei wird Assistenz unabhängig vom Einzelfall den Schulen zur Verfügung gestellt und bedarfsorientiert in Klassen, Klassenverbünden oder Stufen eingesetzt. Es entfällt ein aufwendiges Antrags- und Bewilligungsverfahren und es wird die Chance gesehen, dass sich die intensivere Kooperation zwischen Schule und Leistungserbringer auf die Qualität der Unterstützungsleistungen auswirkt.
Die bereits erwähnten Forschungsergebnisse sowie auch die unterschiedlichen Positionierungen von Verbänden weisen auf die grundsätzliche Verantwortung des Schulsystems hin, die Ressourcen für gelingende Teilhabe an Bildung infrastrukturell und im eigenen System zur Verfügung zu stellen. Auch der Deutsche Verein hat in einer früheren Empfehlung auf dieses Ziel hingewirkt und festgestellt, dass „Maßnahmen zur Rechtsvereinheitlichung dem grundsätzlichen Ziel folgen müssen, dass inklusive Schule durch die Schule geleistet werden muss“[16]. Für den Übergang sollte die gegenwärtige Praxis in Richtung qualifizierter persönlicher und infrastruktureller Assistenz weiterentwickelt werden.
Die Stärkung und Profilierung der Schulbegleitung in ihrer aktuellen Ausgestaltung durch den Landesrahmenvertrag in NRW kann als bedeutender Schritt auch in Richtung der Annäherung an gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesland gewürdigt werden. Qualitätssicherung und -steigerung sind durch die vertraglichen Vereinbarungen ebenso möglich wie eine Förderung von Kooperation in multiprofessionelle(re)n Teams.
Bereits im Landesrahmenvertrag angelegt ist das Bestreben um Modelle gemeinsamer Inanspruchnahme von Schulbegleitung. Dieser Weg erscheint folgerichtig und sollte ergänzt werden in Richtung einer Profilierung infrastruktureller Modelle.
Der Weg zu einem inklusiven Schulsystem bedarf allerdings noch deutlich grundlegenderer Veränderungen, als diese bislang diskutiert werden. Wir treffen derzeit auf bundesweit unterschiedlich gestaltete, aber insgesamt weiterhin segregierende Schulsysteme, die Teilhabe an Bildung für alle Schülerinnen und Schüler erschweren. Im Rahmen der Berichterstattung zur Umsetzung der UN-BRK hat der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen seine Besorgnis darüber ausgedrückt, dass der Großteil der Schülerinnen und Schüler mit Behinderung Förderschulen besucht, und empfiehlt „im Interesse der Inklusion das segregierte Schulwesen zurückzubauen“ und diesen Weg mit einer umfassenden Strategie zu gestalten.[17] Schulbegleitung bedarf in der gegenwärtigen Ausgestaltung einer Weiterentwicklung und Profilierung, mit Blick auf ein inklusives Schulsystem wird dieses Modell im Rahmen einer Gesamtstrategie allerdings nur noch eine Randfigur darstellen können.
Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. (2015): Schulbegleitung. Ein Positionspapier. Berlin. Verfügbar unter: https://www.lebenshilfe.de/informieren/kinder/schule-und-schulbegleitung-fuer-kinder-mit-behinderung, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
Deutscher Landkreistag; Deutscher Städtetag; BAGüS Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (2019): Orientierungshilfe zur Schulbegleitung unter besonderer Berücksichtigung der Bildung von Schulbegleiterpools. Berlin. Verfügbar unter https://www.lwl.org/spur-download/bag/190709_Orientierungshilfe_Schulbegleitung.pdf, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. (2019): Schulassistenz gestalten für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in allgemeinbildenden Schulen. Berlin. Verfügbar unter: https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/schulassistenz-gestalten-fuer-kinder-und-jugendliche-mit-behinderungen-in-allgemeinbildenden-schulen/, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (2021): Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Umsetzung und Weiterentwicklung von Schulassistenz nach § 112 SGB IX und § 35a SGB VIII. Berlin.
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (2016): Empfehlungen des Deutschen Vereins: Von der Schulbegleitung zur Schulassistenz in einem inklusiven Schulsystem. Berlin.
Keil, Silke; Baier, Diana; Friedemann, Anne; Stange, Karl-Heinz (2012): Modellprojekt zur Qualifizierung von Schulbegleitern und Schaffung von Netzwerken für die gelungene schulische Integration in Thüringen. Endbericht. Erfurt.
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW NRW) (2014): Schulbegleitung – Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einem inklusiven Schulsystem. Münster. Verfügbar unter: https://www.freiewohlfahrtspflege-nrw.de/fileadmin/user_data/82-Positionspapier-Archiv-2014/Broschuere_Schulbegleitung_Auflage2.pdf, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
LVR – Landschaftsverband Rheinland und weitere Vertragspartner (2019): Landesrahmenvertrag nach § 131 SGB IX für Nordrhein-Westfalen und Anlage zum Landesrahmenvertrag. Beide Dateien verfügbar unter: https://www.bthg.lvr.de/de/kinder-jugendliche/fachleute/der-landesrahmenvertrag-nach-131-sgb-ix-nrw/, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
LVR – Landschaftsverband Rheinland und weitere Vertragspartner (2021): Muster-Leistungsvereinbarung, Muster-Vergütungsvereinbarung, Musterkalkulation. Dateien werden verfügbar gemacht unter: https://www.bthg.lvr.de/de/downloads/, zuletzt abgerufen am 13.01.2021.
Laubner, Marian; Lindmeier, Bettina; Lübeck, Anika (Hg.) (2019): Schulbegleitung in der inklusiven Schule. Grundlagen und Praxis. 2. Auflage, Weinheim Basel.
Lübeck, Anika (2019): Schulbegleitung im Rollenprekariat. Zur Unmöglichkeit der „Rolle Schulbegleitung“ in der inklusiven Schule. Wiesbaden.
MAGS – Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW (2020): Teilhabebericht Nordrhein-Westfalen. Bericht zur Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen und zum Stand der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Düsseldorf.
Powell, Walter W.; Dimaggio, Paul J. (Hg.) (1991): The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago.
Stadt Dortmund (2021): Information zu Änderungen im Verfahren Schulbegleitung (Drucksache 21057-21). Dortmund. Verfügbar unter: https://rathaus.dortmund.de/dosys/gremrech.nsf/0/D976F243C6CE8966C12586EF0054717B/$FILE/VorlageDS%2321057-21.doc.pdf, zuletzt abgerufen am 18.09.2021.
Vereinte Nationen, Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2015): Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands. Übersetzung der Monitoring-Stelle beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Berlin.
Beitrag von Christian Huppert, Fachhochschule Bielefeld
[1] Vgl. u. a. auch Conrad-Giese: Hilfen zur angemessenen Schulbildung außerhalb des pädagogischen Kernbereichs, Anmerkung zu BSG 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R; Beitrag A4-2018 unter www.reha-recht.de; 28.02.2018; Giese: Pflicht des Schulträgers zur inklusiven Beschulung entlässt den Sozialhilfeträger nicht aus seiner Leistungspflicht – Anmerkung zu LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 13.01.2017 – L 9 SO 185/16 B ER; Beitrag A3-2017 unter www.reha-recht.de; 29.06.2017.
[2] Lübeck 2019.
[3] Vgl. u. a. auch Schönecker: Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf die Kinder- und Jugendhilfe – Erste Hinweise für die Praxis – Teil I–III; Beitrag A6-2019, A7-2019, A8-2019 unter www.reha-recht.de.
[4] MAGS NRW 2020, S. 69.
[5] Keil et al. 2012.
[6] Bundesvereinigung Lebenshilfe 2015.
[7] Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e.V. 2019, S. 4.
[8] Deutscher Landkreistag; Deutscher Städtetag; BAGüS Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe 2019.
[9] Stadt Dortmund 2021.
[10] Laubner et al. 2019.
[11] Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW NRW) 2014, S. 3.
[12] Rahmenvertrag und Anlagen zum Download u. a. auf den Seiten des LVR 2019.
[13] LVR 2019, Anlage A, Abschnitt A.2.6.
[14] Vgl. Powell/Dimaggio 1991.
[15] Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2021.
[16] Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. 2016, S. 13.
[17] Vereinte Nationen, Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2015, Nr. 45, 46.
Schulbegleitung, Schulbegleiter, Schulische Inklusion, Schule und Bildung, Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung, Bundesteilhabegesetz (BTHG), Landschaftsverband Rheinland (LVR), Landesrahmenverträge, Kooperation der Rehabilitationsträger
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!