02.09.2024 D: Konzepte und Politik Schütz: Beitrag D11-2024

Beratung der EUTB zur Teilhabe am Arbeitsleben

Arbeit und Beruf sind wichtige Beratungsthemen in den Angeboten der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB). Der Autor analysiert Daten aus der EUTB-Begleitforschung mit dem Fokus auf diesen Beratungsthemen. In der Begleitforschung wurden zum einen Beratende sowie Ratsuchende mittels eines standardisierten Fragebogens befragt. Zum anderen wurden Beratungsgespräche beobachtet und einer qualitativen Analyse unterzogen. In der Analyse wird den folgenden Fragen nachgegangen: Was leistet die EUTB für die Orientierung im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben und für wen? Was sind bei diesem Thema die besonderen Merkmale der Beratungsleistung? Welche Themenaspekte und -perspektiven sind für die ratsuchenden Personen im Rahmenthema Arbeit und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) besonders relevant?

(Zitiervorschlag: Schütz: Beratung der EUTB zur Teilhabe am Arbeitsleben; Beitrag D11-2024 unter www.reha-recht.de; 02.09.2024)


Arbeit und die berufliche Tätigkeit bilden zentrale, sehr wichtige Aspekte im Leben. Dies gilt auch für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohter Menschen. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) stärkt in Art. 27 die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit, und das SGB IX (§§ 49 ff.) hält ein breites Spektrum an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereit. Eine selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben ist jedoch weder selbstverständlich noch barrierefrei gegeben – diverse Zugangshürden (im System der Rehabilitation, betrieblich, qualifikatorisch, räumlich) sind zu überwinden und verschiedenste (richtige) Entscheidungen zu treffen, um am Arbeitsleben teilzunehmen. Aus diesen komplexen Voraussetzungen für eine Teilhabe am Arbeitsleben (mit oder ohne Unterstützung) ergeben sich vielfältige Fragen und Beratungsbedarfe, zu deren Klärung wiederum unterschiedliche Akteure, Akteurinnen und Angebote zur Verfügung stehen. Für Menschen mit (drohender) Behinderung ist auch die Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB, § 32 SGB IX) eine wichtige Beratungsinstanz, die nicht nur im Vorfeld der Beantragung konkreter Leistungen, sondern zu vielfältigen / einer Vielfalt an Themen berät und Orientierungshilfen bietet. Wie die Begleitforschung zur EUTB-Einführung und Umsetzung zeigen konnte, gehören die Themen Arbeit und Beruf, Arbeitslosigkeit und Teilhabe am Arbeitsleben für mehr als 40 % der Ratsuchenden zu den am häufigsten nachgefragten – und mithin wichtigsten – Beratungsthemen der EUTB insgesamt.[1]

Vor diesem Hintergrund wird die Thematik Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsgegenstand der EUTB in diesem Beitrag vertiefend untersucht. Hierzu werden bisher unveröffentlichte Daten und Befunde aus der Begleitforschung zur EUTB genutzt und vorgestellt. Der Beitrag stellt zunächst einige themenspezifische Befunde aus den standardisierten Befragungen der EUTB-Begleitforschung vor, d. h., aus der Befragung der EUTB-Angebote einerseits, der Befragung der Ratsuchenden andererseits (I.). Anschließend erfolgt im Kontrast dazu eine vertiefende, qualitative Analyse auf Basis von Beobachtungen von EUTB-Beratungsgesprächen (II.). Die Leitfragen lauten: Was leistet die EUTB für die Orientierung im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben und für wen? Was sind bei diesem Thema die besonderen Merkmale der Beratungsleistung? Welche Themenaspekte und -perspektiven sind für die ratsuchenden Personen im Rahmenthema Arbeit und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) besonders relevant?

I. Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema der EUTB: Übergreifende Ergebnisse aus standardisierten Befragungen[2]

1. Personenbezogene Merkmale der Ratsuchenden

Hier wird sich (zunächst) auf Ergebnisse von Befragten aus der Ratsuchendenbefragung fokussiert, bei denen Arbeit und Beruf bzw. Teilhabe am Arbeitsleben bei ihrem letzten Beratungsgespräch ein Thema waren (n=610 von insgesamt 1.036 Befragten insgesamt). U. a. werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu allen Befragten herausgearbeitet.

Von den EUTB-Ratsuchenden, die Arbeit/ Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema angaben, ging die Hälfte einer Erwerbstätigkeit oder einer Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM nach, die andere Hälfte jedoch nicht. Zugleich war für alle Befragten in Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen (100 %) ihre Arbeit bzw. das Thema Teilhabe am Arbeitsleben auch Gegenstand der Beratung bei der EUTB.

EUTB-Ratsuchende nach Erwerbsstatus und Grad der Behinderung

 

Alle Befragten
Welle 2

Befragte mit Arbeit/
LTA als Beratungsthema

Befragte in
Erwerbstätigkeit oder WfbM

 

Abs.

in %

Abs.

in %

Abs.

in %

Erwerbstätig oder WfbM-beschäftigt*

1036

37,6

610

49,2

300

100,0

SB-Ausweis

954

72,4

610

70,5

300

73,6

Grad Behinderung > =50

704

60,6

411

80,0

300

80,4

Stärke Einschränkung Alltag: stark

954

65,5

370

62,5

300

54,9

Einschränkung bei Arbeit: schwer

954

26,5

583

35,7

300

39,8

Einschränkung Arztbesuche: schwer

954

43,1

583

34,7

300

28,9

Einschränkung soziale Teilhabe: schwer

954

54,3

583

54,4

300

49,3

Erwerbsstatus: Vollzeit

400

37,7

321

39,9

300

41,0

Erwerbsstatus: Teilzeit

400

36,4

321

34,3

300

36,7

Erwerbsstatus: geringfügig

400

11,3

321

9,4

300

9,0

Quelle: infas, EUTB-Ratsuchendenbefragung, Welle 2 (2021, unveröffentlicht). * Die vorliegenden Daten lassen keine Differenzierung zwischen Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt und Werkstattbeschäftigung (arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis nach § 221 SGB IX) zu.

Bei den befragten EUTB-Ratsuchenden mit Arbeit/ Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema sind zwei Drittel (65 %) Personen mit Beeinträchtigungen, ein knappes Drittel (30%) bilden ratsuchende Angehörige Angehörige von Menschen mit Beeinträchtigungen, die selbst Beeinträchtigungen haben. Der Rest der Ratsuchenden (5%) entfällt auf Ratsuchende ohne Beeinträchtigungen. Diese Größenordnungen der verschiedenen Ratsuchendengruppen sind bezogen auf alle Befragten (N=1.1.036 in Welle 2) ähnlich (lediglich der Anteil der befragten Personen mit Beeinträchtigungen fällt um 5 Prozentpunkte kleiner, der Anteil der Befragten ohne Beeinträchtigung um etwa 3 Punkte größer aus).

Nach Art der Beeinträchtigung unterscheiden sich die Ratsuchenden mit Arbeit/ Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema nur punktuell von den EUTB-Ratsuchenden insgesamt. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen sowie mit Schmerzen geben das Thema Arbeit häufiger als EUTB-Gesprächsinhalt an als der Durchschnitt aller Ratsuchenden (mit 10 bzw. 5,5 Prozentpunkten Unterschied). Außerdem zeigen sich recht klare Unterschiede nach Schwere der Einschränkungen bei spezifischen Tätigkeiten. Von den erwerbstätigen EUTB-Ratsuchenden oder in WfbM Beschäftigten geben etwa 40 % an, ziemlich oder sehr stark eingeschränkt bei der Arbeit zu sein, bezogen auf alle Ratsuchenden sind dies nur 27 %. Zugleich zeigen sich erwerbstätige EUTB-Ratsuchende und EUTB-Ratsuchende mit Arbeit/ Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema jeweils weniger von Einschränkungen bei der Mobilität bei Arztbesuchen (oder Freizeitaktivitäten) und sozialer Teilhabe betroffen als der Durchschnitt aller EUTB-Ratsuchenden (Prozentpunktdifferenzen zwischen 5 und 15).

Der Anteil der Ratsuchenden im Alter zwischen 18 und 65 Jahren ist bei den Ratsuchenden zum Themenkomplex Arbeit mit 96 % beträchtlich höher als bezogen auf alle erfassten Ratsuchenden (80 %), bei denen praktisch ein Fünftel der Ratsuchenden auf Ältere jenseits des regulären Erwerbsalters (>66 Jahren) entfallen. Das Thema Teilhabe am Arbeitsleben ist dagegen nur für 3 % der über 66-Jährigen Gegenstand der EUTB-Beratung.

Mit Blick auf den Erwerbsstatus der erwerbstätigen EUTB-Ratsuchenden sind die Größenordnungen von Vollzeit- und Teilzeit- sowie geringfügiger Beschäftigung im Vergleich der Ratsuchenden mit Arbeit/ Teilhabe am Arbeitsleben als Beratungsthema zu allen EUTB-Ratsuchenden sehr ähnlich: 40 vs. 38 % bei Vollzeit, 34 vs. 36 % bei Teilzeit sowie 9 vs. 11 % bei den Minijobbern.

In der Gesamtschau dieser Befunde unterscheiden sich EUTB-Ratsuchende mit dem Beratungsthema Arbeit und Teilhabe am Arbeitsleben in Bezug auf personenbezogene Merkmale nur punktuell bzw. graduell von den EUTB-Ratsuchenden insgesamt.

2. Teilhabe am Arbeitsleben aus Sicht der EUTB-Angebote (Beratungsstellen)

In der EUTB-Beratungsstellenbefragung[3] sind ebenfalls verschiedene Informationen zum Thema Teilhabe am Arbeitsleben im Kontext der EUTB enthalten. Konkret wurde u. a. die Häufigkeit unterschiedlicher Beratungsthemen abgefragt, wobei Mehrfachnennungen erlaubt waren. Das allgemein formulierte Thema „Arbeit und Beruf/Arbeitslosigkeit“ gehört im Ergebnis zu den meistgenannten Themen. In der zweiten Befragungswelle (2021) bildete dies für über zwei Drittel der befragten Beratungsstellen ein häufiges EUTB-Beratungsthema, für ein weiteres Viertel spielte das Thema zumindest manchmal eine Rolle. Die in der Beratungsstellenbefragung ebenfalls formulierungstechnisch breit und unspezifisch abgefragte Thematik „Berufliche Bildung/ Ausbildung/ Studium“ wurde bei der Zweitbefragung von einem knappen Viertel der EUTB-Angebote (24 %) als häufiges Gesprächsthema angegeben.

Das Thema „Arbeitsunfähigkeit/Erwerbsminderung“ ist dagegen deutlich häufiger Beratungsgegenstand der EUTB. Fast zwei Drittel der befragten EUTB-Angebote (65 %) ordneten diese Thematik bei den häufig vorkommenden Beratungsthemen ein. Noch häufiger geht es nach Einschätzung der EUTB-Beratungsstellen um spezifische Leistungen. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) nennen 68 % als häufiges Beratungsthema (Zweitbefragung), übertroffen nur von Beratungen zu Leistungen zur sozialen Teilhabe (76 %).[4]

Im Gegensatz dazu wurde das Budget für Arbeit nach Auskunft der EUTB-Angebote nur von 6 (Erstbefragung 2018/19) bzw. 3,5 % (Wiederholungsbefragung 2021) als häufiges Thema genannt, bei rund 30 % bildete es zumindest manchmal einen Themenaspekt. Diese randständige Stellung des Budgets für Arbeit im Beratungskontext korrespondiert mit dem immer noch geringen Bekanntheits- und Nutzungsgrad[5] dieses seit 2018 bundesweit verfügbaren Instruments der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 61 SGB IX).

In der Gesamtschau kommt demzufolge dem Thema Teilhabe am Arbeitsleben in der Beratungsarbeit der EUTB eine hohe Relevanz zu. Die hier vorgelegten Einschätzungen der EUTB-Beratungsstellen werden auch durch die im Kontext der Evaluation durchgeführten Dokumentenanalyse der offiziellen EUTB-Beratungsdokumentation bestätigt.[6]

II. Arbeit/Teilhabe am Arbeitsleben: Qualitative Ergebnisse und Perspektiven

Im folgenden Abschnitt werden die oben beschriebenen allgemeinen quantitativen Befunde durch qualitativ angelegte Vertiefungen aus Einzelbeispielen von EUTB-Beratungsgesprächen erweitert. Was leistet die EUTB für die Orientierung im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben? Was wird unter welchen Zielperspektiven besprochen? Was zeichnet die Beratung zum Thema Arbeit und LTA im Rahmen der EUTB aus, welche Merkmale oder Besonderheiten treten hier auf? Die Datengrundlage dafür bilden 23 beobachtete EUTB-Beratungsgespräche aus elf EUTB-Angeboten aus sieben Bundesländern. In neun dieser Beratungsgespräche bildete Arbeit und Teilhabe am Arbeitsleben explizit einen zentralen Themenaspekt der Beratung.[7]

Der Themenkomplex Arbeit und Teilhabe am Arbeitsleben wurde dabei mit teils unterschiedlichen Schwerpunkten in den Beratungsgesprächen adressiert und bearbeitet. Zusammenfassend lassen sich analytisch folgende Themen unterscheiden – wobei in einzelnen Beratungsgesprächen durchaus häufig auch mehrere dieser Themenaspekte eine Rolle spielen:

  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, speziell zur Arbeitsassistenz
  • Perspektiven der Tätigkeit in WfbM vs. Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Sinnhaftigkeit und Nutzen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen (von Jobcenter/Arbeitsagentur)
  • Arbeit und Rente
  • Berufsfindung und Berufsberatung.

Die beobachtete Beratungspraxis der EUTB zum Thema Arbeit und LTA weist überdies in der Gesamtschau eine Reihe von spezifischen, charakteristischen Merkmalen auf. Hierzu zählen insbesondere die folgenden Aspekte:

  1. Einbettung des Themas in ein komplexeres, mehrdimensionales Beratungsanliegen: Das Thema LTA tritt fast nie als alleiniges Beratungsthema auf. Vielmehr ist es in der Regel eines unter mehreren Beratungsthemen, die zum Teil miteinander verbunden sind. Bei den Beratungsgesprächen handelt sich also um in der Regel mehrschichtige Gespräche mit vielfältigen Themenfacetten.
  2. Hohe Komplexität der konkreten LTA-Themen: Viele Einzelthemen aus dem Komplex LTA sind von rechtlichen Regelungen und Verfahren bestimmt, die in der Beratung berücksichtigt werden müssen.
  3. Normative Aufladung und Perspektiven der Beratung zu LTA: Die LTA-Beratungsthemen sind in bestimmten Fällen mit perspektivisch langfristigen, vor allem für die Ratsuchenden normativ aufgeladenen Richtungsentscheidungen verbunden, etwa bei der Berufswahl oder der Frage Arbeitsmarkt oder Werkstattbeschäftigung.

Diese drei Aspekte werden im Folgenden etwas näher beleuchtet.

1. Einbettung der LTA in mehrdimensionale Beratungsanliegen

Wie das Thema LTA in komplexe Beratungsanliegen eingebettet ist, zeigen die nachfolgenden exemplarischen Beispiele.

Im ersten Beispiel sucht die junge Ratsuchende (ungefähr 20 Jahre) mit Fluchterfahrung (von einer Schulsozialarbeiterin begleitet), nicht nur Hilfe und Unterstützung für sich selbst, sondern auch für weitere Familienmitglieder. Die Ratsuchende selbst leidet unter chronischen Kopfschmerzen, andauernder Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Lärmempfindlichkeit. Ihr Bruder ist von Behinderung bedroht und geht auf eine Förderschule. Auch die Mutter ist dauerhaft krank. Das erste konkrete Anliegen, das zur Sprache kommt, ist die beengte Wohnsituation in einer Heimunterbringung, die begleitende Sozialarbeiterin fasst die Situation so zusammen: „…es ist so, dass fast die ganze Familie krankheitsbedingt wirklich angeschlagen ist und trotzdem nur sehr wenig Geld hat auf sehr engem Wohnraum. Und das ist nicht schön.“ Hieraus ergibt sich der Wunsch nach einer größeren Wohnung und verbesserten Sozialleistungen für die gesamte Familie im Allgemeinen, für die junge Ratsuchende im Besonderen, hier wird der Wunsch nach einem eigenen Zimmer formuliert, „…wo sie einen Rückzugsort hat, wo sie lernen kann, wo sie ruhen kann, wo sie gesund werden kann.“

Die EUTB-Beratungskraft fragt daraufhin zunächst allgemein die aktuelle medizinische Versorgungslage der Ratsuchenden und der Familie ab, was sich dann im Thema Physiotherapie für die Ratsuchende (auch während der Schulzeit) verdichtet. Von hier aus platziert die Schulsozialarbeiterin das Thema, inwieweit eine Ausbildung zur Gesundheits- und Pflegeassistenz (GPA) an einem Berufsbildungswerk für die Ratsuchende auch ohne Schulabschluss möglich sein könnte (da die Chancen auf einen regulären Schulabschluss sehr gering seien). Die EUTB-Beratungskraft geht hierauf zunächst nicht direkt ein, sondern „bohrt“ nach, inwieweit bestimmte Krankheitsbilder abgeklärt wurden, die möglicherweise einen höheren Behinderungsgrad und damit einhergehende Nachteilsausgleiche sowie die Bewilligung eines Reha-Status implizieren könnten. Auf einer solchen Basis (dem Reha-Status) könne dann auch die Ausbildung bei einem Berufsbildungswerk möglich sein.

Bei diesem Punkt angelangt, geht es inhaltlich kurz zum Verfahren der Abklärung bzw. Beantragung des Reha-Status, um dann wieder zum Thema der Beantragung einer anderen Wohnung zu gelangen. Thematisch dreht sich das Gespräch weiter um die Leistung „Familienassistenz“ (Sozialpädagogische Familienhilfe), die Beantragung eines Pflegegrades bzw. Hilfe zur Pflege für die Mutter, die medizinische Situation der Mutter und wieder zurück zur Wohnfrage, von da aus wieder zu möglichen zu beantragenden Leistungen, so insbesondere den Entlastungsbetrag durch Hilfe zur Pflege, um eine Haushaltshilfe zu bekommen. Dann geht es nochmals um die Beantragung einer sozialpädagogischen Familienhilfe und daran anschließend um die Beantragung von Eingliederungshilfe, wozu die Beratungskraft auch die Aspekte Bedarfsermittlung und Gesamtplan sowie das Spektrum der Möglichkeiten skizziert („Aber es ist ganz breit gefächert, also von bis sind da verschiedene Sachen möglich. Deswegen können Sie so weit ausholen wie möglich in diesem Antrag, deswegen ... zum Glück formlos…“). Nach diesen thematischen Schleifen wird schließlich zum Thema der möglichen Ausbildung zu einer Gesundheits- und Pflegeassistentin zurückgekehrt.

An dieser Stelle mündet die Beratung dann in die Erörterung der arbeitsmarktlichen Implikationen: entweder erfolgreicher Ausbildungsabschluss unter Verlust des Reha-Status und Option auf Einbindung in den regulären Arbeitsmarkt oder aber Verbleib in WfbM-Beschäftigung o. ä. bei nicht erfolgreicher Ausbildung (siehe Abschnitt 3 für weitere Ausführung). Dieser Themenaspekt wird auch zum Abschluss des Beratungsgesprächs vom Berater nochmals zusammengefasst.

Zusammenfassend betrachtet: Das Thema der Teilhabe am Arbeitsmarkt, nämlich die mögliche Realisierung einer Ausbildung ohne Schulabschluss (inklusive der Klärung des Reha-Status), wird in diesem Beratungsgespräch in fünf bis sechs weiteren Themenaspekten umkreist und eingebettet: weitere Klärung und Spezifizierung des Gesundheitsstatus, Wohnsituation und -veränderung, Familienleistungen, Pflegeleistungen sowie Eingliederungshilfeleistungen. Diese Themenaspekte verhalten sich teils wie kommunizierende Röhren und bedingen einander, was zu einem nicht-linearen Gesprächsverlauf führt, der sich thematisch teils in Schleifen vor- und zurückbewegt. Zusätzlich tritt die Besonderheit auf, dass die individuelle Beratung für die anwesende Ratsuchende mit der Beratung für ihre Familie teilweise verschmilzt (besonders deutlich zu sehen beim Wohnungsthema), dann aber auch wieder separat, als eigenes Thema besprochen wird.

Auch das zweite Beispiel einer Ratsuchenden mittleren Alters mit dauerhaften orthopädischen Einschränkungen illustriert anschaulich, wie ein Thema zum Arbeitsleben mit mehreren anderen Themen bei EUTB-Beratungsgesprächen behandelt und miteinander verschränkt wird. Hier geht es um die Themen Ablehnung eines Antrags um Erweiterung des Schwerbehindertenausweises, um die Frage einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung, sodann um die davon abhängigen Möglichkeiten einer Teilnahme am Arbeitsleben unter Berücksichtigung der jeweiligen Rentenansprüche bei unter­schiedlichen Konstellationen und Optionen. Nach Klarstellung durch die Ratsuchende, grundsätzlich weiter (bzw. nach Reha wieder) arbeiten und auch gerne weiter in ihrem Fachgebiet (frühkindliche und inklusive Erziehung) arbeiten zu wollen, ggf. auch unterstützt und mit anderem Anforderungs- und Tätigkeitsprofil, wendet sich die Beratung dem Thema LTA, Hilfsmittel und Arbeitsassistenz zu.

Hier überlegt die Beratungskraft zunächst in Hinblick auf die Zuständigkeiten (Leistungsträger) und die Inanspruchnahme einer Rentenberatung sowie das Vorsondieren von möglichen Leistungserbringern für die Arbeitsassistenz. Ein LTA-Antrag in Richtung Arbeitsassistenz wurde bereits von der Reha-Klinik aus gestellt (auch dokumentiert im Reha-Entlassungsbericht), daher soll vor möglichen weiteren Schritten die Reaktion des Rentenversicherungsträgers zunächst abgewartet werden. Die Beratung zu diesem zentralen Thema ist an dieser Stelle im Grunde vorbei. Dennoch geht das Beratungsgespräch noch eine Weile weiter, wobei mögliche praktische Berufsoptionen für die Ratsuchende erörtert werden.

Neben diesen thematisch stark mehrdimensionalen Beratungsgesprächen konnten auch einzelne Beratungsgespräche verfolgt werden, bei denen lediglich ein oder zwei Themen behandelt wurden (was im Rahmen der Beobachtungsgesamtheit aber eher die Ausnahme darstellt). Zum Beispiel ist ein Beratungsgespräch anzuführen, bei dem es nahezu ausschließlich um die Möglichkeiten der Beantragung und Bewilligung einer Arbeitsassistenz geht (siehe folgenden Abschnitt). Ein anderes Beispiel bildet der Fall einer Frau Mitte 50 mit einer chronischen Lungenerkrankung, deren Ehemann für sie mögliche Übergänge in die Rente sowie die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises eruiert. Die frühere, nun nicht mehr fortbestehende und auch nicht mehr mögliche Erwerbsteilnahme (Teilhabe am Arbeitsleben) als geringfügig Beschäftigte bildet hier lediglich den Ausgangspunkt für ein Beratungsgespräch, das sich vor allem um das Thema (Erwerbsminderungs-)Rente dreht – auch wenn Pflege und neuerliche Reha als Themen auch noch gestreift werden.

2. Hohe Komplexität von LTA-Themen

Das vorstehende Beispiel der Ratsuchenden, die einen Wiedereinstieg in das Erwerbsleben wünscht, was – angesichts ihrer starken physischen Einschränkungen – perspektivisch nach Einschätzung von Beratungskraft und Ratsuchender kaum ohne flankierende LTA gelingen dürfte, zeigt perspektivisch auch die fachlich-sachlich hochkomplexen Gemengelagen, die LTA-Themen beinhalten können. Die vermeintlich einfache Frage „Wie kann ich nach Abschluss eines Reha-Verfahrens und mit gegebenen dauerhaften Einschränkungen in das Erwerbsleben zurückkehren?“ erweist sich bei näherer Ansicht als eine anspruchsvolle Materie, da ganz unterschiedliche weitere Fragen damit verbunden sind. Die meisten dieser Fragen werden inhaltlich von der EUTB-Beratungskraft in dem fraglichen Beratungsgespräch aufgeworfen und werden hier analytisch verdichtet zusammengefasst.

  • Ist eine Rückkehr ins Erwerbsleben überhaupt erstrebenswert? (siehe auch II.3) Welche Tätigkeiten und welcher Arbeitsumfang erscheinen angesichts der gesundheitlichen Situation überhaupt realistisch?
  • Wie stelle ich mich als Ratsuchende finanziell, unter unterschiedlichen Konditionen (u. a. früherer Renteneintritt, volle oder teilweise Erwerbsminderung temporär oder dauerhaft versus LTA-geförderter Wiedereintritt in den Arbeitsmarkt)?
  • Was ist zu Rentenbeantragung und Rentenkonditionen zu wissen und zu sagen, im Zusammenspiel mit verbleibender Erwerbstätigkeit und/oder Erwerbsminderung? Wozu oder zu welchen Themen kann die EUTB beraten, unter welchen Bedingungen braucht es eine spezielle Rentenberatung?
  • Was bedeuten die LTA-Perspektiven, nochmal etwas ganz Neues anzufangen oder unter veränderten Konditionen an das bisherige Tätigkeitsfeld und Berufsprofil wieder anzuknüpfen?
  • Was sind die verfahrenstechnischen Abläufe, um eine LTA nach einer Reha zu erhalten?
  • Welche rechtlichen Aspekte sollten beachtet werden, um Antragstellungen, Akteneinsicht oder auch rechtlichen Widersprüchen Geltung verschaffen zu können?

Aus analytischer Sicht ließen sich ähnliche Fragebatterien ohne Zweifel für weitere singuläre LTA-Beratungsfragen entwickeln. Der EUTB-Beratungskraft kommt in diesem Kontext die entscheidende Rolle zu, diese verknüpften oder weiterführenden Fragen zu thematisieren und zur Geltung respektive Klärung zu bringen, auch wenn die oder der Ratsuchende diese Fragen selbst nicht anspricht. Hierzu bedarf es fachlicher Übersicht und dem Vermögen, Einzelaspekte zueinander in Beziehung zu setzen oder auch auseinanderzuhalten sowie diese inhaltlichen Prozesse im Beratungsgespräch angemessen zu strukturieren und zu kommunizieren.

Geht es im oben beschriebenen Beispiel um die Reintegration ins Arbeitsleben, steht beim folgenden Fall eher eine gegenteilige Zielrichtung im Mittelpunkt. Die ratsuchende Person im mittleren Alter mit Asperger- und ADHS-Syndrom sowie chronischen Schmerzen sieht sich aufgrund depressiver Verstimmungen und weiterer Problemlagen als nicht mehr hoch motiviert und befähigt an, um weiter arbeiten zu können, zwingt sich aber dazu, die vorhandene Arbeitstätigkeit zu behalten. Die Überlegung der Ratsuchenden lautet, ob eine Teilzeitrente möglich wäre oder die Arbeitstätigkeit auf den Umfang einer geringfügigen Beschäftigung reduziert werden kann. Dieses Thema wird dann bei diesem Beratungsgespräch nicht weiter vertieft und bleibt offen: „Was, ich meine, eigentlich sagen Sie ja schon selber, Sie können Vollzeit eigentlich gar nicht wirklich mehr leisten zu arbeiten. Vielleicht ist das wirklich was, worüber Sie sich mal Gedanken machen müssten, ob Sie das möchten…“  Dass hier keine Vertiefung durch die Beratungskraft stattfindet, lässt sich mutmaßlich vor allem dadurch erklären, dass andere Themenaspekte im Vordergrund stehen, insbesondere eine (erneute) Prüfung der Pflegebedürftigkeit bzw. des Pflegegrades durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse (respektive Antragstellung zur Feststellung eines Pflegegrades). Anders formuliert: Um mit der LTA-Beratung weiterzukommen, wäre die Vorklärung bestimmter Rahmenbedingungen (wie Klärung Arbeitsfähigkeit und Pflegegrad) sinnvoll.

Wie in den in Abschnitt II.1 skizzierten Beispielen führt überdies auch dieses Beratungsgespräch noch zu diversen weiteren Beratungsthemen oder schneidet diese zumindest an (Entlassungsbericht Reha-Verfahren, Antrag Reha-Sport, Sozio-Therapie, Antrag auf Eingliederungshilfe, integrierte Zusammenstellung von Unterlagen, Option rechtliche Betreuung). Die Terminierung eines weiteren Beratungsgesprächs ist daher auch aus der Außenperspektive der Beobachtung folgerichtig.

Nahezu monothematische Beratungsgespräche (s. o.) konnten aber ebenfalls festgestellt werden. In einem Fall geht es um eine Akademikerin Mitte 40 mit Multipler Sklerose und Pflegegrad 4, die auf einer ranghohen Position im öffentlichen Dienst auf Teilzeitbasis arbeitet. Die Beratung kreist fast vollständig um die Klärung der Frage, ob die Ratsuchende aussichtsreich eine Arbeitsassistenz beantragen könnte oder ob die Bewilligung scheitern könnte, weil sie bisher auch ohne Assistenz ihre Arbeit leisten konnte und im Falle einer Nichtbewilligung gegebenenfalls auf eine Eigenfinanzierung angewiesen wäre. Diese Fragestellung bringt ihre eigenen Komplexitäten hervor. Aus der Sicht der Ratsuchenden:

Was mich eben umtreibt, ist diese ganze Frage mit Assistenz, also da gehört ja auch unter Umständen eine Arbeitsassistenz dazu und ich frage mich eben immer, ob das was für mich sein könnte, […] dieser Antrag […] deshalb mache ich mir halt Gedanken, ob das dann sinnvoll wäre, wenn ich dann so viel von meinem Einkommen einsetzen muss, mein Mann möglicherweise ja auch. Ob das überhaupt sinnvoll wäre…

Die Detailfragen beginnen beim konkreten Assistenzbedarf, am Arbeitsplatz anlassbezogen oder kontinuierlich, den zeitlichen Umfang insgesamt, gehen weiter über die Bedarfe beim Arbeitsweg, mögliche Inanspruchnahme eines Rollstuhltaxis oder die Nutzung eines eigenen Fahrzeugs, das eventuell durch eine Assistenzkraft geführt werden könnte. Aus Sicht der Beratungskraft müsste für all das eine systematische Bedarfsermittlung durchgeführt werden: „Das ist das sogenannte Bedarfsermittlungsinstrument. Die scannen Sie im Prinzip einmal ab. Das ist denen ihre Aufgabe. Und gucken, was brauchen Sie alles. Und dann kann man schauen, wie gesagt, wegen Eigenkostenbeteiligung, wenn Sie am Ende sagen, nein, das ist mir dann zu viel oder so, dann können Sie ja immer noch sagen ‚Nein‘“. Die EUTB-Beraterin weitet die Perspektive sodann auch auf mögliche Assistenzleistungen in der Freizeit (Leistungen soziale Teilhabe) und die Option auf Beantragung eines Persönlichen Budgets. Schließlich führt die Beraterin die losen Enden wie folgt zusammen: 

.. auch nach dem Bundesteilhabegesetz, wenn Sie jetzt Teilhabe zur Arbeit zum Beispiel beantragen möchten, beantragen [Sie] das bei der Krankenkasse. Sind wir uns jetzt klar, die sind nicht zuständig. (Ratsuchende: „Genau. Die sind nicht zuständig.“) Ja, aber jetzt wissen wir das mal nicht. Wir wissen das nicht und stellen das bei der Krankenkasse. Dann kann die Krankenkasse das nicht einfach in den Müll werfen oder Ihnen zurückschicken, sondern die ist die erstangegangene Stelle, muss sich das durchlesen, muss sagen, sind wir zuständig oder nicht. Wenn ja, bearbeiten die das, wenn nicht, müssen die überlegen, wer ist zuständig und müssen mit der zuständigen Stelle sprechen und sagen: „Hör mal Leute, wir haben hier den Antrag, könnt ihr den bitte übernehmen?“ Entweder die übernehmen den, das ist alles gut oder die sind auch der Meinung, dass nicht ist und dann müssen die beide aber miteinander kommunizieren, wer denn nun zuständig ist. Das heißt, Sie machen eigentlich nirgendwo einen Fehler. Bei Ihnen sind verschiedene Träger. Da ist die Krankenversicherung, da ist die Pflegeversicherung und so weiter und da ist die Eingliederungshilfe. Da müssen Sie aber jetzt nicht überall einzeln hingehen und was beantragen, sondern es wird ein sogenanntes Gesamtplanverfahren gemacht. Das heißt, die laden die anderen Träger mit ein, die sind quasi Herr des Verfahrens und dann bekommen Sie halt immer von hier und da und dort Bescheide auslaufen über diese eine Stelle. Das ist eigentlich auch sehr gut.“

Zusammengefasst wird hier also trotz klar umgrenzter Fragestellung (Arbeitsassistenz) ein weiter Bogen geschlagen von Einzelleistungen der Arbeitsassistenz über die Koordinierung der Leistungen inklusive Teilhabeplanung respektive Gesamtplanverfahren. Das Beratungsgespräch wird im Übrigen noch mit weiteren Einzelaspekten fortgeführt (u. a. Check der Pflegeleistungen, Fahrdienstleistungen zur Arbeit), worauf an dieser Stelle indes nicht mehr eingegangen wird.

3. Normative Perspektiven der Beratung zu LTA

Teilnahme und Teilhabe am Arbeitsleben dient nicht nur dem Broterwerb allein, sondern bildet für sehr viele Menschen einen zentralen Lebensinhalt. Arbeit ist vielfach sinn- und identitätsstiftend, und integriert in Gemeinschaft und Gesellschaft. Die damit verbundene gesellschaftliche wie individuelle normative Aufladung des Themas zeigt sich auch in EUTB-Beratungsgesprächen. Für viele Menschen macht es einen Unterschied, ob sie ihre – aktuelle oder auch prospektive – Arbeitstätigkeit als eher sinngebend oder als eher sinnentfremdet erfahren und erleben. Ob und wie gearbeitet wird oder gearbeitet werden kann, ist wichtig und stellt häufig eine Abwägung zwischen Alternativen dar, die sich auch in den EUTB-Beratungsgesprächen abbildet.

In einem Beispiel verweist der Berater eine/n ältere/n Ratsuchende/n auf Zielkonflikte zwischen dem Wunsch hin, weiterzuarbeiten oder bald in Rente zu gehen, gesundheitlichen Risiken bei Weiterarbeit und finanziellen Risiken im Falle eines früheren Ausstiegs:

Wo soll für Sie aus Ihrer Sicht die Reise hingehen? Möchten Sie gerne noch lange arbeiten? Möchten Sie sagen: Okay, wenn es geht, würde ich auch früher in die Rente gehen, aber ich weiß, dass es eigentlich zu wenig ist. Oder […] das geht irgendwie, wissen Sie. Aber das ist, glaube ich, was, was eben mit diesem Plus und Minus ... wie man so eine Entscheidung hat, wo man so sagt: Was sind die Vorteile, was sind die Nachteile? Weil wenn ich unbedingt arbeiten möchte, es gesundheitlich nicht kann, hilft mir das ja alles nichts, wenn ich kaputtgeschrieben bin, weil ich irgendwo noch Schmerzen habe.“

In einem anderen Fall wägt die Beratungskraft die Vorteile einer offenen Haltung für die möglichen Berufswege eines Schülers[8] gegen Aspekte der sozialen Absicherung ab. Dabei bemüht sich die Beraterin um eine neutrale Positionierung („Es geht mir nur drum, wirklich die Bedingungen offenzulegen und auf den Tisch zu legen […] Das kann man nicht so einfach jetzt voneinander trennen, das eine ist besser, das andere ist schlechter.“), verweist aber tendenziell eher auf die Vorteile, die Berufswahl offen zu halten:

Also wichtig ist da einfach, mit dieser Ergebnisoffenheit da auch sich den Blick für […] Alternativen zu erhalten, ne? […] Wo geht das Interesse hin? […] denke ich, ist für ihn auch wichtig, die Suche jetzt nach diesem Weg wirklich an seinen Interessen festzumachen und nicht da dran, was für seine Beeinträchtigungen passt, ne?“ […] „…erkaufe [ich] mir diesen Fürsorgeaspekt einfach durch eine höhere Unselbstständigkeit, oder suche ich mir einfach diesen Berufsweg selber mit Alternativen, habe aber dadurch einen höheren Aufwand und unter Umständen auch finanzielle Einbußen später.

Letztlich geht es hier der Beratungskraft zufolge um die „Entscheidung, um die Möglichkeit, zwischen Alternativen zu wählen für das, was wir wollen“, in einer Gemengelage zwischen einer ersten Praktikumswahl und den möglichen späteren Optionen Unterstützter Beschäftigung oder Integrations- bzw. Inklusionsbetrieb oder WfbM.

In einem anderen, weiter oben (Abschnitt II.2) schon unter anderer Perspektive betrachteten Fall, geht es um die Frage einer Ausbildung in einem Berufsbildungswerk, was im positiven Fall eine Einmündung in den regulären Arbeitsmarkt eröffnen könnte, im negativen Fall aber auch bedeuten könnte, diese Ausbildung nicht zu schaffen. Letzteres implizierte im Anschluss wiederum die Einmündung und den Verbleib in WfbM-Beschäftigung.[9] Mit anderen Worten geht es hier auch um die Frage, dass die Wahl zwischen Alternativen unter Umständen zu nicht oder nur schwer revidierbaren Entscheidungen führen kann – hier im Beispiel in Bezug auf die Verbleibs- und Wechselmöglichkeiten zwischen Arbeitsmarkt- und Werkstattbeschäftigung. Eine begleitende Assistenzkraft fasst den Sachverhalt aus ihrer Sicht im O-Ton so zusammen:

„Verstehe ich das jetzt richtig, dass es an sich zwei Möglichkeiten gäbe, einerseits, sie geht an das BBW, macht die Ausbildung, ist gut darin, macht ihr Ding und kann dann aber nur auf dem Ersten Arbeitsmarkt arbeiten, ist danach dem Stress, sage ich mal, der modernen Arbeitswelt ausgesetzt, oder sie schafft die Ausbildung nicht, hat keinen Ausbildungsabschluss, -zeugnis und würde dann auf dem Zweiten Arbeitsmarkt arbeiten, da allerdings dann nur in Werkstätten? […] das ist krass, dass man quasi […] hier nur entweder A oder B haben kann, zurzeit.“

In diesem Kontext einmal getroffene Entscheidungen schaffen der Beratungskraft zufolge Pfadabhängigkeiten, die nicht unbedingt leicht zu revidieren sind: „Wenn man erst mal einen Weg eingeschlagen hat, dann kann man das nicht einfach immer so schnell umändern. Das ist das Problem. Also man kann das ändern, aber es geht nicht einfach, und es geht nicht schnell […]“

In einem weiteren Fall stehen ebenfalls die angenommenen Implikationen der Werkstattbeschäftigung im Zentrum: „Leider ist das immer noch so drin, von wegen Werkstatt ist Abstellgleis und ist verdummende Beschäftigung. Also hat ... fühlt sich für mich so an. Ich hoffe, inzwischen ist es anders. Aber ich habe das noch im Kopf, dass man da eben geparkt wird, aufbewahrt wird, und einem irgendwas zu tun gegeben wird, damit man was zu tun hat. Und das ist eigentlich nicht mein Ziel. Ich möchte schon irgendwas machen können, was Sinn hat.[10] Die stark beeinträchtigte Ratsuchende (Anfang/Mitte 40, Sichtfeldeinschränkung, spastische Halbseitenlähmung) sucht also für sich Zukunftsperspektiven im Arbeitsleben, ist aber bereits seit 2014 nicht erwerbstätig, generell nur in Arbeitsmaßnahmen von Arbeitsagentur und Jobcenter.

Da die Ratsuchende körperliche Tätigkeiten bei gegebenem Gesundheitszustand kaum ausüben kann, legt die Beratungskraft eine physisch nicht so stark belastende Tätigkeit in einer WfbM nahe: „Und vielleicht finden wir ja tatsächlich über die Belastungserprobung in der Werkstatt einen Platz für dich, der dich ausfüllt. Egal, ob das in der Vermittlungstätigkeit am Tresen ist, oder es gibt ja ganz viele Dinge, die in der Werkstatt administrativ gemacht werden, oder Arbeitsvorbereitungen mit geistig behinderten Jugendlichen. So was kann ich mir gut vorstellen.“

Gerade in diesen Beispielen zeigt sich also das besondere normativ geladene Spannungsfeld im Sinne von Zielkonflikten zwischen Arbeitsmarkt- versus Werkstattbeschäftigung als wichtiger Beratungsgegenstand der EUTB. Aber auch das Thema des Verbleibs oder Wiedereinstiegs vs. einem Rückzug von Arbeitsmarkt und Erwerbstätigkeit stellt Ratsuchende wie auch Beratende vor Herausforderungen ambivalenter und richtungsweisender Entscheidungsfindungen.

III. Zusammenfassung und Fazit

Die Beratung zur Teilhabe am Arbeitsleben ist eines der wichtigsten und häufigsten Beratungsthemen der EUTB. Das Interesse an der Thematik verteilt sich dabei hälftig auf Menschen in Erwerbstätigkeit und WfbM-Beschäftigung sowie auf Menschen, die zum Beratungszeitpunkt keiner Erwerbstätigkeit nachgingen. In den in Abschnitt II. qualitativ erfassten Beratungsgesprächen geht es vor allem um die Themen Einstieg und Wiedereinstieg ins Arbeitsleben, Arbeitsassistenz, Arbeit und Rente, Berufsfindung und Berufsperspektiven sowie um die Vor- und Nachteile der WfbM-Tätigkeit im Vergleich zur Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. In allen Gesprächen zeigt sich dabei eine große Vielfalt der individuellen Lebenssituationen und Beratungsbedarfe der Ratsuchenden, woraus für jedes Beratungsgespräch seine eigene Komplexität erwächst.

Diese Komplexität hat mehrere Facetten. Zum einen ist das Thema LTA für Menschen mit Behinderungen im Ganzen und in Detailfragen in hohem Maße verrechtlicht und in das gewachsene System der deutschen Sozialgesetzgebung eingebettet, woraus sich permanent vielfältige Bezüge und Wechselwirkungen zwischen Regelungen einzelner Sozialgesetzbücher selbst für Einzelfragen ergeben. Zum zweiten sind, wie gesehen, EUTB-Beratungsgespräche oft multidimensional angelegt und beinhalten häufig mehrere mehr oder weniger eng miteinander verbundene Einzelthemen, worunter LTA nur einen Aspekt darstellen. Zum dritten sind Lösungen für Beratungsfragen keineswegs immer eindeutig: Es kann unterschiedliche Möglichkeiten zur Realisierung einer bestimmten Zielsetzung geben, es kann mehrere Ziele geben, die unterschiedlich priorisiert werden können, vor einer finalen Antwort oder Lösung müssen erst andere Voraussetzungen oder Fragen geklärt werden, es können auch Zielkonflikte zwischen konkurrierenden Zielen auftreten. Letzteres zeigt sich in den Beratungsgesprächen unter anderem an den teils aufgeladenen Pro- und Contra-Debatten rund um die WfbM-Beschäftigung.

Diese Facetten der Beratungspraxis bilden sich hier im Themenfeld der LTA mit spezifischen inhaltlichen Schwerpunkten ab, könnten mit anderen Schwerpunkten aber auch für andere Themenbereiche der EUTB demonstriert werden (z.B. soziale Teilhabe, Pflege, etc.). Inhaltlich sind EUTB-Beratungskräfte also mit einem äußerst breiten Themen- und Kompetenzprofil konfrontiert, um den vielfältigen und komplexen fachlichen Anforderungen gerecht werden zu können.[11] Insgesamt kann die EUTB viel dazu beitragen, Ratsuchenden Orientierung in dem weiten Feld der Teilhabe am Arbeitsleben und darüber hinaus zu geben. Die Fallbeispiele des vorliegenden Beitrags legen hiervon exemplarisch Zeugnis ab.

Literaturverzeichnis

Heimer, A., Schütz, H., Wansing, G. et al. (2023): Evaluation der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung. Forschungsbericht 620 im Auftrag des BMAS (ISSN 0174-4992) https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-620-evaluation-der-eutb.html, zuletzt abgerufen am 02.09.2024, sowie die in Reha-Recht erschienenen Beitragsserie D38-2021, D2-2022, D11-2023 und D12-2023.

Mattern, L. Rambausek-Heß, T., Wansing, G., Peters, U. (2022): Das Budget für Arbeit. Eine explorative Studie zur Umsetzung von § 61 SGB IX in Berlin, insb. Kap. 3.5 und 3.6. Download unter https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/25917, zuletzt abgerufen am 02.09.2024.

Schütz, H. et al. (2022): Untersuchung der Ausführung sowie der absehbaren Wirkungen der neuen Regelungen der Eingliederungshilfe nach Art. 25 Abs. 2 BTHG (Wirkungsprognose) – Abschlussbericht 2022. Forschungsbericht 611. www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-611-abschlussbericht-wirkungsprognose-eingliederungshilfe.html, zuletzt abgerufen am 02.09.2024.

Beitrag von Dr. Holger Schütz, Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas)

Fußnoten

[1] Vgl. Heimer, A., Schütz, H., Wansing, G. et al. (2023): Evaluation der Ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung. Forschungsbericht 620 im Auftrag des BMAS (ISSN 0174-4992) https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-620-evaluation-der-eutb.html, zuletzt abgerufen am 02.09.2024, sowie die in Reha-Recht erschienene Beitragsserie D38-2021, D2-2022, D11-2023 und D12/2023.

[2] Im Rahmen der EUTB-Evaluation erfolgte eine zweimalige standardisierte Befragung der EUTB-Beratungsangebote (Welle 1: n=505, Welle 2 n=386 befragte Angebote) und eine zweimalige standardisierte Befragung der Ratsuchenden (Welle 1: n=2.729; Welle 2: n=1.036 Befragte).

[3] Siehe dazu auch Heimer, A., Schütz, H., Wansing, G. et al. (2023), (Fn1), Kap 2, S. 33 ff.

[4] Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (53 %) und Leistungen zur Teilhabe an Bildung (22 %) sind im Vergleich dazu deutlich seltener EUTB-Beratungsthema.

[5] Schütz, H. et al. (2022): Untersuchung der Ausführung sowie der absehbaren Wirkungen der neuen Regelungen der Eingliederungshilfe nach Art. 25 Abs. 2 BTHG (Wirkungsprognose) – Abschlussbericht 2022. Forschungsbericht 611. www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb-611-abschlussbericht-wirkungsprognose-eingliederungshilfe.html, zuletzt abgerufen am 02.09.2024.
Siehe auch Mattern, L. Rambausek-Heß, T., Wansing, G., Peters, U. (2022): Das Budget für Arbeit. Eine explorative Studie zur Umsetzung von § 61 SGB IX in Berlin, insb. Kap. 3.5 und 3.6. Download unter https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/25917, zuletzt abgerufen am 02.09.2024.

[6] Vgl. Heimer, A., Schütz, H., Wansing, G. et al. (2023) (siehe Fn 1).

[7] Die qualitative Inhaltsanalyse stützt sich auf transkribierte und codierte Transkripte der beobachteten Beratungsgespräche, die mit MAXQDA aufbereitet wurden, sowie auf flankierende Beobachtungsnotizen und im Nachgang zur Beratung durchgeführte Leitfadeninterviews.

[8] Unmittelbarer Adressat der Beratung sind hier die Eltern des Schülers.

[9] Andere mögliche Alternativen wie das Budget für Ausbildung oder andere Unterstützungsleistungen nach einer Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kommen in diesem Beratungsgespräch nicht zur Sprache.

[10] Die Gegenposition findet sich exemplarisch in der folgenden Einschätzung. Demzufolge kommt es für die individuelle Qualifizierung des Sinns nicht zwingend darauf an, ob die Tätigkeit als einfach oder als anspruchsvoll erlebt wird, wie eine Beraterin mit Blick auf die Tätigkeiten in WfbM argumentiert: „Und das, genau, sind dann halt alles einfache Tätigkeiten, um es mal so zu sagen, einfach ausführbare Tätigkeiten […], was nicht schlimm ist. Das ist ... das ist was Gutes.“

[11] Für eine erfolgreiche Beratung kommen überdies neben diesen qualifikatorischen auch kommunikative Kompetenzen und Interaktionsmerkmale von Beratungskräften hinzu, siehe dazu ausführlicher Heimer, A., Schütz, H., Wansing, G. et al. (2023: Kap. 6) (siehe Fn 1).


Stichwörter:

Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB), Beratung, Teilhabeberatung, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben


Kommentare (1)

  1. Prof. Dr. Wolfhard Kohte
    Prof. Dr. Wolfhard Kohte 22.10.2024
    Ich begrüße diese Untersuchung sehr, denn sie zeigt, dass für die EUTB die Teilhabe am Arbeitsleben eine wichtige Dimension bedeutet. Wenn wir die parallele Untersuchung im Forschungsbericht 611 BMAS heranziehen, dann haben wohl überwiegend Beschäftigte aus der Werkstatt diese Beratungsmöglichkeit genutzt. Daneben ist natürlich auch eine Beratung von behinderten Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt denkbar, doch scheint dies nur eine deutlich geringere Rolle zu spielen. Möglicherweise lässt sich dies bei weiteren Untersuchungen näher klären.
    Arbeitsleben ist immer auch kollektive Arbeit. In den Werkstätten sind in den letzten Jahren Werkstatträte gewählt worden, die inzwischen auch Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte haben. Bei der Untersuchung ist offen geblieben, ob und inwieweit auch Mitglieder der Werkstatträte die Beratung durch die EUTB suchen. Ebenso ist offen geblieben, ob die behinderten WfbM-Beschäftigten in der Beratung auf die Möglichkeiten der Werkstatträte hingewiesen worden sind. Aus meiner Sicht gibt es dazu deutliche Chancen. In einigen Beispielen im Beitrag spielen Fragen gesundheitlicher Überforderung eine Rolle. Dazu ist aus meiner Sicht zu verweisen, dass nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 ArbSchG auch für die WfbM-Beschäftigten das Arbeitsschutzrecht gilt, und damit auch das Mitwirkungsrecht der Räte nach § 5 WMVO. Ich würde es begrüßen, wenn bei künftigen Untersuchungen auch diese Dimension der EUTB-Beratung näher geklärt wird.

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.