26.04.2021 D: Konzepte und Politik Fuchs: Beitrag D18-2021

Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung gem. § 13 SGB IX – Auftrag, Methoden, Ergebnisse

Prof. Dr. Harry Fuchs (Hochschule Düsseldorf) und Prof. Dr. Matthias Morfeld (Hochschule Magdeburg-Stendal) führten im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales eine empirische Studie im Mixed-Methods-Format zur Implementierung von Bedarfsermittlungsinstrumenten gem. § 13 SGB IX durch. Fuchs erläutert zunächst die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung dieser Instrumente. So soll die Bedarfsermittlung, unter Berücksichtigung der trägerspezifischen Leistungsgesetze und Abläufe, individuell, einheitlich und nachprüfbar sowie unter Verwendung systematischer Arbeitsprozesse und standardisierter Arbeitsmittel erfolgen.

An der Studie nahmen die Sozialversicherungsträger (Bundesagentur für Arbeit, Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfallversicherung) teil. Die umfassende Teilnahme der Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Eingliederungshilfe wurde von der LBAG BTHG nicht befürwortet, da die Entwicklung ihrer Instrumente noch nicht weit genug fortgeschritten war. Einzelne EGH-Träger beteiligten sich deshalb nur punktuell an der Studie.

Mithilfe von Interviews, einer Dokumenten- und Literaturanalyse, einer Online-Befragung sowie von Fallstudien, Workshops und Fachtagungen wurden Daten generiert, ausgewertet und diskutiert.

Der Beitrag fasst zentrale Ergebnisse der Studie zusammen und diskutiert sie hinsichtlich der Frage, ob die Entwicklung der Instrumente der Intention des Gesetzgebers entspricht, die trägerübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern, die Transparenz des Prozesses für die Leistungsberechtigten zu erhöhen sowie die Ermittlung des individuellen Bedarfs zu erreichen.

(Zitiervorschlag: Fuchs: Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung gem. § 13 SGB IX – Auftrag, Methoden, Ergebnisse; Beitrag D18-2021 unter www.reha-recht.de; 26.04.2021)

I. Einleitung[1]

Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behin­derungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) beinhaltet eine umfassende Novellierung des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX). Teil I des novellierten SGB IX fasst dabei das für alle Rehabilitationsträger geltende Rehabilitations- und Teilhaberecht zusammen. So finden sich u. a. neben Rechtsnormen zur Zuständigkeitsklärung, der Zusammenarbeit zwischen den Trägern und den Leistungsformen auch trägerübergreifend geltende Vorgaben zur Erkennung und Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs (§§ 12, 13 SGB IX).

  • Die Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nach § 13 SGB IX ist für den gesamten weiteren Rehabilitationsprozess von herausragender Bedeutung. Sie ist nämlich die Grundlage für die Entscheidung über den Antrag, insbesondere hinsichtlich der Beurteilung von Gegenstand, Umfang und Ausführung der bedarfsgerechten Leistung (§ 25 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX), d. h. des Anspruchs dem Grunde und der Höhe nach,
  • die Durchführung des Auswahlermessens (§ 36 Abs. 2 SGB IX), insbesondere die Beurteilung der Eignung der vorgesehenen Rehabilitationseinrichtung(-leistung) (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Struktur- und Prozessqualität zur Erreichung der individuellen Teilhabeziele (§§ 4 Abs. 2 S. 1, 13 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m 37 SGB IX).

Zur Erreichung der schon mit dem SGB IX von 2001 angestrebten Beseitigung der Divergenz des Rehabilitationsrechts bestimmt § 13 Abs. 1 SGB IX eine „einheitliche“ und „nachprüfbare“ Bedarfsermittlung, zu der die Rehabilitationsträger systematische Arbeitsmittel und standardisierte Arbeitsmittel zu verwenden haben.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gelten die Vorschriften des SGB IX, Teil 1 für alle Leistun­gen zur Teilhabe i. S. v. § 5 SGB IX, soweit sich aus den für den jeweiligen Reha­bili­tations­träger geltenden Leistungsgesetzen nichts Abweichendes ergibt. Die bei der Bedarfs­ermittlung daran anknüpfende Bezugnahme auf die für die Rehabilitationsträger jeweils geltenden Leistungsgesetze in § 13 Abs. 1 S. 1, letzter Hs. SGB IX stellt klar, dass die mit Inkrafttreten des BTHG verlangten einheitlichen Instrumente der Bedarfsermittlung, d. h. das Verwaltungsverfahren und die Organisationsmittel, nicht in allen Rechtskreisen identisch sein müssen und können.[2] Das ist selbsterklärend, da die Verwaltungs­verfahren nicht nur Spielraum für evtl. trägerspezifische, über die Anforderungen des Teilhabeplanverfahrens nach dem SGB IX hinausgehende Aspekte aus anderen Leis­tungsgesetzen (z. B. Spezifika bezogen auf die Erwerbsfähigkeit im SGB VI) enthalten müssen. Sie müssen insbesondere auch den unterschiedlichen Organisationsformen und Arbeitsablauforganisationen der Träger Rechnung tragen können.

Dessen ungeachtet sind die Instrumente trägerübergreifend jedoch so zu gestalten, dass mindestens die vom Gesetzgeber nach §§ 13 Abs. 2, 19 Abs. 2 SGB IX geforderten Feststellungen und Bestandteile der Aktenführung „als standardisiertes Verwaltungs­verfahren“ „nach gleichen Maßstäben“ dokumentiert werden.[3]

Wegen der Bedeutung der Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs für den gesamten Rehabilitationsprozess hat der Gesetzgeber das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gesetzlich beauftragt, die Wirkung der Instrumente nach § 13 Abs. 1 zu untersuchen und die Untersuchungsergebnisse bis zum 31.12.2019 zu veröffent­lichen (§ 13 Abs. 3 SGB IX).

Das BMAS hat zur Unterstützung des gesetzlichen Auftrags die Kienbaum Consultants International GmbH in einem Konsortium mit den Professoren Dr. Harry Fuchs (Hoch­schule Düsseldorf) und Dr. Matthias Morfeld (Hochschule Magdeburg-Stendal) mit der Durchführung der „Implementationsstudie zur Einführung von Instrumenten zur Entwick­lung des Rehabilitationsbedarfs nach § 13 SGB IX (Bundesteilhabegesetz)“ beauftragt, die das BMAS im Dezember 2019 veröffentlicht hat.

II. Studie

1. Zielsetzung

Mit der Implementationsstudie sollte untersucht werden, ob und wie die Rehabilita­tionsträger die zum 1. Januar 2018 in Kraft tretende Verpflichtung nach § 13 SGB IX zur Verwendung von Instrumenten zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs umsetzen. Dabei sollten auch erste Anhaltspunkte gewonnen werden, ob sich durch den Einsatz der Instrumente bereits eine Vereinheitlichung der Verfahren zur Bedarfsermittlung abzeichnet.

Die Untersuchung zur Wirkung der Instrumente soll sowohl den verwaltungsinternen und trägerübergreifenden Informationsaustausch (auch auf der Ebene der BAR, z. B. bei der Erarbeitung „Gemeinsamer Empfehlungen“) als auch die Diskussion in der Fach­öffent­lichkeit über die Instrumente unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Expertise unter­stützen.

Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse über die Implementierung der Instrumente können für den Gesetzgeber Hinweise gewonnen werden, ob und inwieweit die Klassifi­kation, die Lebensbereiche oder das bio-psycho-soziale Modell der ICF perspektivisch einen einheitlichen Rahmen für die Bedarfsermittlung nach allen Leistungsgesetzen bilden können und sollen.

2. Beteiligte Rehabilitationsträger

Die Untersuchung sollte einen Einblick in die Implementation von Instrumenten bei den für Leistungen zur Teilhabe zuständigen Sozialversicherungsträgern (Bundesagentur für Arbeit, Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Unfall­versicherung) geben.

Das Gesetz ermöglicht darüber hinaus auch den Trägern der Eingliederungshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe auf ihren eigenen Vorschlag und mit Zustimmung der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde an der Studie teilzunehmen (§13 Abs. 4 SGB IX).

Im Rahmen einer Sitzung der Länder-Bund-Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Bundes­teilhabegesetzes (LBAG BTHG) am 15. März 2018 wurde durch die Länder und die kommunalen Spitzenverbände festgestellt, dass eine Beteiligung der entsprechenden Träger zum damaligen Zeitpunkt noch nicht zielführend sei, weil die Instrumente zu diesem Zeitpunkt bei den Trägern der Eingliederungs- und Jugendhilfe erst in der Erarbeitung und Abstimmung seien. Eine Untersuchung der Implementierung sei deshalb zu früh. In Abstimmung mit dem BMAS fokussiert sich die vorliegende Studie daher auf die Sozialversicherungsträger. Da die Träger der Eingliederungshilfe selbst entscheiden konnten, ob und inwieweit sie sich an der Studie beteiligen, partizipierten unbeachtlich der Beschlusslage der LBAG BTHG einzelne Träger der Eingliederungs­hilfe an ausgewählten Untersuchungsschritten.

3. Methodik und Projektdesign

Die Methodik und das Projektdesign der Studie sind ebenso wie das Ergebnis der Literaturrecherche im Forschungsbericht nachzuvollziehen und werden nachfolgend nur verkürzt wiedergegeben.

Aufbauend auf den Zielen und der Aufgabenstellung der Studie basierte das Vorgehen auf dem Mixed-Methods-Ansatz, also aus einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden. Dabei wurden die quantitativen Methoden vor allem dann ein­gesetzt, wenn es darum ging, Situationen, Strukturen, Zielerreichung sowie Wirkungen auf Basis von Daten, Zahlen und Fakten darzustellen. Die qualitativen Elemente kamen vornehmlich dann zum Einsatz, wenn aktuelle Situationen bewertet und eingeschätzt bzw. Chancen und Risiken aufgezeigt sowie ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen gegeben werden sollte.

Das rahmengebende Projektdesign legte dabei großen Wert auf die Erhebung und Einbeziehung der Perspektiven und Hinweise der beteiligten Akteure. Der gesamte Erhebungsprozess und seine einzelnen Bausteine wurden möglichst interaktiv und iterativ gestaltet.

Eingesetzt wurden folgende Methoden:

  • Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Rehabilitationsträger und ihrer Spitzenverbände sowie weiteren relevanten Stakeholdern
  • Dokumenten- und Literaturanalyse
  • Online-Befragung von Rehabilitationsträgern
  • Fallstudien mit Rehabilitationsträgern und ihren Spitzenverbänden
  • Workshops mit Expertinnen und Experten in einem trägergruppeninternen Rahmen
  • Workshops mit Expertinnen und Experten in einem trägerübergreifenden Rahmen
  • Drei Fachtagungen mit allen relevanten Stakeholdergruppen

4. Durchführung der Studie in 5 Phasen

Die Studie gliedert sich in fünf Phasen.

Phase 0: Projektinitialisierung und Exploration

Zentraler Bestandteil dieser Phase war u. a. die Durchführung von insgesamt 31 explorativen Interviews mit Expertinnen und Experten aus allen Trägerbereichen und weiteren relevanten Stakeholdern in der Zeit von Februar bis Mai 2018 zu folgenden Themen:

  • Grundsätzliche Einschätzung zum § 13 SGB IX
  • Status Quo
  • Änderungsbedarf in Bezug auf die angewandten Instrumente
  • Austausch und Kommunikation zwischen den Träger(-gruppen)
  • Erwartungen an die Studie

Den Abschluss der Explorationsphase markierte die erste Fachtagung mit den Expertinnen und Experten aus den explorativen Interviews am 3. Mai 2018 im BMAS. Dabei wurden neben den ersten Ergebnissen, die sich aus den explorativen Interviews ergeben hatten, das weitere Forschungsvorgehen inklusive der Zeitplanung vorgestellt sowie die grundlegenden Forschungsfragen und ersten Erkenntnisse diskutiert. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und die durch sie vertretenen Einrichtungen wurden dazu eingeladen, sich an den folgenden Erhebungsschritten zu beteiligen und bei weiteren Einrichtungen für eine breite Beteiligung zu werben.

Phase 1: Befragung

Die relevanten Ergebnisse der Explorationsphase und der Diskussion der ersten Fach­tagung bildeten die Grundlage für die Entwicklung des Fragebogens für die bundesweite Befragung der Rehabilitationsträger in der Phase „Befragung“. Zielsetzung dieses methodischen Bausteins war die quantitative Befragung möglichst aller Rehabilitations­träger (Vollerhebung) durch eine Online-Befragung. Die Befragung gliederte sich dabei in Fragenblöcke zu den Themen:

  • Hintergrundinformationen
  • Arbeitsprozesse und Arbeitsmittel
  • Einheitliche Maßstäbe
  • Zusammenarbeit mit anderen Trägern
  • Dokumentation und Datenaustausch
  • Abschlussfragen

Die Befragung wurde nach einem Pretest mit Teilnehmern aus allen Zweigen der sozialen Sicherung mittels der Befragungssoftware Exavo SurveyStudio© durchgeführt und fand im Zeitraum vom 2. Juli bis 2. September 2018 statt. An der Online-Befragung nahmen insgesamt 960 Beschäftigte der Rehabilitationsträger teil.

Die Ergebnisse der Befragung wurden grafisch aufbereitet, intern ausgewertet und auf dem zweiten Fachtag am 8. Oktober 2018 beim BMAS dem Fachpublikum vorgestellt und diskutiert. Wie bereits bei der ersten Fachtagung wurde das methodische Vorgehen für die kommende qualitative Erhebung präsentiert.

Phase 2: Fallstudien

Ziel der anschließenden Fallstudien war die qualitative Validierung und Konkretisierung der Ergebnisse der quantitativen Befragungen sowie die Identifikation von Erfolgsbedin­gungen bzw. Herausforderungen bei der Rehabilitationsbedarfsermittlung. Insgesamt konnten 22 Träger, Verbände und verbundene Einrichtungen für die Teilnahme an den Fallstudien gewonnen werden, die im Zeitraum von Dezember 2018 bis Mai 2019 durch­geführt wurden. Mit eintägigen Fallstudien auf Verbands- bzw. Arbeitskreisebene wurden insbesondere übergeordnete Verfahren und Prozesse diskutiert, wie z. B. die Änderun­gen und (Weiter-)Entwicklung gemeinschaftlich genutzter Arbeitsmittel, Vordrucke und Verfahren.

Phase 3: Fokusgruppen-Workshops

Die letzte Erhebungsphase diente der Diskussion und Validierung der gewonnenen Erkenntnisse, der Entwicklung von Handlungsempfehlungen und Skizzierung von Hand­lungsfeldern mit den verschiedenen Trägergruppen. Über die Spitzen- bzw. Dach­verbände wurden dazu Akteure aller Trägergruppen nach § 6 Abs. 1 Nr. 1-4 SGB IX zu trägergruppeninternen Validierungs-Workshops eingeladen. Insgesamt wurden fünf Workshops durchgeführt, in denen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die individu­ellen und aggregierten Ergebnisse aller bisherigen Erhebungsphasen für ihren Träger­zweig vorgestellt und anschließend diskutiert und validiert wurden.

Abschließend wurden im Rahmen einer offenen Einladung alle bisherigen Teilnehme­rinnen und Teilnehmer der qualitativen Erhebungsphasen sowie interessierte Beschäf­tigte anderer Rehabilitationsträger zu einer letzten trägergruppenübergreifenden Work­shopreihe eingeladen, auf der insbesondere die trägerübergreifende Zusammenarbeit diskutiert wurde. Ziel dieser Workshopreihe war es, aktuelle Entwicklungen, Heraus­forderungen und Best-Practice-Ansätze im Hinblick auf die trägerübergreifende Zusammenarbeit und den Austausch aufzuzeigen und erste Handlungsempfehlungen abzuleiten.

Phase 4: Gesamtaufbereitung

In der Schlussphase wurden alle Erkenntnisse zusammengetragen und verbunden mit den Reflektionen aus dem Schlussteil der vorherigen Arbeitsphase zu einem einheitlichen Forschungsergebnis zusammengestellt. Mit der Vorlage des Berichts und seiner Präsentation am 18.10.2019 im BMAS endete das Forschungsprojekt.

5. Ergebnisse der Implementationsstudie

Im Folgenden sollen zentrale Ergebnisse der empirischen Studie vorgestellt und diskutiert werden.

5.1 Instrumente und Zusammenarbeit (§ 13 Abs. 1 SGB IX)

Die Träger entwickeln zum Zeitpunkt der Durchführung des Projekts überwiegend jeweils eigene Instrumente weiter und legen dazu eine trägerspezifische Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen zugrunde. Die Vielfalt der von den Trägern eingesetzten Instrumente wird dabei durch die Gesetzesänderung kaum geringer. Diese Vielzahl der Instrumente ist nach § 13 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs. SGB IX rechtlich grundsätzlich zulässig und deswegen grundsätzlich unproblematisch.

Entscheidend ist, ob die von den Trägern eingesetzten Instrumente geeignet sind, die trägerübergreifend einheitlich zu gewährleistenden Feststellungen nach § 13 Abs. 2 SGB IX zu treffen.

Bisher wird der inhaltlichen Ausrichtung der Instrumente durchweg noch eine träger­spezifische Rechtsauslegung zugrunde gelegt, wobei sich in letzter Zeit auch punk­tu­elle trägerübergreifende Vereinheitlichungstendenzen abzeichnen:

Ein erster Ansatz bundesweiter trägerübergreifender Zusammenarbeit besteht bei der Anschlussrehabilitation (AHB) in dem von Renten- und Krankenversicherung auf der Ebene ihrer Spitzenorganisationen gemeinsam abgestimmten – dennoch immer noch nicht inhaltsgleichen – Einleitungsvordruck.

Darüber hinaus konnten keine systematischen Entwicklungen zur träger­übergrei­fenden Zusammenarbeit im Hinblick auf Instrumenten(-weiter-)Entwicklung festgestellt werden. Auf örtlicher Ebene am Wohnort der Berechtigten bestehen vereinzelte, zum Teil auch regelmäßige Formen trägerübergreifender Zusammenarbeit, die jedoch häufig von den handelnden Menschen und deren Initiative abhängt.

Es konnten keine Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob die Spitzen­organisa­tionen oder die Rehabilitationsträger, die durch das geänderte Recht gebotene systema­tische Zusammenarbeit, insbesondere auch auf örtlicher Ebene, und deren Gewähr­leistung bisher in den Blick genommen haben.

Zusammenfassend zeigt die Implementationsstudie, dass die Träger die nach § 13 Abs. 2 SGB IX zu treffenden Feststellungen weiterhin überwiegend bezogen auf den vorliegenden Leistungsantrag und damit auf die trägerspezifischen Leistungs­voraus­setzungen beziehen.

Die vom Gesetzgeber erwartete vollständige und umfassende, trägerübergreifende Feststellung des Rehabilitationsbedarfs, die – unabhängig von der Zuständigkeit oder Leistungsverpflichtung eines Trägers i. S. v. §§ 26 Abs. 2, 27 Abs. 1 GE Reha-Prozess – ein nahtloses Ineinandergreifen der Teilhabeleistungen verschiedener Träger gewährleisten würde (z. B. i. S. v § 15 SGB IX), findet noch nicht statt.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt die Bedarfsermittlung durch Medizinerinnen und Mediziner im Krankenhaus oder durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) wird im Rahmen der Stichprobenregelung und im Einzelfall bei bestehenden Zweifeln beteiligt. Er ermittelt den Bedarf an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation auch im Rahmen der Pflegebegutachtung. Die erforder­lichen Prozessbeschreibungen sind untergesetzlich (Rehabilitations-Richtlinie, Stich­proben­richtlinie, Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation sowie die Begutachtungs­richtlinie zur Feststellung der Plegebedürftigkeit) definiert und standardisiert in die Verwaltungspraxis der Krankenkassen eingebunden.

Die Zusammenarbeit mit anderen Trägern besteht zurzeit eher punktuell und basiert teilweise primär auf persönlichen Kontakten als auf konkreten Ansprechpartner­strukturen. Grundsätzlich wird von den gesetzlichen Krankenkassen ein regelmäßigerer Austausch zur Bedarfserkennung gewünscht, sodass der Blickwinkel trägerübergreifend erweitert werden kann.

Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung verfügen über ein breites Spektrum an standardisierten Instrumenten. Bei den einzelnen Trägern sind systematische Arbeits­prozesse (Verwaltungsverfahren) etabliert, die sich im Hinblick auf die individuellen Strukturen und örtlichen Gegebenheiten der Träger unterscheiden. In den letzten Jahren wurden dabei zusehends die bei den einzelnen Rentenversicherungsträgern vorhande­nen eingesetzten Arbeitsmittel (Vordrucke und Formulare) angeglichen. Aktuell wird darüberhinausgehend auch an der Vereinheitlichung einzelner Formulare zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung gearbeitet, die im Sommer 2019 erste Erfolge erzielte (siehe oben: AHB-Einleitung).

Die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften verfügen über zahlreiche standardisierte Verfahren und Arbeitsmittel. Die weitere Aktualisierung und der Ausbau von bestehen­den Arbeitsprozessen beispielsweise in Bezug auf die soziale Teilhabe sind ein zentrales Thema auf Dachverbands- und Trägerebene. Die Standardisierung der Aktenführung und Dokumentation von Prozessverläufen sind in der gesetzlichen Unfallversicherung bereits fortgeschritten und zeichnen sich durch einen vergleichsweise hohen Digitalisierungsgrad aus.

Die trägerübergreifende Zusammenarbeit ist insgesamt weniger stark ausgeprägt und bezieht sich vor allem auf die Einsichtnahme in Akten anderer Träger oder dem punktuellen Austausch in spezifischen Einzelfällen.

Die Bundeagentur für Arbeit verfügt über ein breites Spektrum an Instrumenten. Das „Fachkonzept für Berufliche Rehabilitation und Teilhabe in den Agenturen für Arbeit“ bildet den Rahmen für die Strukturen und Prozesse in den Agenturen, die durch verschiedene Prozess- und Verfahrensdiagramme sowie Entscheidungsbäume in ihrer Arbeit vor Ort unterstützt werden.

Die weitere Standardisierung der Aktenführung und Dokumentation sind angestoßen worden.

Alle an den Fallstudien beteiligten Agenturen für Arbeit wünschen sich eine Inten­sivierung des Austauschs mit den jeweils regional zuständigen Renten­versicherungs­trägern.

Die Zusammenarbeit mit den Trägern der Kinder-, Jugend- und Eingliederungshilfe unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften gravierend. Teilweise ist die Zusammenarbeit sehr gut und ausgeprägt, wohingegen in anderen Agenturbezirken ein Austausch mit den Landkreisen oder Städten praktisch nicht stattfindet.

5.2 Feststellungen der Träger nach § 13 Abs. 2 SGB IX

Die Instrumente zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs müssen nach § 13 Abs. 2 SGB IX eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung gewährleisten und die Dokumentation und Nachprüfbarkeit der Bedarfsermittlung sichern, indem sie insbesondere erfassen,

  1. ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht,
  2. welche Auswirkung die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat,
  3. welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen und
  4. welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind.

Die danach zu treffenden Feststellungen sind – unabhängig von dem jeweils für sie geltenden Leistungsrecht – von allen Trägern einheitlich und nach gleichen Maßstäben zu treffen. Die Leistungsgesetze (nicht die Träger selbst) können aufbauend auf den Vorgaben von § 13 weitergehende und speziellere Vorgaben regeln, die den Besonder­heiten der jeweiligen Leistungssysteme Rechnung tragen. Danach bleiben die Anforde­rungen des § 13 Abs. 2 SGB IX auch bei weitergehenden Anforderungen in den spezifischen Leistungsgesetzen der Träger immer die trägerübergreifende gemeinsame Basis.

§ 13 Abs. 2 SGB IX definiert danach die Mindestanforderung für den Einsatzbereich der Instrumente, der die Bedarfsermittlung von der Antragstellung bis zum Erlass des Bewilligungsbescheids abdeckt. Die Mindestanforderungen sind unabhängig davon zu erfüllen, welcher Träger seine Instrumente mit welchen Inhalten ausgestaltet.

Während die organisationsrechtliche, auf die Instrumente gerichtete Regelung des § 13 Abs. 1 ausdrücklich die Öffnung für organisatorisch oder auch nach den spezifischen Leistungsgesetzen erforderliche unterschiedliche Gestaltungen zulässt (§ 13 Abs. 2 Satz 1 letzter Hs SGB IX), handelt es sich bei den inhaltlichen Anforderungen des Absatz 2 an die mit den Instrumenten zu treffenden Feststellungen um trägerüber­greifend einheitliches sog. „abweichungsfestes Recht“ i. S. v. § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB IX.

Die Implementationsstudie zeigte zu den Anforderungen des § 13 Abs. 2 SGB IX folgenden Entwicklungsstand:

Zu § 13 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX: Vorliegende oder drohende Behinderung

Nach dem der ICF zugrundeliegenden bio-psycho-sozialen Modell wird das Vorliegen einer Behinderung über die Schädigung der Körper- und Sinnesfunktionen sowie der Beeinträchtigung der Aktivitäten und Teilhabe definiert. Für die Klärung des Bedarfs an Teilhabeleistungen reicht eine Beschreibung des Krankheitsbildes oder eine Krank­heitsdiagnose (nach ICD-10), d. h., des Gesundheitsproblems nicht aus, weil sie/es in der Regel keine Feststellungen zu Beeinträchtigungen der Aktivitäten und Teilhabe enthält.

Demzufolge sind Bedarfsermittlungen auf der Grundlage von Krankenhausberichten und anderen rein kurativ orientierten Unterlagen problematisch.

Die Beurteilung von Teilhabeeinschränkungen erfordert die funktionsbezogene Fest­stellung der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe in Lebensbereichen (§ 42 Abs. 1 Gemeinsame Empfehlung (GE)-Reha-Prozess gem. § 26 Abs. 2 SGB IX).

Dies ist in einem Gespräch mit dem Betroffenen möglich, das auf der Grundlage des bio-psychosozialen Modells geführt wird (§ 36 Abs. 3 Satz 4 GE Reha-Prozess). Ob eine Behinderung droht oder vorliegt, lässt sich sprachlich mit der Beschreibung der tatsächlichen Funktionsbeeinträchtigungen im Sinne der Kapitelüberschriften der ICF (Domänen) dokumentieren (vgl. z. B. ICF-Checkliste[4]).

Das Forschungsprojekt hat erhoben, inwieweit die Feststellungen nach § 13 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX mit den derzeit eingesetzten Erhebungsinstrumenten rechtmäßig getroffen werden können. Schon die Vielfalt der weiterhin unterschiedlichen Vordrucke und sonst zur Entscheidungsfindung herangezogenen, meist kurativ orientierten Unterlagen ohne Aussagen zur Beeinträchtigung der Teilhabe verdeutlichen, dass die Praxis noch ganz am Anfang einer „einheitlichen Ermittlung des individuellen Bedarfs“ steht.

Grundlage ist bei allen Trägern zunächst eine ICD10-Diagnose. Die in jüngerer Zeit überarbeiteten Antragsvordrucke der gesetzlichen Krankenversicherung und Renten­versicherung enthalten auch Fragen zu nicht nur vorübergehenden Beeinträchtigungen der Aktivitäten und der Teilhabe. Die Fragen sind allerdings sehr knapp und abstrakt und beschränken sich teilweise auf das Ankreuzen von vorgegebenen Antwortmöglichkeiten. Im Bereich der GKV wird der Bedarf mit einem Verordnungsbogen durch die Vertragsärzteschaft erhoben. Dazu wird berichtet, dass die von den niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzten ausgefüllten Vordrucke häufig nur bedingt brauchbare Ergebnisse liefern[5].

Zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX: Welche Auswirkung hat die Beeinträchtigung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten?

Welche Auswirkungen Beeinträchtigungen (der Körperfunktionen und -strukturen) auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat, ergibt sich daraus, ob und in welchem Ausmaß ihre Aktivitäten in Wechselwirkung mit Kontextfaktoren beeinträchtigt sind.

Bisher wird die Beeinträchtigung der Aktivitäten nur teilweise und wenn, dann nur in sehr knapper und abstrakter Form erhoben und dokumentiert.

Inhalt und Aussagefähigkeit bleiben bei den Sozialversicherungsträgern erheblich hinter den neuen Erhebungsinstrumenten der Eingliederungshilfe, aber auch der WHO-Checkliste zurück. Die Kontextfaktoren werden nicht bei allen Trägern systematisch erhoben.[6]

Soweit ersichtlich, entsprechen die derzeit eingesetzten Instrumente nur zum Teil oder nicht den Anforderungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX.

Zu § 13 Abs. 2 Nr. 3 SGB ICX: Welche Ziele sollen mit den Leistungen zur Teilhabe erreicht werden?

Das Forschungsprojekt hat erfragt, inwieweit Teilhabeziele derzeit für die Entschei­dungsfindung definiert und dokumentiert werden. Dazu erklärt die Mehrzahl der Träger, dass sie individuelle Teilhabeziele definieren und der Entscheidung zugrunde legen.

Im Rahmen des Forschungsprojekts konnte weder die Qualität dieser Zielbestimmung weiter untersucht werden. Noch ob die Teilhabeziele im Rahmen der Bedarfsermittlung festgelegt und mit dem Berechtigten abgestimmt (§ 19 Abs. 1 SGB IX) werden.

Soweit die Bedarfserhebungen heute überhaupt Zielbeschreibungen[7] enthalten, fokussieren sie bisher in der Regel auf die jeweils gerade geltend gemachte Leistung eines Trägers und nehmen darüberhinausgehende Teilhabeziele, die ggfs. auch mit Leistungen in der Verantwortung eines anderen Trägers erreicht werden müssen, nicht in den Blick[8].

Zu § 13 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX Prognose zur Erreichung der Teilhabeziele (Wirksamkeit der Leistungen)

Die in dieser Regelung geforderte Prognose hinsichtlich der Erreichung der Teilhabe­ziele (Wirksamkeit der Leistungen) ist Bestandteil der „einheitlichen und nachprüfbaren“ Bedarfsermittlung.

§ 43 GE-Reha-Prozess „Klärung erforderlicher Leistungen“ befasst sich im Kern mit dem Verfahren des Auswahlermessens nach § 36 Abs. 2 SGB IX, lässt jedoch die konkrete Operationalisierung offen, auf welche Weise im Einzelfall eine Wirksamkeitsprognose bezogen auf die Erreichung der Teilhabeziele i. S. d. § 13 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX gestellt werden kann bzw. wird.

Wenn überhaupt Prognosen zur Erreichung der Teilhabeziele gestellt und dokumentiert werden, dann allenfalls im Verwaltungsverfahren, jedoch bisher nicht als Bestandteil der Bedarfsermittlung.

Fazit bzgl. der nach § 13 Abs. 2 SGB IX zu treffenden Feststellungen

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde erhoben, ob die nach § 13 Abs. 2 SGB IX zu treffenden Feststellungen – unabhängig von der Zuständigkeit und der Leistungs­verpflichtung der Rehabilitationsträger – von allen Trägern einheitlich und nach gleichen Maßstäben getroffen werden.

Eine solche Feststellung des Rehabilitationsbedarfs, wie sie auch in § 26 Abs. 2 der Gemeinsamen Empfehlung „Reha Prozess“ nach § 26 SGB IX von den Trägern auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) vereinbart wurde, die ein nahtloses Ineinandergreifen der Leistungen verschiedener Rehabilitationsträger gewährleisten würde (z. B. i. S. v. § 15 SGB IX), findet noch nicht statt. Auch wenn alle Träger, die an den Gesprächen, Fallstudien und Workshops der Implementations­studie beteiligt waren, grundsätzlich die Vorteile eines solchen Vorgehens schätzen, sind entsprechende Entwicklungen nicht erkennbar.

5.3. Dokumentation und trägerübergreifender Austausch

Die Instrumente des § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sollen die Dokumentation und Nach­prüfbarkeit der Bedarfsermittlung sichern. Die Bezugnahme auf die für die Rehabilita­tionsträger jeweils geltenden Leistungsgesetze in § 13 Abs. 1 Satz 1 letzter Hs SGB IX besagt dabei, dass die Instrumente – d. h. das Verwaltungsverfahren und die Organi­sationsmittel – nicht in allen Rechtskreisen identisch sein müssen und können[9].

Dessen ungeachtet sind die Ziele des Gesetzgebers bei der Koordinierung der Leistungen und zur einheitlichen und nachprüfbaren Ermittlung des Rehabilitations­bedarfs nur zu erreichen, wenn die Instrumente so gestaltet werden, dass sie bei allen Trägern mindestens die vom Gesetzgeber nach §§ 13 Abs. 2, 19 SGB IX geforderten Feststellungen und Bestandteile der Aktenführung „als standardisiertes Verwaltungs­verfahren“ und „nach gleichen Maßstäben“ enthalten und einheitlich dokumentiert werden[10].

Im Rahmen des Forschungsprojekts waren keine Aktivitäten zur Entwicklung eines trägerübergreifend einheitlichen Dokumentationsverfahrens erkennbar. Das Teilhabeplanverfahren ist nach den Vorgaben des § 19 Abs. 2 SGB IX schriftlich zu dokumentieren, ansonsten jedoch an keine besondere Form gebunden. Die Erstellung ist insbesondere im Umlaufverfahren möglich.

Außerdem gibt es auch die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Durchführung von trägerübergreifenden Teilhabeplankonferenzen (§ 20 SGB IX). In der Praxis sind diese Einzelfallkonferenzen zur Teilhabeplanung nach SGB IX bisher eine Seltenheit und es fanden sich bisher nur wenige Hinweise auf eine systematische, trägerüber­greifende Abstimmung oder die trägerübergreifende Umsetzung des dafür erforderlichen Verfahrens[11].

5.4 Abstimmung mit den Leistungsberechtigten

Nach § 19 Abs. 1 SGB IX sind im Teilhabeplan in Abstimmung mit dem Leistungs­berechtigten die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen festzustellen. Die Feststellungen über den individuellen Rehabilitationsbedarf auf der Grundlage der Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX sind nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX Gegenstand des Teilhabeplans nach § 19 Abs. 1 SGB IX und werden deshalb von dem Abstimmungserfordernis erfasst (§ 49 Abs. 1 GE-Reha-Prozess).

Während des Forschungsprojekts fanden sich unterschiedliche Hinweise, wie die Abstimmung des Ergebnisses der Bedarfsermittlung mit dem Leistungsberechtigten zum Zeitpunkt der Feststellung stattfindet.

Die Anforderungen an die Abstimmung und die Abstimmungspraxis können mit einer Bandbreite von „findet nicht statt“ bis zu „partizipativen Gesprächen“[12] umschrieben werden und ist damit jedenfalls weitgehend uneinheitlich. Im Sinne einer einheitlichen Rechtspraxis sollten auch hierzu konkrete gemeinsame Empfehlungen gegeben werden (im Zusammenhang mit in § 36 Abs. 3 letzter Satz GE Reha-Prozess vorgesehenen „Hilfestellung für strukturierte Gespräche“).

6. Ausblick und Empfehlungen

Um eine trägerübergreifende Bedarfsermittlung zu erreichen, sollen die Rehabilitations­träger in gemeinsamen Empfehlungen einen Rahmen für die Instrumente durch Grund­sätze vorgeben (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Die Aufgabe, gemeinsame Grundsätze zur Bedarfserkennung, Bedarfsermittlung und Koordinierung von Rehabilitationsleistungen und zur trägerübergreifenden Zusammenarbeit zu erarbeiten, ist in § 39 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX konkret der BAR zugewiesen. Die BAR hat dazu keine eigenen Grundsätze aufgestellt, sondern die Grundsätze als Kapitel 3, Abschnitt 3 in den Teil 2 (Ausgestal­tung des Rehabilitationsprozesses) der Gemeinsamen Empfehlung Reha-Prozess integriert.

Im Sinne der Zielsetzung der Studie bietet der Abschlussbericht eine Fülle von Hinweisen und Materialien für die Diskussion in der Fachöffentlichkeit, aber auch für den Gesetzgeber.

Auf Basis der Ergebnisse der Implementationsstudie enthält das Kapitel 5 des Forschungsberichts Empfehlungen für die weitere Diskussion. Dabei wird unterschieden zwischen

  • Empfehlungen, die von am Forschungsprojekt beteiligten Institutionen angeregt wurden (Kapitel 5.1.1)

und

  • Empfehlungen des Forschungsteams (Kapitel 5.1.2).

Aus der Mitte der am Forschungsprojekts beteiligten Institutionen wird u. a. zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit die Einrichtung träger­übergreifender Austauschplattformen auf regionaler Ebene und die Verfügbarkeit ständig aktualisierter Übersichten (Erreichbarkeit konkreter Ansprechpartner usw.) vorgeschlagen. Ein dringender Bedarf besteht auch hinsichtlich der Kenntnisse über unterschiedliche Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe, aber auch bzgl. der unterschiedlichen Rechtsauslegung und Rechtspraktiken der verschiedenen Träger. Es wird ein systematischer Erfahrungsaustausch der Mitarbeiter der Träger zu Fragen der Zuständigkeit, der eingesetzten Instrumente usw. auf regionaler (gemeint ist: kommu­naler) Ebene in Arbeitsgruppen angeregt, die an die Arbeitsgemeinschaften nach § 25 Abs. 2 SGB IX angebunden sein könnten. Von allen Beteiligten wird ein erheblicher Ausbau der Fort- und Weiterbildung, aber auch der Personalausstattung angemahnt.

Das Forschungsteam sieht die Ursache für die von vielen Beteiligten beklagten Daten­schutzprobleme weniger im Bereich der Rechtsetzung als vielmehr in sehr unterschied­lichen Auslegungen und Anwendungen des SGB X, insbesondere auch bei den Daten­schutzbeauftragten. Es empfiehlt dem BMAS deshalb zur Aufarbeitung der Probleme die Durchführung einer Arbeitstagung unter Beteiligung der Bundes- und Landes­daten­schutzbeauftragten.

Da die Studie einen erheblichen Koordinations- und Abstimmungsbedarf dokumentiert, schlägt das Forschungsteam in Anlehnung an § 94 Abs. 4 Satz 1 SGB IX eine Änderung des § 25 Abs. 2 SGB IX dahingehend vor, dass in jedem Bundesland mindestens eine regionale Arbeitsgemeinschaft aller Rehabilitationsträger zu bilden ist.

Des Weiteren wird zur Gewährleistung der Orientierung der Bedarfsfeststellung am bio-psycho-sozialen Modell empfohlen, in der GE-Reha-Prozess die Erarbeitung eines Gesprächsleitfadens zur Durchführung der Bedarfsermittlung zu verankern und diesen für die Träger einheitlich auf der Ebene der BAR zu erarbeiten. Ebenso die Entwicklung einer trägerübergreifend einheitlichen Dokumentationsmatrix zu §§ 19 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. 13 Abs. 2 SGB IX zur Gewährleistung einer trägerübergreifend einheitlichen Dokumentation und deren Austausch zwischen den Trägern.

Letztlich gibt das Team Anregungen zum weiterhin bestehenden Forschungsbedarf.

Beitrag von Prof. Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf

Literatur

BMAS - Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2019): Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung. Forschungsbericht 540. Abrufbar unter: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/Forschungsberichte/fb540-studie-zur-implementierung-von-instrumenten-der-bedarfsermittlung.html, zuletzt abgerufen am 01.03.2021

Fuchs, H. (2020): Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung gem. § 13 SGB IX Forschungsbericht 540 des BMAS – Auftrag, Methoden, Ergebnisse, RP Reha 4/2020, S. 45-52.

Fuchs, H. 2018, Intention des Gesetzgebers zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs nach § 13 SGB IX und Begriffsbestimmung Teil I: Intention des Gesetzgebers hinter altem und neuem Recht, Teil II: Trägerübergreifend einheitliche Mindestanforderungen, Beiträge A16-20018 und A17–2018 unter www.reha-recht.de;

Fuchs, H. 2017, Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs –Auswirkungen des BTHG – Ergebnis einer Untersuchung des Verfassers im Auftrag des Ministeriums für Soziales und Integration des Landes BW“ Beitrag D50-2017 unter www.reha-recht.de

Rambausek-Haß, T., Beyerlein, M.: Partizipation in der Bedarfsermittlung – Was ändert sich durch das Bundesteilhabegesetz? Teil I u. II Beiträge D28-2018 u. D29-2018 unter www.reha-recht.de;

WHO – Weltgesundheitsorganisation (2003): ICF CHECKLISTE Version 2.1a, medizinisches Formblatt für die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Abrufbar unter: https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/klassifikationen/dateianhaenge/icf_checkliste_2006.html, zuletzt abgerufen am 01.03.2021

WHO – World Health Organization (2003): ICF CHECKLIST Version 2.1a, Clinician Form for International Classification of Functioning, Disability and Health. Abrufbar unter: https://www.who.int/docs/default-source/classification/icf/icfchecklist.pdf?sfvrsn=b7ff99e9_4, zuletzt abgerufen am 01.03.2021

Fußnoten

[1] Vgl. Forschungsbericht 540 des BMAS; bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um die überarbeitete Version eines in der Zeitschrift „Recht und Praxis der Rehabilitation“ (Heft 4/2020) veröffentlichten gleichnamigen Beitrags.

[2] Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 18/9522; S. 232.

[3] BT-Drs. 18/9522 S. 239.

[4]  https://www.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/Downloads/DE/Experten/infos_reha_einrichtungen/klassifikationen/dateianhaenge/icf_checkliste_2006.html; vgl. http://harry-fuchs.de/alt/docs/icf_checkliste_2006.pdf.

[5] Vgl. hierzu Kapitel 3.1 der Studie.

[6] Vgl. hierzu Abbildung 14, Abbildung 34, Abbildung 54 und Abbildung 75 der Studie.

[7] Vgl. dazu Abbildung 17, Abbildung 37, Abbildung 57, Abbildung 78 der Studie.

[8] Vgl. dazu Abbildung 18, Abbildung 38, Abbildung 58 und Abbildung 79 der Studie.

[9] BT-Drs. 18/9522 S. 232.

[10] BT-Drs. 18/9522 S. 238.

[11] Vgl. hierzu die Kapitel 3.1.4, Kapitel 3.2.4, Kapitel 3.3.4 und Kapitel 3.4.4.

[12] Partizipatives Gespräch meint ein den Betroffenen annehmendes, auf ihn eingehendes Gespräch (auch im Sinne der Abstimmung nach § 19 Abs. 1 SGB IX).


Stichwörter:

Bundesteilhabegesetz, Rehabilitationsbedarf, Bedarfsermittlung, Teilhabeplan, Kooperation der Rehabilitationsträger, Studie


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