15.04.2025 Politik

Abschlussbericht der größten Erhebung zur Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in Deutschland

Auf der Website des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) steht seit März 2025 der „Abschlussbericht Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – Teilhabesurvey – Welle 2“ zum Download bereit. Auf 167 Seiten stellt er Forschungsdesign und ausgewählte Ergebnisse der größten Repräsentativbefragung von Menschen mit und ohne Behinderungen in zwei Erhebungswellen vor.

Um Beeinträchtigungen und Behinderungen sowie ihre Wirkung auf die Lebenssituation der Betroffenen über einen längeren Zeitraum abzubilden, führte das infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft im Auftrag des BMAS nach der ersten Repräsentativbefragung von November 2018 bis März 2020 (1. Welle) in den Jahren 2023 und 2024 eine Wiederholungsbefragung (2. Welle) durch. Die Forschenden befragten sowohl Personen in Privathaushalten als auch Bewohnerinnen und Bewohner in besonderen Wohnformen und im betreuten Wohnen sowie in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Der vorliegende Abschlussbericht beschreibt die Methodik und zentralen Ergebnisse der 2. Welle des Teilhabesurveys, stellt die Befunde aus den im Rahmen des Forschungsvorhabens durchgeführten qualitativen Interviews vor und verknüpft diese mit den quantitativen Beratungsergebnissen.

Mit Übernahme der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist auch die Aufgabe verbunden, Informationen und Daten zu sammeln, die dokumentieren, wie diese Anforderungen umgesetzt sind und welche Hindernisse es bei ihrer Verwirklichung gibt (Art. 31 Abs. 1 UN-BRK). Die Bundesregierung ist damit auch zur Berichterstattung über die Lage von Menschen mit Behinderungen verpflichtet. Mit dem Teilhabesurvey ist die Datenlage u. a. zu folgenden Fragen ausgebaut werden:

  • Was kennzeichnet die Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen? Gibt es ggf. Unterschiede je nach Art der Beeinträchtigung, Lebensalter sowie Eintritt der Beeinträchtigung?
  • Welche Chancen haben Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben?
  • Welche Bedingungen unterstützen Selbstbestimmung und Teilhabe, welche Bedingungen sind dafür hinderlich?
  • Welche Unterstützung benötigen Menschen/Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in verschiedenen Lebensbereichen und Lebensphasen, um ihre Teilhabemöglichkeiten zu erweitern?

Zum Forschungsdesign

Die Konzeption der Wiederholungsbefragung schließt an die Methodik der Repräsentativbefragung in den Jahren 2018 bis 2020 an:

  • Auf der Basis einer Stichprobe von Einwohnermeldeadressen aus 250 Gemeinden wurden zufällig rund 300.000 Haushalte gezogen und vorbefragt. Neben soziodemografischen Merkmalen wurden auch Angaben zu unterschiedlichen, länger andauernden Beeinträchtigungen bzw. Erkrankungen der Haushaltsmitglieder erbeten.
  • Befragung von Menschen mit Beeinträchtigungen in Privathaushalten: Auf Grundlage des Screenings wurde eine geschichtete Zufallsstichprobe für die Haupterhebung gezogen. Unter Nutzung eines Mixed-Mode-Ansatzes von Befragungen wurde ermittelt, in welcher Weise die Personen an verschiedenen Lebensbereichen teilhaben. Insgesamt wurden rund 16.000 Interviews mit Menschen mit Beeinträchtigungen ab 16 Jahren in Privathaushalten realisiert.
  • Befragung von Menschen ohne Beeinträchtigungen in Privathaushalten: Das Screening bildete zudem die Basis einer Stichprobe von Personen ohne Beeinträchtigungen ab 16 Jahren, die zu vergleichenden Zwecken mit einem in großen Teilen identischen Fragebogen befragt wurden. Dies sollte Hinweise darauf geben, welchen Einfluss Beeinträchtigungen auf die Lebenslage, Teilhabesituation und Möglichkeiten der Lebensführung haben. Insgesamt wurden 6.000 Interviews mit Menschen ohne Beeinträchtigungen in Privathaushalten geführt.
  • Befragung von Bewohnerinnen und Bewohnern in besonderen Wohnformen und sonstigen Einrichtungen: Auf Basis einer Liste von 22.806 Wohnformen und Einrichtungen in Deutschland (Auswahlgesamtheit) und einer Vorbefragung in den Wohnformen und Einrichtungen wurde eine geschichtete Zufallsstichprobe von 1.000 Wohnformen sowie sonstigen Einrichtungen in 300 Gemeinden gezogen. Im Ergebnis konnten 3.354 Menschen aus 327 Wohnformen und Einrichtungen befragt werden.
  • Vertiefende qualitative Interviews: Ergänzend zu den standardisierten Befragungen wurden problemzentrierte und biografisch-narrative Interviews geführt, die einen tieferen Einblick in die Lebenssituation der befragten Personen ermöglichen.

Insgesamt wurden in der 1. Welle rund 19.000 Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen sowie rund 6.000 Menschen ohne Beeinträchtigungen befragt. Damit war eine solide Grundlage geschaffen worden für eine Verstetigung dieser Studie in Form einer längsschnittlichen Erhebung, also der Einrichtung einer Panelstudie (Wiederholungs-befragung).

Neue Module in der 2. Welle

Für die Befragung der zweiten Erhebungswelle wurden drei neue Module entwickelt: Freizügigkeit und Wahl des Wohnortes, Zugang zu Bildung und lebenslangem Lernen sowie Sicherung der Freiheit, Schutz vor Gewalt, Schutz der Unversehrtheit und Sicherheit. Eine qualitative Teilstudie ergänzt die quantitativen Befragungen mit offenen Interviews, in denen Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen ihre individuellen Erfahrungen ausführlich schildern.

Freizügigkeit: Insgesamt weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass es für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen – sowohl in Privathaushalten als auch in Wohnformen und Einrichtungen – einige Barrieren bei der freien Wahl ihres Wohnorts, ihrer Wohnung oder einer bestimmten Wohnform gibt, und dies deutlich häufiger als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen und Behinderungen. Zu häufig fehlen ökonomische Ressourcen, die nötige Unterstützung oder ein entsprechendes Angebot, um die eigenen Wünsche zu realisieren.

Sicherheit: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Menschen mit Behinderungen insgesamt deutlich häufiger mit Diskriminierung in Berührung kommen als Menschen mit Beeinträchtigungen und vor allem Menschen ohne Beeinträchtigungen. Eine Ausnahme stellen Menschen dar, die in Alten- und Pflegeeinrichtungen leben. Gewalterfahrungen werden dort insgesamt seltener berichtet, jedoch sind auch dort jeweils Menschen mit Behinderungen häufiger betroffen.

Bildung: Zusammengefasst zeigt sich, dass Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen, wie auch Menschen ohne Beeinträchtigungen, regelmäßig informellen Bildungsaktivitäten, wie etwa dem Lesen von Büchern oder Zeitschriften oder dem Hören von Podcasts nachgehen. Der Zugang zu Bildungsaktivitäten im digitalen Raum gestaltet sich für viele Personen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen noch schwierig, während sich dieser Lernort unter Personen ohne Beeinträchtigungen schon fest etablieren konnte.

Vor dem Hintergrund der notwendigen Unterstützung des „Vierten Teilhabeberichtes der Bundesregierung“ wurde infas durch das BMAS gebeten, die breite Auswertung der Befragungsdaten der zweiten Welle des Teilhabesurveys im Wesentlichen dem „Vierten Teilhabebericht“ zu überlassen und dies nicht selbst im eigenen – dem vorliegenden – Abschlussbericht vorzunehmen.

Seit Januar 2025 sind die Daten der ersten Erhebungswelle für die Wissenschaft nutzbar. Interessierte Forschende können einen Zugang zum Datensatz über das Forschungsdatenzentrum der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (FDZ-BAuA) beantragen.

Zum Abschlussbericht Teilhabesurvey 2. Welle

(Quellen: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft, Institut der deutschen Wirtschaft Köln)


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