09.07.2024 Politik
Anhörung zu einem Lotsenkonzept für die Reintegration in das Erwerbsleben
Am 1. Juli 2024 erfolgte im Deutschen Bundestag die Anhörung zu einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Reintegration in das Erwerbsleben verbessern – Durch Lotsen positive Effekte für den Arbeitsmarkt und die Sozialversicherungen nutzen“. Das Ziel einer verbesserten Wiedereingliederung von schwer Erkrankten durch ein individuelles Fallmanagement wurde dabei einerseits begrüßt, andererseits haben Sachverständige Fragen zur Organisation eines solchen Angebots aufgeworfen.
Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion (Bundestags-Drucksache 20/9738) fordert die Bundesregierung auf, „die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung zu verbessern und dadurch die Anzahl der Menschen zu verringern, die auf eine Erwerbsminderungsrente angewiesen sind“. Besonders verbesserungsbedürftig sei die Situation bei erkrankten Erwerbstätigen mit hohen Behandlungsbedarfen. Parallellaufende Maßnahmen oder Maßnahmen bei unterschiedlichen Leistungserbringern müssen nahtlos ineinandergreifen. Im „Dschungel verschiedenster Behandlungsmöglichkeiten und Beteiligter“ fehle jedoch eine Stelle, von welcher Maßnahmen und Prozesse gezielt koordiniert und gebündelt werden. Gefordert wird die Schaffung eines individuellen Fallmanagements in Form eines Lotsen zur zielgenauen Unterstützung von Erkrankten mit komplexen Versorgungssituationen zu Lasten der Gesetzlichen Rentenversicherung, darüber hinaus ein entsprechendes Angebot für Beamte zu Lasten der Beihilfe und für Selbstständige zu Lasten der berufsständischen Versorgungswerke. Dabei würden die Lotsen eine vermittelnde Rolle zu anderen Leistungsträgern übernehmen und die einzelnen Leistungen wie z. B. die medizinische Rehabilitation und eine Stufenweise Wiedereingliederung koordinieren.
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV), weist in ihrer schriftlichen Stellungnahme auf ihren gesetzlichen Auftrag nach dem SGB VI hin. Aufgrund der im CDU/-CSU-Antrag verwendeten Begriffe „schwer Erkrankte mit erhöhten Behandlungsbedarf“ könne auch das akutmedizinische Versorgungssystem und damit die Zuständigkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung in Erwägung gezogen werden. Mit Verweis auf das Bundesteilhabegesetz und die entsprechenden Regelungen im SGB IX sieht die DRV die Zuständigkeit für Leistungen bei den einzelnen Reha-Trägern und setzt auf Koordination und Kooperation der Reha-Träger. Grundsätzlich werde das Ziel – ein individuelles Fallmanagement zu etablieren – geteilt. Dies unterstrich in der Anhörung auch Stefan Flohr, DRV Bund, der auf bereits existierende Modellprojekte zum Fallmanagement sowie die Reha-Beratung der DRV verwies. Derzeit werde zudem ein Rahmenkonzept zur einheitlichen Durchführung des Fallmanagements von der DRV erarbeitet. Er erläuterte, dass ein Fallmanagement in der Praxis nicht ohne Mehraufwände geleistet werden könne. Eine einheitliche gesetzliche Grundlage für das Fallmanagement im SGB VI halte er für notwendig, u. a. auch als Rechtsgrundlage für den Einsatz von Haushaltsmitteln.
Weitere Sachverständige etwa der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sowie der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management äußerten dazu, dass die organisatorische Abwicklung eines Fallmanagements/ Lotsens bei der Rentenversicherung naheliegend sei, dabei aber der Aufbau von Doppelstrukturen zu vermeiden sei.
Aus Sicht der Einzelsachverständigen Prof. Dr. Katja Nebe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ist es kontraproduktiv einen trägerspezifischen Lotsen im SGB VI zu verankern, der für Fallkonstellationen zuständig sein soll, die nicht im Zuständigkeitsbereich der Rentenversicherung liegen. „Das halte ich für hochproblematisch und mit dem jetzigen Rechtssystem, speziell mit dem SGB IX, Teil 1, unvereinbar“, sagte sie. Im SGB IX sei vieles bereits ausformuliert, unterstrich Prof. Nebe. Es gelte vielmehr, die vorhandenen Instrumente, wie die koordinierenden Verfahren sowie die Verpflichtung der Leistungsträger sich untereinander abzustimmen zu stärken. Die Lotsenverantwortung läge beim jeweils zuständigen Leistungsträger. Als gutes Beispiel nannte sie die Gesetzliche Unfallversicherung, die ihre koordinierende und kooperierende Aufgabe im Rehabilitationssystem bereits gut wahrnimmt.
Der Sozialverband VdK hat in seiner Stellungnahme kritisch angemerkt, dass sich die geforderte Lotsenfunktion vor allem auf erkrankte Beschäftigte im Krankengeldbezug richtet, daher sollte geprüft werden, „ob sie tatsächlich an die Träger der Rentenversicherung angebunden werden sollten, um frühzeitig die berufliche Reintegration durch eine stufenweise Wiedereingliederung (§ 44 SGB IX) bzw. ein berufliches Eingliederungsmanagement (§ 84 Abs. 2 SGB IX) zu unterstützen“. Des Weiteren verwies der VdK darauf, dass im Koalitionsvertrag eine Stärkung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements versprochen, bisher aber noch nicht konkretisiert wurde. Der Verband forderte zudem einen Rechtsanspruch für alle Beschäftigten auf eine Stufenweise Wiedereingliederung. Vor der Einführung von Lotsen sollten zunächst die Schwachstellen im Reha-System beseitigt werden, die Lotsen erst notwendig machten.
Dr. Reinhard Göhner vom Nationalen Normenkontrollrat äußerte die Sorge, dass sich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen die Komplexität des Systems weiter erhöht. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) stellt infrage, ob ein zusätzliches Instrument zu den bereits vorhandenen Strukturen sinnvoll sei oder es nicht besser wäre, an bestehenden Modellen, die es bei den Trägern der DRV bereits gebe, anzusetzen und diese auszubauen.
Der Antrag, ein Bericht sowie das Video und Stellungnahmen zur Anhörung sind auf der Internetseite des Deutschen Bundestags abrufbar:
Anhörung zu einem Lotsenkonzept
(Quelle: Deutscher Bundestag)
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