28.10.2022 Rechtsprechung

BSG: Begleitung durch Vertrauensperson bei Untersuchung durch medizinischen Sachverständigen grundsätzlich zulässig

Grundsätzlich steht es zu Begutachtenden frei, zu einer Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen eine Vertrauensperson mitzunehmen. Der Ausschluss der Vertrauensperson ist möglich, wenn er im Einzelfall zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen, wirksamen Rechtspflege erforderlich ist, insbesondere mit Blick auf eine unverfälschte Beweiserhebung. Dies hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts am 27. Oktober 2022 entschieden (Aktenzeichen B 9 SB 1/20 R).

Der Kläger wendete sich gegen die Herabsetzung des bei ihm ursprünglich festgestellten Grades der Behinderung von 50 auf 30. Bei der Anamnese und der Untersuchung durch einen Orthopäden wollte er seine Tochter oder seinen Sohn dabeihaben. Daraufhin beantragte der Sachverständige seine Entpflichtung, weil die Anwesenheit Dritter in gutachtlichen Untersuchungen bei ihm prinzipiell auf erhebliche Bedenken stoße. Die Erhebung objektiver Befunde werde dadurch erschwert. Der daraufhin beauftragte weitere orthopädische Sachverständige lehnte die Untersuchung des Klägers ebenfalls ab, weil durch die vom Kläger verlangte Anwesenheit seines Sohnes eine Zeugenungleichheit entstehe. Nachdem der Kläger seinerseits eine Begutachtung ohne Anwesenheit einer Begleitperson ablehnte, hat das SG die Beweisanordnung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Gestaltung der Untersuchung unterliege der Fachkompetenz des Sachverständigen. Auch das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und einen Anspruch auf die Anwesenheit seiner Tochter oder seines Sohnes als Vertrauensperson während der medizinischen Untersuchung ausgeschlossen.

Das Bundessozialgericht hat nun entschieden, dass es einer/einem zu Begutachtenden im Grundsatz freisteht, eine Vertrauensperson zu einer Untersuchung mitzunehmen. Dies folgt aus Sicht des BSG für prozessbevollmächtigte erwachsene Familienangehörige aus § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und für sonstige nahestehende Personen als Beistand aus § 73 Abs. 7 Satz 3 SGG. Das Gericht könne jedoch den Ausschluss der Vertrauensperson anordnen, wenn ihre Anwesenheit im Einzelfall eine geordnete, effektive oder unverfälschte Beweiserhebung erschwere oder verhindere. Differenzierungen zum Beispiel nach der Beziehung des Beteiligten zur Begleitperson, dem medizinischen Fachgebiet oder unterschiedlichen Phasen der Begutachtung sind in Betracht zu ziehen.

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG. Das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes. Danach muss das Gericht die in Betracht kommenden Erkenntnisquellen ausschöpfen, sofern es den Sachverhalt für nicht ausreichend aufgeklärt hält. Ob das LSG zu Recht von einer Begutachtung des Klägers abgesehen hat, weil dieser die Anwesenheit einer Vertrauensperson verlangt hat, könne anhand der Feststellungen des LSG nicht abschließend beurteilt werden.

Zum Terminbericht des BSG

(Quelle: Bundessozialgericht)


Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.

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