15.03.2023 Rechtsprechung

BSG zur Definition einer außergewöhnlichen Gehbehinderung

In zwei Entscheidungen vom März 2023 hat der 9. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) eine Haltung gestützt: Die Gehunfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum ist maßgeblich für die Nutzung von Behindertenparkplätzen. Dabei steht die Gehfähigkeit ausschließlich in einer vertrauten Umgebung der Zuerkennung des Merkzeichens aG und damit der Nutzung von Behindertenparkplätzen nicht entgegen (Az. B 9 SB 1/22 R; Az. B 9 SB 8/21 R).

Das BSG hat am 9. März 2023 entschieden, dass für die Zuerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) und damit die Nutzung von Behindertenparkplätzen die Gehfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum entscheidend ist. Kann der schwerbehinderte Mensch sich dort dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen, steht ihm das Merkzeichen aG zu (wenn auch die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind). Eine bessere Gehfähigkeit in anderen Lebenslagen, etwa unter idealen räumlichen Bedingungen oder allein in vertrauter Umgebung und Situation, ist für dessen Zuerkennung grundsätzlich ohne Bedeutung.

Gehfähigkeit in unbekannter Umgebung

Im zuerst verhandelten Fall (Aktenzeichen B 9 SB 1/22 R) hat der Kläger unter anderem eine fortschreitende Muskelschwunderkrankung mit Verlust von Gang- und Standstabilität. Zwar ist ihm das Gehen auf einem Krankenhausflur möglich. Eine freie Gehfähigkeit ohne Selbstverletzungsgefahr im öffentlichen Verkehrsraum mit Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten besteht aber nicht mehr. Das BSG hat in diesem Fall die erste Voraussetzung für das Merkzeichen aG, eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, als erfüllt angesehen. Da das BSG nicht abschließend entscheiden konnte, ob auch die zweite Voraussetzung erfüllt ist, wonach gerade die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 entsprechen muss, wurde der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Kläger des zweiten Verfahrens (Aktenzeichen B 9 SB 8/21 R) kann infolge einer globalen Entwicklungsstörung nur in vertrauten Situationen im schulischen oder häuslichen Bereich frei gehen, nicht jedoch in unbekannter Umgebung. Das BSG hat entschieden, dass dem Kläger das Merkzeichen aG zusteht. Der auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in die Gesellschaft gerichtete Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts umfasse gerade auch das Aufsuchen veränderlicher und vollkommen unbekannter Einrichtungen des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die Gehfähigkeit ausschließlich in einer vertrauten Umgebung stehe der Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht entgegen. Die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung des Klägers entspricht auch einem GdB von 80.

(Quelle: Bundessozialgericht)


Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.

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