07.03.2023 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Deutscher Behindertenrat zur zukünftigen Kinder- und Jugendhilfe

In einer aktuellen Stellungnahme hat sich der Deutsche Behindertenrat (DBR) zur Reform des SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe – positioniert. Der DBR spricht sich u. a. dafür aus, einen neuen Leistungstatbestand „Leistungen zur Teilhabe und Erziehung“ einzuführen, der die bisherigen Ansprüche auf Eingliederungshilfe und Hilfen zur Erziehung umfasst.

Ziel der Reform des SGB VIII ist eine „inklusive Kinder- und Jugendhilfe“, also die Alleinzuständigkeit des SGB VIII für alle jungen Menschen mit und ohne Behinderungen. Bisher sind die Zuständigkeiten geteilt: Während die Leistungen für Kinder und Jugendliche mit geistiger, körperlicher, und/oder Sinnesbehinderungen in der Verantwortung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX liegen, ist die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung zuständig. Die Reform an sich ist unter den Beteiligten unstrittig. Wie allerdings die Zusammenführung am besten umzusetzen ist, darüber wird diskutiert. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) hat zu der 2. Sitzung der AG „Inklusives SGB VIII“ am 14. Februar 2023 ein Arbeitspapier vorgelegt und Verbände zur Stellungnahme eingeladen.

Nur eine Zusammenführung der Eingliederungshilfe für alle Kinder und Jugendlichen mit (drohender) Behinderung unabhängig von der Art der Beeinträchtigung unter dem Dach des SGB VIII werde dem Inklusionsgedanken gerecht, so der DBR. Im Arbeitspapier des BMFSFJ wird diese Möglichkeit als eine von dreien vorgeschlagen („Option 2“). Im Tatbestand des neuen Rechtsanspruches werden abhängig vom Bedarf zwei unter-schiedliche Leistungsvoraussetzungen benannt. „Der einheitliche Rechtsanspruch bildet insofern nur das ‚Dach‘ über zwei alternative Tatbestandsvoraussetzungen mit alternativen Rechtsfolgen“, heißt es in dem Papier. Der DBR ergänzt, dass der Wortlaut einer solchen Norm sicherstellen müsse, dass beide Bedarfe sowohl alternativ als auch in Kombination denkbar seien und sich nicht gegenseitig ausschließen dürften. Er betont, dass die bestehenden Regelungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts des SGB IX Teil 1 nicht in Frage gestellt werden dürften. Junge Menschen mit Behinderungen würden auch künftig zusätzlich zu den Leistungen des SGB VIII weitere Teilhabeleistungen anderer Rehabilitationsträger sowie ggf. auch Pflegeleistungen benötigen. Um die Einheitlichkeit der Hilfeplanung zu verdeutlichen, sei zu erwägen, die Vorschriften zur Bedarfsermittlung und Hilfeplanung (§§ 36 ff. SGB VIII – Dritter Unterabschnitt) den Regelungen des neuen Leistungstatbestandes voranzustellen.

„Zielgerichtet unterstützen“

Der Behinderungsbegriff in § 35a SGB VIII sei zwingend aufzugeben und einheitlich der Behinderungsbegriff des § 2 SGB IX bzw. § 7 SGB VIII zugrunde zu legen: Im Sinne des bio-psycho-sozialen Modells der WHO und der UN-Behindertenrechtskonvention wird Behinderung als Ergebnis der Wechselwirkung von Beeinträchtigung und Umweltfaktoren, die zu Teilhabeeinschränkungen führen, verstanden. Der DBR lehnt die Wesentlichkeit einer Behinderung als Anspruchsvoraussetzung für Leistungen der Eingliederungshilfe § 99 Absatz 1 SGB IX als Tatbestandsvoraussetzung ab: „Streicht man das Wesentlichkeitskriterium, dann erspart man den jungen Menschen an dieser Stelle langwierige Begutachtungsverfahren und kann viel schneller und zielgerichteter unterstützen.“ Weitere Anspruchsvoraussetzungen dürften nicht eingeführt werden.

Als Anspruchsinhaber sieht der DBR sowohl Kinder und Jugendliche als auch Eltern. „Ein Sowohl-als-auch-Rechtsanspruch von Eltern sowie Kindern und Jugendlichen kann gerade bei komplexen Bedarfslagen (z. B. Kind psychisch erkrankter Eltern, Kind von Eltern mit geistiger Beeinträchtigung, Pflegekind mit Beeinträchtigungen) sinnvoll sein. Das Verhältnis der beiden Ansprüche muss sodann zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gesetzlich festgelegt werden.“ Bei einer Zusammenführung der Leistungen im SGB VIII müssten alle Leistungen und individuellen Ansprüche, die heute für Kinder und Jugendliche mit (drohender) Behinderung zur Verfügung stehen, sowie alle bestehenden Leistungen des jetzigen Kinder- und Jugendhilferechts mindestens im bisher gewährten Umfang erhalten bleiben; bei der Ausgestaltung und Verortung des Persönlichen Budgets in der Kinder- und Jugendhilfe sieht der DBR noch Klärungsbedarf.

Die Ausführungen des DBR stellen eine gemeinsame Stellungnahme insbesondere der über den DBR am Beteiligungsprozess des BMFSFJ vertretenen Verbände dar. Dies sind die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, der Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e. V., der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V., die Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband, die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V., der Sozialverband Deutschland und der Sozialverband VdK.

Zur Stellungnahme des DBR

(Quelle: Sozialverband VdK/Deutscher Behindertenrat)


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