05.07.2024 Sonstige Veröffentlichungen

Fernsehbeitrag zum selbstbestimmten Wohnen

Was ist „unzumutbar“? Ein TV-Beitrag des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) veranschaulicht, was es bedeuten kann, wenn Menschen mit Behinderung gegen ihren Willen in einer sogenannten „besonderen Wohnform“ untergebracht werden sollen, weil Kostenträger das individuelle Wohnen mit Assistenz nicht tragen.

Wenn Menschen mit einer Behinderung in den eigenen vier Wänden leben wollen, benötigen sie ggf. Unterstützung durch Assistenzpersonen. Im Fall von Anika L. lehnte die Behörde in Sachsen-Anhalt eine Übernahme der Kosten für die Assistenz ab – eine kostengünstigere Unterbringung in einer besonderen Wohnform sei zumutbar. Das Sozialministerium Sachsen-Anhalt dazu: „Kann die Leistung zur Betreuung einer Person auch im stationären Umfeld erbracht werden, so ist vor dem Hintergrund des Haushaltsgrundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auch nur die Höhe dieser Leistung zu zahlen.“

Der Sender hat mit Prof. Felix Welti von der Universität Kassel gesprochen, der auf die UN-Behindertenrechtskonvention und das Bundesteilhabegesetz verweist: „In § 104 SGB IX ist klar geregelt, dass es unzumutbar ist, in einem Heim zu leben, wenn man das nicht will, und dass bei einer solchen Unzumutbarkeit auch kein Kostenvergleich stattfindet – d. h. der Träger der Eingliederungshilfe kann sich dann nicht darauf berufen, dass es teurer ist, sondern er muss diese Kosten auch übernehmen.“

Wörtlich heißt es im Gesetz:

§ 104 Leistungen nach der Besonderheit des Einzelfalles

(1) Die Leistungen der Eingliederungshilfe bestimmen sich nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Bedarfes, den persönlichen Verhältnissen, dem Sozialraum und den eigenen Kräften und Mitteln; dabei ist auch die Wohnform zu würdigen. Sie werden so lange geleistet, wie die Teilhabeziele nach Maßgabe des Gesamtplanes (§ 121) erreichbar sind.

(2) Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, ist zu entsprechen, soweit sie angemessen sind. Die Wünsche der Leistungsberechtigten gelten nicht als angemessen,

  1. wenn und soweit die Höhe der Kosten der gewünschten Leistung die Höhe der Kosten für eine vergleichbare Leistung von Leistungserbringern, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht, unverhältnismäßig übersteigt und
  2. wenn der Bedarf nach der Besonderheit des Einzelfalles durch die vergleichbare Leistung gedeckt werden kann.

(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 2 ist zunächst die Zumutbarkeit einer von den Wünschen des Leistungsberechtigten abweichenden Leistung zu prüfen. Dabei sind die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände einschließlich der gewünschten Wohnform angemessen zu berücksichtigen. Kommt danach ein Wohnen außerhalb von besonderen Wohnformen in Betracht, ist dieser Wohnform der Vorzug zu geben, wenn dies von der leistungsberechtigten Person gewünscht wird. Soweit die leistungsberechtigte Person dies wünscht, sind in diesem Fall die im Zusammenhang mit dem Wohnen stehenden Assistenzleistungen nach § 113 Absatz 2 Nummer 2 im Bereich der Gestaltung sozialer Beziehungen und der persönlichen Lebensplanung nicht gemeinsam zu erbringen nach § 116 Absatz 2 Nummer 1. Bei Unzumutbarkeit einer abweichenden Leistungsgestaltung ist ein Kostenvergleich nicht vorzunehmen.

Auf schriftliche Anfrage des MDR an die Sozialministerien und Behindertenbeauftragten der Länder antworteten 13 Bundesländer, Fälle wie der von Anika L. seien ihnen nicht bekannt.

Der Fall war Gegenstand einer Petition und landete schließlich vor dem Sozialgericht Magdeburg.

Zum Beitrag in der Mediathek der ARD

(Quelle: Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland/Mitteldeutscher Rundfunk)


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