14.11.2023 Politik

Öffentliche Anhörung im Bundestag zum Thema Barrierefreiheit

Gesetzliche Regelungen und Übergangsfristen statt Freiwilligkeit und Aktionspläne: Während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“ (Drucksache 20/4676) am 13. November 2023 haben sich Expertinnen und Experten für mehr Verbindlichkeit bei der Umsetzung von Barrierefreiheit ausgesprochen.

Christiane Möller vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband sagte, das Prinzip der Freiwilligkeit habe „jahrzehntelang“ nicht funktioniert. Es müsse also über gesetzliche Regelungen „mit angemessenen Übergangsfristen“ gesprochen werden. Das Vorhandensein und die Nutzbarkeit einer barrierefreien Infrastruktur oder barrierefreier Produkte und Dienstleistungen sei entscheidend für die Frage: „Bin ich drin oder bin ich draußen in dieser Gesellschaft.“

Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen

Auf den vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) angestoßenen „Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen“ ging Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, ein. Sie kritisierte, dass die Beteilung von Menschen mit Behinderungen an dem Prozess sehr beschränkt sei und sich das Vorhaben des BMG nur auf bestimmte Bereiche beschränke. Es habe zudem schon viele Aktionspläne gegeben, obwohl es eigentlich darum gehen müsse, „dass alle Gesetze im Bereich des BMG dafür sorgen müssen, dass Barrierefreiheit sichergestellt ist“.

Volker Sieger von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See erwartet noch in dieser Legislaturperiode „eine große Barrierefreiheitsreform“, ähnlich wie es im Koalitionsvertrag festgelegt sei. Zentrales Element dessen müssten Verpflichtungen der Privatwirtschaft sein. „Ohne eine Barrierefreiheit bei Dienstleistungen und bei Produkten wird es keine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geben“, sagte er.

Barrierefreiheit im ÖPNV

Die derzeitige Möglichkeit, von der Umsetzungsfrist für eine vollständige Barrierefreiheit des ÖPNV abweichen zu können, ist nach Auffassung von Irene Vorholz vom Deutschen Landkreistag wichtig und sollte fortbestehen. In der Praxis lägen nach wie vor unverändert vielfach die Ausnahmetatbestände vor. Es sei von den Landkreisen als Trägern des ÖPNV nicht beeinflussbar, dass beispielsweise alle Haltestellen barrierefrei sind. Dies werde von anderen Trägern verantwortet.

Hartmut Reinberg-Schüller vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) forderte eine stärkere Bewusstseinsbildung aller Beteiligten bei Planungen und Umsetzung von baulichen Maßnahmen zur Barrierefreiheit. Schaue man heute auf teilweise ausgebaute barrierefreie Haltestellen sehe man, „dass dann das ein oder andere eben nicht barrierefrei ist“. Es mangle oft am Erfassen des Systems Barrierefreiheit, sagte er.

Regelungen im deutschen Recht

Der Einzelsachverständige Daniel Hlava, Professor für Gesundheits- und Sozialrecht an der Frankfurt University of Applied Sciences, verwies darauf, dass bereits heute die Versagung von angemessenen Vorkehrungen zum Teil als eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotene Diskriminierung angesehen werde. Eine ausdrückliche dahingehende Regelung im AGG wäre sehr zu begrüßen, befand er. Einer Übergangsfrist bedürfe es hingegen nicht. Es gehe schließlich darum, im Einzelfall geeignete Maßnahmen zu suchen und zu ergreifen, damit Menschen mit Behinderung die Überwindung noch bestehender Barrieren ermöglicht werde.

Eine inklusive Gesellschaft entstehe nicht von selbst, heißt es in der Stellungnahme des Einzelsachverständigen Eberhard Eichenhofer. Sie entstehe vor allem dann nicht, „wenn die bestehende Gesellschaft einzelne wie Gruppen wegen ihres Geschlechts, Alters, einer Behinderung, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung tatsächlich die rechtlich gebotene Gleichbehandlung vorenthält“. Die Stellung von Menschen mit einer Behinderung müsse daher im Zeichen von Inklusion verbessert werden. Die Aufnahme des Begriffs „angemessene Vorkehrungen“ in das deutsche Recht würde aus seiner Sicht dazu entscheidend beitragen.

Die Aufzeichnung der Anhörung vom 13. November 2023 ist abrufbar auf der Website des Deutschen Bundestages

(Quelle: Deutscher Bundestag)


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