11.10.2022 Verwaltung, Verbände, Organisationen

Teilhabechancen erhalten: DBSV lehnt Vollakademisierung des Berufsfelds Physiotherapie ab

Die Physiotherapie ist das wichtigste Berufsfeld für blinde und sehbehinderte Menschen ohne Abitur, schreibt der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und schlägt Alarm: Laut Plänen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) sollen Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten nur noch an Hochschulen ausgebildet werden. Dies würde einen Großteil der blinden und sehbehinderten Menschen, die heute für eine Ausbildung in der Physiotherapie in Frage kommen, zukünftig davon ausschließen.

Das BMG hat im Jahr 2021 ein Konsultationsverfahren zur Reform der Ausbildungen in den Gesundheitsfachberufen durchgeführt. Für eine Notwendigkeit zur Akademisierung der Physiotherapie haben sich viele Berufsverbände ausgesprochen, die großteils auch im „Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen“ vertreten sind. Ziel sei eine Transformation zu einer wissenschaftlich fundierten Physiotherapie-Ausbildung, um den Herausforderungen des demographischen Wandels und des Krankheitsspektrums zu begegnen sowie die Fachexpertise weiterzuentwickeln.

Der DBSV führt an, dass blinde und sehbehinderte Menschen aufgrund ihrer Behinderung viele Berufe nicht ausüben können. Umso wichtiger seien die Berufsfelder, in denen sie seit Jahrzehnten erfolgreich tätig sind – wie die Physiotherapie. Hier sei ihre Expertise anerkannt und werde von Patientinnen und Patienten geschätzt.

Unter den blinden und sehbehinderten Menschen, die im Bereich der medizinisch-therapeutischen Berufe arbeiten, habe kaum jemand Abitur. Etwa die Hälfte dieser Personen war vor Eintritt der Seheinschränkung in einem Beruf tätig, den sie aufgeben mussten. Sie erwarben ihre physiotherapeutische Qualifikation im Rahmen einer beruflichen Reha-Maßnahme. Sollte die vom BMG geplante Reform umgesetzt werden, könne dieser Personenkreis nicht mehr Physiotherapeutin bzw. Physiotherapeut werden, wenn ein Studium von den Kostenträgern nicht als Rehabilitationsleistung unterstützt wird.

Arbeitslosigkeit sei bereits jetzt ein riesiges Problem unter blinden und sehbehinderten Menschen, schreibt der DBSV weiter. Im Bereich der Physiotherapie läge die Vermittlungsquote aber bei nahezu 100 Prozent. Auch aufgrund der alternden Gesellschaft in Deutschland sei mit einem wachsenden Bedarf an Fachkräften zu rechnen.

Der DBSV lehnt eine Vollakademisierung des Berufsfelds Physiotherapie ab und fordert,

  • die beiden Berufe „Masseur und medizinischer Bademeister bzw. Masseurin und medizinische Bademeisterin“ und „Physiotherapeutin bzw. Physio­therapeut“ auch bei einer Reform uneingeschränkt in ihrer Eigenständigkeit zu erhalten,
  • für die beiden Berufe eine grundständige Ausbildung in Berufsfachschulen als Regel zu erhalten; akademische Ausbildungsgänge für diesen Beruf dürfen nur ergänzend für herausgehobene Tätigkeiten angeboten werden,
  • den uneingeschränkten Zugang für blinde und sehbehinderte Menschen abzusichern, wenn ergänzend die Möglichkeit einer akademisierten Ausbildung geschaffen wird,
  • dass Blinde und sehbehinderte Menschen weiterhin die uneingeschränkte Erlaubnis für die Ausübung beider Berufe erwerben können und die entsprechende Berufsbezeichnung führen dürfen.

Hintergrundinformationen hat der DBSV unter folgendem Link veröffentlicht: Ausbildung im Berufsfeld Physiotherapie

Auch der Paritätische Gesamtverband hat sich in einer Stellungnahme kritisch zu den Plänen einer Vollakademisierung der Physiotherapie-Ausbildung geäußert. Die im akademischen Kontext vermittelten Inhalte seien nur für einen kleinen Teil der Berufsgruppe notwendig. Es lasse sich damit nicht rechtfertigen, einen beträchtlich größeren Personenkreis, d. h. alle Personen mit Haupt- und Realschulabschluss, von der Physiotherapie-Ausbildung auszuschließen. Der Verband spricht sich  für eine Attraktivitätssteigerung des Berufsbildes durch umfassende Reformen, wie z. B. der Vergütungsstruktur aus: Dokumente und Stellungnahmen auf der Seite des Paritätischen.

Zu den Positionen des Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen

(Quelle: Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband, Der Paritätische, Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen)


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