08.06.2022 Internationales

UN-Fachausschuss rügt finnische Behörden wegen Vorenthaltung Persönlicher Assistenz

Das Bochumer Zentrum für Disability Studies (BODYS) weist auf eine Entscheidung des UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hin, in der eine finnische Rechtsvorschrift als „ableistisch“ bewertet wurde, also als Diskriminierung aufgrund einer Beeinträchtigung bzw. Behinderung. Den finnischen Behörden wurde neben einer Entschädigung empfohlen, den Antrag der behinderten Person auf Persönliche Assistenz erneut zu prüfen, sowie die nationale Regelung zu ändern, um zukünftig ähnliche Verstöße zu verhindern und die Anwendung der Rechtsvorschriften frei von mittelbarer Diskriminierung sicherzustellen.

Der Beschwerdeführer hatte im Januar 2014 Assistenzbedarf beantragt, um selbstbestimmt in eigener Wohnung leben zu können. Die finnischen Behörden bewilligten ihm im Oktober 2015 zwar persönliche Assistenz, aber nicht im beantragten Umfang. Diese wurde ausschließlich für den außerhäuslichen Bereich gewährt; für den häuslichen Bereich wurde der Antrag auf Persönliche Assistenz abgelehnt. Dagegen wehrte sich der Antragsteller, bis eineinhalb Jahre später die Klage endgültig vom Obersten Gerichtshof Finnlands abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde stets auf das finnische „Behindertenhilfegesetz“ (Disability Services Act (DSA)) verwiesen, nach dem derjenige, der eine Persönliche Assistenz beanspruchen möchte, in der Lage sein muss, den Inhalt der Unterstützung sowie Art und Weise ihrer Umsetzung selbst zu bestimmen. Diese Fähigkeit könne beim Antragsteller nicht erkannt werden. In der Konsequenz musste der Beschwerdeführer zurück zu seinen Eltern ziehen. In einer Wohngruppe könne er nicht untergebracht werden, da dies seiner Gesundheit abträglich wäre.

Nach erfolgloser Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs meldete der Antragsteller seinen Fall dem UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD). Aufgabe des Ausschusses ist die Umsetzung der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UNCRPD) zu überwachen.

Im März 2022 beschloss der UN-Fachausschuss, dass das Argument für die Ablehnung einer Persönlichen Assistenz im häuslichen Bereich – eine Unfähigkeit zur Wahl – ableistisch sei. Der Antragsteller sei durch die ablehnende Entscheidung seinem Recht auf ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft beraubt. Darüber hinaus sei es den Behörden nicht gelungen, schlüssig zu erklären, weshalb der Antragsteller die Fähigkeit zur Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Persönlichen Assistenz im außerhäuslichen, nicht aber für den häuslichen Bereich besessen habe. Der Vertragsstaat Finnland verletze damit Artikel 5 (Recht auf Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung) und 19 (Recht auf selbstbestimmtes Leben) der UN-Behindertenrechtskonvention. Finnland erhielt die Empfehlung, den Antrag auf Persönliche Assistenz zu überdenken, eine Entschädigung zu zahlen und seine Rechtsvorschriften zu ändern.

Das European Network of Independent Living ENIL berichtete ausführlich über den Fall, eine deutsche Übersetzung stellt BODYS zur Verfügung.

Zur BODYS Meldung vom 05.06.2022

Vollständiger Beschluss CRPD/C/26/D/46/2018 (englisch)

Zum Nachschlagen: „Ableismus“ im Wörterbuch der Teilhabe

(Quellen: European Network of Independent Living, Bochumer Zentrum für Disability Studies)


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