28.09.2022 Rechtsprechung

Verfassungsbeschwerde nach Einstellung eines Verfahrens wegen sexueller Belästigung  

Eine Frau mit Behinderungen ist am 26. September 2022 vor den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gezogen (Az. VerfGH 80/22). Die Beschwerdeführerin wehrt sich dagegen, dass die Berliner Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen sexueller Gewalt eingestellt hat mit der Begründung, sie sei nicht fähig eine Aussage zu machen.

Die 26-jährige Berlinerin hat Verfassungsbeschwerde beim Landesverfassungs­gerichtshof Berlin eingelegt, vertreten durch Professorin Dr. Theresia Degener und die Rechtsanwältinnen Ronska Grimm und Lea Beckmann. Sie hatte 2020 Anzeige erstattet und ausgesagt, dass sie von ihrem Vorgesetzten in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen sexuell belästigt worden sei. Mit der Beschwerde wehrt sie sich dagegen, dass die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beschuldigten eingestellt hat, weil sie nicht fähig sei, eine Aussage zu machen. Ihre Rechtsanwältinnen kritisieren gravierende fachliche Mängel in der Begutachtung und sehen in der fehlenden Würdigung der Aussage ihrer Mandantin und ihrer Behandlung im Ermittlungsverfahren eine strukturelle Diskriminierung gegen Frauen mit Behinderungen.

Frau M. gilt als leicht bis mittelgradig kognitiv beeinträchtigt. Im Verlauf des gesamten Ermittlungsverfahrens habe es Probleme geben, ihren behinderungsspezifischen Bedürfnissen gerecht zu werden, so beschreibt es eine vom Bochumer Zentrum für Disability Studies herausgegebene Pressemitteilung. Die Staatsanwaltschaft beauftragte ein psychologisches Gutachten. Die Gutachterin, die keine behindertenspezifische Fachkenntnis habe vorweisen können, sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Frau M. „aussageunfähig“ sei, ihre Aussage sei daher rechtlich wertlos. Obwohl ihre Rechtsanwältinnen auf offenkundige Mängel im Gutachten hinwiesen hätten, habe die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beschuldigten eingestellt.

„Die Staatsanwaltschaft hätte auf ein solches Gutachten keine Einstellung stützen dürfen“, dazu Theresia Degener, Professorin für Recht und Disability Studies und ehemaliges Mitglied des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Es fehle bei Polizei und Staatsanwaltschaft häufig an Bewusstsein und Fachwissen, um zu gewährleisten, dass behinderte Frauen denselben Zugang zum Recht erhielten. Die Rechtsanwältin Ronska Grimm ergänzt, dass das Gutachten in diskriminierender Weise erstellt worden sei und die Aufgabenstellung ihrer Mandantin nicht in einer für sie verständlichen Sprache erklärt worden sei. Hinzu kämen strukturelle Probleme im Justizsystem, so gebe es zu wenig Ressourcen, um Vernehmungen zeitnah durchzuführen. Die Anwältinnen messen dem Fall eine grundsätzliche, menschenrechtliche Bedeutung zu und übergaben ihm deshalb dem Landesverfassungsgerichtshof.

Die Verfassungsbeschwerde wird begleitet durch den bff: Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, dem Bundesnetzwerk von FrauenLesben und Mädchen mit Beeinträchtigung Weibernetz e.V. sowie dem Zentrum für Disability Studies (BODYS) an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe.

Bochumer Zentrum für Disability Studies

(Quelle: Bochumer Zentrum für Disability Studies)


Kommentare (1)

  1. Elke Baier
    Elke Baier 08.11.2022
    Ich bin völlig sprachlos!
    Wie kann es sein, dass diese Frau kein Recht hat angehört zu werden?!?! Jede Frau hat das Recht gehört zu werden und jede Frau sollte gerecht von dem Staat behandelt werden.
    Warum beauftragt die Staatsanwaltschaft eine Gutachterin ohne jegliche behindertenspezifische Fachkenntnis? Meiner Meinung nach ist einiges in diesem Fall falsch gelaufen! Das Verfahren sollte unbedingt neu aufgenommen werden und dies zu anderen und besseren Bedingungen!
    Vielleicht macht man sich auf die Suche nach weiteren Zeugen, um so die Aussage des Opfers zu unterstützen.

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