29.05.2020 A: Sozialrecht Schaumberg: Beitrag A12-2020

Leistungskoordination gemäß § 15 SGB IX bei Trägermehrheit

Der Autor Torsten Schaumberg skizziert die geänderten Regelungen zur Leistungskoordination im ersten Teil des SGB IX, die durch das Bundesteilhabegesetz 2018 in Kraft getreten sind, zeigt damit einhergehende Probleme auf und schlägt Lösungen vor. Der vorliegende Beitrag thematisiert Fragen der Koordination, wenn mehrere Träger für die Leistung verantwortlich sind.

Es handelt sich um eine aktualisierte und aufgeteilte Version des Beitrags "Leistungskoordination im SGB IX – Zuständigkeitsklärung, Genehmigungsfiktion und Teilhabeplanung". Die Erstveröffentlichung erfolgte in zwei Teilen in der Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit“ (SGb 2019, S. 142–149 und S. 206–213).

(Zitiervorschlag: Schaumberg: Leistungskoordination gemäß § 15 SGB IX bei Trägermehrheit; Beitrag A12-2020 unter www.reha-recht.de; 29.05.2020)

I. Einleitung

Im Beitrag „Zuständigkeitsklärung gemäß § 14 SGB IX – Bedarfsermittlung , Folgeanträge und Nichteinhaltung von Zuständigkeitsregelungen“[1] wurden die zeitlichen Anforderungen an die Bedarfsermittlung durch den leistenden Rehabilitationsträger thematisiert und Folge- und Verlängerungsanträge sowie die Nichteinhaltung der Regelungen nach § 14 SGB IX als ausgewählte Probleme thematisiert.

Wie leistende Rehabilitationsträger gemäß § 15 SGB IX vorgehen müssen, wenn neben den von ihnen zu erbringenden Leistungen weitere Teilhabeleistungen erforderlich sind, ist Gegenstand des vorliegenden Beitrags.

II. Leistungskoordination bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger am Verfahren vor dem BTHG

Mit § 14 Abs. 2 S. 5 und Abs. 6 enthielt auch das SGB IX vor 2018 Regelungen für den Fall, dass der leistende Rehabilitationsträger zur bedarfsgerechten Leistungsbewilligung (weitere) Teilhabeleistungen erbringen müsste, für die er aber nach §§ 5, 6 SGB IX a. F. nicht Rehabilitationsträger sein konnte. § 14 Abs. 2 S. 5 SGB IX a. F. sah insoweit vor, dass der leistende Rehabilitationsträger, der für die beantragte Leistung nicht Rehabilitationsträger nach §§ 5, 6 SGB IX a. F. sein konnte, unverzüglich mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu klären hatte, von wem und in welcher Weise über den Antrag fristgerecht entschieden wird und hierüber den Antragsteller zu unterrichten hatte. Eine ähnliche Regelung enthielt § 14 Abs. 6 SGB IX a. F. für den Fall erforderlicher weiterer Teilhabeleistungen.

III. Leistungskoordination bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger am Verfahren nach dem BTHG

§ 15 SGB IX,[2] der durch das BTHG vollständig neu gefasst wurde, regelt dieses Problem weitestgehend neu. Die Vorschrift spricht in den Absätzen 1 und 2 jeweils unterschiedliche Situationen an. § 15 Abs. 1 SGB IX betrifft den Fall, dass der leistende Rehabilitationsträger feststellt, dass der Antrag neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, für die er bereits nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann und ermöglicht, diesen Teil des Antrages an einen weiteren Rehabilitationsträger weiterzuleiten (sog. „Antragssplitting“). Demgegenüber betrifft § 15 Abs. 2 SGB IX die Situation, dass der leistende Rehabilitationsträger zwar nach §§ 5, 6 SGB IX für beantragte Teilhabeleistungen dieser Leistungsgruppe zuständig sein kann, es aber nach seinem Leistungsgesetz nicht ist.[3] Für diesen Fall gibt § 15 Abs. 2 SGB IX dem leistenden Rehabilitationsträger die Möglichkeit, weitere Rehabilitationsträger in das Rehabilitationsverfahren einzubeziehen. § 15 SGB IX ist von Amts wegen von allen Rehabilitationsträgern für alle Teilhabeleistungen zu beachten.[4] Nach § 185 Abs. 7 S. 1 SGB IX ist § 15 SGB IX sinngemäß anzuwenden, wenn beim Integrationsamt eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt wird. Liegt ein Fall des § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB IX vor, so ist nach § 19 Abs. 1 SGB IX zwingend ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen und ein Teilhabeplan aufzustellen.[5]

1. Das Antragssplitting nach § 15 Abs. 1 SGB IX

§ 15 Abs. 1 SGB IX enthält mit der Möglichkeit der – im Rehabilitationsrecht einzigartigen[6] – teilweisen Antragsweiterleitung etwas Neues. Die Vorschrift berechtigt den leistenden Rehabilitationsträger[7] dazu, den Antrag aufzuteilen und einen Teil des Antrages an einen weiteren Rehabilitationsträger weiterzuleiten.

a) Voraussetzung des Antragssplittings

Voraussetzung hierfür ist nach § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX, dass dem Antrag neben dem Leistungsbedarf, für die der leistende Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX zuständig sein kann, ein zusätzlicher Teilhabebedarf zu entnehmen ist, für die er kein Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX sein kann.

Beispiel: Die nach § 14 Abs. 2 SGB IX zuständige Bundesagentur für Arbeit bearbeitet einen Teilhabeantrag, der vordergründig auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gerichtet ist. Es stellt sich dann aber heraus, dass auch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation umfasst sind. Für diese Leistungen kann die Bundesagentur für Arbeit nach § 6 Abs. 1 SGB IX kein Rehabilitationsträger sein. Sie hat jetzt auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 SGB IX den Antrag zu „splitten“ und hierbei den Teil des Antrages, der auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gerichtet ist, an den aus ihrer Sicht zuständigen Rehabilitationsträger (z. B. an eine gesetzliche Krankenkasse) weiterzuleiten.

Mangels entsprechender gesetzlicher Anordnung in § 15 Abs. 4 SGB IX ist der gesplittete Antragsteil kein Antrag i. S. v. § 14 Abs. 1 SGB IX, so dass der Rehabilitationsträger, der den gesplitteten Antragsteil erhalten hat, kein weiteres Zuständigkeitsklärungsverfahren durchzuführen hat. Er wird aufgrund der Weiterleitung für den gesplitteten Antragsteil zuständig und muss innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 SGB IX über ihn entscheiden. Für seinen Antragsteil ist der einbezogene Rehabilitationsträger für die Einhaltung der Frist nach § 18 Abs. 1 SGB IX verantwortlich.

b) Weiterleitung auch zwei Wochen nach Antragseingang?

§ 29 Abs. 5 der GE Reha-Prozess sieht in diesem Zusammenhang vor, dass ein Fall der Beteiligung nach § 15 Abs. 1 SGB IX auch dann vorliegen soll, wenn sich nach Ablauf von zwei Wochen ab Antragseingang oder bei der Prüfung durch den zweitangegangenen Rehabilitationsträger ergibt, dass der Antrag insgesamt lediglich auf Leistungen gerichtet ist, für die der leistende Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 SGB IX nicht zuständig sein kann. In dieser Situation könnte der zweitangegangene Rehabilitationsträger also den Antrag insgesamt an einen anderen Rehabilitationsträger weiterleiten. Da der insoweit aber eindeutige Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX die Feststellung verlangt, dass der Antrag neben den nach dem Leistungsgesetz des leistenden Rehabilitationsträgers zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, für die dieser nicht Rehabilitationsträger nach §  6 Abs. 1 SGB IX sein kann, kommt im von § 29 Abs. 5 GE Reha-Prozess angesprochenen Fall nur eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 1 SGB IX in Betracht. Es dürfte an dieser Stelle bereits zweifelhaft sein, ob die für eine Analogie erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. § 14 Abs. 3 SGB IX spricht dagegen, da er zumindest für den zweitangegangenen Rehabilitationsträger eine ausdrückliche Regelung enthält. Stellt dieser nämlich fest, dass er für die beantragte Leistung insgesamt nicht zuständig ist, so kann er den Antrag nur im Einvernehmen mit dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger an diesen weiterleiten. Wird das Einvernehmen erteilt, muss der drittangegangene Rehabilitationsträger innerhalb der kurzen Fristen des § 14 Abs. 2 S. 4 SGB IX entscheiden. Eine Fristverlängerung sieht die Vorschrift nicht vor. Sie soll verhindern, dass der Antrag so weitergeleitet wird, dass eine abschließende Entscheidung innerhalb der genannten Fristen nicht gewährleistet ist.[8] Genau dies wäre aber im Hinblick auf die verlängerten Fristen des § 15 Abs. 4 SGB IX die Konsequenz. Ähnlich ist die Situation beim erstangegangenen Rehabilitationsträger, der erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 2 SGB IX feststellt, dass der Antrag lediglich auf Leistungen gerichtet ist, für die er nach § 6 Abs. 1 SGB IX nicht zuständig sein kann. Auch in diesem Fall würde eine Öffnung des § 15 Abs. 1 SGB IX zu einer nicht gerechtfertigten Verlängerung der Fristen des § 14 Abs. 2 SGB IX führen. Zudem müsste der erstangegangene Rehabilitationsträger sich nicht zwingend der strengen Zuständigkeitsprüfungsfrist des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX unterwerfen, da er zumindest im Falle der Unzuständigkeit nach § 6 Abs. 1 SGB IX immer noch die Möglichkeit der Antragsweiterleitung nach § 15 Abs. 1 SGB IX hätte. Letztlich lassen sich dem Gesetzgebungsverfahren keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber das Problem der Leistungsunzuständigkeit in § 14 SGB IX gesehen, in § 15 SGB IX aber nicht gesehen hat. Insbesondere auch vor dem das gesamte Leistungskoordinierungsrecht des SGB IX durchziehenden Grundsatz der unverzüglichen Leistung[9] erscheint eine analoge Anwendung des § 15 Abs. 1 SGB IX auf die geschilderten Fälle systemwidrig und nicht zielführend. Sie ist daher nach hier vertretener Auffassung abzulehnen.

c) Rechtsfolgen des Antragssplittings

Liegen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX vor, so ist der leistende Rehabilitationsträger verpflichtet,[10] den Antrag unverzüglich an den Rehabilitationsträger weiterzuleiten, der nach seiner Auffassung für den zusätzlichen Teilhabebedarf zuständig ist. Konkret ist § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX wie folgt formuliert:

„Stellt der leistende Rehabilitationsträger fest, dass der Antrag neben den nach seinem Leistungsgesetz zu erbringenden Leistungen weitere Leistungen zur Teilhabe umfasst, für die er nicht Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 sein kann, leitet er den Antrag insoweit unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu.“

Beim Lesen der Norm fällt auf, dass der Antrag bei festgestellten zusätzlich notwendigen Teilhabeleistungen an den und nicht etwa an die zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten ist. Hieraus könnte nunmehr der Schluss gezogen werden, dass der Antrag auch dann nur an einen Rehabilitationsträger weitergeleitet werden darf, wenn der leistende Rehabilitationsträger zusätzlich erforderliche Teilhabeleistungen festgestellt hat, die unterschiedlichen Leistungsgruppen und unterschiedlichen Rehabilitationsträgern zuzuordnen sind.

Beispiel: Eine nach § 14 SGB IX für einen Teilhabeantrag zuständig gewordene gesetzliche Krankenkasse stellt fest, dass der Antrag neben Leistungen der medizinischen Rehabilitation (für die sie zuständig ist) auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und Leistungen zur sozialen Teilhabe umfasst, für die sie nicht nach § 6 Abs. 1 SGB IX zuständig sein kann. Im Hinblick auf § 15 Abs. 1 SGB IX stellt sich die Frage, ob die Krankenkasse den Antrag an einen Rehabilitationsträger weiterleiten muss, der für beide Leistungsgruppen nach § 6 Abs. 1 SGB IX zuständig ist, oder ob auch eine Weiterleitung an zwei unterschiedliche Rehabilitationsträger mit einer Zuständigkeit nur für eine der genannten Leistungsgruppen möglich ist.

Obwohl der Wortlaut des § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX zunächst für eine Weiterleitung nur an einen Rehabilitationsträger mit Zuständigkeit für alle betroffenen zusätzlichen Teilhabeleistungen spricht, sprechen die weiteren Vorschriften dagegen. Insbesondere § 19 Abs. 1 SGB IX kann als Argument dafür, dass mehrere Rehabilitationsträger nach § 15 Abs. 1 SGB IX am Verfahren beteiligt werden können, herangezogen werden. § 19 Abs. 1 SGB IX bestimmt:

„Soweit Leistungen verschiedener Leistungsgruppen oder mehrerer Rehabilitationsträger erforderlich sind, ist der leistende Rehabilitationsträger dafür verantwortlich, dass er und die nach § 15 beteiligten Rehabilitationsträger im Benehmen miteinander und in Abstimmung mit den Leistungsberechtigten die nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen hinsichtlich Ziel, Art und Umfang funktionsbezogen feststellen und schriftlich oder elektronisch so zusammenstellen, dass sie nahtlos ineinandergreifen.“

Die Regelung spricht somit explizit eine Mehrzahl von nach § 15 SGB IX beteiligten Rehabilitationsträgern an. Gleiches gilt für die Teilhabeplankonferenz nach § 20 SGB IX. § 20 Abs. 1 S. 2 SGB IX unterscheidet zwischen den beteiligten Rehabilitationsträgern einerseits und dem nach § 19 verantwortlichen Rehabilitationsträger andererseits und spricht damit auf der Seite der in das Verfahren einbezogenen Rehabilitationsträger mehrere und nicht nur einen einzelnen Träger an.

Die Weiterleitung des Antrages hat unverzüglich zu erfolgen. Unter Rückgriff auf § 121 BGB muss der leistende Rehabilitationsträger also ohne schuldhaftes Zögern handeln. § 15 Abs. 1 S. 1 SGB IX verzichtet in diesem Zusammenhang auf eine ausdrückliche Fristbenennung, so dass dem Hinweis in § 29 Abs. 2 Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess, die Weiterleitung könne – um noch unverzüglich zu sein – regelmäßig innerhalb einer Frist von zwei Wochen erfolgen, in dieser Grundsätzlichkeit nicht zugestimmt werden kann. Ähnlich wie bei der Weiterleitung des Antrages nach § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX dürfte die Grenze der Unverzüglichkeit der Teilweiterleitung der auf die Feststellung der teilweisen Unzuständigkeit folgenden Arbeitstag sein.[11]

Nach § 15 Abs. 1 S. 2 SGB IX führt das Antragssplitting dazu, dass der Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet wurde, in eigener Zuständigkeit, d. h. eigenständig und in originärer Trägerverantwortung,[12] und nach seinem Leistungsgesetz über den Antrag entscheidet und hierüber den Antragsteller unterrichtet. Anders als in den Fällen des § 15 Abs. 2 SGB IX sieht das Gesetz in § 15 Abs. 1 S. 2 SGB IX zwei unterschiedliche Entscheidungen im Rehabilitationsverfahren vor.

2. Trägermehrheit nach § 15 Abs. 2 SGB IX

§ 15 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den leistenden Rehabilitationsträger dazu, im Falle eines von ihm festgestellten trägerübergreifenden Rehabilitationsbedarfes, andere Rehabilitationsträger am Verfahren zu beteiligen.

a) Voraussetzungen für eine Trägerbeteiligung nach § 15 Abs. 2 SGB IX

Eine Trägerbeteiligung nach § 15 Abs. 2 SGB IX setzt nach dessen Satz 1 voraus, dass der Teilhabeantrag Rehabilitationsleistungen umfasst, für die der leistende Rehabilitationsträger zwar nach § 6 Abs. 1 SGB IX zuständig sein kann, es aber nach seinem Leistungsgesetz nicht ist.[13] Die Regelung verankert das vom BSG entwickelte Prinzip der „aufgedrängten Zuständigkeit“[14] im Außenverhältnis gegenüber dem Antragsteller.[15]

Beispiel: Eine Berufsgenossenschaft wird nach § 14 Abs. 2 SGB IX für einen Leistungsantrag zuständig, der u. a. auch Leistungen zur Frühförderung nach § 46 SGB IX umfasst, die zur Leistungsgruppe der Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gehören. Da die Berufsgenossenschaft als ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 5 Nr. 1 SGB IX u. a. für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zuständig sein kann, kann sie auch für Frühförderungsleistungen zuständig sein. Leistungsgesetzlich sind aber durch § 27 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII Frühförderungsleistungen ausgeschlossen. Die Berufsgenossenschaft ist in dieser Situation aus § 15 Abs. 2 SGB IX heraus verpflichtet, von dem Rehabilitationsträger, den sie für die Frühförderungsleistungen zuständig hält, Feststellungen im Hinblick auf die Erforderlichkeit und ggf. den Umfang der beantragten Frühförderungsleistungen treffen zu lassen.

b) Rechtsfolgen der Trägerbeteiligung nach § 15 Abs. 2 SGB IX

Liegen die Voraussetzungen für eine Trägerbeteiligung nach § 15 Abs. 2 S. 1 SGB IX vor, so ist der leistende Rehabilitationsträger verpflichtet (…, fordert er von diesen Rehabilitationsträgern …),[16] die zu beteiligenden Rehabilitationsträger[17] unverzüglich aufzufordern, ihm die benötigten Feststellungen mitzuteilen und hierüber auch den Antragsteller zu informieren. Im Hinblick auf die Fristen des § 15 Abs. 2 S. 2 SGB IX erscheint es sinnvoll, die Aufforderung mit einer entsprechenden Fristsetzung zu versehen.[18] Die nach § 15 Abs. 2 SGB IX beteiligten Rehabilitationsträger können den leistenden Rehabilitationsträger an ihre Feststellungen binden. Die Bindungswirkung betrifft alle Feststellungen der beteiligten Rehabilitationsträger zur Anwendung ihrer Leistungsgesetze, die für den beteiligten Rehabilitationsträger maßgeblich sind.[19]

Eintreten kann diese Bindungswirkung nach § 15 Abs. 2 S. 3 SGB IX aber nur dann, wenn die Feststellungen zum ermittelten Rehabilitationsbedarf den leistenden Rehabilitationsträger innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Eingang der Aufforderung oder von zwei Wochen nach Vorliegen eines erforderlichen Gutachtens den leistenden Rehabilitationsträger erreichen. Anderenfalls hat der leistende Rehabilitationsträger den Rehabilitationsbedarf insgesamt nach allen in Betracht kommenden Leistungsgesetzen – also auch nach denen der beteiligten Rehabilitationsträger – unter Beachtung der Grundsätze des § 13 SGB IX zu ermitteln.[20]

3. Getrennte Leistungsbewilligung nach § 15 Abs. 3 SGB IX

Während das Antragssplitting nach § 15 Abs. 1 SGB IX generell eine getrennte Leistungsbewilligung durch die beteiligten Rehabilitationsträger vorsieht, enthält § 15 Abs. 2 SGB IX keine entsprechende Regelung für die dort beschriebene Trägerbeteiligung. Gleichwohl geht der Gesetzgeber davon aus, dass in Konsensfällen auch im Rahmen des Verfahrens nach § 15 Abs. 2 SGB IX eine getrennte Leistungsbewilligung den Verwaltungsaufwand erheblich verringern, das Verfahren beschleunigen und eine Kostenerstattung nach § 16 SGB IX entbehrlich machen kann.[21] § 15 Abs. 3 S. 1 SGB IX definiert kumulative Voraussetzungen für einen Konsensfall, die eine getrennte Leistungsbewilligung durch die jeweils beteiligten Rehabilitationsträger ermöglichen. Demnach ist eine getrennte Leistungsbewilligung möglich, wenn im – zwingend erforderlichen – Teilhabeplan dokumentiert wurde, dass

  1. die erforderlichen Feststellungen nach allen in Betracht kommenden Leistungsgesetzen von den zuständigen Trägern getroffen wurden,
  2. auf Grundlage des Teilhabeplans eine getrennte Leistungserbringung durch die nach den jeweiligen Leistungsgesetzen zuständigen Rehabilitationsträger sichergestellt ist und
  3. die Leistungsberechtigten einer nach Zuständigkeiten getrennten Leistungsbewilligung und Leistungserbringung nicht aus wichtigem Grund[22] widersprechen.

Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, so entscheidet nach § 15 Abs. 3 S. 2 SGB IX in den Beteiligungsfällen des § 15 Abs. 2 SGB IX allein der leistende Rehabilitationsträger und erbringt die Leistung im eigenen Namen.

4. Verlängerte Entscheidungsfristen nach § 15 Abs. 4 SGB IX

Während der leistende Rehabilitationsträger außerhalb einer notwendigen Trägerbeteiligung über den Teilhabeantrag innerhalb der Fristen des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX[23] zu entscheiden hat, erkennt § 15 Abs. 4 SGB IX an, dass es durch die Verpflichtung, in den Fällen des § 15 Abs. 1 u. 2 SGB IX nach § 19 SGB IX unter Beteiligung aller mitbetroffenen Rehabilitationsträger und unter Einbeziehung der Leistungsberechtigten einen Teilhabeplan zu erstellen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann.[24] Daher verlängert sich die Entscheidungsfrist des § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX nach § 15 Abs. 4 S. 1 SGB IX auf sechs Wochen nach Antragseingang. Anders als § 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX sieht § 15 Abs. 4 S. 1 SGB IX jedoch keine Privilegierung für erforderliche Gutachten vor. Wird im Rahmen des Teilhabeplanverfahrens nach § 20 SGB IX eine Teilhabeplankonferenz durchgeführt, so gilt anstelle der Entscheidungsfrist von sechs Wochen nach § 15 Abs. 4 S. 1 SGB IX gemäß § 15 Abs. 4 S. 2 SGB IX eine Frist von zwei Monaten ab Antragseingang. Über die Verlängerung der Fristen ist der Antragsteller nach § 15 Abs. 4 S. 3 SGB IX unverzüglich zu unterrichten. Gleiches gilt im Hinblick auf die Beteiligung anderer Rehabilitationsträger und deren Zuständigkeiten.

Beitrag von Prof. Dr. Torsten Schaumberg, Hochschule Nordhausen

Fußnoten

[1] Beitrag A11-2020 unter www.reha-recht.de; 26.05.2020.

[2] Die Vorschrift geht den allgemeinen Regelungen über Beauftragungen zwischen Sozialleistungsträgern (§§ 88 ff. SGB X) als lex specialis vor; vgl. nur Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 15 Rn. 1.

[3] Beispielhaft sei hier an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gedacht, die zwar nach §§ 5, 6 SGB IX für die dort aufgeführten Leistungsgruppen zuständig sein können, es aber nach dem SGB VII dann nicht sind, wenn die (drohende) Behinderung nicht auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurückgeht.

[4] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 15 Rn. 33.

[5] Vgl. hierzu Schaumberg: Der Teilhabeplan nach § 19 SGB IX als Instrument zur Koordination von Rehabilitationsleistungen unter www.reha-recht.de.

[6] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235.

[7] Also den Rehabilitationsträger, der nach § 14 SGB IX für den Leistungsantrag zuständig geworden ist.

[8] Joussen in Dau/Düwell/Joussen, LPK-SGB IX, 5. Aufl. 2019, SGB IX, § 14 Rn. 15.

[9] Vgl. nur § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX.

[10] Die Weiterleitung liegt nicht im Ermessen des leistenden Rehabilitationsträgers.

[11] So für § 14 Abs. 1 S. 2 SGB IX z. B. Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 14 Rn. 79 unter Verweis auf BSG, Urt. v. 20. 10. 2005 – B 7a AL 50/05 R – BSGE 95, 191 ff.; Knittel, SGB IX, 11. Aufl. 2017, § 14 Rn. 85; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26. 7. 2010 –  L 20 S 38/09.

[12] Vgl. nur Jabben in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben, SGB IX, 13. Aufl. 2018, § 15 Rn. 2.

[13] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235; Jabben in BeckOK-SozR (Stand: 55. Ed. 1. 12. 2019), SGB IX, § 15 Rn. 6.

[14] Vgl. z. B. BSG, Urt. v. 11. 5. 2011 – B 5 R 54/10 R, SGb 2012, 655.

[15] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235.

[16] Die Beteiligung nach § 15 Abs. 2 SGB IX liegt damit nicht im Ermessen des leistenden Rehabilitationsträgers.

[17] Auch im Falle des § 15 Abs. 2 SGB IX können mehrere Rehabilitationsträger am Verfahren beteiligt werden.

[18] In diesem Sinne auch § 31 Abs. 2 Gemeinsame Empfehlung Reha-Prozess.

[19] So ausdrücklich Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235.

[20] Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Aufl. 2018, § 15 Rn. 52.

[21] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235.

[22] Ein wichtiger Grund kann z. B. sein, wenn Leistungsberechtigte in der Vergangenheit Leistungen von dem Rehabilitationsträger nur mit Schwierigkeiten, etwa nach Widerspruch und Klage, erhalten haben und sie deshalb auf die Leistungserbringung nicht vertrauen oder wenn eine Kommunikation mit dem Rehabilitationsträger für den Leistungsberechtigten erschwert ist, weil keine Geschäftsstelle in der Nähe ist und dies für den Leistungsberechtigten von Bedeutung ist (Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 235).

[23] Vgl. hierzu Schaumberg: Zuständigkeitsklärung gemäß § 14 SGB IX – Bedarfsermittlung, Folgeanträge und Nichteinhaltung von Zuständigkeitsregelungen; Beitrag A11-2020 unter www.reha-recht.de; 26.05.2020.

[24] Bundestags-Drucksache 18/9522, S. 236.


Stichwörter:

Koordination, Kooperation der Rehabilitationsträger, Rehabilitationsträger, Weiterleitung des Antrags, Zuständigkeit nach § 14 SGB IX, Leistungsrechtliche Zuständigkeit


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