Der Autor Thorsten Schaumberg skizziert die geänderten Regelungen zur Leistungskoordination im ersten Teil des SGB IX, die durch das Bundesteilhabegesetz 2018 in Kraft getreten sind, zeigt damit einhergehende Probleme auf und schlägt Lösungen vor. Nach vorangegangenen Ausführungen zu den Themenkomplexen leistender Rehabilitationsträger, Zuständigkeitsklärung, Antragsweiterleitung und Feststellung des Rehabilitationsbedarfs geht es um den Fall der Leistungsverantwortung mehrerer Rehabilitationsträger, Fragen der Genehmigungsfiktion und Kostenerstattung sowie die Teilhabeplanung. Der vorliegende Beitrag beschreibt die durch das BTHG neu geschaffene Möglichkeit der Kostenerstattung nach durch Fristablauf automatisch genehmigter Leistung (Genehmigungsfiktion) gemäß § 18 Abs. 4 SGB IX. Dabei werden zunächst die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX dargestellt und im Anschluss die Ausschlussregelung in § 18 Abs. 7 SGB IX erläutert.
Es handelt sich um eine aktualisierte und aufgeteilte Version des Beitrags „Leistungskoordination im SGB IX – Zuständigkeitsklärung, Genehmigungsfiktion und Teilhabeplanung“. Die Erstveröffentlichung erfolgte in zwei Teilen in der Zeitschrift „Die Sozialgerichtsbarkeit“ (SGb 2019, S. 142–149 und S. 206–213).
(Zitiervorschlag: Schaumberg: Kostenerstattung nach Genehmigungsfiktion gemäß § 18 Abs. 4 SGB IX; Beitrag A13-2020 unter www.reha-recht.de; 04.06.2020)
I. Einleitung
Im Beitrag „Leistungskoordination gemäß § 15 SGB IX bei Trägermehrheit“[1] wurde die Leistungskoordination gemäß § 15 SGB IX bei der Beteiligung mehrerer Rehabilitationsträger am Verfahren beleuchtet. Inhalt waren Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Antragssplittings nach § 15 Abs. 1 SGB IX und der Beteiligung mehrerer Träger nach § 15 Abs. 2 SGB IX. Weiterhin wurden die Voraussetzungen einer getrennten Leistungsbewilligung nach § 15 Abs. 3 SGB IX und Fristverlängerungen bei der Beteiligung mehrerer Träger nach § 15 Abs. 4 SGB IX thematisiert.
Im vorliegenden Beitrag wird die durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) neu geschaffene Möglichkeit der Kostenerstattung nach Genehmigungsfiktion gemäß § 18 Abs. 4 SGB IX beschrieben. Dabei werden zunächst die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX dargestellt und im Anschluss die Ausschlussregelung in § 18 Abs. 7 SGB IX erläutert.
II. Die Kostenerstattung gemäß § 18 Abs. 4 SGB IX
Der durch das BTHG neu gefasste § 18 SGB IX enthält drei voneinander unabhängige Tatbestände, die es Leistungsberechtigten ermöglichen, sich eine beantragte Teilhabeleistung selbst zu beschaffen und sich die Kosten vom zuständigen Rehabilitationsträger erstatten zu lassen.[2]
Nach § 18 SGB IX ist in folgenden Fällen eine Kostenerstattung vorgesehen:
- Kostenerstattung bei nicht fristgerechter Entscheidung (§ 18 Abs. 4 SGB IX),
- Kostenerstattung bei Unaufschiebbarkeit der Leistung (§ 18 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 SGB IX) oder
- Kostenerstattung bei rechtswidriger Leistungsablehnung (§ 18 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 SGB IX).
Während die Kostenerstattungsmöglichkeiten des § 18 Abs. 6 SGB IX weitestgehend denen des § 15 Abs. 1 S. 4 und 5 SGB IX a. F. entsprechen, ist die Möglichkeit der Kostenerstattung bei nicht fristgerechter Entscheidung neu. Nur sie wird daher nachfolgend näher betrachtet.
III. Voraussetzungen einer Kostenerstattung nach § 18 Abs. 4 S. 1 SGB IX
Nach § 18 Abs. 4 S. 1 SGB IX ist der leistende Rehabilitationsträger zur Erstattung der Aufwendungen für selbstbeschaffte Leistungen verpflichtet, sofern sich Leistungsberechtigte eine als genehmigt geltende Leistung selbst beschaffen. Voraussetzung für die Kostenerstattung nach § 18 Abs. 4 S. 1 SGB IX ist somit die Selbstbeschaffung einer als genehmigt geltenden Leistung.
IV. Die Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 S. 1 SGB IX
Wann eine Leistung i. S. § 18 Abs. 4 S. 1 SGB IX als genehmigt gilt, ergibt sich grundsätzlich aus § 18 Abs. 3 S. 1 SGB IX. Danach gilt eine beantragte Leistung nach Ablauf der Fristen der Absätze 1 und 2 als genehmigt, sofern keine begründete Mitteilung erfolgt. Um diese Anordnung nachvollziehen zu können, ist ein Blick auf die Regelungen in § 18 Abs. 1 und 2 SGB IX erforderlich.
§ 18 Abs. 1 SGB IX verpflichtet den leistenden Rehabilitationsträger dazu, grundsätzlich innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang über einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe zu entscheiden. Ist dem leistenden Rehabilitationsträger eine i. d. S. fristgerechte Entscheidung nicht möglich, dann verpflichtet ihn die Vorschrift dazu, dem Leistungsberechtigten vor Ablauf der Frist die Gründe für die Verzögerung schriftlich mitzuteilen. Diese schriftliche Mitteilung wird vom Gesetz als begründete Mitteilung bezeichnet. Welchen Inhalt die begründete Mitteilung haben kann und aus welchen Gründen bzw. in welchem Umfang eine Fristüberschreitung zulässig ist, wird in § 18 Abs. 2 SGB IX definiert.
1. Leistungen zur Teilhabe als Voraussetzung der Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 S. 1 SGB IX
Aus § 18 Abs. 3 S. 1 i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 1 SGB IX ergibt sich, dass die Genehmigungsfiktion nur dann eintreten kann, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt[3] werden. Was unter Leistungen zur Teilhabe zu verstehen ist, wird in § 4 Abs. 1 SGB IX wie folgt definiert:
„Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung
- die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,
- Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,
- die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder
- die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern.“
Die Einordnung einer Leistung als eine Leistung zur Teilhabe ist insoweit wichtig, als sie ausschlaggebend für eine mögliche Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 S. 1 SGB IX ist. Problematisch kann diese allerdings insbesondere im Bereich medizinischer Leistungen sein. Das SGB V kennt mit der Regelung des § 13 Abs. 3a SGB V einen eigenständigen Fall der Genehmigungsfiktion, der nach § 13 Abs. 3a S. 9 SGB V aber ausdrücklich nur für Krankenbehandlung, nicht aber für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gilt.[4] Da aber etwa die ärztliche Behandlung einerseits nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V eine Leistung der Krankenbehandlung sein kann, andererseits aber über § 42 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX i. V. m. § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V auch eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation, ist die Abgrenzung beider Leistungsarten wichtig.
Ohne an dieser Stelle auf die Einzelheiten dieser nicht unumstrittenen Abgrenzungsproblematik[5] eingehen zu wollen, lässt sich zumindest grundsätzlich sagen, dass der akutmedizinische Ansatz primär auf die Behebung der gesundheitlichen Schädigung durch kurative Versorgung ausgerichtet ist, während in der Rehabilitation der Schwerpunkt auf der Verbesserung, Erhaltung und bestmöglichen Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des ganzen Menschen liegt und darauf abzielt, Fähigkeitsstörungen und soziale Beeinträchtigungen abzuschwächen.[6] Der Begriff der medizinischen Rehabilitation wird insoweit nicht durch den Leistungskatalog, sondern letztlich durch das Ziel der Rehabilitation bestimmt.[7]
Ist die Leistung zur Teilhabe nicht von Amts wegen zu erbringen, sondern von einem Antrag abhängig, so ist weitere Voraussetzung für den Eintritt der Genehmigungsfiktion, dass der Antrag so bestimmt gestellt worden ist, dass die fingierte Genehmigung ihrerseits hinreichend bestimmt ist.[8]
2. Die begründete Mitteilung nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX
Nach § 18 Abs. 1 S. 1 SGB IX ist der leistende Rehabilitationsträger verpflichtet, innerhalb einer Frist von zwei Monaten – gerechnet ab Antragseingang – über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe zu entscheiden.[9] Kann er absehen, dass ihm dies nicht möglich ist, so hat er dem Leistungsberechtigten vor Ablauf der Zwei-Monats-Frist hierüber im Rahmen einer begründeten Mitteilung zu informieren. Ausschlaggebend für die fristgerechte begründete Mitteilung ist deren Bekanntgabe gegenüber dem Empfänger.[10]
Inhalt und Form der begründeten Mitteilung ergeben sich aus dem Zusammenspiel von § 18 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX. So ordnet § 18 Abs. 1 SGB IX an, dass die begründete Mitteilung schriftlich zu erfolgen, also dem Schriftformerfordernis des § 126 BGB zu entsprechen hat. Weiterhin ist auf den Tag genau anzugeben, bis wann über den Antrag entschieden werden wird. Zudem sind in der begründeten Mitteilung die Gründe für das Nichteinhalten der Zwei-Monats-Frist anzugeben. Anders als § 13 Abs. 3a SGB V benennt § 18 Abs. 2 S. 2 SGB IX abschließend die Gründe, die zur Überschreitung der Zwei-Monats-Frist des § 18 Abs. 1 SGB IX führen können und ordnet diesen Gründen Verlängerungsdauern zu. Danach kann der leistende Rehabilitationsträger die Frist nur aus folgenden Gründen und nur in folgendem Umfang verlängern:
- um bis zu zwei Wochen zur Beauftragung eines Sachverständigen für die Begutachtung infolge einer nachweislich beschränkten Verfügbarkeit geeigneter Sachverständiger,
- um bis zu vier Wochen, soweit von dem Sachverständigen die Notwendigkeit für einen solchen Zeitraum der Begutachtung schriftlich bestätigt wurde und
- für die Dauer einer fehlenden Mitwirkung der Leistungsberechtigten, wenn und soweit den Leistungsberechtigten nach § 66 Abs. 3 SGB I schriftlich eine angemessene Frist zur Mitwirkung gesetzt wurde.
Dem Gesetzestext lässt sich nicht direkt entnehmen, ob durch wiederholte begründete Mitteilungen auch wiederholte Verlängerungen der Zwei-Monats-Frist des § 18 Abs. 1 SGB IX zulässig sind. Der Wortlaut des § 18 Abs. 3 S. 2 SGB IX deutet darauf hin. Er sieht vor, dass die beantragte Leistung auch dann als genehmigt gilt, wenn der in der Mitteilung bestimmte Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ohne weitere begründete Mitteilung des Rehabilitationsträgers abgelaufen ist. Hieraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass ein Herausschieben des Entscheidungstermins möglich ist. Dies gilt aber nur dann, wenn der leistende Rehabilitationsträger vor Ablauf des in der vorigen begründeten Mitteilung genannten Entscheidungstermins eine sachlich hinterlegte weitere begründete Mitteilung abgibt. Die eingeschränkten Verlängerungsgründe, deren Vorliegen nicht nur behauptet, sondern im Zweifel auch nachgewiesen werden müssen, verhindern ein nicht sachgerechtes Verzögern des Verfahrens durch den leistenden Rehabilitationsträger und sichern zudem, dass eine begründet notwendige gründliche Amtsermittlung Vorrang vor der Schnelligkeit des Verfahrens hat.[11]
Erfolgt keine fristgerechte begründete Mitteilung, ist diese inhaltlich falsch oder nicht oder nur unvollständig begründet, so gilt nach § 18 Abs. 3 SGB IX die beantragte Leistung als genehmigt.
3. Rechtsfolgen der Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX
Nach der Gesetzesbegründung wird durch die Genehmigungsfiktion keine behördliche Entscheidung ersetzt, sondern eine Rechtsposition sui generis geschaffen, die die Leistungsberechtigten in die Lage versetzt, gegenüber dem leistenden Rehabilitationsträger einen Kostenerstattungsanspruch nach Absatz 4 geltend zu machen.[12] Dies mag auch der Grundgedanke des Gesetzgebers gewesen sein. Allerdings hat nach hier vertretener Auffassung dieser Grundgedanke aus dem Gesetzgebungsverfahren[13] keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden.[14] Vielmehr wird durch die Genehmigungsfiktion des § 18 Abs. 3 SGB IX ein Verwaltungsakt fingiert, der nicht aufgrund einer behördlichen Entscheidung, sondern kraft Gesetzes ergeht.[15] Der Rechtscharakter der Genehmigungsfiktion des § 18 Abs. 3 SGB IX entspricht der des vergleichbaren § 13 Abs. 3a SGB V. Die Genehmigungsfiktion bewirkt ohne Bekanntgabe einen in jeder Hinsicht voll wirksamen Verwaltungsakt i. S. von § 31 S. 1 SGB X. Durch den Eintritt der Fiktion verwandelt sich der hinreichend inhaltlich bestimmte Antrag in den Verfügungssatz des fingierten Verwaltungsakts. Er hat zur Rechtsfolge, dass das in seinem Gegenstand durch den Antrag bestimmte Verwaltungsverfahren beendet ist und dem Leistungsberechtigten unmittelbar ein Anspruch auf die Leistung zusteht.[16]
4. Fehlendes Verschulden i. S. § 18 Abs. 5 SGB IX als negative Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruchs nach § 18 Abs. 4 SGB IX
Nach § 18 Abs. 5 SGB IX besteht der Kostenerstattungsanspruch des § 18 Abs. 4 SGB IX nicht bei Kenntnis bzw. infolge grober Fahrlässigkeit bestehender Unkenntnis des Antragstellers darüber, dass die jeweiligen Leistungsvoraussetzungen des betroffenen Anspruchs nicht bestehen. Diese Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis bezieht sich darauf, ob der Antragsteller die Leistung subjektiv für nicht erforderlich halten durfte und diese offensichtlich außerhalb des rehabilitationsrechtlichen Leistungskatalogs liegt.[17]
V. Rechtsfolgen der Kostenerstattung nach § 18 Abs. 4 SGB IX
Nach § 18 Abs. 4 SGB IX ist der leistende Rehabilitationsträger zur Erstattung der Aufwendungen für selbstbeschaffte Leistungen verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte eine nach § 18 Abs. 3 SGB IX genehmigt geltende Leistung selbst beschaffen. Auf die fehlende Rechtmäßigkeit (insbesondere Wirtschaftlichkeit und Erforderlichkeit) der Primärleistung kann sich der leistende Rehabilitationsträger nach der fingierten Genehmigung nicht berufen, zumal die in § 18 SGB IX geregelte Möglichkeit der Selbstbeschaffung gegenüber den säumigen Rehabilitationsträgern eine wirksame Sanktionswirkung entfalten soll. Damit begründet die fiktive Bewilligung der selbstbeschafften Teilhabeleistung auch Ansprüche auf Folgeleistungen, wie z. B. Übergangsgeld nach § 20 SGB VI.[18]
Der Kostenerstattungsanspruch aus § 18 Abs. 4 SGB IX ist entweder auf Entschädigung in Geld nach § 251 BGB[19] oder auf die Befreiung von einer Verbindlichkeit gegenüber einem Leistungserbringer entsprechend § 257 Abs. 1 BGB gerichtet.[20]
Zudem hat der Leistungsberechtigte nach einer i. S. § 18 Abs. 3 SGB IX als genehmigt geltenden Leistung neben der Möglichkeit der Selbstbeschaffung mit anschließender Kostenerstattung bzw. Freistellung von der Zahlungsverpflichtung auch die Option, den primären Sachleistungsanspruch geltend zu machen.[21]
VI. Keine Kostenerstattung nach Genehmigungsfiktion gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge
Nach § 18 Abs. 7 SGB IX gelten die Absätze 1 bis 5 der Vorschrift nicht für die Träger der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge. Über die Gründe für die Herausnahme dieser Träger aus dem Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 bis 6 SGB IX kann nur spekuliert werden.[22] Bereits nach alter Rechtslage waren diese Träger über § 15 Abs. 5 S. 6 SGB IX a. F. von der Kostenerstattung nach Fristsetzung ausgenommen. Eine Begründung für diese Herausnahme findet sich in der Gesetzesbegründung nicht.[23]
Fraglich ist in diesem Zusammenhang aber, ob der Leistungsausschluss des § 18 Abs. 7 SGB IX schon dann gilt, wenn der leistende Rehabilitationsträger auf der Grundlage des jeweiligen Leistungsgesetzes eines der ausgeschlossenen Rehabilitationsträger entscheidet oder erst dann, wenn es sich bei dem leistenden Rehabilitationsträger um einen der ausgeschlossenen Träger handelt. Diese Frage ist noch nicht geklärt. Soweit ersichtlich hat sich bislang nur das SG Reutlingen mit dieser Problematik beschäftigt.[24] Nach dieser Entscheidung wird der leistende Rehabilitationsträger, der auf der Grundlage des SGB XII, des SGB VIII oder des BVG über einen Teilhabeleistungsantrag entscheidet zum Träger der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe oder der Kriegsopferfürsorge.[25]
Die Entscheidung des SG Reutlingen übersieht jedoch, dass der Begriff eines Trägers der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe oder der Kriegsopferfürsorge gesetzlich definiert ist. So umfasste die Sozialhilfe bis zum 01.01.2020 nach § 8 Nr. 4 SGB XII auch Eingliederungshilfen für behinderte Menschen. Träger der Sozialhilfe – und damit auch der Eingliederungshilfe – waren nach § 97 Abs. 1 SGB XII aber grundsätzlich die örtlichen – ausnahmsweise die überörtlichen – Träger der Sozialhilfe.[26] Ähnlich ist es für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. der Kriegsopferfürsorge. Allein die Tatsache, dass ein anderer Rehabilitationsträger Leistungen eines der ausgeschlossenen Rehabilitationsträger ausführt, führt nicht dazu, dass er zu diesem Träger wird. Sinn und Zweck des Zuständigkeitsklärungsverfahrens nach § 14 SGB IX über die „vorläufige“ Zuständigkeit des Rehabilitationsträgers, der einen Antrag nicht fristgerecht weitergeleitet hat bzw. an den ein solcher Antrag rechtzeitig weitergeleitet worden ist, ist es lediglich, eine möglichst schnelle Leistungserbringung zu gewährleisten. Dieser Zielsetzung wird bereits durch die Leistungsbewilligung selbst Rechnung getragen, so dass keine Notwendigkeit besteht, den Leistenden auch als Träger der Leistung anzuerkennen.[27]
Auch der Gesetzeswortlaut des § 18 Abs. 7 SGB IX ist insoweit eindeutig. Er spricht davon, dass lediglich die Träger der Eingliederungshilfe, der öffentlichen Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge aus dem Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1–5 SGB IX herausgenommen sind und nicht etwa bereits deren Leistungen. Zwar spricht die Gesetzesbegründung zu § 15 SGB IX a. F., auf den sich die Gesetzesbegründung zu § 18 SGB IX letztlich beruft, von der Herausnahme der „… Leistungen der Jugend- und der Sozialhilfe.“[28] Aber auch hier hat dieser Gedanke keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden.
Sind also Rehabilitationsträger, die nicht nach § 18 Abs. 7 SGB IX ausgenommen sind, leistende Rehabilitationsträger, dann gelten für sie die Regelungen der § 18 Abs. 1 bis 5 SGB IX auch dann, wenn sie die Leistungen auf der Grundlage der Leistungsgesetze der ausgenommenen Rehabilitationsträger bewilligen.
Beitrag von Prof. Dr. Torsten Schaumberg, Hochschule Nordhausen
Fußnoten
Koordination, Rehabilitationsträger, Genehmigungsfiktion, Kostenerstattung, Teilhabeplan, Teilhabeplanverfahren, Gesamtplan, Gesamtplanverfahren
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