29.03.2023 B: Arbeitsrecht Ketzmerick: Beitrag B1-2023

Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretungen beim Arbeits- und Infektionsschutz für Risikogruppen in der Corona-Pandemie – Teil I: Maßnahmen, Akteure und Umsetzungsprozess

Die Pandemiesituation hat den betrieblichen Arbeitsschutz vor neue Herausforderungen gestellt. Dies gilt auch für den Schutz von Beschäftigten mit Behinderungen und anderer vulnerabler Beschäftigter (im Folgenden: Risikogruppen). Für diese Beschäftigtengruppen müssen die speziellen Gefährdungen und Risiken am Arbeitsplatz besonders berücksichtigt werden. Der vorliegende Beitrag stellt die vom Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH) untersuchte betriebliche Praxis im Umgang mit Risikogruppen dar und zeigt, dass sich die Einbeziehung betrieblicher Interessenvertretungen positiv auf den Umfang und die Qualität der Schutzmaßnahmen auswirkt. Problematisch ist jedoch die geringe Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen bei der Planung und Umsetzung der Schutzmaßnahmen.

(Zitiervorschlag: Ketzmerick: Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretungen beim Arbeits- und Infektionsschutz für Risikogruppen in der Corona-Pandemie – Teil I: Maßnahmen, Akteure und Umsetzungsprozess; Beitrag B1-2023 unter www.reha-recht.de; 29.03.2023)

I. Einleitung

Die Corona-Pandemie stellte erhebliche neue Anforderungen an die betrieblichen Akteure bei der Umsetzung von Arbeits- und Gesundheitsschutz für Risikogruppen, darunter Beschäftigte mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen. Die Herausforderungen wurden organisatorisch auf unterschiedliche Weise bewältigt. Sehr oft kamen Krisenstäbe zum Einsatz. Jedoch unterschieden sich Ausmaß und Art der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretungen (SBV) sowie Betriebs- und Personalräten. Es war ein verbreitetes Muster in der Pandemie, dass auch diejenigen, die in dieser Situation helfen sollten, selbst durch die Folgen von Corona ausgebremst wurden. So zeigt die Forschung negative Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeit betrieblicher Interessenvertretungen. Dagegen gibt es kaum Untersuchungen des Einflusses der betrieblichen Beteiligungskultur auf Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Corona-Pandemie erweist sich hierfür als Forschungsgelegenheit.

Im vorliegenden Beitrag (Teil I und Teil II) wird anhand der folgenden Fragen untersucht, wie Risikogruppen geschützt wurden und welche Rolle dabei betrieblichen Interessenvertretungen spielten: Wie wurden Risikogruppen in der betrieblichen Praxis definiert und welche Verfahren zur Bestimmung dieser Personen wurden angewendet? Welche Akteure wurden dabei eingebunden, z.B. Betriebs- und Personalräte, Schwerbehindertenvertretungen, Arbeitsschutzausschüsse und betriebsärztliche Dienste? Welche Maßnahmen wurden getroffen und welche Probleme traten dabei auf? Wie waren Interessenvertretungen beteiligt und wirkte sich die Beteiligungskultur auf Umfang und Qualität der Maßnahmen für Risikogruppen aus?

II. Datenbasis

Die Ergebnisse basieren auf einer bundesweiten quantitativen Online-Befragung von 1.543 SBVen, Betriebs- und Personalräten zur Partizipation beim betrieblichen Arbeits- und Infektionsschutz in der Corona-Pandemie. Diese wurde im Frühjahr 2021 im Rahmen des durch das Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) geförderten Projektes „Compliance, Akzeptanz und Umsetzung von Schutzmaßnahmen gegen Infektionen in der Arbeitsstätte und die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes“ (CAUSA-A)[1] durch das Zentrum für Sozialforschung durchgeführt. Mittels Kontaktierung über Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Schneeballverfahren wurde ein Sample von Betrieben und Dienststellen aus allen Wirtschaftszweigen und Regionen Deutschlands befragt, das sich v. a. auf mittlere und große Einrichtungen konzentrierte und damit im Wesentlichen die Verteilung der Interessenvertretungen auf Betriebsgrößenklassen aus anderen Erhebungen abbildet[2].

Die befragten Interessenvertretungen verfügen überwiegend über langjährige Erfahrungen, insgesamt 39 % von ihnen wurden seit 2015 erstmalig gewählt, alle übrigen vorher. Zwei Drittel aller Befragten sind über 50 Jahre alt, Männer sind mit 55 % der Befragten etwas überrepräsentiert.

III. Besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen

Zu den besonders schutzbedürftigen Beschäftigtengruppen während der Pandemie zählten insbesondere auch jene, für die ein erhöhtes Risiko angenommen werden muss, dass sie bei einer Covid-19-Erkrankung einen schweren Krankheitsverlauf erleiden. Dieses Risiko betraf insbesondere behinderte und chronisch kranke Beschäftigte, sodass der Personenkreis nicht nur auf schwerbehinderte Beschäftigte beschränkt ist. Arbeitgeber haben nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) auch in der Pandemie neben der allgemeinen Präventionspflicht von arbeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen (nach § 3 ArbSchG) die speziellen Gefährdungen und Risiken für besonders schutzbedürftige Beschäftigtengruppen besonders zu berücksichtigen (§ 4 Nr. 6 ArbSchG).[3] Im Arbeitsschutz ist die Beteiligung der Interessenvertretungen, d. h. Betriebsrat oder Personalrat sowie die SBV elementar. In Bezug auf den betrieblichen Umgang mit sogenannten Risikogruppen im Sinne des § 4 Nr. 6 ArbSchG ist stets die SBV zu beteiligen, denn diese Fragen können nicht sachgerecht ohne die SBV geklärt werden; das Thema gehört zu den Überwachungsaufgaben der SBV (§ 178 SGB IX).

IV. Ergriffene Maßnahmen, Umsetzungsprozess und beteiligte Akteure

Insgesamt hatten mehr als zwei Drittel (68 %) der befragten Betriebe bis zum Frühjahr 2021 besondere Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen eingeführt. In den restlichen Betrieben wurde oft auf die allgemein getroffenen Schutzmaßnahmen verwiesen sowie auf die Möglichkeit, mittels ärztlichem Attest oder nach eigener Einschätzung eine Freistellung oder anderweitige Maßnahme zu beantragen. Diese Vorgehensweise überträgt jedoch die Verantwortung für den betrieblichen Gesundheitsschutz in problematischer Weise auf die Betroffenen. Lediglich 2 % der Befragten gaben an, dass dieses Thema bei ihnen nicht relevant sei, z. B. da keine Personen mit besonderen Risiken beschäftigt waren.

Mit steigender Betriebsgröße nahm die Wahrscheinlichkeit von Maßnahmen für Risikogruppen zu, doch auch von kleinen Betrieben bis zu 50 Mitarbeitenden wurde noch etwa die Hälfte aktiv. Entsprechend finden sich etwas höhere Quoten über 70 % in großbetrieblich geprägten Wirtschaftszweigen, so z. B. unter Energieversorgern, im Finanz- und Versicherungswesen sowie im öffentlichen Dienst. Auffällig ist der mit 60 % niedrigere Anteil in der Industrie, möglicherweise weil dort entsprechende Maßnahmen schwieriger umzusetzen waren. Dagegen zeigt der Bereich Erziehung und Unterricht mit 75 % den höchsten Anteil aller Branchen.

Der Schutz von Risikogruppen stellt sich als Bündel mehrerer Einzelmaßnahmen dar. Er umfasst zunächst die Festlegung der Kriterien zur Definition solcher Gruppen durch verschiedene betriebliche Akteure, sodann die konkrete Identifizierung von Betroffenen und schließlich die Realisierung verschiedener Schutzmaßnahmen (Krankschreibung, Freistellung, Umsetzung, Kurzarbeit, Homeoffice etc.) bzw. Angebote (Arbeitsmedizinische Beratung für Beschäftigte mit besonderen Risiken oder individuelle Gefährdungsbeurteilungen) für die Betroffenen.

Bei den Kriterien zur Definierung von Risikogruppen standen Alter, Vorerkrankungen, Schwerbehinderung oder Schwangerschaft im Vordergrund. Häufig wurde dabei auf die Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) verwiesen.

Der wichtigste Akteur bei der Festlegung der allgemeinen Kriterien für Risikogruppen war der Arbeitgeber, meist ohne Beteiligung der Interessenvertretung (46 % der Betriebe), seltener in Zusammenarbeit mit Betriebs- oder Personalrat (37 %), obwohl in allen befragten Betrieben Arbeitnehmervertretungen existierten. Insbesondere in den ersten Monaten wurde oft einseitig durch Arbeitgeber entschieden, dies änderte sich später (vgl. Kap. VI). Bei einem knappen Drittel war der betriebsärztliche Dienst beteiligt. Wenn Arbeitsschutzausschüsse bestanden, so spielten sie hier mit 13 % nur eine untergeordnete Rolle.[4] Auch bei der Festlegung von Kriterien sind Faktoren wie Betriebsgröße oder ein guter organisierter Arbeitsschutz bereits vor Corona relevant. In Wirtschaftszweigen mit allgemein hohen Anforderungen an den Arbeitsschutz wie Industrie oder Verkehr und Logistik waren Betriebsrat, betriebsärztlicher Dienst und Arbeitsschutzausschuss besonders häufig an der Festlegung der Kriterien beteiligt, dagegen entschieden im stark durch Kleinstunternehmen, kleine Unternehmen und mittlere Unternehmen (KMU) geprägten Baugewerbe und besonders im Bildungswesen vor allem die Arbeitgeber, wer zur Risikogruppe zählt. Gerade in Kleinbetrieben sind andere Akteure seltener anzutreffen bzw. häufiger betriebsfern organisiert.

Abbildung 1: Betriebliche Infektionsschutz-Maßnahmen für Risikogruppen

Abbildung 1: weitere Informationen im Fließtext

Die konkrete Identifizierung von Risikogruppen nahmen am häufigsten Hausärzte vor (35 %, häufiger in KMU), seltener der betriebsärztliche Dienst (dann v. a. in mittleren und großen Betrieben), die Personalabteilung oder sonstige Instanzen.

Die wichtigste Maßnahme zum Schutz von Risikogruppen war die Versetzung ins Homeoffice[5], nicht zuletzt weil das Sample der befragten Betriebe einen hohen Anteil von Bürotätigkeiten umfasste (Abb.1). Mit Abstand folgte auf Platz zwei der Maßnahmen die Umsetzung im Betrieb, z. B. auf Einzelarbeitsplätze. Dies war häufiger in größeren Betrieben möglich. Dort, wo Homeoffice oder eine Umsetzung nicht möglich war, z. B. in gewerblichen Bereichen sowie im Handel, wurden Betroffene häufiger von der Arbeit freigestellt oder gebeten, sich krankschreiben zu lassen. Kurzarbeit spielte nur eine sehr geringe Rolle. Darüber hinaus wurde eine Reihe anderweitiger Sondermaßnahmen für die Betroffenen angeordnet, wie Schichtmodelle, Vermeidung von Kontakt zu Kunden oder anderen Betriebsexternen sowie die Nutzung des eigenen Urlaubs[6]. Vereinzelt wurde von Druck berichtet, damit Mitarbeitende trotz vorhandener Risikofaktoren im Betrieb erscheinen.

Zu den weiteren Vorsorge-Instrumenten, die Konsequenzen für gegebenenfalls erforderliche Arbeitsschutzmaßnahmen im Betrieb haben können, zählen die arbeitsmedizinische Beratung sowie die Erstellung individueller Gefährdungsbeurteilungen. Eine arbeitsmedizinische Beratung für Beschäftigte mit besonderen Risiken wurde in immerhin knapp zwei Dritteln aller Betriebe angeboten. Besonders häufig erfolgte dies in größeren Betrieben, wie z. B. in der Industrie, aber auch in der IT-Wirtschaft. Dagegen war die Festlegung von Risikogruppen vergleichsweise selten Anlass zur Erstellung individueller Gefährdungsbeurteilungen. Dieses Instrument soll im Rahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes helfen, Arbeitsbedingungen in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen abzuleiten. Mit aktuellen bzw. aktualisierten Gefährdungsbeurteilungen wurde nur in 22 % der befragten Betriebe auf die Risiken durch Corona reagiert. Auch dies geschah häufiger in größeren Einrichtungen sowie im Bildungsbereich.

V. Umsetzungsprobleme

Die häufigsten Probleme bei der Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Risikogruppen waren sachliche Schwierigkeiten bei der Einführung von Homeoffice oder der nötigen Reorganisation im Betrieb[7]. Hierzu zählten insbesondere technische Probleme bzw. unzureichende Ausstattung im Homeoffice. Etwas weniger häufig wurde angegeben, dass kein Homeoffice praktiziert werden konnte, weil die Arbeit nicht dafür geeignet sei, oder aber dass notwendige Räumlichkeiten im Betrieb (z. B. für Einzelarbeits­plätze) nicht vorhanden bzw. die Umstrukturierung der Arbeitsorganisation anderweitig schwierig sei. Im Mittelfeld der Nennungen liegen Friktionen im Umgang wie Akzeptanzprobleme oder Zweifel am Risikostatus, Neid bei unterschiedlicher Behandlung von Beschäftigtengruppen oder Druck bzw. Unverständnis von Vorgesetzten angesichts besonderer Schutzbedarfe. Seltener werden Folgeprobleme von Umstrukturierungen für die Arbeit angegeben wie Kommunikationsprobleme im Team oder mit den Vorgesetzten, eine höhere Arbeitsbelastung bzw. die Übernahme fachfremder Aufgaben. Am seltensten genannt, aber gleichwohl schwerwiegend sind Ängste oder psychische Belastungen von Beschäftigten durch die Maßnahmen und folgend Probleme bei der Beteiligung von Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, um Lösungen zu finden.

Etwas mehr Nennungen als zu Umsetzungsproblemen gab es bezüglich fehlender Maßnahmen. Am häufigsten wurde das Angebot von Homeoffice bzw. von alternativen Arbeitskonzepten oder Arbeitsplätzen vermisst, kritisch wurde auch hier die fehlende Ausstattung der Arbeitsplätze im Homeoffice oder zum Infektionsschutz im Betrieb gesehen, wie z. B. persönliche Schutzausrüstung oder Trennwände. Ebenfalls noch häufig wurde ein Mangel an maßnahmebegleitenden Aktivitäten konstatiert, so v. a. Beachtung und Verständnis für verschiedene Risikogruppen sowie die für die Akzeptanz wichtige Information und Kommunikation mit der Belegschaft. Im Mittelfeld der Nennungen liegt die Kritik an fehlenden Konzepten, wie z. B. einer einheitlichen Definition und Identifizierung von Risikogruppen bzw. eines einheitlichen Gesamtkonzeptes oder aber von individuellen Gefährdungsbeurteilungen und Fallbetrachtungen. Ebenso wie bei den Umsetzungsproblemen wurde auch hier gelegentlich die geringe Einbindung der Interessenvertretungen moniert, insbesondere der SBV.

VI. Beteiligung von Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs- und Personalräten und Einschränkungen der Beteiligung

Wie bereits dargelegt, war der Arbeitgeber der wichtigste Akteur bei der Konzeption und Umsetzung von Schutzmaßnahmen für Risikogruppen. Nur in einem guten Drittel der betroffenen Betriebe wurde dabei mit dem Betriebs- oder Personalrat zusammengearbeitet, obwohl die Änderungen in der Regel auch verschiedene Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates betrafen. Noch seltener wurden auch SBVen beim Schutz von Risikogruppen beteiligt. Insgesamt in 28 % der befragten Betriebe mit SBV wurde angegeben, dass diese bei der Konzeption der Maßnahmen beteiligt gewesen war, in 35 % der Fälle war sie an der Umsetzung beteiligt. Nur knapp jede fünfte befragte SBV in Betrieben mit entsprechenden Maßnahmen gab an, sowohl in Konzipierung als auch Umsetzung der Maßnahmen einbezogen worden zu sein. Auch bei der Planung und Umsetzung der allgemeinen Corona-Maßnahmen im Betrieb waren SBVen deutlich seltener als Betriebs- und Personalräte beteiligt[8]. Ein ähnlicher, wenn auch geringerer Unterschied zeigt sich bei der generellen Beachtung von Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten in der Pandemie. Diese wurden bei SBV zu 59 %, dagegen bei Betriebs- oder Personalrat zu 81 % regelmäßig oder überwiegend durch den Arbeitgeber beachtet, nachdem in den ersten Lockdown-Monaten die Beteiligung noch deutlich niedriger war.

Beide Gruppen zeigen ähnliche sektorale Unterschiede bei der Beteiligung. Während in den meisten Branchen des produzierenden Gewerbes, der Dienstleistungen und des öffentlichen Sektors die Beteiligung etwa durchschnittlich war, so gab es einzelne Lücken. Vor allem im Baugewerbe, in Erziehung und Unterricht sowie im Gesundheits- und Sozialwesen war die Einbeziehung der Interessenvertretungen in den Maßnahmeprozess deutlich unterdurchschnittlich. Sie lag hier um 10 % bis 20 % unter dem Mittelwert aller Wirtschaftszweige.

Eine Mehrheit der Interessenvertretungen berichtete von konkreten Einschränkungen ihrer Mitbestimmungs- bzw. Beteiligungsrechte in der Pandemie. Nur 24 % der Betriebsräte und 22 % der SBV sagten, dass sie dies nicht erlebt hätten (Abb. 2). Die größten Einschränkungen ergaben sich durch unzureichende Kooperation und Kommunikation der Vorgesetzten und anderer Akteure sowie durch eine unzureichende Einbindung in betriebliche Entscheidungsgremien. Hier waren SBVen teils deutlich stärker betroffen als Betriebs- und Personalräte. Daneben spielten Kommunikationsprobleme durch Homeoffice – sowohl eigenes oder bei Kolleginnen und Kollegen – eine vergleichbar große Rolle. So zeigten die Ergebnisse der Betriebs- und Personalrätebefragung 2021 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), dass Betriebs- und Personalversammlungen in der Pandemie oft ausfielen oder aber seltener bzw. in digitaler Form stattfanden und sich der persönliche Kontakt zu den vertretenen Belegschaften dadurch deutlich reduzierte.[9] Hier wurden negative Folgen für den betrieblichen Informationsfluss, die Sensibilität der Interessenvertretung für neue Themen und Probleme sowie für ihre Mobilisierungsfähigkeit erwartet.

Abbildung 2: „Wodurch ergaben sich ggf. Einschränkungen Ihres Mitbestimmungs- bzw. Beteiligungsrechtes?“

Abbildung 2: weitere Informationen im Fließtext

Die höchsten Quoten mit Beeinträchtigungen zeigten sich in den Bereichen Erziehung und Unterricht sowie insbesondere im Gesundheits- und Sozialwesen. Wenngleich sich in diesen Bereichen auch einzelne Ursachen-Schwerpunkte in den Feldern organisatorischer Probleme ergeben, wie z. B. das eigene Homeoffice im Bildungsbereich oder Probleme durch Corona-Regeln im Gesundheits- und Sozialwesen, so fällt doch auf, dass in beiden Bereichen v. a. die Herausforderungen bezüglich unzureichender vertikaler und horizontaler Kooperation und Kommunikation zwischen Akteuren sowie der schlechten Einbindung in Entscheidungsgremien durchgehend über dem Schnitt aller Branchen lagen und die Rechte der Interessenvertretungen hier besonders beeinträchtigten.

Verglichen mit der innerbetrieblichen Zusammenarbeit wird von SBVen die überbetriebliche Kommunikation der Interessenvertretungen in der Pandemie positiver beurteilt. Drei Viertel der befragten SBVen konnten (wenn vorhanden) den Kontakt mit ihrer Gesamt-, Konzern oder Hauptschwerbehindertenvertretung uneingeschränkt wahrnehmen, lediglich 23 % erlebten hier Beeinträchtigungen, Kontaktabbrüche kamen so gut wie nicht vor.

Hinweise auf verschiedene Gründe für die Einschränkungen der Beteiligung von Interessenvertretungen innerhalb des Betriebes ergaben sich auch aus den qualitativen Interviews mit Arbeitsschutzakteuren im Projekt. So wurden zu Beginn der Pandemie mit den Krisenstäben neue betriebliche Gremien zur schnellen Umsetzung der Maßnahmen geschaffen. Dabei waren jedoch in den ersten Monaten oft keine Betriebs- oder Personalräte und meist keine SBV beteiligt. Weiterhin fehlten insbesondere zu Beginn der Pandemie die bewährten betrieblichen Foren und Routinen des Arbeitsschutzes, wie z. B. Betriebsbegehungen oder regelmäßige Rundgänge, Belegschaftsversammlungen und persönlicher Austausch, gerade wenn Interessenvertretungen selbst im Homeoffice arbeiteten. Die häufigsten und gravierendsten Einschränkungen aus Sicht der interviewten Expertinnen und Experten ergaben sich gleichwohl durch unzureichende Kooperation und Kommunikation der Vorgesetzten und durch eine unzureichende Einbindung in Entscheidungsgremien. Im Verlauf der Pandemie scheint sich die Beteiligungssituation etwas verbessert zu haben. Zwar gab eine Mehrheit in beiden Gruppen an, dass sich die Beachtung ihrer Rechte im Laufe des ersten Pandemiejahres nicht verändert habe. Wenn es eine Veränderung gab, dann jedoch meist eine Verbesserung, so bei 31 % der Betriebs- und Personalräte bzw. 22% der SBV. Auch der Vergleich mit der repräsentativen Betriebsbefragung im Auftrag des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) „Betriebe in der Covid-19-Krise“ zeigt Hinweise auf eine Verbesserung der Beteiligung von Arbeitnehmervertretungen im Zeitverlauf. So gaben nach dieser Befragung Anfang August 2020 lediglich 15 % der befragten Betriebe mit spezifischen Regelungen zum Arbeitsschutz in der Corona-Krise an, dass Arbeitnehmervertretungen bei der Erstellung und Umsetzung der Regelungen zum Arbeits- und Infektionsschutz beteiligt waren.[10] Dagegen waren es 37 % in der hier vorgestellten Befragung im Februar/März 2021.

Die konkreten Folgen von Beeinträchtigungen der Beteiligung im Zuge der Pandemie unterschieden sich – entsprechend der jeweiligen Aufgaben – bei beiden Befragten-Gruppen. Während nur 53 % der SBVen überhaupt Folgen nannten, war dies bei immerhin 62 % der Betriebs- und Personalräte der Fall. Die häufigsten Beeinträchtigungen, die von SBVen genannt wurden, sind mit 39 % Erschwernisse bei der Begleitung von BEM-Verfahren, seltener (28 %) solche bei der Beratung zur Feststellung des Grades einer Behinderung. Mit 13 % spielen Probleme bei der Beratung im Kündigungsverfahren nur eine untergeordnete Rolle. Diese Auswirkungen waren in der Privatwirtschaft häufiger anzutreffen, dagegen etwas selten im öffentlichen Sektor (einschließlich Bildung, Gesundheit und Pflege). Das wichtigste Problem, das Betriebs- und Personalräte nannten, sind Hindernisse bei der Beratung von Beschäftigten, die bei nahezu jeder/jedem zweiten Befragten auftreten (46 %). Allgemeine Probleme bei der Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten werden mit 36 % ebenfalls noch häufig genannt, pandemiebedingte Probleme bei der Begleitung von BEM-Verfahren wurden weniger häufig genannt als bei SBV (23 %), Hindernisse bei der Beratung in Kündigungsverfahren sind dagegen ähnlich selten wie bei diesen.

Literatur

BAuA (2020): Betrieblicher Arbeitsschutz in der Corona-Krise. in: S. Robelski, C. Steidelmüller, L. Pohlan: baua: Bericht kompakt. Projektnummer: F 2514. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

BAuA (2022): Handlungsempfehlungen SARS-CoV-2. baua: Fokus. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Behrens, Martin; Brehmer, Wolfram (2022): Betriebs- und Personalratsarbeit in Zeiten der COVID-Pandemie, WSI Report, No. 75, Hans-Böckler-Stiftung, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), Düsseldorf.

Broughton, Andrea; Mario Battaglini (2021): Teleworking during the COVID-19 pandemic: risks and prevention strategies. Literature review. European Agency for Safety and Health at Work (EU-OSHA). Luxembourg.

Eickholt, Clarissa, Trimpop, Rüdiger, Winkelmann, Anja, Templer, Martin, Hamacher, Werner und Schmitz, Lena (2021), Evaluation von SARS-CoV-2 Arbeits- und Infektionsschutzmaßnahmen: Befragung von Arbeitsschutzexpertinnen und -experten, Projektnummer: F 2513. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.

Gerdes, Johann; Alexandra Wagner (2015): Arbeitsqualität aus der Sicht von jungen Beschäftigten. 6. Sonderauswertung zum DGB-Index Gute Arbeit. Studie. DGB jugend. Berlin.

Greifenstein/Kißler/Lange (2017): Trendreport Betriebsratswahlen 2014. Study der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf: HBS.

Guhlemann, Kerstin; Arno Georg; Thomas Ketzmerick (2021), Handlungsstrategien von Unternehmen und Beschäftigten in Zeiten von Corona – Das Arbeitsschutzsystem unter Druck?, Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik, Heft 4.

Haipeter, Thomas (2022): Die Corona-Pandemie und die Mitbestimmung der Betriebsräte. Einige Befunde, viele Fragen. In: Wannöffel, Manfred; Yves, Gensterblum: Wirtschaft, Arbeit und Leben mit und nach der Corona-Krise. S. 141–154. Baden-Baden.

Hay, Daniel; Mierich, Sandra; Werner, Nils (2021): Mitbestimmung als Konstante in der Pandemie: Monitor Digitalisierung in Betriebsvereinbarungen, Mitbestimmungsreport, No. 69, Hans-Böckler-Stiftung, Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.), Düsseldorf.

Katenkamp, Olaf; Dechmann, Uwe; Guhlemann, Kerstin; Maylandt, Jens; Meyn, Christina; Martens, Helmut; Georg, Arno; Peter, Gerd; Kohte, Wolfhard (2018): Betriebsratshandeln zwischen Prävention und Innovation. Study der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf.

Kiesche, Eberhard und Kohte, Wolfhard (2020), Arbeits- und Gesundheitsschutz in Zeiten von Corona, 2. Auflage.

Kohte, Wolfhard (2018): § 90 BetrVG – Wegweiser zur beteiligungs-orientierten Gestaltung in der digitalen Arbeitswelt. In: Deinert, Olaf; Johannes Heuschmid; Michael Kittner; Marlene Schmidt (Hrsg.): Demokratisierung der Wirtschaft durch Arbeitsrecht: Festschrift für Thomas Klebe zum 70. Geburtstag. Frankfurt am Main.

Liebsch, Matthias und Rabe-Rosendahl, Cathleen. 2021. Kooperative Arbeitsschutzorganisation in Krisenzeiten, ZRP 2021, S. 310.

Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft Arbeit und Verkehr (SMWA) (Hrsg.) (2022): Qualität der Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in Sachsen 2021. Ergebnisse der Befragung zum DGB-Index Gute Arbeit in Sachsen. Dresden.

Schulte, Andreas (2021), Ein Piepser gegen die Pandemie. MITBESTIMMUNG, Nr. 5. S. 30–31.

Beitrag von Thomas Ketzmerick, Zentrum für Sozialforschung Halle

Fußnoten

[1] CAUSA-A war ein Kooperationsprojekt des Zentrums für Sozialforschung Halle an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (ZSH), des Dortmunder Forschungsbüros für Arbeit, Prävention und Politik (DoFAPP), der Sozialforschungsstelle an der TU Dortmund (sfs) und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR).

[2] Vgl. Greifenstein et al., 2017.

[3] Vgl. Kiesche/Kohte, 2020.

[4] Vgl. auch Eickholt et al., 2021.

[5] Zu den Home-Office-Erfahrungen während der Pandemie vgl. Broughton u. a. 2021.

[6] Auf die arbeitsrechtliche Problematik einer solchen Nutzung wird hier nicht eingegangen.

[7] Umsetzungsprobleme sowie fehlende Maßnahmen wurden offen erhoben und anschließend kategorisiert. Die Aussagen basieren auf 368 bzw. 420 Nennungen.

[8] Planung: SBV 46 %, Betriebs- und Personalräte 76 %; Umsetzung: SBV 52 %; Betriebs- und Personalräte 80 %.

[9] Vgl. Behrens/Brehmer 2022.

[10] BAuA 2020.


Stichwörter:

Schwerbehindertenvertretung (SBV), Personalrat, Betriebsrat, Corona (SARS-CoV-2), Arbeitsschutz, Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung, Beteiligung


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