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Die Autorin befasst sich in dem zweiteiligen Beitrag mit der inklusiven Berufsausbildung. In Teil II des Beitrags geht sie auf die sog. Fachpraktiker-Ausbildungen gem. §§ 66 BBiG und 42m HWO ein. Bei diesen handelt es sich um Sonderausbildungen, die wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig sein müssen und die insofern nachrangig gegenüber regulären Ausbildungsverhältnissen sind. Sie orientieren sich an den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe und werden überwiegend von Menschen mit Lernbehinderungen genutzt.
In Teil I stellte die Autorin das Regel-Ausnahme-Prinzip im Berufsbildungsrecht dar und die Möglichkeiten inklusiver Berufsausbildungen, ggf. mittels Nachteilsausgleichen und erleichterten Zugangsvoraussetzungen.
(Zitiervorschlag: Kalina: Inklusive Berufsausbildung im Berufsbildungsrecht – Teil II: Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO; Beitrag B4-2020 unter www.reha-recht.de; 01.07.2020)
Anknüpfend an Teil I dieses Beitrags befasst sich Teil II mit den im Berufsbildungsrecht verankerten Ausbildungen „nach besonderen Ausbildungsregelungen“. Kommt wegen Art und Schwere der Behinderung eine Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf nicht in Betracht, können behinderte Menschen auch in nicht staatlich anerkannten Berufen ausgebildet werden. Die hierfür einschlägigen §§ 66 BBiG, 42m HwO stellen eine Ausnahme vom Grundsatz der Ausbildung im staatlich anerkannten Ausbildungsberuf dar. Die Vorschriften sollen den Belangen behinderter Menschen, die nicht in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden können, Rechnung tragen.[1] Es handelt sich hierbei um die sog. Fachpraktiker-Ausbildungen, wie z. B. die Ausbildung zum Fachpraktiker/zur Fachpraktikerin Küche (Beikoch/Beiköchin), die Ausbildung zum Fachpraktiker/zur Fachpraktikerin für Gebäudereinigung oder die Ausbildung zum Fachpraktiker/ zur Fachpraktikerin für Bäckereien. Im Gegensatz zu den sog. Regel- oder Vollausbildungen stellen diese Ausbildungsalternativen speziell für behinderte Menschen vorgesehene Ausbildungswege dar. Sie können daher als „Sonderwege“ für behinderte Menschen verstanden werden.
Die Fachpraktiker-Ausbildung erfolgt gemäß §§ 66 BBiG, 42m HwO auf der Grundlage besonderer Ausbildungsregelungen der Kammern (§§ 71 ff. BBiG).
Die Kammern treffen die Ausbildungsregelungen entsprechend den Empfehlungen des Hauptausschusses des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB, §§ 89 ff. BBiG).[2] Auch wenn es sich um „Empfehlungen“ handelt, kommt ihnen durch die Formulierung „entsprechend“ ein starkes Maß an Verbindlichkeit zu. Eine Verbindlichkeit der Empfehlungen des BIBB ist auch daraus zu folgern, dass diese eine gewisse Einheitlichkeit der Ausbildungsregelungen erreichen wollen, damit die Ausbildung behinderter Menschen nach bundeseinheitlichen Standards erfolgen kann und die erlangten Abschlüsse miteinander vergleichbar sind.[3]
Die Ausbildungsinhalte sollen gem. §§ 66 S. 2 BBiG, 42m S. 2 HwO aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe entwickelt werden. Hieran zeigt sich, dass die Ausbildungsregelungen inhaltlich von den Ausbildungsordnungen abweichen. Bei Menschen mit Lernschwierigkeiten z. B. können fachpraktische Ausbildungsinhalte und Prüfungsanforderungen im Vergleich zur Fachtheorie stärker gewichtet werden (sog. theoriereduzierte Ausbildung).[4] Bislang absolvieren überwiegend lernbehinderte Menschen Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO. Die Empfehlungen des BIBB sind daher auf diese Hauptzielgruppe ausgerichtet. Gleichwohl stehen die Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO allen behinderten Menschen und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen offen. Die Empfehlungen des BIBB können daher in modifizierter Form für alle übrigen Formen von Beeinträchtigungen, z. B. psychische Behinderungen, Sinnes- oder Körperbehinderungen als Grundlage für entsprechende Ausbildungsregelungen dienen.[5]
Der Wortlaut und die Zielsetzung der Norm(en) verdeutlichen, dass es sich bei den Ausbildungsregelungen i. S. v. §§ 66 BBiG, 42m HwO um Einzelfallregelungen handelt, die die besondere Situation des bzw. der einzelnen behinderten Auszubildenden erfassen sollen. Ausweislich des Wortlauts werden die zuständigen Stellen (Kammern, §§ 71 ff. BBiG) auf Antrag – und nicht von Amts wegen – tätig. Liegen jedoch ein Antrag und der Nachweis einer konkreten Ausbildungsmöglichkeit vor, steht es der zuständigen Stelle nicht frei, eine Ausbildungsregelung zu erlassen; sie ist hierzu verpflichtet (vgl. „treffen“).[6] Die Kammern müssen also im konkreten (Bedarfs-)Fall tätig werden.
Die Entscheidung für eine Vollausbildung oder eine Fachpraktiker-Ausbildung wird nach „Art und Schwere der Behinderung“ getroffen. Eine Ausbildung nach einer besonderen Ausbildungsreglung (§§ 66 BBiG, 42m HwO) ist nur dann durchführbar, wenn eine reguläre Ausbildung wegen der Art und Schwere der Behinderung nicht in Betracht kommt. Die Gründe dafür, dass eine anerkannte Berufsausbildung nicht infrage kommt, müssen ausschließlich auf die Behinderung bezogen sein.[7] Art und Schwere der Behinderung müssen dazu führen, dass der behinderte Mensch einer weniger anspruchsvollen, möglicherweise theoriereduzierten und behinderungsgerechten Ausbildung bedarf, z. B. wegen Seh-, Hör- oder Lernbehinderung.[8]
Mit der Frage nach einer Voll- oder Fachpraktiker-Ausbildung ist notwendigerweise auch die Agentur für Arbeit im Rahmen der Berufsberatung (§§ 29 ff. SGB III, insbesondere Eignungsfeststellung, § 32 SGB III) und der Ermittlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 49 SGB IX, insbesondere Eignungsabklärung und Arbeitserprobung, § 49 Abs. 4 S. 2 SGB IX) befasst. Hierbei hat sie die Fachpraktiker-Ausbildungen mitzudenken. Befürwortet die Arbeitsagentur im konkreten Fall eine Fachpraktiker-Ausbildung, sollte auf eine entsprechende Antragsstellung i. S. v. §§ 66 BBiG, 42m HwO hingewirkt werden.
Im Rahmen des BBiG bzw. der HwO sind die Kammern dagegen endgültig zuständig, Art und Schwere der Behinderung festzustellen. Zunächst bedarf es der Klärung, welche Ausbildungsform berufsbildungsrechtlich in Betracht kommt. Insofern obliegt es allein den Kammern, nach sorgfältiger Prüfung, zu entscheiden, ob in anerkannten Berufen auf der Grundlage von Ausbildungsordnungen auszubilden ist oder ob sie besondere Ausbildungsregelungen zu erlassen haben. Die Förderung der jeweiligen Ausbildung mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) erfolgt hingegen erst dann, nachdem der konkrete Ausbildungsvertrag in das Verzeichnis der Ausbildungsverhältnisse bzw. in die Lehrlingsrolle eingetragen worden ist (§§ 66 Abs. 2, 65 Abs. 2 S. 1, 34 BBiG bzw. §§ 42m Abs. 2, 42l Abs. 2 S. 1, 28 HwO), weil dies zu den Voraussetzungen der Förderung gehört. Selbst wenn die BA einen früheren Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) erließe, hätte dieser weder Tatbestands- noch Feststellungswirkung für die Entscheidung der Kammer im Zusammenhang mit der Eintragung des Berufsausbildungsvertrages.[9]
Dass ein endgültiger Leistungsbescheid erst ergehen kann, wenn die Ausbildungsform geklärt ist, entbindet die BA jedoch nicht von einer früheren Bedarfsklärung, möglichst schon vor Ende der Schulbildung. Welche Ausbildungsform dann im Ergebnis gewählt wird, ist im Rahmen einer Bedarfsfeststellung unter Einbeziehung der verschiedenen beteiligten Akteure (§§ 13 ff. SGB IX, einschließlich Teilhabeplanverfahren, §§ 19 SGB IX) auszuloten.[10] Ein – frühzeitiger – Bescheid über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach kann für viele junge Menschen Barrieren bei Arbeitgebern/Ausbildern im Anbahnungsverhältnis verringern.[11]
Besonders herauszustellen ist an dieser Stelle auch, dass allein objektiv festgestellte Notwendigkeiten nicht genügen, um eine langfristige berufliche Eingliederung zu erreichen. Die Wahl zwischen zwei objektiv möglicherweise gleichermaßen geeigneten Alternativen kann und darf daher nicht ohne Berücksichtigung des in § 8 SGB IX normierten Wunsch- und Wahlrechtes des behinderten jungen Menschen getroffen werden. Die Akzeptanz der jeweiligen Ausbildungsform wird die Erfolgsaussichten der beruflichen Eingliederung maßgeblich beeinflussen.[12] Stellt sich dann beispielsweise erst im Verlauf der Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf heraus, dass der behinderte junge Mensch nicht geeignet ist, dann ist zeitnah eine der geänderten Prognose angepasste Modifizierung des Rehabilitationsplanes und der Umstieg in die andere Ausbildungsform anzustreben.[13]
Der Berufsausbildungsvertrag ist, wie soeben angesprochen, gem. (§§ 66 Abs. 2, 65 Abs. 2 S. 1, 34 BBiG (bzw. §§ 42m Abs. 2, 42l Abs. 2 S. 1, 28 HwO) in das Verzeichnis der Ausbildungsverhältnisse (bzw. in die Lehrlingsrolle) einzutragen. Die Eintragung ist von der Kammer erst dann vorzunehmen, wenn festgestellt worden ist, dass die Ausbildung in einem solchen besonderen Ausbildungsgang wegen Art und Schwere der Behinderung erforderlich ist.[14] Durch die Eintragung wird das Berufsausbildungsverhältnis jedoch nicht zu einem Berufsausbildungsverhältnis in einem staatlich anerkannten Beruf.[15]
Wie bereits in Teil I dieses Beitrags thematisiert,[16] dürfen nach § 4 Abs. 3 BBiG (bzw. § 25 Abs. 3 HwO) Jugendliche unter 18 Jahren grundsätzlich nicht in anderen als anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden. Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO sind keine Ausbildungen in anerkannten Berufen und unterfallen daher grundsätzlich dem Ausbildungsverbot des § 4 Abs. 3 BBiG. Da die Vorschrift des § 4 Abs. 3 BBiG Minderjährige aber ausschließlich vor einer unvollständigen und unzureichenden Ausbildung schützen will und weil völkerrechtliche Vorgaben – insbesondere Art. 24 Abs. 5 BRK – verlangen, dass es auch Sonderwege in der Berufsausbildung geben darf und muss, um einen auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Berufsabschluss zu erlangen, kann das Ausbildungsverbot in diesem Fall keine Anwendung finden. Methodisch ist die Vorschrift des § 4 Abs. 3 BBiG wegen des eindeutigen Wortlauts für den Fall einer Ausbildung nach §§ 66 BBiG, 42m HwO teleologisch zu reduzieren.[17]
Eine besondere Aufmerksamkeit kommt in der fachpraktischen Diskussion der Eignung von Ausbildungspersonen (Ausbildern) für Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO zu.
Bei den Fachpraktiker-Ausbildungen handelt es sich um Ausbildungen im Sinne des BBiG (§ 1 Abs. 3 BBiG), da sie in einem geordneten Ausbildungsgang verlaufen und die notwendige berufliche Handlungsfähigkeit vermitteln. Damit sind die §§ 27 ff. BBiG anwendbar, die die Eignung von Ausbildungsstätte und Ausbildungspersonal zum Gegenstand haben. § 27 BBiG (Eignung der Ausbildungsstätte) wird durch § 5 der „Rahmenregelung“ des Hauptausschusses des BIBB[18] konkretisiert, der u. a. vorsieht, dass für ein angemessenes Ausbilder-Auszubildenden-Verhältnis höchstens acht Auszubildende auf eine Ausbilderin bzw. einen Ausbilder kommen. Die §§ 28 ff. BBiG regeln die Eignung der Ausbildenden (diejenigen, die Auszubildende einstellen, vgl. § 10 Abs. 1 BBiG) und der Ausbilderinnen bzw. Ausbilder. Von besonderer Relevanz ist hier die Eignung der Ausbilderinnen und Ausbilder, die gem. § 28 Abs. 1 Nr. 2 BBiG persönlich (§ 29 BBiG) und fachlich (§ 30 BBiG) geeignet sein müssen. Fachlich geeignet ist nach § 30 Abs. 1 BBiG, wer die beruflichen sowie berufs- und arbeitspädagogischen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die für die Vermittlung der Ausbildungsinhalte erforderlich sind. Nach den Vorgaben des BIBB-Hauptausschusses ist für die fachpraktische Ausbildung in Fachpraktiker-Berufen insbesondere eine rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation (sog. ReZA-Qualifikation) im Umfang von 320 Stunden erforderlich, vgl. § 6 der „Rahmenregelung“.[19] Das „Rahmencurriculum für eine Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA)“ greift die inhaltlichen Vorgaben zur Eignung des Ausbildungspersonals auf, konkretisiert sie und definiert einzelne Kompetenzfelder mit dem Ziel, eine Steigerung in der Ausbildungsqualität der Fachpraktiker-Ausbildungen zu erreichen.[20] Dieses Erfordernis der zusätzlichen Qualifizierung der Ausbilderinnen und Ausbilder stößt in der Praxis der Betriebe und Kammern zuweilen allerdings auf Unsicherheiten. Insbesondere stellt sich der zeitliche Umfang von 320 kostenpflichtigen Weiterbildungsstunden (dies entspricht 8 Wochen Vollzeitunterricht) für kleine und mittlere Betriebe als eine große Hürde dar, welche die Bereitschaft, eine betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung anzubieten, erheblich einschränkt.[21]
Diese Sorge um den leistbaren Umfang der ReZA-Qualifikation muss der grundsätzlich vorhandenen Ausbildungsbereitschaft der Betriebe jedoch nicht entgegenstehen. Die „Rahmenregelung“ des Hauptausschusses des BIBB sieht selbst Ausnahmeregelungen vor, die den formalen Weiterbildungsnachweis im Einzelnen sogar entbehrlich machen. Nach § 6 Abs. 3 der „Rahmenregelung“ soll von dem Erfordernis des Nachweises einer ReZA-Qualifikation bei Betrieben abgesehen werden, wenn die Qualität der Ausbildung auf andere Weise sichergestellt ist. Die Qualität (Kompetenzen und Erfahrung im Umgang mit behinderten Menschen) sei in der Regel dann sichergestellt, wenn eine Unterstützung durch eine geeignete Ausbildungseinrichtung erfolgt. Somit kann eine fehlende ReZA-Qualifikation betrieblicher Ausbilderinnen bzw. Ausbilder (vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen) durch eine externe Unterstützung kompensiert werden.
Sowohl Ausbildungen in staatlich anerkannten Berufen als auch Fachpraktiker-Ausbildungen sollen vorrangig betrieblich durchgeführt werden. Dieser Grundsatz des Vorrangs der betrieblichen Ausbildung ergibt sich einfachgesetzlich insbesondere aus §§ 2 Abs. 1 BBiG, 51 Abs. 1 S. 1 SGB IX, 117 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III in Zusammenschau mit den völkerrechtlichen Regelungen, vor allem Art. 27 Abs. 1 BRK, Art. 15 Nr. 1 ESC und Art. 15 rESC.[22]
Trotz normativen Vorrangs einer betrieblichen Berufsausbildung ist es für junge behinderte Menschen mangels bestehender betrieblicher Ausbildungsmöglichkeiten in der Praxis häufig unumgänglich, auf außerbetriebliche Ausbildungsangebote auszuweichen. Dies gilt umso mehr, wenn im konkreten Fall eine Fachpraktiker-Ausbildung ansteht.[23] Sowohl die außerbetriebliche als auch die betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung ist mit Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den Regelungen des SGB IX und des SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit förderungsfähig. Außerbetrieblich werden Fachpraktiker-Ausbildungen durch berufliche Rehabilitationseinrichtungen (z. B. Berufsbildungswerke) durchgeführt, vgl. §§ 49 Abs. 3 Nr. 5, 51 SGB IX, 117 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a SGB III. Um der Verfestigung der damit verbundenen Segregation auf dem Ausbildungs- und späteren Arbeitsmarkt entgegenzuwirken, sieht § 51 Abs. 2 SGB IX die teilweise Durchführung der außerbetrieblichen Ausbildung auf dem allgemeinen Ausbildungsmarkt (sog. Verzahnte Ausbildung) vor.[24]
Auch wenn die betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung noch nicht gleichfalls bekannt und bewährt ist, so wächst ihr Bekanntheitsgrad und Betriebe sehen zunehmend auch hierin eine Möglichkeit, eigenen Nachwuchs für sich zu gewinnen.[25] Die betriebliche Fachpraktiker-Ausbildung kann vor allem durch die sog. betriebliche Ausbildungsbegleitung als besondere Teilhabeleistung (§ 117 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b), Nr. 2, 118 S. 1 SGB III i. V. m. § 49 Abs. 3 Nr. 5, Abs. 6 SGB IX) umfangreich, bedarfsgerecht und vornehmlich auch durch Hilfestellungen im Betrieb unterstützt werden. Von Bedeutung ist hierbei, dass auf das Erfordernis der ReZA-Qualifikation dann verzichtet werden kann, da die Qualität der Ausbildung durch die Hilfestellung geeigneter Leistungserbringer – z. B. Berufsbildungswerke oder Integrationsfachdienste – sichergestellt ist.[26]
Die sog. Fachpraktiker-Ausbildungen sind ein Instrument, mit dessen Hilfe eine frühe Annäherung von behinderten jungen Menschen an die betriebliche Arbeitswirklichkeit auch dann ermöglicht werden soll, wenn eine, auch behinderungsgerecht angepasste Vollausbildung wegen Art und Schwere der Beeinträchtigung nicht in Betracht kommt.
Folgende Merkmale kennzeichnen die Fachpraktiker-Ausbildungen nach §§ 66 BBiG, 42m HwO:
Darüber hinaus verlangt der in § 64 BBiG (42k HwO) verankerte Grundsatz des Vorrangs der Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen die Möglichkeit des Durchstiegs von einer Fach-Praktiker-Ausbildung in eine Fachkraft-Ausbildung.[27]
Bei den Fachpraktiker-Ausbildungen nach den §§ 66 BBiG, 42m HwO handelt es sich um angemessene Vorkehrungen i. S. v. Art. 24 Abs. 5, Art. 2 Abs. 4 BRK, denn sie gewährleisten als behinderungsgerechte Einzelfallregelungen behinderten jungen Menschen den gleichberechtigten Zugang zur Berufsausbildung. Insgesamt lässt sich daher resümieren, dass das Berufsbildungsrecht mit Normierung der Fachpraktiker-Ausbildungen inklusiv „gut aufgestellt“ ist, denn diese Ausbildungen ermöglichen einen anderen Weg der beruflichen Qualifikation, wenn wegen Art und Schwere der Behinderung eine reguläre Ausbildung auch mit Nachteilsausgleichen nicht in Betracht kommt und verhindern so eine frühe Entfremdung vom allgemeinen Arbeitsmarkt.
Beitrag von Dr. Doreen Kalina, ArbG Bremen-Bremerhaven
[1] Gesetzesbegründung zu § 48b BBiG a. F., Bundestags-Drucksache 14/5074, S. 127.
[2] Vgl. die „Rahmenrichtlinien für Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG und § 42m HwO für behinderte Menschen“ vom 20.6.20006, Bundesanzeiger Nr.130/2006 vom 14.07.2006, Beitraghttps://www.bibb.de/dokumente/pdf/empfehlung_118-rahmenrichtlinien_ausb.regelung_beh.menschen_196.pdf, zuletzt abgerufen am 29.06.2020; die „Rahmenregelung für Ausbildungsregelungen für behinderte Menschen gemäß § 66 BBiG/§ 42m HwO" vom 17.12.2009 (geändert am 15.12.2010), Bundesanzeiger Nr. 118a, https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA136.pdf, zuletzt abgerufen am 29.06.2020; sowie einige berufsspezifische Musterregelungen, z. B. die Empfehlung für eine Ausbildungsregelung zum/zur Fachpraktiker/in Küche (Beikoch/Beiköchin), https://www.bibb.de/dokumente/pdf/HA150.pdf, zuletzt abgerufen am 29.06.2020.
[3] Entwurf der Bundesregierung, Bundestags-Drucksache 15/3980, S. 56 – bis zur Neufassung des BBiG (2005) existierten deutschlandweit rund 900 Sonderausbildungsregelungen, wobei die zuständigen Stellen (Kammern) häufig keinen oder nur unzureichenden Gebrauch von den Empfehlungen des BIBB machten, was zu Problemen bzgl. der bundesweiten Akzeptanz und Verwertung derartiger beruflicher Qualifikationen führte, vgl. auch Bericht Ausbildungsstellenmarkt 2005, Bundestags-Drucksache 15/5922, S. 14.
[4] Robinson, RdJB 2015, 17, 24.
[5] Vgl. § 2 und die dazugehörige Info-Tafel „Rahmenregelung“.
[6] Lakies/Malottke, BBiG, 6. A. 2018, § 66 Rn. 2; Proyer-Popella in HK-BBiG, 1. A. 2011, § 66 Rn. 3.
[7] Benecke/Hergenröder, BBiG, 2009, § 66 Rn. 5; Leinemann/Taubert, BBiG, 2. A. 2008, § 66 Rn. 4.
[8] Benecke/Hergenröder, BBiG, 2009, § 66 Rn. 5.
[9] Allgemein zu den Begriffen, vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. A. 2018, § 43 Rn. 16 ff., 26 ff.
[10] Die Feststellung des individuellen Bedarfs an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zugleich die Entscheidung, welche Ausbildungsform gewählt wird, sollte „Hand in Hand“ gehen; vgl. zu „Berufswegekonferenzen“ unter Einbeziehung der beteiligten Akteure einschließlich des behinderten Menschen Nebe/Waldenburger, Budget für Arbeit, Hrsg. Landschaftsverband Rheinland (LVR) – Integrationsamt, 2014, S. 129 ff., 134.
[11] Für einen Bescheid zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe dem Grunde nach bereits Giese/Nebe, RP-Reha I/2015, 55, 60.
[12] Zur Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts in der beruflichen Rehabilitation Nebe in Gagel, SGB III, 75. EL 2019, § 112 Rn. 15a, 15b, 18a.
[13] Vgl. § 19 SGB IX zum Teilhabeplan als Grundlage auch für die berufliche Ausbildung; vgl. auch Nebe in Gagel, SGB III, 75. EL 2019, § 112 Rn. 15 b.
[14] 3.3. der „Rahmenrichtlinien“, S. 5.
[15] So zutreffend LSG Thüringen, B. v. 20.10.2014 – L 4 AS 1070/14 B – Rn. 35, juris.
[16] Inklusive Berufsausbildung im Berufsbildungsrecht, Teil I – Ausbildung in staatlich anerkannten Berufen, unter II. 2.
[17] Hierzu ausführlich Kalina, Betriebliche Realisierung beruflicher Ausbildung behinderter Menschen, 2019, S. 153 ff.
[18] Vgl. Fn. 2.
[19] Für die berufs- und arbeitspädagogische Eignung gilt daneben noch die Ausbilder-Eignungsverordnung (AEVO, vgl. § 30 Abs. 5 BBiG) vom 21.01.2009, BGBl. 2009 I,88.
[20] Hauptausschuss des BIBB, Rahmencurriculum für eine Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA) vom 21.06.2012, https://www.bibb.de/veroeffentlichungen/de/bwp/show/6980, zuletzt aufgerufen im Juli 2019.
[21] Stellungnahme der DVfR, Inklusive betriebliche Berufsausbildung braucht fördernde Rahmenbedingungen vom 01.10.2015, https://www.dvfr.de/fileadmin/user_upload/DVfR/Downloads/Stellungnahmen/ReZa-Stellungnahme_DVfR.pdf, zuletzt abgerufen im Juli 2015; sowie Zöller/Srbeny/Jörgens, Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG/§ 42m HwO für Menschen mit Behinderung und ReZA-Qualifikation für das Ausbildungspersonal – Eine Sachstandsanalyse, Abschlussbericht, September 2016, S. 83 ff., https://www.bibb.de/tools/dapro/data/documents/pdf/eb_78141.pdf, zuletzt aufgerufen im Juli 2019; zugleich wird darauf hingewiesen, dass die Anerkennungspraxis der Kammern ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der ReZA-Qualifikation darstellt.
[22] Hierzu in Teil I des Beitrags, S. 1 f.
[23] Hierzu Zöller/Srbeny/Jörgens, Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG/§ 42m HwO für Menschen mit Behinderung und ReZA-Qualifikation für das Ausbildungspersonal - Eine Sachstandsanalyse, Abschlussbericht, September 2016, S. 22 ff., 30 ff., 45 ff.
[24] Hierzu die sich anschließenden Beiträge zu § 51 Abs. 2 SGB IX – Anforderungen an die Rehabilitationseinrichtungen und die Rechtstellung des Rehabilitanden in der Einrichtung und im Betrieb.
[25] Zöller/Srbeny/Jörgens, Ausbildungsregelungen nach § 66 BBiG/§ 42m HwO für Menschen mit Behinderung und ReZA-Qualifikation für das Ausbildungspersonal – Eine Sachstandsanalyse, Abschlussbericht, September 2016, S. 22 ff., 33., 64 f.
[26] Ausführlich Kalina, Betriebliche Realisierung beruflicher Ausbildung behinderter Menschen, 2019, S. 185 ff.
[27] Nach § 14 der „Rahmenregelung“ des BIBB ist ein solcher Übergang kontinuierlich zu prüfen, vgl. Fn. 2.
Berufsausbildung, Bedarfsfeststellung, Teilhabeplan
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