12.03.2021 C: Sozialmedizin und Begutachtung Dittmann: Beitrag C1-2021

Studieren mit länger andauernden Erkrankungen – Nachteilsausgleiche in Prüfungen, Fachveranstaltung des Deutschen Studentenwerks – Teil II: Ausgleichsfähigkeit von Auswirkungen länger andauernder Erkrankungen

Studierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen können einen Anspruch auf Nachteilsausgleich bei der Absolvierung von Prüfungen haben, wodurch ein wirksamer Abbau von Barrieren im Studium möglich ist. Mit Verweis auf Entscheidungen aus den Jahren 1968 und 1985 werden Nachteilsausgleiche allerdings häufig ohne Einzelfallprüfung abgelehnt, obwohl es seitdem wichtige rechtliche Weiterentwicklungen gab. Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Studentenwerk im Oktober 2020 eine digitale Fachtagung veranstaltet, um das Thema Nachteilsausgleiche für Studierende mit längeren Erkrankungen aus verschiedenen Perspektiven zu diskutieren.

In diesem Beitrag wird über den Vortrag von Prof. Dr. Manfred Oster (Arzt und Psychologe, Hochschule Mannheim) berichtet, der seine Überlegungen zur Ausgleichsfähigkeit von Auswirkungen länger andauernder Erkrankungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit vorstellte.

Er hob hervor, dass es eine Vielzahl von kognitiven Funktionen sowie eine Vielzahl von Ursachen für ihre Einschränkungen gebe und allein aus einer Diagnose keine eingeschränkte Studierfähigkeit abgeleitet werden könne. Liegt eine kognitiv eingeschränkte Leistungsfähigkeit vor, sei im Einzelfall zu prüfen, ob sie dem Erbringen von Prüfungsleistungen grundsätzlich entgegensteht. Anderenfalls kommen formale und einschränkungsspezifische Ausgleichsmöglichkeiten in Betracht, von denen er einige vorstellt. Im Ergebnis sieht Oster sowohl die Hochschulen wie auch die betroffenen Studierenden in der Verantwortung geeignete Möglichkeiten zum Nachteilsausgleich zu finden.

(Zitiervorschlag: Dittmann: Studieren mit länger andauernden Erkrankungen – Nachteilsausgleiche in Prüfungen, Fachveranstaltung des Deutschen Studentenwerks – Teil II: Ausgleichsfähigkeit von Auswirkungen länger andauernder Erkrankungen; Beitrag C1-2021 unter www.reha-recht.de; 12.03.2021)


Am 2. Oktober 2020 veranstaltete die Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) des Deutschen Studentenwerks die Fachtagung „Studieren mit länger andauernden Erkrankungen – Nachteilsausgleiche in Prüfungen“.[1]

Ein Referent der Tagung war Prof. Dr. Manfred Oster (Arzt und Psychologe, Hochschule Mannheim), der seine Überlegungen zur Ausgleichsfähigkeit von Auswirkungen länger andauernder Erkrankungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit vorstellte.[2] Bezüglich des Hintergrunds der Tagung und der weiteren Vorträge zur Umsetzungspraxis von Nachteilsausgleichen sowie rechtlicher Fragen ist auf die Beitragsteile I[3] und III[4] zu verweisen.

I. Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit und das Problem mit den Diagnosen

Oster listete zu Beginn seines Vortrags eine Reihe von Beispielen für kognitive Funktionen auf. Dazu zählen Aufmerksamkeit, Konzentration, Wahrnehmung, Merkfähigkeit, Gedächtnis, Urteilsbildung bzw. Bewertung, Sprache oder Motivation. Ebenso vielfältig wie die kognitiven Funktionen, können auch die Ursachen für ihre Einschränkungen sein. In Betracht kommen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, der Sinnesorgane, des Herz-Kreislauf-Systems oder des Stoffwechselsystems.

Am Beispiel des Zentralnervensystems zeigte Oster verschiedene Erkrankungsmöglichkeiten und Diagnosen, die sich auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken können. Dabei könne zwischen neurologischen (z. B. Schlaganfall, Demenz oder Multiple Sklerose) und psychiatrischen (z. B. Schizophrenie, Depression oder Autismus-Spektrum-Störung) Diagnosen unterschieden werden, die für sich genommen jedoch mit Blick auf die Studierfähigkeit eines Menschen problematisch sein können. Denn eine diagnostizierte Erkrankung könne mit unterschiedlichen und unterschiedlich ausgeprägten Symptomen einhergehen. Ebenso können Eigenwahrnehmung und Compliance der Betroffenen sowie die Erfolge von Therapien variieren. Allein eine Diagnose oder die Dauer einer Erkrankung eigne sich daher nicht, um die kognitive Leistungsfähigkeit eines Menschen zu bewerten und Entscheidungen daraus bezüglich eines Nachteilsausgleichs abzuleiten.

II. Mögliche Folgen eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit auf die Studierfähigkeit

Mit Blick auf die Auswirkungen eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit auf die Studierfähigkeit sei zu unterscheiden, ob geforderte Prüfungsleistungen grundsätzlich nicht erbracht werden können, weil die Einschränkungen der Leistungsfähigkeit unmittelbar den Zielen des Studiums, den zu erwerbenden Kompetenzen oder Prüfungszwecken entgegenstehen. Oder ob geforderte Prüfungsleistungen grundsätzlich erbracht werden können, dies aber (nur) unter individuellen Prüfungsbedingungen.

III. Ausgleichsmöglichkeiten bezüglich eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit

Steht eine Einschränkung der kognitiven Leistungsfähigkeit dem Ablegen von Prüfungsleistungen grundsätzlich nicht entgegen, kommen formale und einschränkungsspezifische Ausgleichsmöglichkeiten in Betracht.

Als formale Ausgleichsmöglichkeiten nennt Oster z. B. veränderte Prüfungsuhrzeiten (mit Blick auf die Einnahme von bestimmten Medikamenten), verlängerte Bearbeitungszeiten oder zusätzliche Pausen. Zu den einschränkungsspezifischen Interventionsmöglichkeiten zählt er bspw. Medikation, Physio- oder Psychotherapie, fachärztliche Behandlung, Hilfsmittel oder andere Formen der Rehabilitation. Schon aus Eigeninteresse sollten betroffene Studierende auch eigenverantwortlich handeln und an den bestehenden Möglichkeiten mitwirken, um einschränkungsbedingte Nachteile möglichst zu vermeiden.

Daher sieht Oster sowohl Hochschulen als auch betroffene Studierende in der Verantwortung, geeignete Möglichkeiten für einen Ausgleich von Nachteilen durch eine eigenschränkte kognitive Leistungsfähigkeit zu finden. Dabei ist für Oster die Bewertung des Einzelfalls zwingend erforderlich, die unter anderem eine adäquate Diagnostik voraussetzt.

Beitrag von René Dittmann (LL.M.), Universität Kassel

Fußnoten

[1] Das Programm sowie die Präsentationen sind abrufbar unter: https://www.studentenwerke.de/de/tagungsdokumentationen, zuletzt abgerufen am 11.01.2021.

[2] Oster, Kognitive Leistungsfähigkeit: Überlegungen zur Ausgleichsfähigkeit von Auswirkungen länger andauernder Erkrankungen, Präsentation abrufbar unter: https://www.studentenwerke.de/sites/default/files/oster_input.pdf, zuletzt abgerufen am 11.01.2021.

[3] Vgl. Dittmann: Studieren mit länger andauernden Erkrankungen – Nachteilsausgleiche in Prüfungen, Fachveranstaltung des Deutschen Studentenwerks – Teil I: Umsetzungspraxis des Nachteilsausgleichs; Beitrag A9-2021 unter www.reha-recht.de; 11.03.2021

[4] Vgl. Dittmann: Studieren mit länger andauernden Erkrankungen – Nachteilsausgleiche in Prüfungen, Fachveranstaltung des Deutschen Studentenwerks – Teil III: Überlegungen zu den Rechtsvorgaben aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 5 Abs. 2 UN-BRK; erscheint in Kürze unter www.reha-recht.de.


Stichwörter:

Studium, Nachteilsausgleich, Prüfungsrecht, Studieren mit Behinderung, Leistungsfähigkeit


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