25.08.2021 E: Recht der Dienste und Einrichtungen Boysen, Steinbrück: Beitrag E2-2021

Vom European Accessibility Act zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – Teil I: Hintergrund und Anwendungsbereich des EAA und des BFSG

Mit dem Europäischen Rechtsakt zur Barrierefreiheit („European Accessibility Act“) vom 17. April 2019 haben das Europäische Parlament und der Rat eine Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen erlassen, um diesbezügliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten anzugleichen und somit das reibungslose Funktionieren des europäischen Binnenmarkts zu fördern.

Die Europäische Richtlinie wurde in Deutschland durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz vom 16. Juli 2021 in umgesetzt. Die Autoren Uwe Boysen und Hans-Joachim Steinbrück haben dies zum Anlass genommen, um in einem vierteiligen Beitrag den European Accessibility Act (EAA) sowie das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) vorzustellen und zu besprechen. In Teil I des Beitrags stellen sie zunächst die behinderungspolitischen Strategien der EU und ihre Umsetzung vor und geben anschließend einen Überblick über Struktur, Ziel und Geltungsbereich des EAA und BFSG.

(Zitiervorschlag: Boysen, Steinbrück: Vom European Accessibility Act zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – Teil I: Hintergrund und Anwendungsbereich des EAA und des BFSG; Beitrag E2-2021 unter www.reha-recht.de; 25.08.2021)

I. Gang der Untersuchung

In diesem mehrteiligen Beitrag werden der European Accessibility Act (EAA) und dessen Umsetzung im deutschen Recht, das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), vorgestellt und besprochen.

Im vorliegenden ersten Teil machen wir Bemerkungen zur strategischen Ausrichtung der EU im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen und stellen den Geltungsbereich des EAA und des BFSG dar, das vom Bundestag und am 25.Juni 2021 vom Bundesrat verabschiedet worden ist.

II. Die Strategien der Europäischen Union zugunsten von Menschen mit Behinderungen und ihre Umsetzungen

1. Strategische Ausrichtung

Die Europäische Union (im Folgenden: EU) sieht sich vielfacher Kritik ausgesetzt: zu bürokratisch, zu langsam, zu ineffektiv, zu sehr an wirtschaftlichen, aber zu wenig an sozialen Belangen interessiert. Jedenfalls für die Politik zugunsten von Menschen mit Beeinträchtigungen ist diese Kritik nicht sehr berechtigt. Die EU hat hier schon seit mehr als 20 Jahren Initiativen auf den Weg gebracht, die positive Veränderungen für das Leben der Menschen mit Behinderungen in der Union zur Folge gehabt haben.

Frühzeitig hat die Europäische Kommission Strategien benannt, wie die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern ist, und tut das auch weiterhin. So hatte die Kommission die Europäische Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen 2010–2020 formuliert, die – so die „Eigenwerbung“ – „den Weg für ein barrierefreies Europa geebnet und Menschen mit Behinderungen in die Lage versetzt hat, ihre Rechte wahrzunehmen und uneingeschränkt am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilzuhaben.“[1]

Im März 2021 hat die Europäische Kommission in Fortsetzung dieser Politik die „Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021–2030“ angenommen. Zu Recht wird dabei betont, dass Menschen mit Behinderungen trotz der Fortschritte der vergangenen zehn Jahre immer noch auf große Hindernisse stoßen und stärker von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind. Mit der aktuellen Strategie soll deshalb sichergestellt werden, dass alle Menschen mit Behinderungen in Europa ungeachtet aller Unterschiede in Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Alter oder sexueller Ausrichtung:

  • Chancengleichheit sowie gleichberechtigten Zugang zur Teilhabe am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben genießen,
  • frei entscheiden können, wo, wie und mit wem sie leben,
  • sich unabhängig von ihrem Unterstützungsbedarf frei in der EU bewegen können und
  • keinerlei Diskriminierung mehr erfahren.

Diese Programmsätze entsprechen damit im Wesentlichen den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die auch von der EU ratifiziert worden ist. Dabei setzt die Strategie im Einklang mit der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung auf einen bereichsübergreifenden Ansatz. Genannt werden hier beispielhaft:

  • Barrierefreiheit: sich frei bewegen und aufhalten, aber auch am demokratischen Prozess teilnehmen zu können,
  • ein unabhängiges Leben mit guter Lebensqualität zu gewährleisten, da der Schwerpunkt vor allem auf dem Prozess der Institutionalisierung, dem Sozialschutz und der Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz liegt,
  • eine gleichberechtigte Teilhabe zu gewährleisten, da die Strategie Menschen mit Behinderungen wirksam vor jeglicher Form von Diskriminierung und Gewalt schützen, Chancengleichheit und gleichberechtigten Zugang zu Justiz, Bildung, Kultur, Sport und Tourismus sicherstellen, aber auch einen gleichberechtigten Zugang zu allen Gesundheitsdiensten gewährleisten soll,
  • die Vorreiterrolle der EU zu bekräftigen,
  • den Umsetzungswillen der EU aufzuzeigen und
  • die Rechte von Menschen mit Behinderungen weltweit zu fördern.

Dazu verspricht die Kommission, die Mitgliedstaaten bei der Gestaltung ihrer nationalen Strategien und Aktionspläne zur weiteren Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der einschlägigen EU-Rechtsvorschriften zu unterstützen. Das geschieht zugleich mit der Aufforderung an die Mitgliedstaaten, zu dieser neuen und tiefergehenden Strategie als Rahmen für EU-Maßnahmen und für die Umsetzung der UN-BRK beizutragen.

2. Umsetzungsbeispiele

Dass es sich dabei nicht nur um bloßes effekthascherisches Wortgeklingel handelt, haben eine Reihe von Richtlinien und Verordnungen in den letzten 20 Jahren gezeigt. Exemplarisch seien die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft,[2] die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf[3] sowie die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen genannt. Auf Grund von Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG ist dann schließlich 2006 das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erlassen worden.

Mit der Verordnung (EG) 1107/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über die Rechte von behinderten Flugreisenden und Flugreisenden mit eingeschränkter Mobilität ist versucht worden, Rechtsunsicherheit für die genannte Personengruppe zu beseitigen.[4]

Einen wesentlichen weiteren Meilenstein auf dem Weg zu mehr Barrierefreiheit stellte die Richtlinie (EU) 2016/2102 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26 Oktober 2016 über den barrierefreien Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen dar.[5] Dazu sind inzwischen das BGG sowie sämtliche Landesgleichstellungsgesetze angepasst worden (für das BGG durch Gesetz vom 10. Juli 2018),[6] deren Vorschriften für die Websites seit 23. September 2020 und für die mobilen Anwendungen seit 23. Juni 2021 vollständig in Kraft sind.

In diese Reihe gehört nun auch die Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, auch als Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit ("European Accessibility Act" - EAA[7]) bezeichnet.[8] Gemäß ihrem Art. 34 ist die Richtlinie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung, also am 27. Juni 2019, in Kraft getreten. Damit ist die Richtlinie aber für die Bürgerinnen und Bürger in den Mitgliedstaaten der EU noch nicht verbindlich. Richtlinien müssen dazu nämlich nach Art. 288 AEUV (= Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) noch in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. In Deutschland soll das durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) geschehen, das vom Bundestag am 20. Mai 2021 verabschiedet worden ist. Da sich der Gesetzentwurf eng an der o. g. Richtlinie orientiert, soll diese vorgestellt und parallel dazu mitgeteilt werden, wie die deutsche Umsetzung sich nach dem BFSG gestaltet.

III. Kurzer Überblick über die Struktur von EAA und BFSG

Der EAA gliedert sich in elf Kapitel und 35 Artikel. Enthalten sind an vielen Stellen unterschiedliche Regelungen für Produkte einerseits und Dienstleistungen andererseits. Davon gelten drei Kapitel nur für Produkte (Kap. III, VII und VIII) sowie zwei Kapitel nur für Dienstleistungen (Kap. IV und IX). Des Weiteren hat der EAA sechs Anhänge. Der Richtlinie vorangestellt sind 104 Erwägungsgründe, die bei der EU die Funktion einer Art Gesetzesbegründung haben.

Das BFSG enthält 38 Paragrafen in elf Abschnitten nebst vier Anlagen. Die §§ 1–2 im ersten Abschnitt befassen sich mit Zweck, Anwendungsbereich und Begriffsdefinitionen. Im zweiten Abschnitt werden mit den §§ 3–5 Anforderungen an die Barrierefreiheit festgelegt. Der dritte Abschnitt erlegt den Wirtschaftsakteuren in Bezug auf Barrierefreiheit bestimmte Pflichten (§§ 6–15) auf, wobei § 15 systematisch keine Verpflichtung der Wirtschaftsakteure darstellt und daher in diesem Abschnitt fehl am Platze ist. Mit dem 4. Abschnitt (§§ 16–17) werden den Wirtschaftsakteuren Möglichkeiten eröffnet, sich von Anforderungen der Barrierefreiheit zu befreien. Der 5. Abschnitt enthält mit §§ 18–19 Vorschriften für die sog. Konformitätserklärung und die CE-Kennzeichnung von Produkten, wobei die Überschrift fälschlicherweise nur die CE-Kennzeichnung erwähnt. Im 6. Abschnitt regeln die §§ 20–27 die Marktüberwachung von Produkten, während der 7.  Abschnitt mit §§ 28–31 diejenige von Dienstleistungen betrifft. Der 8. Abschnitt enthält Vorschriften für das Verwaltungsverfahren, Rechtsbehelfe und ein Schlichtungsverfahren (§§ 32–34). Im 9. Abschnitt geht es sodann um Auskunftspflichten der Wirtschaftsakteure (§ 35), während der 10. Abschnitt Berichtspflichten und Bußgeldvorschriften festlegt (§§ 36–37). Den Schluss bildet im 11. Abschnitt § 38 mit den dort geregelten Übergangsfristen.

IV. Ziel und allgemeiner Regelungsgehalt von EAA und BFSG

Im Gegensatz zu den Vorschriften der deutschen Behindertengleichstellungsgesetze, die lediglich die öffentliche Verwaltung (so etwa § 1 BGG) bzw. sog. öffentliche Stellen (zu ihnen § 12 BGG) binden[9], richtet sich der EAA ausdrücklich an private Wirtschaftsakteure wie Produzenten, Importeure, Händler sowie Dienstleistungserbringer (vgl. die Definition in § 2 Nr. 15 BFSG), indem er Barrierefreiheitsanforderungen für bestimmte Produkte und Dienstleistungen festlegt. Wie viele EU-Rechtsakte nutzt die Richtlinie damit einen sektoralen Ansatz und erfüllt – jedenfalls teilweise – die seit Langem aufgestellte Forderung von Verbänden der Menschen mit Behinderungen an den Gesetzgeber, sich bei Ansprüchen auf Beseitigung von Barrieren oder auf Schaffung angemessener Vorkehrungen zur Erreichung von Barrierefreiheit nicht lediglich auf öffentliche Stellen zu beschränken, sondern auch private Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit zu verpflichten.

Dabei wird in Art. 1 sowie in Erwägungsgrund (im Folgenden: ErwG) 2 – getreu den Grundfreiheiten der EU – als Zweck des EAA betont, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für die später im Einzelnen aufgeführten Produkte und Dienstleistungen einander anzugleichen und damit einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten (ähnlich auch § 1 Abs. 1 BFSG).[10] Daneben wird aber auch in ErwG 3 darauf verwiesen, dass der EAA die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen durch Verbesserung des Zugangs zu Alltagsprodukten und -dienstleistungen fördern soll, die durch ihr ursprüngliches Design oder eine spätere Anpassung den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen Rechnung tragen. ErwG 4 betont, dass davon auch andere Menschen mit funktionellen Einschränkungen wie ältere Menschen, Schwangere oder Reisende mit Gepäck profitieren, ein Umstand, der es verdient hätte, auch in den Normtext mitaufgenommen zu werden (so auch eine Forderung des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes – DBSV – und des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf – DVBS – in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum Entwurf eines Barrierefreiheitsgesetzes vom März 2021).[11]

V. In EAA und BFSG enthaltene Produkte und Dienstleistungen

Art. 2 Abs. 1 benennt die Produkte und Abs. 2 die Dienstleistungen, die dem Geltungsbereich des EAA unterliegen. Beide Aufzählungen sind fast völlig in § 1 Abs. 2 und 3 des BFSG übernommen worden. ErwG 18 der Richtlinie erläutert dazu, dass deren Auswahl auf einem während der Vorbereitung der Folgenabschätzung durchgeführten Screening beruht. Damit wurden Produkte und Dienstleistungen ermittelt, die für Menschen mit Behinderungen relevant sind und zu denen in den Mitgliedstaaten unterschiedliche nationale Barrierefreiheitsanforderungen bestehen, die zu Wettbewerbshindernissen im Binnenmarkt führen können. Diese Aufzählung ist abschließend.

1. Produkte

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Produkte:

  • Hardwaresysteme und für diese bestimmte Betriebssysteme für Universalrechner für Verbraucher (Art. 2 Abs. 1 a); § 1 Abs. 2 Nr. 1 BFSG):
    Umfasst sind hiervon Desktoprechner, Notebooks, Tablets und Smartphones (siehe die Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 39; § 2 Nr. 35 BFSG). Die Regelung nennt ausdrücklich Universalrechner für Verbraucher und klammert damit Arbeitsplatzrechner aus. Auch sie in den Geltungsbereich des EAA einzubeziehen, wäre für eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen jedoch geboten gewesen und stellt damit keinen Fortschritt bei der beruflichen Inklusion dieses Personenkreises dar, abgesehen davon, dass die Grenzen zwischen Rechnern für Verbraucher und solchen, die zu geschäftlichen Zwecken genutzt werden, kaum exakt zu ziehen sein dürften.
  • Selbstbedienungsterminals:
    Das sind Zahlungsterminals einschließlich der zu ihnen gehörenden Hard- und Software (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 a)) und andere Selbstbedienungsterminals, die zur Erbringung der unter die Richtlinie bzw. das BFSG fallenden Dienstleistungen bestimmt sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 b)). Genannt werden Geld-, Fahrausweis- und Check-in-Automaten sowie solche interaktiven Selbstbedienungsterminals, mit denen Informationen bereitgestellt werden (Art. 2 Abs. 1 b); § 1 Abs. 2 Nr. 2 b) aa)-dd)).[12]
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste verwendet werden (Art. 2 Abs. 1 c); § 1 Abs. 2 Nr. 3):
    Nach Art. 3 Nr. 8 EAA i. V. m. Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation sind das gewöhnlich gegen Entgelt über elektronische Kommunikationsnetze erbrachte Dienste. Hierzu zählen unter anderem Internetzugangsdienste und interpersonelle Kommunikationsdienste. Nicht vom Begriff der elektronischen Kommunikationsdienste umfasst sind Dienste, die Inhalte über elektronische Kommunikationsnetze und -dienste anbieten oder eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben. Zu den genannten Verbraucherendgeräten sollten nach ErwG 30 diejenigen Geräte zählen, die als Teil der Konfiguration für den Zugang zu elektronischen Kommunikationsdiensten genutzt werden wie zum Beispiel Router oder Modems.
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden (Art. 2 Abs. 1 d); § 1 Abs. 2 Nr. 4):
    Ihr Hauptzweck ist, Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten zu bieten (Art. 3 Nr. 7), also beispielsweise Smart-TV-Geräte.
  • E-Book-Lesegeräte (§ 1 Abs. 2 Nr. 5).

2. Dienstleistungen

Art. 2 Abs. 2 (und ihm folgend § 1 Abs. 3 BFSG) enthält eine ebenfalls abschließende Aufstellung derjenigen Dienstleistungen, die dem EAA unterliegen. Er bestimmt, dass die Richtlinie unbeschadet ihres Art. 32 für folgende Dienstleistungen gilt, die für Verbraucher nach dem 28. Juni 2025 erbracht werden (so auch § 1 Abs. 3 BFSG):

  • Elektronische Kommunikationsdienste mit Ausnahme von Übertragungsdiensten zur Bereitstellung von Diensten der Maschine-Maschine-Kommunikation (Art. 2 Abs. 2 a); § 1 Abs. 3 Nr. 1).
  • Dienste, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen (Art. 2 Abs. 2 b); § 1 Abs. 3 Nr. 2):
    Nach ErwG 31 können dazu Websites, Online-Anwendungen, auf Set-top-Boxen basierende und herunterladbare Anwendungen, auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen einschließlich mobiler Anwendungen und entsprechende Media-Player sowie auf einer Internetverbindung basierende Fernsehdienste gehören.
  • Elemente von Personenverkehrsdiensten im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr, mit Ausnahme von Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdiensten, für die nur die Elemente unter Art. 2 Abs. 2 c) V. gelten (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 e)):
    Im Einzelnen werden in Art. 2 Abs. 2 c) (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 a)-e)) folgende Elemente der Verkehrsdienste genannt:
  1. Websites,
  2. auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen, einschließlich mobiler Anwendungen,
  3. elektronische Tickets und elektronische Ticketdienste,
  4. die Bereitstellung von Informationen für den Verkehrsdienst, einschließlich Reiseinformationen in Echtzeit, wobei das für Informationsbildschirme auf interaktive Bildschirme im Hoheitsgebiet der Union beschränkt ist, und
  5. interaktive Selbstbedienungsterminals im Hoheitsgebiet der Union, mit Ausnahme der Terminals, die als integrierte Bestandteile von Fahrzeugen, Luftfahrzeugen, Schiffen und Schienenfahrzeugen eingebaut sind und für die Erbringung von solchen Personenverkehrsdiensten verwendet werden.
    Im Hinblick auf diese Verkehrsdienste soll sich der EAA nach ErwG 32 unter anderem auf die Bereitstellung von Informationen zum Verkehrsdienst, einschließlich Reiseinformationen in Echtzeit, über Websites, auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen, interaktive Anzeigebildschirme und interaktive Selbstbedienungsterminals erstrecken, die Fahrgäste mit Behinderungen zum Reisen benötigen.
  • Bankdienstleistungen für Verbraucher (Art. 2 Abs. 2 d); § 1 Abs. 3 Nr. 3):
    Dazu bemerkt ErwG 39, dass der unionsweite Verbraucherschutz bei Bank- und Finanzdienstleistungen mit dem EAA auch auf Menschen mit Behinderungen ausgedehnt werden soll, um ihnen die Nutzung dieser Dienstleistungen und das Treffen fundierter Entscheidungen zu ermöglichen sowie sie angemessen, in gleicher Weise wie alle anderen Verbraucher, zu schützen.
  • E-Books und hierfür bestimmte Software (Art. 2 Abs. 2 e); § 1 Abs. 3 Nr. 5),
  • Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr (Art. 2 Abs. 2 f); § 1 Abs. 3 Nr. 6):
    Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sollen nach ErwG 43 für den Online-Verkauf von jeglichen Produkten oder Dienstleistungen gelten. Vom EAA wird damit vor Allem auch der Online-Handel mit umfasst, der eine immer größere Bedeutung erlangt.

VI: Sonderregelung für Dienste zur Beantwortung von Notrufen

Vor allem für Menschen mit Höreinschränkungen (aber nicht nur für sie) stellt die Zugänglichkeit zu Notrufnummern ein besonderes Problem dar. Nach Art. 2 Abs. 3 gilt der EAA auch für die Beantwortung von an die einheitliche europäische Notrufnummer 112 gerichteten Notrufen. Damit ergänzt Art. 2 Abs. 3 EAA die bereits bestehenden europarechtlichen Regelungen zum barrierefreien Zugang behinderter Menschen zu Notrufen im Hinblick auf die Notrufbeantwortung.[13] Nach Art. 4 Abs. 8 EAA gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Beantwortung von an die einheitliche europäische Notrufnummer 112 gerichteten Notrufen durch die am besten geeignete Notrufabfragestelle im Einklang mit den spezifischen Barrierefreiheitsanforderungen gem. Anhang I Abschnitt V und so erfolgt, wie sie der Organisation der nationalen Notrufdienste am besten entspricht. Vorschriften dazu fehlen im BFSG. Sie sind aber in der Novelle zum Telekommunikationsgesetz enthalten, mit der die Richtlinie (EU) 2018/1972 umgesetzt wird.

VII: Einschränkungen des Geltungsbereichs

In Art. 2 Abs. 4 (§ 1 Abs. 4 Nrn. 1–5) werden verschiedene Inhaltsbereiche von Webseiten und mobilen Anwendungen ausdrücklich vom Geltungsbereich der Richtlinie bzw. des BFSG ausgenommen. Wichtig ist dabei vor allem die Ausnahme für Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden (§ 1 Abs. 4 Nr. 2 BFSG). Wer also den Vorschriften von EAA und BFSG in diesem Bereich entrinnen will, der kann das erreichen, indem er kurz vor dem Stichtag des 28. Juni 2025 seine Anwendungen modernisiert. Hier hätte es einer Übergangsfrist, wie sie in der RL (EU) 2016/2102 enthalten ist, bedurft. Dort müssen auch ältere Formate der öffentlichen Stellen ab einem Stichtag die Voraussetzungen der Barrierefreiheit erfüllen.

Bei Online-Karten und Kartendiensten sind diese nach EAA und BFSG von den Anforderungen zur Barrierefreiheit ausgenommen, sofern bei Karten für Navigationszwecke wenigstens „wesentliche Informationen“ digital barrierefrei bereitgestellt werden (§ 1 Abs. 4 Nr. 3). Häufig nutzen die nach EAA und BFSG verpflichteten Wirtschaftsakteure Inhalte von Dritten, die von ihnen weder finanziert oder entwickelt werden, noch deren Kontrolle unterliegen. Auch für sie gelten dann EAA und BFSG nicht (§ 1 Abs. 4 Nr. 4). Um sie doch in den Geltungsbereich des BFSG einbeziehen zu können, müssen Marktüberwachungsbehörden oder Menschen mit Behinderungen, die versuchen wollen, gegen sie vorzugehen, Detailkenntnisse über etwa vorhandene wirtschaftliche Verflechtungen besitzen, was wohl nur selten der Fall sein wird, mit der Folge, dass die Bestimmung weitgehend leer laufen dürfte, wenn es um eine Ausnahme von der Ausnahme gehen soll.

VIII: Einbeziehung der baulichen Umwelt

Art. 4 Abs. 4 eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, im Rahmen der Umsetzung des EAA die bauliche Umwelt mit einzubeziehen, die von Kunden der unter den EAA fallenden Dienstleistungen genutzt wird. Hiernach können die Mitgliedstaaten festlegen, dass die bauliche Umwelt die Anforderungen des Anhangs III des EAA erfüllen muss, um ihre Nutzung durch Menschen mit Behinderungen zu maximieren. Erwg 49 enthält den Hinweis, dass hier in einigen Fällen einheitliche Barrierefreiheitsanforderungen die ungehinderte Erbringung der dort angebotenen Dienstleistungen und die Bewegungsfreiheit der Menschen mit Behinderungen erleichtern, etwa beim (barrierefreien) Zugang zu Geldautomaten oder zu anderen Selbstbedienungsterminals. Die Bundesrepublik greift diese Möglichkeit im BFSG jedoch nicht auf. Das kann zu der absurden Situation führen, dass zwar ein Geldautomat selbst barrierefrei sein muss, der Weg dahin aber mit zahlreichen Barrieren versehen sein kann, eine Nutzbarkeit damit also letztlich ausscheidet.

Beitrag von Von Uwe Boysen (VRLG Bremen i. R. und Diplomsozialwissenschaftler) und Dr. Hans-Joachim Steinbrück (Richter am ArbG Bremen i. R. und Behindertenbeauftragter des Landes Bremen a. D.)

Fußnoten

[1] So die Europäische Kommission zur Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2021–2030, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1484&langId=de, zuletzt abgerufen am 13.07.2021.

[2] ABl. L 180, 22.

[3] ABl. L 303, 16.

[4] Zu weiteren EU-Verordnungen im Verkehrsbereich Boysen, Stichwort Europäische Union in: Brockmann/Deinert/Luik/Welti, Stichwortkommentar zum Behindertenrecht, 3. Aufl. 2021 (im Erscheinen), Rn. 33 ff.

[5] ABl. L 327, 1–15; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016L2102.

[6] BGBl. I 2018, 1117; dazu: Boysen: Barrierefreiheit digital – ein Überblick; Beitrag D13-2018 unter www.reha-recht.de; 09.05.2018

[7] Vgl. Amtsblatt der Europäischen Union vom 07.06.2019, ABl. L 151 S. 70–115, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32019L0882&from=EN, zuletzt abgerufen am 13.07.2021.

[8] Artikel ohne weitere Richtlinienangaben beziehen sich auf den EAA.

[9] Zur Entstehung, Evaluation und Weiterentwicklung des BGG sind zahlreiche Beiträge unter www.reha-recht.de veröffentlicht, z. B. Frehe: Behindertengleichstellungsgesetze: Entstehung und Konzeption; Forum D, Beitrag D23-2013 unter www.reha-recht.de; 27.08.2013; Ramm/Hlava: Der Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts – Gesetzentwurf der Bundesregierung; Beitrag D4-2016 unter www.reha-recht.de; 02.02.2016; Welti: Zugänglichkeit und Barrierefreiheit der gesundheitlichen Infrastruktur – rechtliche Anforderungen – Teile 1 und 2; Beiträge D7 und D8-2016 unter www.reha-recht.de; 09. und 10.03.2016; Fuerst: Ein Jahr Schlichtungsstelle nach dem Behindertengleichstellungsgesetz: Bilanz und Ausblick; Beitrag D24-2018 unter www.reha-recht.de; 26.06.2018; Dittmann: Angemessene Vorkehrungen und Sozialrecht – Bericht zur Fachveranstaltung der Schlichtungsstelle BGG und der Bundesfachstelle Barrierefreiheit: „Das Behindertengleichstellungsgesetz in Recht und Praxis“ – Teil II; Beitrag D32-2018 unter www.reha-recht.de; 30.08.2018

[10] Soweit Paragrafen ohne Gesetzesangabe genannt sind, beziehen sie sich auf den Entwurf zum BFSG, wie er vom Bundestag am 20.05.2021 verabschiedet worden ist, siehe Bundestags-Drucksache 19/28653 mit den Änderungen aus Bundestags-Drucksache 19/29893.

[11] Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) und Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf, Gemeinsame Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des EU-Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen von Produkten und Dienstleistungen (Barrierefreiheitsgesetz - BFG), März 2021, https://www.dbsv.org/stellungnahme/BFG-RefE.html; weitere Stellungnahmen: Deutscher Behindertenrat (DBR), Forderungspapier des Deutschen Behindertenrats (DBR) zur Umsetzung des European Accessibility Acts ()EAA) in Deutschland, https://www.deutscher-behindertenrat.de/ID255536; Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, Stellungnahme zum Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, März 2021, https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/zum-gesetzesentwurf-zur-umsetzung-des-bundesministeriums-fuer-arbeit-und-soziales-zur-umsetzung-der-richtlinie-eu-2019882-ueber-die-barrierefreiheitsanforderungen-fuer-produkte-und-dienstleistungen-european-accessibility-act. Eine Auflistung weiterer Stellungnahmen findet man unter https://barrierefreiheitsgesetz.org/category/barrierefreiheitsrecht/gesetze-und-stellungnahmen/ (Abruf jeweils 30.06.2021).

[12] Zu den Anforderungen der UN-BRK an die Barrierefreiheit von Bankautomaten, siehe: Groskreutz: Die UN-Behindertenrechtskonvention hat Auswirkungen auf die Barrierefreiheit und Zugänglichkeit von Bankautomaten – Anmerkung zur Entscheidung „Szilvia Nyusti und Péter Takács gegen Ungarn“ vom 16.04.2013 über eine Individualbeschwerde durch den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen; Forum A, Beitrag A5-2015 unter www.reha-recht.de; 18.03.2015.

[13] Die Regelung korrespondiert mit der Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (siehe dort Art. 85 und 109). Zu ihr ausführlich Steinbrück, in: Lühr/Peter (Hrsg.), Digitale Teilhabe und Barrierefreiheit, 2021, im Erscheinen.


Stichwörter:

Barrierefreiheit, Zugänglichkeit, European Accessbility Act (EAA), Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)


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